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Die Urologie
Info
Publiziert am: 10.12.2022

Verhalten im Schadensfall

Verfasst von: Jörn Schroeder-Printzen und Immo Schroeder-Printzen
Eine vom Patienten gegenüber dem Arzt behauptete fehlerhafte Behandlung oder Aufklärungspflichtverletzung stellt für den Arzt einen Schadensfall dar. Das bedeutet nicht automatisch, dass dadurch für den Arzt schon eine Haftung des Arztes eingetreten ist. Der Begriff des Schadensfalls beschreibt zunächst nur das Vorliegen eines Sachverhaltes, in dem der Patient seine Unzufriedenheit mit der Behandlung äußert und Schadensersatz/Schmerzensgeld fordert. Zu diesem Zeitpunkt besteht die Notwendigkeit der Reaktion des Arztes auf diesen Vorwurf. Hierbei sind vielfältige Maßnahmen zu ergreifen, die die Kommunikation sowie die Dokumentation betreffen. Fehlerquellen können insbesondere bei der Aufklärung liegen oder bei dem Abweichen vom medizinischen Standard, weiter ist grundsätzlich auf eine ordnungsgemäße Dokumentation des Behandlungsverlaufs zu achten.

Einführung

Bei der Behandlung durch den Urologen kommen – wie in jeder anderen Fachgruppe auch – grundsätzlich Fehler in der Behandlung vor. Ein Fehler, egal in welcher Form, bedeutet nicht automatisch eine Haftung, denn der Fehler muss zu einem Schaden geführt haben, es muss mithin eine Kausalität zwischen einem Schaden und dem Fehler vorliegen. Nach den statistischen Erhebungen der Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen für das Statistikjahr 2020 wurden insgesamt 9438 Anträge auf die Durchführung eines Schlichtungsverfahrens gestellt, was eine 11,4 %ige Minderung der Anzahl der Anträge im Verhältnis zu 2019 darstellt. Ferner wurden 2020 7055 Sachentscheidungen getroffen. Diese Sachentscheidungen betraf insgesamt 13.097 Vorwürfe, die sich wie folgt aufgegliedern lassen (Tab. 1):
Tab. 1
Sachentscheidungen zu Patientenvorwürfen in den Jahren 2019 und 2020.
Patientenvorwürfe
2019
2020
2.1 Anzahl aller Sachentscheidungen
6412
7055
2.2 Gesamtzahl der Vorwürfe
11.565
13.097
(Bezug: 2.1; max. 4 Vorwürfe/Sachentscheidungen)
  
2.3 Die häufigsten Vorwürfe (Bezug: 2.2)
  
2.3.1 Therapie operativ, Durchführung
2988
3353
2.3.2 Diagnostik, bildgebende Verfahren
1031
1243
2.3.3 Diagnostik, Anamnese/Untersuchung
831
1064
2.3.4 Indikation
714
826
2.3.5 Therapie, postoperative Maßnahmen
571
797
2.3.6 Therapie, Pharmaka
678
668
2.3.7 Aufklärung, Risiko
629
633
2.3.8 Diagnostik Labor/Zusatzuntersuchungen
472
587
2.3.9 Therapie, konservativ
403
368
2.3.10 Diagnostik, allgemein
  
(2019 Therapie postoperativ, Infektion)
262
259
Bezogen auf den Anteil der Urologen an der Gesamtheit aller behandelten Patienten ist die Schadensfallhäufigkeit geringer als ihr Anteil an behandelten Patienten (Tab. 2).
Tab. 2
Sachentscheidungen zu Patientenvorwürfen in den Jahren 2019 und 2020.
 
2019
2020
Sachentscheidungen, urologisch ambulant
2,89 %
3,47 %
Anteil ambulanter urologischer Behandlungen an der Gesamtheit aller Behandlungen
6,47 %
Liegen von der KBV noch nicht vor
Sachentscheidungen, urologisch stationär
3,06 %
3,37 %
Anteil stationärer urologischer Behandlungen an der Gesamtheit aller Behandlungen
4,21 %
4,37 %
Dabei wurden bei mehr als 50 % der Fälle ein Behandlungsfehler oder ein Aufklärungsmangel verneint.
Diese Zahlen korrespondieren auch mit den Auswertungen des Medizinischer Dienst Bund (MDB). Nach § 66 SGB V haben die gesetzlichen Krankenkassen die Versicherten bei Behandlungsfehlern zu unterstützen, dazu wird der regionale Medizinische Dienst (MD) benutzt, um den medizinischen Sachverstand in die Beurteilung einzubeziehen. Der Bereich der Urologie spielte in 2020 an diesen Fällen eher eine untergeordnete Rolle von den insgesamt 14.042 begutachteten Fällen betraf die Urologie lediglich 380 Fälle, bei denen in insgesamt 97 Fällen eine Kausalität zwischen Fehler und Schaden festgestellt wurden.
Wenn ein Behandlungsfehler festgestellt wurde und dadurch (Kausalität) dem Patienten ein Schaden entstanden ist, hat der Urologe den Schaden gegenüber dem Patienten zu ersetzen. Aufgrund dessen sehen auch § 21 MBO-Ärzte und die gleichlautenden Regelungen in den Berufsordnungen der Landesärztekammern vor, dass der Arzt verpflichtet ist, sich hinreichend gegen Haftpflichtansprüche im Rahmen der beruflichen Tätigkeit zu versichern.
Speziell für die ambulante vertragsärztliche Tätigkeit als Urologe sieht § 95e Abs. 2 SGB V eine Mindestversicherungssumme von 3 Millionen für Personen- und Sachschäden für jeden Versicherungsfall vor. Die Versicherungssumme von 3 Mio. € ist zumindest im ambulanten Bereich, sofern operiert würde, ein Betrag, der sicherlich grenzwertig niedrig ist, sinnvollerweise sollten im operativen Bereich eher 5 oder 10 Mio. € vereinbart werden.
Sofern der Urologe als angestellter Arzt entweder im ambulanten oder im stationären Bereich tätig wird, sollte er im Zweifelsfall vertraglich vereinbaren, welche Mindestdeckungssumme für ihn gelten soll.

Behandlungsvertrag

Der Behandlungsvertrag findet seine rechtliche Grundlage in den §§ 630a – 630h BGB. Diese Vorschriften wurden durch das Patientenrechtgesetz in das BGB eingefügt und kodifizieren im Wesentlichen die bis dahin ergangene Rechtsprechung.
Auf der Seite des Behandelnden schließt der Praxisinhaber der ambulanten Versorgung und das Krankenhaus in der stationären Versorgung den Behandlungsvertrag ab. Besonderheiten gibt es bei der wahlärztlichen Behandlung und bei einem gespaltenen Krankenhausaufnahmevertrag. Dort können zusätzlich noch vertragliche Vereinbarungen mit dem Arzt geschlossen werden.
Auf der Seite des Patienten schließt den Behandlungsvertrag der Patient selbst; wenn dieser geschäftsunfähig, bedarf es grundsätzlich Vertretung durch den gesetzlichen Vertreter (z. B. Eltern, Betreuer). Dieses gilt nicht bei der Notfallversorgung, hier wird ein mutmaßgeblicher Wille durch den Patienten oder seinen gesetzlichen Vertreter angenommen.

Fehlerquellen

Die Fehlerquellen innerhalb der ärztlichen Tätigkeit können vielfältig sein, so beispielsweise eine unterlassene oder unvollständige Aufklärung oder das Fehlen der Einwilligung des Patienten in die ärztliche Behandlung. Daneben stehen Fragen des Abweichens vom Standard und den damit sich ergebenden Möglichkeiten des Behandlungsfehlers. Abschließend ist auch auf die Fragen der Dokumentation einzugehen.

Aufklärung

Nach der gefestigten Rechtsprechung und auch der Auffassung des Gesetzgebers erfüllt eine gebotene und auch fachgerecht ausgeführte ärztliche Behandlung diagnostischer oder therapeutischer Art grundsätzlich den Tatbestand der Körperverletzung. Zwar wird dieses aus der Ärzteschaft anders gesehen, im Hinblick auf die Regelung in § 630e BGB ist die Diskussion letztlich hinfällig. Die Behandlung wird jedoch dadurch rechtmäßig, dass der Patient nach einer ordnungsgemäßen Aufklärung in den Eingriff einwilligt. Hier ist zunächst auf das Kap. „Ärztliche Aufklärung“ von Kranz und Steffens zu verweisen.
Ergänzend seien noch Beispielsfälle aus der Rechtsprechung erwähnt:
  • Eine narbige Schrumpfung gehört bei einer Erkrankung an Lichen-Sklerosius zu den behandlungsimmanenten Risiken einer Exzision der Penisschafthaut mit anschließender plastischer Schaftdeckung. Dieses aufklärungsbedürftige Risiko wird mit dem Hinweis einer narbigen Verengung und Schrumpfung sowie dem Erfordernis einer möglicherweise notwendigen erneuten Operation hinreichend aufgeklärt (OLG Köln, Urteil vom 09.04.2014 – 5 U 154/13 – MedR 2015, 670).
  • Das Risiko bei einer Penisoperation von ca. 70 % über eine erneute Krümmung des Penis ist von dem erteilten Hinweis, es könne zu Impotenz und einer erneuten Peniskrümmung kommen, gleichfalls erfasst (OLG Koblenz, Urteil vom 24.08.2011 – 5 U 73/11 – GesR 2011,722).
  • Bei einer Vasektomie ist der Patient nicht über einen möglichen medialen Skrotalschnitt aufzuklären, wenn der Arzt beim präoperativen Palpationsbefund den Samenleiter tasten kann und deshalb damit rechnen darf, ihn beim seitlichen Skrotalschnitt aufzufinden und von den übrigen Samenstranggebilden trennen zu können. Anders ist es jedoch, wenn der Samenleiter präoperativ nicht tastbar war, weshalb die Unsicherheit besteht, wo man ihn auffinden würde. In diesen Fällen ist der Patient über die Operation des medialen Skrotalschnitts zum Aufsuchen des Duktus zu informieren. Der Urologe darf im Übrigen die Vasektomie durch den „Umstieg“ auf einen medialen Skrotalschnitt fortsetzen, wenn intraoperativ verwachsen festgestellt werden, insoweit wird von einer mutmaßlichen Einwilligung ausgegangen (OLG Hamm, Urteil vom 16.11.2008 – 3 U 165/08 – AHRS III 4750/312).
  • Wird bei einer Patientin nach einer Hysterektomie eine Stress- und Dranginkontinenz II. Grades mit einer mäßig geratenen Rektozele sowie einer minimalen Zystozele festgestellt, so besteht die Pflicht vor der operativen Einlage eines Netzbandes sowohl über die darin verbundenen Risiken aufzuklären als auch auf die vorhandene ernsthafte Behandlungsalternative, die bestehende Dranginkontinenz durch eine medikamentöse Therapie zu behandeln der Patientin darzustellen (OLG Düsseldorf, Urteil vom 20.11.2010 – 8 U 57/10 – AHRS III, 4475/317).
  • Leidet die Patientin unter einer Beckenbodensenkung mit Harninkontinenz, ist sie vor einer operativen Behandlung auf die Durchführung einer medikamentösen Behandlung des Handranges über jedenfalls 6–8 Wochen und ein konsequentes Beckenbodentraining durch einen Physiotherapeuten aufzuklären. Bei einem entsprechenden Alter der Patientin ist sie auch über die alleinige Gebärmutterentfernung unter Meidung der gehäuften postoperativen Probleme verbundenen plastischen Eingriffsteils der Scheidenstraffung aufzuklären. Wenn die Harninkontinenz im Vordergrund steht, bietet eine echte Inkontinenz-OP gegenüber der Gebärmutterentfernung mit zusätzlicher Scheidenplastik deutlich günstigere Heilungschancen, worüber der Urologe aufzuklären hat (OLG Hamm, Urteil vom 24.02.2010 – 3 U 7/09 – AHRS III, 5000/426).
  • Speziell für die Prostata-Operation hat das OLG Bremen (Urteil vom 12.03.2004 – 4 U 3/04 – GesR 2004, 238) darauf hingewiesen, dass das vor der Anwendung eines Prostata-Laserverfahrens in 2 Operationsschritten der Patient auch auf die Möglichkeit der Anwendung der klassischen Operationsmethode mit einer transurethalen Resektion der Prostata aufzuklären ist. Ob diese Entscheidung heute noch so getroffen würde, erscheint fraglich; der streitige Sachverhalt fand 1999 statt und die medizinische Entwicklung ist weitergegangen.
  • Wenn bei einer ordnungsgemäß durchgeführten Nierenbeckenplastik das Risiko einer Anastomoseninsuffizienz besteht, deren Verwirklichung zu einer Nachoperation mit dem erhöhten Risiko einschneidender Folgen für den Patienten wie dem Verlust einer Niere führen kann, so ist der Patient vom behandelnden Urologen schon vor dem 1. Eingriff auch über dieses Risiko der Nachoperation aufzuklären (BGH, Urteil vom 09.07.1996 – VI ZR 101/95 – NJW 1996, 3073).
  • Sofern sich im MRT-Befund im Eingang des Beckens links eine Raumforderung im Sinne eines Tumors mit auffälliger Verbindung zu den Nervenausgängen beim Wirbel L4 zeigt, ist der Patient vor der operativen Entfernung des Tumors über das Risiko einer Verletzung des Nervus femoralis aufzuklären. Wenn dann der geschädigte Patient glaubhaft macht, er hätte sich in Kenntnis der Person des besonderen Risikos einer Nervenverletzung von einem Neurochirurgen statt von einem Urologen operieren lassen, ist ein Entscheidungskonflikt auch dann plausibel, wenn die Operation auch in das Fachgebiet des operierenden Urologen und dieser auf sein Fachgebiet als allseits anerkannte Kapazität gilt (OLG Köln, Urteil vom 28.04.2008 – 5 U 192/07 – VersR 2009, 1119).
  • Eine intraoperative Aufklärung, auch wenn sie vollumfänglich ist, ist im Regelfall unzulässig, weil für den Aufzuklärenden nicht die erforderliche Zeit bleibt, über den neuen Sachverhalt nachzudenken. (OLG Hamm, Urteil vom 07.12.2016 – 3 U 122/15 – ArztR 2017, 190; BGH, Urteil vom 10.03.1987 – VI ZR 88/86 – VersR 1987, 770–772).
  • Wird einem Patienten mit einer als Karzinom diagnostizierten Hautveränderung am Penis im Vorfeld einer durchgeführten operativen Teilentfernung nicht die Möglichkeit einer Strahlentherapie (Brachytherapie) erörtert, ihm vielmehr hierzu eine falsche Auskunft gegeben und ihm eine Aufklärung über diese Therapieform trotz Nachfrage verweigert, so rechtfertigt diese Aufklärungspflichtverletzung ein Schmerzensgeld von 30.000,00 Euro sowie wegen der entstandenen Gutachterkosten den Ersatz materiellen Schadens (OLG Frankfurt, Urteil vom 18.12.2014 – 15 U 20/14 – https://www.rv.hessenrecht.hessen.de/bshe/document/LARE190017814).

Einwilligung

Wie bereits oben kurz angesprochen, ist nach einer ordnungsgemäßen Aufklärung die Einwilligung, die ihre Grundrechtsgrundlage in § 630d BGB findet, erforderlich. Die Einwilligung des Patienten bedarf grundsätzlich nicht der Schriftform, sie kann auch mündlich oder durch schlüssiges Verhalten ausgesprochen werden; hat in einigen Spezialgesetzen wie beispielsweise in § 40b Abs. 3b AMG bzw. § 8 Abs. 1 TFG bedarf es einer schriftlichen Einwilligung.
Voraussetzung für die Einwilligung ist die Einwilligungsfähigkeit. Einwilligungsfähig ist, wer nach seiner geistigen und sittlichen Reife die Bedeutung und Tragweite des Eingriffs und seiner Gestattung zu ermessen und die Entscheidung danach zu bestimmen hat (grundlegend BGH, Urteil vom 05.12.1958 VI ZR 266/57 – NJW 1959, 811). Damit steht fest, für die Einwilligungsfähigkeit bedarf es keiner Geschäftsfähigkeit. Gerade bei Minderjährigen taucht immer wieder die Frage auf, ab welchem Alter die Einsichtsfähigkeit steht. Eine starre Altersgrenze hat sich nicht durchgesetzt. Als Orientierungsrahmen kann man festhalten, dass die Einwilligung eines Minderjährigen unter 14 Jahren regelmäßig nicht relevant sein dürfte. Danach beginnt ein Zeitfenster, bei dem es auf den jeweiligen Einzelfall ankommt.
Wenn man davon ausgeht, der Minderjährige ist nicht einwilligungsfähig, bedarf es der Einwilligung der Sorgeberechtigten. Im Regelfall sind dies beide Elternteile, sodass beide Elternteile dem Eingriff zustimmen müssen. Bei relativ einfachen Eingriffen, die kein besonderes Risiko für den Minderjährigen haben, kann im Einzelfall auch die Einwilligung nur eines Elternteils ausreichend sein. Bei schwerwiegenden Eingriffen mit einem hohen Risiko für den Minderjährigen ist die ausdrückliche Einwilligung beider Elternteile erforderlich. In der Praxis ist es bei Minderjährigen empfehlenswert, dass in den Fällen, in denen nur ein Elternteil bei dem Aufklärungsgespräch anwesend ist, ausdrücklich nachgefragt wird, ob auch der andere Elternteil mit der Maßnahme einverstanden ist. Dies sollte auch dokumentiert werden.
Die Frage der Einsichtsfähigkeit stellt sich nicht nur bei Minderjährigen, sondern dem Grunde nach bei allen Patienten. Sollten im Einzelfall – beispielsweise bei dementen Patienten – Zweifel an der Einsichtsfähigkeit im oben genannten Sinne bestehen, ist gegebenenfalls ein Betreuer zu bestellen.
Wenn die Aufklärung nicht ordnungsgemäß war, kann dem Arzt jedoch noch § 630h Abs. 2 Satz 2 BGB helfen, denn auch eine hypothetische Einwilligung stellt eine ausreichende Einwilligung dar. Wenn der Arzt darlegen und gegebenenfalls beweisen kann, dass der Patient auch bei einer ordnungsgemäßen Aufklärung in den konkret vorgenommen Eingriff eingewilligt hätte, dann kann dieses ausreichend sein.

Behandlungsfehler

Bei einem Behandlungsvertrag handelt es sich um einen Dienstvertrag, ohne dass damit ein Behandlungs- oder Heilungserfolg versprochen wird. Der Arzt ist lediglich verpflichtet, die ihn vertraglich bzw. deliktisch zuzuordnenden Sorgfaltspflichten zu erfüllen. Dabei wird darauf abgestellt, dass der Arzt den Erkenntnisstand der medizinischen Wissenschaft zum Zeitpunkt der Durchführung der Behandlung beachtet hat (BGH, Urteil vom 15.04.2014 – VI ZR 382/12, ZMGR 2014, 195–199). Da die Medizin eine sich ständig weiterentwickelnde Wissenschaft darstellt, kommt es zur Beurteilung eines Behandlungsfehlers nicht auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Beurteilung gegebenenfalls auch als Sachverständiger an, entscheidend ist vielmehr, wie zum Zeitpunkt der Behandlung der wissenschaftliche Standpunkt war; so ist beispielsweise bei einem Geburtsfehler, über den erst 20 Jahre später prozessiert wird, der Erkenntnisstand von vor 20 Jahren zugrunde zu legen, selbst wenn der damalige Standard aus heutiger Sicht letztlich einen Behandlungsfehler darstellen könnte, ist dieses dann rechtlich unerheblich.
In der Medizin gibt es in einem erheblichen Umfang ärztliche Leitlinien. Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass die Leitlinien grundsätzlich nicht verbindlich sind (BGH, Urteil vom 15.04.2014 – VI ZR 382/12 – ZMGR 2014, 195–199). Grund für die fehlende Verbindlichkeit der Leitlinien ist unter anderem, dass die Standards im Einzelfall durchaus anders sein können als in der Leitlinie beschrieben. Weiter ist in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass Leitlinien „nur“ generalisierend einen Behandlungspfad vorschlagen, der Patient jedoch einen individuellen Anspruch auf Einhaltung des Standards hat; wenn der Patient mithin nicht leitlinienkonform erkrankt ist, kann der Rückgriff auf eine Leitlinie auch nicht weiterhelfen.
Ausnahmsweise kann eine Richtlinie – beispielsweise im Bereich der Transplantations- und der Transfusionsmedizin verbindlich sein, wenn der Gesetzgeber ausdrücklich auf entsprechende Richtlinien hinweist. Die Richtlinien des G-BA sind im Rahmen der Arzthaftung nur eingeschränkt verwertbar, da sie nicht zwingend den allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse beschreibt (vgl. BGH, Urteil vom 25.11.2003 – VI ZR 8/03 – GesR 2004, 132–135); sie beschreiben lediglich einen Mindeststandard, der medizinische Standard kann jedoch darüber hinausgehen.
Die Medizin arbeitet stark arbeitsteilig, es wird zwischen der horizontalen und der vertikalen Arbeitsteilung differenziert. Die horizontale Arbeitsteilung bedeutet, dass ein Arzt seinen Patienten einem Facharzt derselben oder einer anderen Fachrichtung überweist, im Allgemeinen darauf vertrauen darf, dass der eingeschaltete Facharzt den Patienten in seinem Verantwortungsbereich sorgfältig untersucht und behandelt, also den Behandlungsauftrag ordnungsgemäß durchführt. Das hat zur Konsequenz, dass bei Fehlern im Rahmen der horizontalen Arbeitsteilung regelhaft der Arzt für einen Fehler seines Kollegen nicht einzustehen hat. Anders jedoch bei der vertikalen Arbeitsteilung: hier liegt eine fachliche Über- und Unterordnung und damit eine subordinative Verteilung der Aufgaben vor. Das Delegieren ärztliche Aufgaben erfordert besondere Sorgfalt; insbesondere muss bei der Delegation auf nichtärztliches Personal der Arzt dem Grunde nach sich überzeugen, dass das Personal auch diese Tätigkeiten durchführen kann.
Bei Fehlern in Zusammenhang mit der Diagnosestellung ist die Rechtsprechung eher zurückhaltend, einen Behandlungsfehler anzunehmen. Insbesondere bei einer ersten Untersuchung kann von dem Arzt nicht erwartet werden, die gesamte Palette diagnostischer Möglichkeiten voll auszuschöpfen. Um eine Überdiagnostik zu vermeiden, verlangt die Praxis nur Untersuchungen, die dem ärztlichen Standard entsprechen, keinesfalls die objektiv richtige Diagnose. Die Sphäre eines Behandlungsfehlers wird man dann anzunehmen haben, wenn in dem diagnostischen Bereich der Arzt eine Bewertung der Befunde vornimmt, die für den jeweiligen Arzt und sein Fachgebiet nicht mehr vertretbar ist.
Im thematischen Zusammenhang mit Diagnosefehlern steht auch der Befunderhebungsfehler. Wenn der Arzt zwingend erforderliche Befunde nicht erhebt, kann im Einzelfall auch ein Befunderhebungsfehler vorliegen. Dies sei an 2 Beispielen näher erläutert:
  • Bei einem 44-jährigen Patientin kam es zu Miktionsstörungen und der Urologe führte eine rektale Untersuchung durch. Bei dieser Untersuchung wurde ein steinharter und druckschmerzhafter rechter Prostatalappen festgestellt, der PSA-Wert lag bei 45 ng/ml; bei einer durchgeführten Röntgenaufnahme des Bauchraumes ergaben sich keine Hinweise auf ein Harnsteinleiden. Der Arzt ging von einer granulomatösen Prostatitis aus, die antibiotisch behandelt wurde. Im vorliegenden Fall wäre jedoch zwingend noch weitere diagnostische Abklärung geboten, denn die Bestimmung des PSA-Wertes von 45 war verdächtig als Hinweis auf ein Prostatakarzinom. Da der Urologe dieses nicht gemacht hat, lag ein Befunderhebungsfehler vor.
  • Wegen akut aufgetretener Beschwerden im rechten Unterbauch suchte ein 21-jähriger Mann nachts die Notfallaufnahme des Krankenhauses auf, die Schmerzen waren 3 Stunden zuvor aufgetreten. Der diensthabende Arzt – kein Urologe – untersuchte das Abdomen, fertigte Sonografien an und veranlasste Laboruntersuchungen, eine Inspektion sowie eine körperliche Untersuchung der Leisten- und Genitalregion unterblieb. Der Arzt kam zu der Auffassung, es läge eine mögliche Harnleitersteinpassage oder eine Entzündung in den intestinalen Raum vor und leitete eine Spastmoanalgesie ein. Der Patient wurde mit der Maßgabe entlassen, am nächsten Tag sich weiter untersuchen zu lassen. Der dann eingeschaltete Urologe stellte eine zunehmend durchgehende Schwellung des Skrotalinhalts fest und wies den Patienten sofort ins Krankenhaus ein. Der Patient musste sofort operiert werden, wegen der späten Operation sei der Hoden in seiner Funktion deutlich geschädigt. Hier war nach Auffassung der norddeutschen Schlichtungsstelle ein Befunderhebungsfehler festzustellen. Der damals diensthabende Arzt in der Notfallaufnahme hätte eine körperliche Untersuchung des Abdomens, der Leistenregion und des Genitales zwingend durchführen müssen.

Dokumentation

Dass es auch bei der Dokumentation immer wieder zu Fehlern kommen kann, wenn dokumentationspflichtige Lebenssachverhalte nicht dokumentiert werden, ist eine weitere Fehlerquelle in der urologischen Tätigkeit. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Ausführung von Dreikorn und Debong verwiesen (Kap. „Medizinische und rechtliche Aspekte der Dokumentation in Klinik und Praxis“).

Präventionsmaßnahmen

Schon im Vorfeld eines behaupteten Schadensfalls kann der Urologe frühzeitig eine Vielzahl von präventiven Maßnahmen ergreifen. So sind beispielsweise Operationsberichte zeitnah zu erstellen, sollte es bei der Operation zu Besonderheiten oder Komplikationen gekommen sein, so sind diese detailliert festzuhalten.
Auch die vielfältig normierte Pflicht zur Fortbildung (§ 4 MBO, § 95d SGB V sowie § 136b SGB V Verbindung mit den Regelungen des G-BA zur Fortbildung der Fachärztinnen und Fachärzte, der psychologischen Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten sowie Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutinnen und -psychotherapeuten im Krankenhaus) ist zu beachten.
Sowohl in der ambulanten Praxis als auch im Krankenhaus ist es sinnvoll, im Rahmen eines für die Mitarbeiter verbindlichen Leitfadens festzulegen, wie mit einem Schadenfall umgegangen werden soll.

Management bei behaupteten Schadensfällen

Bei einem behaupteten Fehler gilt zunächst als wichtigste Pflicht, dass der Arzt, wenn er beispielsweise einen Brief von einem Anwalt erhält, Ruhe bewahrt und sein weiteres Vorgehen rational durchführt.
Zunächst ist seitens des Arztes die Frage zu stellen, ob überhaupt ein Fehler vorlag, der zu einem Schadensfall führen kann. Hierbei ist insbesondere zu prüfen, ob die Dokumentation vollständig ist. Sollte die Dokumentation nicht vollständig sein, so ist diese transparent im Sinne eines Nachtrages zu vervollständigen.
Bei einem Schadensfall existiert eine Vielzahl von Beteiligten, sodass im Umgang mit einem Schadensfall auch differenziert reagiert werden muss.

Umgang mit dem betroffenen Patienten

Häufig ist der Patient gerade bei operativen Maßnahmen mit dem erzielten Behandlungsergebnis unzufrieden, vielleicht weil er andere Vorstellungen über den Erfolg hatte oder ihm präoperativ ein besserer Behandlungserfolg vermittelt wurde. Ferner ist bei Operationen auch das Problem vorhanden, dass eine Komplikation auftritt, die nicht erwartet wurde, ohne dass dadurch ein Behandlungsfehler vorliegt.
Wenn dann der Patient eine Erläuterung hinsichtlich der Komplikationen oder des Behandlungserfolges will, so ist darauf einzugehen. Gerade bei Komplikationen muss den Patienten transparent erklärt werden, was passiert ist und welche Konsequenzen das eventuell für ihn haben kann. Bei einem Nicht-Erreichen eines bestimmten „geplanten Behandlungserfolges“ sind dem Patienten gleichfalls die Umstände zu erläutern.
Bei allen Gesprächen mit dem Patienten sollte eine nicht auf Fachtermini, sondern eine für den Patienten adäquat ausgerichtete Sprache gewählt werden, damit der Patient nachvollziehen kann, was passiert ist. In der Praxis ist es häufig so, dass dann der Patient schon zufrieden ist und keine weiteren Fragen oder Erweiterung im Sinne von Schadensersatzansprüchen geltend macht. Wird stattdessen das Gespräch – mit fadenscheinigen Gründen – abgelehnt, kann dies den Patienten provozieren und es besteht dann die Gefahr, dass der Patient mit Hilfe eines Rechtsanwaltes eine weitere Aufklärung des Sachverhaltes erreichen will.
Innerhalb des Klinik-Betriebs sollten diese Gespräche mit dem Patienten auf jeden Fall durch den Oberarzt oder Chefarzt geführt werden, um die notwendige Kompetenz und Wertschätzung dem Patienten gegenüber zu verdeutlichen. Des Weiteren ist es sachgerecht, wenn nach dem Gespräch ein Gedächtnisprotokoll über das Gespräch gefertigt wird, damit im Zweifelsfall später auf Grundlage dieses Protokolls dokumentiert ist, worüber gesprochen wurde. Ferner sollte das Gespräch nicht alleine geführt werden, vielmehr unter Anwesenheit eines Zeugen. Dies ist insbesondere auch deswegen von Bedeutung, weil der Patient den Arzt auch missverstehen kann im Sinne von der Abgabe eines Anerkenntnisses eines Behandlungsfehlers.
Früher gab es in den Versicherungsbedingungen das Verbot der Anerkennung eines Schadensfalles. Dieses Verbot ist durch die Reform des Versicherungsvertragsgesetzes geändert worden, in § 105 VVG ist das Anerkennungsverbot eines Schadensfalls aus versicherungsrechtlichen Gründen nicht mehr rechtlich schädlich. Dennoch sollte ohne Rücksprache mit dem Versicherer solch ein Anerkenntnis nicht abgegeben werden, was jedoch nicht bedeutet, dass er innerhalb des Gespräches nicht eine gewisse Anteilnahme an den jetzigen Beeinträchtigungen des Patienten angegeben wird.
Wenn der Patient Einsicht in die Krankenunterlagen wünscht, so ist diesen zu entsprechen. § 630g Abs. 1 BGB hat der Patient ein umfassendes Akteneinsichtsrecht in seine Krankenunterlagen. Dieses Einsichtsrecht kann nur sehr eingeschränkt verweigert werden, wenn nämlich durch die Einsicht in die Krankenunterlagen das Risiko besteht, dass der Patient oder Dritte geschädigt wird. Dies trifft sicherlich im Bereich der Urologie nur in ausgewählten Einzelfällen zu.

Umgang mit dem Arbeitgeber

Bei einem tatsächlichen oder auch nur behaupteten Schadensfall ist der Arbeitgeber unverzüglich über diesen zu informieren. Dabei sind weder Beschönigungen noch Unterlassungen hinsichtlich der Sachverhaltsdarstellung zulässig. Sofern es keine andersartigen Dienstanweisungen des Arbeitgebers gibt, sind der Arbeitgeber und der Chefarzt zu informieren. Letzterer hat die Verantwortung für seine Abteilung, er muss mithin über alle wesentlichen Vorgänge in Kenntnis gesetzt werden. Sollte ein Patient tatsächlich Ansprüche geltend machen, so handelt es sich hierbei um einen wesentlichen Vorgang.
Auch nach dem Ausscheiden aus einem Arbeitsverhältnis ist in den Fällen, in denen gegen den Arzt Schadensersatzansprüche geltend gemacht werden, die in die Zeit des Arbeitsverhältnisses fallen, dieser auch zu informieren. Der ehemalige Arbeitgeber hat aufgrund des Versicherungsvertrages die notwendigen weiteren Schritte im Verhältnis zum Patienten bzw. zum Versicherer einzuleiten.

Umgang mit dem Versicherer

Das Verhältnis mit dem Versicherer wird im Wesentlichen durch das Versicherungsvertragsgesetz in Verbindung mit den Allgemeinen Haftpflichtversicherungsbedingungen ausgestaltet. Innerhalb der stationären Versorgung treffen die Aufgaben der Abwicklung des Versicherungsvertrages grundsätzlich den Arbeitgeber.
Bei niedergelassenen Ärzten ist darauf hinzuweisen, dass der Versicherer zeitnah nach Erhalt der Information über einen möglichen Schadensfall über den streitigen Sachverhalt inhaltlich zutreffend und sachlich informiert wird. Auch hier ist darauf zu achten, dass dem Versicherer der Sachverhalt klar und nachvollziehbar dargestellt wird. Insbesondere sollte ohne eine Entbindung des Versicherers nicht auf eine Regulierung des Schadensfalles unmittelbar mit den Patienten hingewirkt werden, um nicht den Versicherungsschutz zu gefährden. Im Verhältnis zu dem Geschädigten ist der Versicherer der zuständige Ansprechpartner für den Geschädigten, daher sollte der Anspruchssteller über die Haftpflichtversicherung mit der Versicherungsnummer und – falls schon vorhanden – der Schadennummer informiert werden. Letztlich entscheidet der Versicherer, ob und wenn ja in welchem Umfang eine Regulierung des Schadenfalles vorgenommen werden soll. Aus praktischer Sicht ist es empfehlenswert, den Vorschlägen des Haftpflichtversicherers unmittelbar zu folgen.
Es stellt keine Verletzung der ärztlichen Schweigepflicht dar, wenn Sie den Versicherer vollumfänglich über den streitigen Behandlungsfällen Sachverhalt informieren und ihm auch die Krankenakte zur Verfügung stellen. Im Einzelfall kommt es auch vor, dass der Haftpflichtversicherer selbst einen ärztlichen Gutachter einschaltet, um die Frage zu klären, ob ein Behandlungsfehler vorgekommen ist.
Des Weiteren übernimmt der Haftpflichtversicherer auf Grundlage der vom Arzt gegebenen Informationen die gesamte Schadensregulierung und die Korrespondenz mit dem Patienten bzw. dem Krankenversicherer des Geschädigten. Sollte dem Arzt nach der Information des Versicherers von Dritten – z. B. Schlichtungsstelle, Polizei oder Staatsanwaltschaft – zusätzlich angesprochen werden, ist gleichfalls der Versicherer darüber zu informieren.

Umgang mit Behörden/Gerichte

Bezüglich des Umgangs mit Behörden und Gerichten wird man differenzieren müssen, wer Auskünfte begehrt und wie darauf zu reagieren ist.

Ärztekammer

Teilweise wenden sich Patienten zum Zwecke der Aufklärung an die Ärztekammer mit der Hoffnung, dass diese den hinreichenden Einfluss auf den Arzt hat, um diesen zu maßregeln oder in Regulierungsgespräche einzutreten.
Nach § 2 Abs. 6 MBO-Ärzte und den gleichlautenden Vorschriften der Landesärztekammern ist der Arzt zur Auskunft gegenüber der Ärztekammer auch auf entsprechende Anfragen verpflichtet. Hier sind die entsprechenden Auskünfte wahrheitsgemäß zu erbringen, an dieser Stelle empfiehlt es sich jedoch sich vor der Abgabe einer entsprechenden Stellungnahme juristischen Rat einzuholen. Dies insbesondere auch deswegen, weil ein Behandlungsfehler selbst auch einen berufsrechtlichen Verstoß darstellt. Kein Weg der Wahl ist es jedoch, entsprechende Anfragen der Kammern unbeantwortet zu lassen, weil damit gleichzeitig eine berufsrechtliche Pflicht verletzt wird.

Umgang mit der Polizei, Staatsanwaltschaft und Strafgericht

Mit den Strafbehörden im weitesten Sinne ist gleichfalls differenziert umzugehen, es bestehen insoweit zwei grundsätzliche Möglichkeiten, der Arzt wird als Zeuge in Anspruch genommen oder als Beschuldigter in einem Ermittlungs-/Strafverfahren verfolgt.
Arzt als Zeuge
Wenn der Arzt als Zeuge vernommen werden soll, ist er verpflichtet, die Wahrheit zu sagen. Dabei ist jedoch darauf zu achten, dass der Arzt, wenn er über ein Arzt-Patienten-Verhältnis berichtet, zunächst eine Schweigepflichtentbindungserklärung des Patienten vorliegt, die er auch zur Kenntnis erhält. Ohne eine solche Erklärung würde der Arzt bei der Auskunftsgabe seiner Schweigepflicht aus § 203 StGB nicht entsprechen und sich selbst deswegen strafbar machen. Hierbei ist es auch erforderlich, dass er in der jeweiligen „Instanz“ – Polizei, Staatsanwaltschaft, Gericht – von der Schweigepflicht entbunden wird. Die Schweigepflichtentbindungserklärung des Patienten gilt nämlich nur für die jeweilige „Instanz“.
Sofern der Arzt Angestellter ist, hat er seinen Arbeitgeber von einer solchen Vorladung unverzüglich in Kenntnis zu setzen.
Der Arzt als Beschuldigter
Als Beschuldigter ist der Arzt nicht verpflichtet, Auskünfte zum Behandlungsgeschehen zu geben. Er muss lediglich Auskünfte zu seiner Person angeben. Wird der Arzt als Beschuldigter von der Polizei geladen, ist es zwingend erforderlich, dass der Arzt sich anwaltlicher Unterstützung bedient, weil die Ausführungen, die er tätigt, in einem Strafverfahren vollständig verwertbar sind. Er ist in diesem Zusammenhang auch berechtigt, ohne eine Schweigepflichtentbindungserklärung des Patienten zu haben, dem Anwalt vollumfänglich zu berichten. Dies ergibt sich nicht daraus, dass der Anwalt selbst auch der Schweigepflicht unterliegt, sondern es geht für den Arzt in diesem Zusammenhang um die Wahrnehmung berechtigter Interessen – Verteidigung in einen strafrechtlichen Vorwurf –, sodass er sich dann entsprechend anwaltlich beraten lassen kann.
Gegenüber dem Anwalt sollte er klar und unmissverständlich den Sachverhalt darstellen, nur so kann der Anwalt im Grunde nach überhaupt eine vernünftige Verteidigungsstrategie entwickeln. In der Praxis ist es regelhaft so, dass der Anwalt sich zunächst bei der Ermittlungsbehörde zu den Akten meldet, um Einsicht in die Ermittlungsakte zu erhalten. Auf Grundlage einer entsprechenden Akteneinsicht kann dann auch eine Stellungnahme gegenüber der Ermittlungsbehörde gefertigt werden. Eine solche Stellungnahme ist auf jeden Fall anwaltlich abzustimmen, bzw. der Anwalt sollte nach eingehender Beratung mit dem betroffenen Arzt die Stellungnahme fertigen.
Im Rahmen des Ermittlungsverfahrens wird man sich auch mit der Frage auseinanderzusetzen haben, in welchem Umfang eine Stellungnahme gegeben wird; in der Praxis hat es sich als sachgerecht gezeigt, umfassend zu dem Tatvorwurf Stellung zu nehmen. Dies hat letztlich den Hintergrund, dass damit versucht werden soll, ein förmliches Verfahren vor den Gerichten zu vermeiden. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die Möglichkeit besteht, neben der Einstellung wegen erwiesener Unschuld (§ 170 Abs. 2 StPO) auch eine Einstellung – gegebenenfalls unter Auflagen – wegen eines offenen Sachverhaltes eingestellt zu erhalten (§§ 153, 153a StPO). In diesem Zusammenhang muss der Arzt auch für sich die Entscheidung treffen, ob er, insbesondere weil es um seine Rechte geht, tatsächlich das Risiko eines Strafverfahrens vor den Gerichten eingehen will. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass ein solches Strafverfahren öffentlich ist und teilweise zu solchen Prozessen auch gerne die Presse erscheint. Dies mit der Konsequenz, dass dann der Arzt auch in den Printmedien erscheint. Gleichzeitig ist die Durchführung eines Strafverfahrens sowohl zeit- als auch kostenintensiv.

Arzt und Zivilprozess

Bezüglich des Verhaltens des Arztes als Sachverständiger wird auf die Ausführungen von Fischer verwiesen (Kap. „Begutachtung in der Urologie: Behandlungsfehler“). Nachfolgend die Grundregeln für den Arzthaftungsprozess, wenn der Arzt als Beklagter oder als Zeuge beteiligt ist.
Schlichtungsstellenverfahren
Außergerichtlich werden häufig die Schlichtungsstellen der jeweiligen Ärztekammern von Patienten eingeschaltet. Die Teilnahme an dem Schlichtungsverfahren ist freiwillig. Hier ist zunächst darauf hinzuweisen, dass bei Einleitung eines entsprechenden Verfahrens der Haftpflichtversicherer darüber informiert werden muss. Dieser entscheidet auch grundsätzlich darüber, ob ein solches Verfahren durchgeführt wird, wobei regelmäßig die Wünsche des Arztes bei dieser Entscheidung miteinfließen.
Die Durchführung eines Schlichtungsstellen-Verfahrens dient nur dazu zu klären, ob ein Behandlungs- oder auch Aufklärungsfehler stattgefunden hat. Eine Entscheidung darüber, ob und in welchem Umfang ggf. Schadensersatz zu leisten ist, wird von der Schlichtungsstelle nicht getroffen. Die Durchführung eines Schlichtungsstellen-Verfahrens ist grundsätzlich sinnvoll, weil damit die Frage der Haftung dem Grunde nach geklärt werden kann.
Die Entscheidung der Schlichtungsstelle ist nicht verbindlich, sie stellt letztlich nur eine Empfehlung dar, ob der Schadenfall einer Regulierung unterzogen werden soll oder nicht.
Arzt als Beklagter
Wenn der Arzt wegen eines Schadensfalls vor dem Amts- oder Landgericht verklagt wird, dann ist darüber der Haftpflichtversicherer und ggf. der Arbeitgeber zu informieren. Üblicherweise wird vom Haftpflichtversicherer auch ein Anwalt benannt, der für den Arzt das Verfahren führen soll. Die Kosten für diese anwaltliche Vertretung sind durch die Haftpflichtversicherung abgedeckt.
Innerhalb des Zivilprozesses wird der gesamte Sachverhalt nach dem jeweiligen Vortrag der Parteien auf die Entscheidungserheblichkeit geprüft und vom Gericht beurteilt. Da der Richter kein Arzt ist, ist gerade bei der Frage eines Behandlungsfehlers durch einen Sachverständigen zu prüfen, ob dieser vorliegt oder nicht.
Es ist mit dem Anwalt abzustimmen, was und wie vorgetragen wird; die Aufgabe des Anwalts ist in diesem Zusammenhang die Strukturierung des vorzutragenden Sachverhaltes. Dabei kommt es immer wieder vor, dass der Anwalt nicht alles vorträgt, was der Arzt ihm erzählt hat. Dies hat dann seine Berechtigung, wenn der weitere Vortrag nichts mit dem streitigen, vor dem Gericht zu verhandelnden Sachverhalt zu tun hat.
Arzt als Zeuge
Bei einem Schadenfall kann es auch vorkommen, dass ein Arzt als – sachverständiger – Zeuge gehört wird. Für eine Aussage innerhalb eines Zivilprozesses bedarf es dann einer Schweigepflichtentbindungserklärung durch den Patienten. Der Arzt muss hier die Wahrheit sagen, wenn er keine Erinnerung hat, dann muss er dieses auch deutlich machen. Im Einzelfall – es kommt selten vor – kann der Arzt auch vereidigt werden.

Umgang mit der Presse

Der Umgang mit der Presse ist ein höchst sensibles Feld. Es sollte immer versucht werden, eine Kommunikation mit der Presse zu vermeiden. Ist dies im Einzelfall nicht möglich, sollte vom Reporter jedoch verlangt werden, dass der Text vor der Veröffentlichung zum Zwecke der Kontrolle dem Arzt zur Verfügung gestellt wird. Dann ist der Text kritisch durchzusehen und entsprechend zu ändern.

Zusammenfassung

  • Der Schadensfall ist die Meldung eines Patienten über die Unzufriedenheit mit der Behandlung und Schadensersatz-/Schmerzensgeldforderung, sie bedeutet nicht automatisch eine Haftung.
  • Rechtsgrundlage für die gesamte Behandlung sind zivilrechtlich die §§ 630a ff. BGB. In diesen Vorschriften ist die bisher ergangene Rechtsprechung zusammengefasst worden.
  • Hauptsächliche Fehlerquellen in der ärztlichen Tätigkeit sind folgende:
    • Eine nicht oder nicht ordnungsgemäß durchgeführte Aufklärung des Patienten. Dieser entscheidet über seine Behandlung, auch wenn aus der Sicht des Arztes der Patient eine „falsche“ Entscheidung trifft.
    • Bei einem Behandlungsfehler liegt ein Abweichen vom jeweils gebotenen Standard in der Medizin vor. Was der gebotene Standard im Einzelfall ist, ist zunächst eine ärztliche Beurteilung
    • Die Dokumentation muss vollständig sein und den Verlauf der Behandlung korrekt wiedergeben.
  • Bei einem Schadensfall sind folgende Grundsätze zu beachten:
    • Beim angestellten Arzt ist unverzüglich der Arbeitgeber und der ärztliche Leiter der Abteilung zu informieren. Der Arbeitgeber hat dann alle weiteren Schritte einzuleiten.
    • Der Haftpflichtversicherer ist vom Arbeitgeber bzw. vom selbstständigen Arzt über den Schadensfall zu informieren.
    • Sollte das Gespräch vom Patienten gesucht werden, ist auf diesen Wunsch einzugehen und ihm die Probleme seines Behandlungsfalls verständlich zu erläutern. Dieses ist eine Leitungsaufgabe und sollte unter Hinzuziehen eines Zeugen erfolgen. Auch sollte ein Gesprächsprotokoll angefertigt werden.
    • Sollte der Arzt als Angeschuldigter von der Polizei/Staatsanwaltschaft geladen werden, ist neben der Information des Arbeitgebers und des Haftpflichtversicherers auf jeden Fall anwaltlicher Rat zu suchen, bevor eine Stellungnahme abgegeben wird.
    • Bei Gesprächen mit der Presse ist äußerste Zurückhaltung zu üben. Idealerweise können sie vermieden werden.
Weiterführende Literatur
Dautert, Jorzig (2020) Arzthaftungsrecht. In: Saalfrank (Hrsg) Handbuch des Medizin- und Gesundheitsrecht, Stand 9. EL August 2020, Rn. 34–102 Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart
Feifel (2020) Terbille Zivilrechtliche Arzthaftung. In: Clausen, Schroeder-Printzen (Hrsg) Münchener Anwaltshandbuch Medizinrecht, 3. Aufl. C.H. Beck Verlag, München, Rn. 544–753
Frahm, Walter (2020) Arzthaftungsrecht, 7. Aufl. Verlag Versicherungswirtschaft, Karlsruhe
Jung, Lichtschlag-Traut (2021) Ratzel Arzthaftungsrecht. In: Ratzel, Luxenburger (Hrsg) Handbuch Medizinrecht, 4. Aufl. C.F. Müller, Heidelberg, Rn. 41–106
Katzenmeier Arztfehler und Haftpflicht in Laufs, Katzenmeier, Lipp (2021) Arztrecht, 8. Aufl. C.H. Beck Verlag, München
Kern, Rehborn (2019) Die medizinischen Standards, Behandlungsfehler. In: Laufs, Kern, Rehborn (Hrsg) Handbuch des Arztrechts, 5. Aufl. C.H. Beck Verlag, München
Martis, Winkhart-Martis (2021) Arzthaftungsrecht, 6. Aufl. Dr. Otto Schmidt KG, Köln
Weltrich, Lent (2007) Verzögerte Diagnose des Prostatakarzinoms. Westfälisches Ärzteblatt 3:64–65. IVD, GmbH 6 Co. KG