Englischer Begriff
eating disorders
Definition
Unter den Begriff
Essstörungen fallen vor allem die Anorexie und Bulimie. Bei beiden Erkrankungen liegt eine sogenannte Körperschemastörung vor, bei der sich Betroffene für zu dick oder übergewichtig halten. Bei der Anorexie nehmen die Betroffenen absichtlich stark ab, meistens durch Fasten und übermäßige körperliche Betätigung. Bei der Bulimie kommt es zu Essattacken mit anschließendem selbstinduzierten Erbrechen. Aufgrund der Mangelernährung bzw. des chaotischen Essverhaltens kann es zu ernsthaften organmedizinischen Komplikationen kommen, zum Teil mit lebensbedrohlichem Verlauf. Bei beiden Erkrankungen handelt es sich um Störungen, die in erster Linie Frauen betreffen. Die Erkrankungen treten ab der
Pubertät und im jungen Erwachsenenalter am häufigsten auf.
In Bezug auf den Schlaf sind
Essstörungen häufig mit einer Insomniesymptomatik assoziiert. Im Hinblick auf Patienten, bei denen neben der
Essstörung auch eine komorbide Depression vorliegt, wurde gezeigt, dass es zudem zu depressionstypischen Schlafveränderungen, insbesondere mit einer Vorverlagerung des
REM-Schlafs und einer Reduktion der Tiefschlafanteile, kommen kann (siehe auch „Affektive Störungen“).
Genetik, Geschlechterwendigkeit
Sowohl die Anorexie als auch die Bulimie betreffen primär Frauen. Das Geschlechtsverhältnis liegt bei etwa 9:1 Frauen zu Männern. Zwillingsuntersuchungen weisen sowohl für die Anorexie als auch für die Bulimie darauf hin, dass genetische Faktoren eine Rolle beim Auftreten der Erkrankung spielen.
Epidemiologie und Risikofaktoren
Die Häufigkeit der Anorexie liegt in westlichen Industrienationen etwa bei 1 % aller jungen Mädchen und Frauen im Alter von 14–18 Jahren vor. Die Häufigkeit der Bulimie liegt bei etwa 1–2 % der Frauen im Alter von 18–25 Jahren. Es handelt sich somit um
psychische Störungen des Jugend- und frühen Erwachsenenalters. Einen wesentlichen Faktor für das Entstehen der
Essstörungen stellen soziokulturelle Faktoren wie das gesellschaftlich geprägte Schönheitsideal dar, das sich in der westlichen Kultur in den letzten Jahrzehnten weitgehend in Richtung eines ausgeprägten Schlankheitsideals für Frauen entwickelt hat. Eine weitere wichtige Voraussetzung für das Auftreten der
Essstörungen ist das Vorhandensein von Nahrung im Überfluss. In Gesellschaften, in denen zu wenig Nahrung vorhanden ist bzw. Hunger ein häufiges Phänomen ist, gibt es nahezu keine Essstörungen. Häufig diskutiert wird die Frage, ob eine spezifische Familiendynamik das Auftreten von Essstörungen bedingen kann. Genannt werden hier v. a. ein hoher Perfektionismus bei erstgradigen Familienangehörigen.
Pathophysiologie, Psychophysiologie
Aufgrund der Befunde aus Zwillingsuntersuchungen wird davon ausgegangen, dass beim Auftreten von
Essstörungen eine genetisch bedingte Vulnerabilität eine Rolle spielt. Ein weiterer wesentlicher Faktor scheint der soziokulturelle Druck zu sein, der auf jungen Mädchen lastet, überhöhten Schönheits- und Schlankheitsidealen zu entsprechen. Umfragen weisen darauf hin, dass fast jedes Mädchen im Alter zwischen 14–18 Jahren einmal einen Diätversuch unternommen hat. Darüber hinaus werden als ursächliche Faktoren eine Interaktion soziokultureller und biologischer Faktoren diskutiert sowie unspezifische psychologische Mechanismen und die prämorbiden Persönlichkeitscharakteristika der Betroffenen. Die Anorexie führt zu einer Unterernährung, die sekundär endokrine und metabolische Veränderungen induziert („Körpergewicht“; „Metabolismus“). Sowohl bei der Anorexie als auch bei der Bulimie liegt eine Körperschemastörung vor: Es besteht eine massive Angst davor, dick zu werden, und die Betroffenen legen für sich ein sehr niedriges „ideales“ Gewicht fest. Die Set-Point-Theorie der Gewichtsregulation geht davon aus, dass es einen körpereigenen „Ponderostaten“, d. h. Gewichtsregulator, gibt, der als Sollwertregulator im Hypothalamus lokalisiert ist. Möglicherweise könnte eine Veränderung des Set-Points, entweder genetisch prädeterminiert oder auch durch die Mangelernährung mitbedingt, Chronizität von
Essstörungen erklären.
Symptomatik
Erstmanifestation
Die Anorexie tritt in der Regel zwischen dem 14. und 18. Lebensjahr auf, in Einzelfällen kommt es zum Auftreten bereits vor der
Pubertät. Bulimien treten in der Regel etwas später auf, meistens zwischen dem 18. und 25. Lebensjahr.
Auslöser
Für beide Erkrankungen sind keine spezifischen Auslöser bekannt.
Verlauf
Bei leichteren Formen der Anorexie kann es zur Spontanremission mit vollkommener Ausheilung der Erkrankung kommen. Bei schweren Formen kommt es gelegentlich zu einer intensivmedizinischen Betreuung und einer stationär psychiatrisch-psychotherapeutischen Behandlung. Epidemiologische Längsschnittdaten weisen darauf hin, dass die Erkrankung mit einer Mortalitätsrate von etwa 10 % verbunden ist. Bei Bulimien kommt es häufiger zu
Spontanremissionen als bei Anorexien.
Psychosoziale Faktoren
Häufig kommt es infolge der Anorexie zu psychosozialen Komplikationen, z. B. bedingt durch das Meiden von Mahlzeiten in Gegenwart anderer.
Auch bei Bulimie kann es zu ausgeprägten psychosozialen Komplikationen kommen. Zum einen versuchen die Betroffenen die Essattacken und das nachfolgende Erbrechen zu verbergen. Zum anderen kann es auch zu finanziellen Problemen kommen, da zum Teil erhebliche Mengen Nahrung gekauft werden, die bei einer Essattacke konsumiert werden.
Komorbide Erkrankungen
Bei etwa der Hälfte aller Patientinnen, die an einer Anorexie leiden, kommt es im Verlauf der Erkrankung zu einer klinisch relevanten depressiven Symptomatik. Es handelt sich hierbei um sogenannte sekundäre Depressionen, die zum einen als psychische, zum anderen aber auch möglicherweise als organische Folge der Mangelernährung gesehen werden können.
Ebenso kommt es bei mehr als der Hälfte der Patientinnen mit Bulimie zu sekundären depressiven Erkrankungen. Sie sind meist psychologisch zu erklären, z. B. als Reaktion auf das chaotische Essverhalten, insbesondere das Erbrechen, das von vielen Patientinnen extrem schambesetzt wahrgenommen wird.
Prävention
Zum einen wäre es im Hinblick auf die Prävention von
Essstörungen wünschenswert, dass eine Veränderung des zurzeit vorherrschenden Schönheits- und Schlankheitsideals erfolgt. Dies würde sich wahrscheinlich präventiv auswirken. Die frühzeitige Erkennung gestörten Essverhaltens kann ebenso zur Prävention beitragen, da bekannt ist, dass sich eine Chronifizierung gestörten Essverhaltens besonders negativ auf Behandlungsergebnisse erweist. Aufklärung von Kindern und Jugendlichen über gesundes und gestörtes Essverhalten kann sich ebenso präventiv auswirken.
Therapie
Bei Anorexie und Bulimie haben sich in den letzten Jahrzehnten vor allen Dingen psychotherapeutische Ansätze als erfolgsversprechend erwiesen. Bei der kognitiv-verhaltenstherapeutischen Behandlung der Anorexie stehen zu Beginn der Behandlung Therapiemaßnahmen im Vordergrund, die darauf abzielen, das Untergewicht zu verändern und den Patientinnen dabei zu helfen, wieder an Gewicht zuzunehmen. Hier werden häufig Strategien eingesetzt, die darauf zielen, die Patientinnen dabei zu unterstützen, wieder ein normales Essverhalten zurückzugewinnen und zuzunehmen. Bei der Bulimie stehen Verfahren der „response prevention“ im Vordergrund, die Patienten dazu verhelfen sollen, Auslöser für Essattacken zu erkennen, damit sie die Essattacken unterbinden können. Darüber hinaus geht es darum, das Erbrechen nach dem Essen zu verhindern. Dies ist bei schweren Fällen nur im Rahmen einer stationären Therapie möglich, was auch für schwere Fälle von
Anorexia nervosa mit lebensbedrohlichem Untergewicht gilt. Neben einer Behandlung der Patientinnen ist es vor allen Dingen im Kindes- und Jugendalter darüber hinaus wichtig, die Familie in die Therapie mit einzubeziehen.
Prognose
Bei Patienten mit schweren chronischen Anorexien und Bulimien besteht eine erhebliche Mortalität bei Nichtbehandlung der Erkrankung. Die Mortalität bei schweren chronischen Anorexien wird auf bis zu 10 % geschätzt, wobei Todesursachen hier einerseits Folgen der Mangelernährung, andererseits aber auch
Suizid sein können. Bei frühzeitiger Behandlung ist die Prognose in der Regel gut.
Zusammenfassung, Bewertung
Anorexie und Bulimie sind
Essstörungen, die vor allen Dingen im Jugend- und frühen Erwachsenenalter auftreten. Die Häufigkeit liegt insgesamt bei 2–3 % aller jungen Mädchen. Neben einem Spektrum eher leichter Erkrankungen, die durch kurzfristige Interventionen oder durch ambulante Therapien positiv beeinflusst werden können, gibt es schwere chronische
Essstörungen, die mit erheblichen organmedizinischen und psychosozialen Folgen verbunden sind, sodass eine schnelle und frühe Behandlung erforderlich ist. Während spezifische schlafmedizinische Veränderungen für Patienten mit Bulimie nicht gesichert sind, wird für einen Teil der Anorexiepatienten ein Muster des gestörten Schlafs wie bei Patienten mit fortgeschrittener depressiver Störung berichtet.