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Enzyklopädie der Schlafmedizin
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Publiziert am: 24.01.2020

Fibromyalgiesyndrom

Verfasst von: Christoph Baerwald
Das Fibromyalgiesyndrom ist ein häufiges Krankheitsbild, bei dem Schlafstörungen eine entscheidende Rolle spielen. Um eine den Beschwerden zugrunde liegende primäre schlafmedizinische Erkrankung zu aufzudecken, kann die Diagnostik im Schlaflabor erforderlich sei. Allgemeine Therapieempfehlungen bezüglich der Schlafstörungen bei Fibromyalgiesyndrom beinhalten Verhaltensmaßnahmen wie eine verbesserte Schlafhygiene, regelmäßiges Fitnesstraining und Entspannungsübungen. Während trizyklische Antidepressiva über eine gewisse Zeit die Schlafqualität verbessern können, bewirken sie jedoch auf lange Sicht keine Verbesserung in der Symptomatik. Die in den USA zur Therapie des Fibromyalgiesyndroms zugelassenen Substanzen Pregabalin, Duloxetin und Milnacipran können die Schlafstörungen bessern, sind jedoch nicht speziell zur Therapie der schlafbezogenen Störungen bei Fibromyalgiesyndrom zugelassen.

Synonyme

Fibrositissyndrom; Generalisierte Tendomyopathie

Englischer Begriff

fibromyalgia; fibrositis syndrome

Definition

Fibromyalgiesyndrom bezeichnet ein nichtentzündlich bedingtes Schmerzsyndrom, das einhergeht mit chronischen weit verbreiteten Schmerzen in den Weichteilen, vegetativen Symptomen, Ein- und Durchschlafstörungen und psychischen Besonderheiten.

Genetik, Geschlechterwendigkeit

Für das Fibromyalgiesyndrom konnte eine familiäre Häufung gezeigt werden, wobei in einzelnen Studien Assoziationen zur HLA-Region, im Serotoninrezeptor 5-HT2A, im Serotonintransportergen, im Dopamin-4-Rezeptor und in der Catechol-O-Methyltransferase gefunden wurden. Allerdings spielen diese Gene auch bei anderen Schmerzerkrankungen eine Rolle, sodass dies keine spezifischen Befunde für ein Fibromyalgiesyndrom sind. Betreffs der Schlafstörungen in Gestalt von Ein- und Durchschlafstörungen („Insomnien“), die ein Hauptsymptom des Fibromyalgiesyndroms darstellen, gibt es weder bezüglich genetischer Assoziationen noch bezüglich der Geschlechtsverteilung fundierte Untersuchungen.

Epidemiologie und Risikofaktoren

Das Fibromyalgiesyndrom ist eine relativ häufige Gesundheitsstörung mit einer Prävalenz von 1–4 % in der Bevölkerung. Ungefähr 75 % der Patienten sind weiblichen Geschlechts. Schlafstörungen sind bei Patienten mit Fibromyalgiesyndrom sehr häufig. Bis zu 90 % der Patienten klagen über Ein- und Durchschlafstörungen. Spezifische Risikofaktoren für die Entwicklung von Schlafstörungen im Rahmen eines Fibromyalgiesyndroms sind noch nicht definiert.
Schlafstudien bei Patienten mit einem Fibromyalgiesyndrom zeigten eine verminderte Gesamtschlafzeit, eine Verminderung von Tiefschlafanteil und REM-Schlafanteil mit jeweils vermehrten Weckreaktionen. Im Elektroenzephalogramm (EEG) zeigt sich bei einigen Patienten eine Intrusion von Alphawellen in den NREM-Schlaf, insbesondere in den durch die langsamen Deltawellen charakterisierten Tiefschlaf. Diese Alpha-Delta-Anomalie ist aber nicht spezifisch für ein Fibromyalgiesyndrom und ist auch nicht bei allen Patienten vorhanden. Weitere Studien des Schlafs mittels EEG konnten zeigen, dass Alphawellen in verschiedenen Variationen vorkommen. Dies sind phasische (50 % der Patienten versus 7 % der Kontrollen), tonische (20 % der Patienten versus 9 % der Kontrollen) und niedrigamplitudige (bei 30 % der Patienten versus 84 % der Kontrollen) Alphawellen. Insbesondere die phasische Alphawellen-Intrusion in den Deltaschlaf (langsame Wellen) war bei Patienten mit Fibromyalgiesyndrom mit mehr Schmerzen, schlechterer Schlafeffizienz, mehr Morgensteifigkeit und diffusen Beschwerden assoziiert. Ebenso konnte eine familiäre Häufung der Alphaschlafanomalie bei Kindern und ihren Müttern festgestellt werden.

Pathophysiologie

Das Fibromyalgiesyndrom wird als ein multilokuläres chronisches Schmerzsyndrom unklarer Ätiopathogenese definiert, bei dem psychosozialen Stressoren eine zentrale pathogenetische Bedeutung zukommt. Bezüglich der Schlafstörungen bei den Patienten konnte in Untersuchungen gezeigt werden, dass Störungen im zirkadianen Rhythmus vorliegen. Sowohl in der Produktion von Melatonin als auch in der zirkadianen Rhythmik der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenachse (siehe „Hypophyse und Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenachse“) konnte bei Patienten mit Fibromyalgiesyndrom eine Störung nachgewiesen werden (Korszun 2000). Derartige Veränderungen konnten jedoch auch bei Patienten mit depressiven Störungen oder mit dem sogenannten „Chronic Fatigue Syndrom“ (CFS) demonstriert werden. Alle diese Hormone zeigen eine zirkadiane Rhythmik und können bei verminderter Produktion mit einem gestörten Schlaf einhergehen. Bei Patienten mit Fibromyalgiesyndrom fand sich auch eine verminderte Wachstumshormonsekretion und folgend eine verminderte Produktion von Insulin-like Growth Factor 1 (IGF). Das kann Folge des gestörten Schlafs sein, da die Wachstumshormonausschüttung tiefschlafabhängig erfolgt. Insgesamt ist die Datenlage bezüglich der pathophysiologischen Ursachen der Schlafstörungen bei einem Fibromyalgiesyndrom jedoch nicht kongruent, da einige Studien die oben beschriebenen Veränderungen nicht bestätigen.
Siehe auch „Melatonin und zirkadianer Rhythmus“; „Endokrinium“.

Symptomatik

Beschwerden und Symptome

Die bisher durchgeführten Studien haben ergeben, dass nicht erholsamer Schlaf in der Pathogenese des Fibromyalgiesyndroms eine entscheidende Rolle spielt. Der Schlaf wird als leicht und nicht erholsam beschrieben, wobei die Dauer des Schlafs keine Rolle spielt. In seltenen Fällen eines erholsamen Schlafs berichten die Patienten oft über eine deutliche Besserung ihrer Schmerzen und Müdigkeit am folgenden Tag. Die von den Patienten erfahrenen Schmerzen machen es schwer einzuschlafen, sowohl zu Beginn des Schlafs als auch nach nächtlichem Erwachen (siehe auch „Schmerz“). Viele Patienten klagen über einen fragmentierten Schlaf und über Einschlafstörungen, wobei die schlechte Schlafqualität wiederum die Schmerzsymptome verschlimmert. Aus diesen Schlafstörungen resultieren eine vermehrte Tagesmüdigkeit und eine verminderte kognitive Leistungsfähigkeit (Choy 2015).

Erstmanifestation

Fibromyalgiesyndrom kann auch schon im Kindesalter auftreten. Die Schlafbeschwerden manifestieren sich erst nach Ausbruch der Erkrankung. Allerdings konnte eine Studie auch zeigen, dass gestörter Schlaf einen Risikofaktor für die Entwicklung eines Fibromyalgiesyndroms darstellt.

Verlauf

Der Verlauf des Fibromyalgiesyndroms ist individuell unterschiedlich. Vor allem die Patienten mit ausgeprägten Beschwerden weisen einen chronischen Verlauf ihres Krankheitsbildes auf. Dementsprechend kommt es bei chronischen Beschwerden zu andauernden Schlafstörungen. Andererseits konnte gezeigt werden, dass ein Ansprechen auf therapeutische Maßnahmen, sehr oft einhergehend mit Verbesserungen der Schlafqualität, die Patienten mit ihrer Erkrankung relativ gut zurechtkommen lässt. Insgesamt sind komplette Remissionen jedoch eher selten, und es bleiben bei vielen Patienten chronische Beschwerden in unterschiedlicher Ausprägung bestehen (Mork und Nilsen 2012).

Psychosoziale Faktoren

Bei Patienten mit Fibromyalgiesyndrom wurde eine unterschiedliche Ausprägung der Berufsunfähigkeit mit einer Häufigkeit von 9–44 % der Patienten gefunden. Dabei war die Berufsunfähigkeit assoziiert mit dem sozialen Status, den Schmerzen, den Stimmungsschwankungen, Depressionen und der Fähigkeit, mit der Erkrankung umzugehen. Bezüglich der Schlafstörungen konnte dahingegen kein Zusammenhang gefunden werden.

Komorbide Erkrankungen

Klinisch besteht eine Überschneidung zwischen anderen stressbezogenen Erkrankungen wie zum Beispiel dem chronischen Müdigkeitssyndrom („Chronic Fatigue Syndrom“), dem irritablen Darmsyndrom, prämenstruellen Syndromen und temporomandibulären Erkrankungen, die alle auch eine signifikante Komorbidität mit depressiven Störungen aufweisen.
„Periodic Limb Movement Disorder“ und „Restless-Legs-Syndrom“ (RLS) sind ebenfalls bei Patienten mit Fibromyalgiesyndrom beschrieben und aggravieren die Schlafstörungen. Ebenso konnte in der Gruppe der weiblichen Patienten mit Fibromyalgiesyndrom eine gering erhöhte Rate an Obstruktiver Schlafapnoe (OSA; siehe „Obstruktive Schlafapnoe“) detektiert werden. Andererseits kommt ein Fibromyalgiesyndrom bei männlichen Patienten mit Obstruktiver Schlafapnoe selten vor.

Diagnostik

Die „Kardiorespiratorische Polysomnographie“ ist das wichtigste Verfahren, um eine eventuell den Beschwerden zugrunde liegende oder gleichzeitig zum Fibromyalgiesyndrom bestehende primäre schlafmedizinische Erkrankung zu erkennen, wie Restless-Legs-Syndrom, PLMD oder Obstruktives Schlafapnoesyndrom. Im EEG kann sogenannter Alpha-Delta-Schlaf gefunden werden. Zur Objektivierung der Tagesmüdigkeit kann ein Multipler Schlaflatenztest (MSLT; siehe „Multipler Schlaflatenztest und Multipler Wachbleibetest“) durchgeführt werden. Um die Aktivitätslevel während des Schlafs und des Tages aufzuzeichnen, wird eine „Aktigraphie“ empfohlen, die in einer Studie zwischen Patienten mit Fibromyalgiesyndrom mit und ohne Depression differenzieren konnte und die auch schon ausreichte, die subjektiv geäußerten Schlafstörungen der Patienten zu objektivieren (Okifuji und Hare 2011).

Therapie

Neben der Therapie eventuell gleichzeitig bestehender primärer schlafmedizinischer Erkrankungen wie Obstruktive Schlafapnoe oder Restless-Legs-Syndrom sollten die Patienten eine gute „Schlafhygiene“ betreiben. Weiterhin hat sich auch ein kardiovaskuläres Fitnessprogramm als günstig für die Behandlung der Schlafstörungen erwiesen. Medikamente zur Behandlung der Schlafstörungen haben bei Patienten mit Fibromyalgiesyndrom keine konsistenten Ergebnisse gezeigt. So haben „Antidepressiva“, wie zum Beispiel Amitriptylin, günstige Effekte auf den Schlaf gezeigt, jedoch hat die Effektivität im Laufe der Zeit nachgelassen. Ebenso wenig konnte für selektive Serotoninwiederaufnahmeinhibitoren, Sedativa oder Benzodiazepine ein Nutzen bei Patienten mit Fibromyalgiesyndrom gezeigt werden. Neuere Studien haben positive Ergebnisse für Gammahydroxybuttersäure, Gabapentin und Pregabalin speziell auch bei Schlafstörungen gezeigt (Roth et al. 2012). Letzteres ist in den USA auch zur Behandlung eines Fibromyalgiesyndroms zugelassen.

Zusammenfassung, Bewertung

Das Fibromyalgiesyndrom ist ein häufiges Krankheitsbild, bei dem Schlafstörungen eine entscheidende Rolle spielen. Gemäß dem „Algorithmus Nicht erholsamer Schlaf“ kann die Diagnostik im Schlaflabor erforderlich sein, um eine den Beschwerden zugrunde liegende primäre schlafmedizinische Erkrankung zu diagnostizieren, die dann entsprechend zu behandeln ist. Allgemeine Therapieempfehlungen bezüglich der Schlafstörungen bei Fibromyalgiesyndrom beinhalten Verhaltensmaßnahmen wie eine verbesserte Schlafhygiene, regelmäßiges Fitnesstraining und Entspannungsübungen. Während trizyklische Antidepressiva über eine gewisse Zeit die Schlafqualität verbessern können, bewirken sie jedoch auf lange Sicht keine Verbesserung in der Symptomatik. Die in den USA zur Therapie des Fibromyalgiesyndroms zugelassenen Substanzen Pregabalin, Duloxetin und Milnacipran können die Schlafstörungen bessern, sind jedoch nicht speziell zur Therapie der schlafbezogenen Störungen bei Fibromyalgiesyndrom zugelassen.
Literatur
Choy EHS (2015) The role of sleep in pain and fibromyalgia. Nat Rev Rheumatol 11:513–520CrossRef
Korszun A (2000) Sleep and circadian rhythm disorders in fibromyalgia. Curr Rheumatol Rep 2:124–130CrossRef
Mork PJ, Nilsen TIL (2012) Sleep problems and risk of fibromyalgia: longitudinal data on an adult female population in Norway. Arthritis Rheum 64:281–284CrossRef
Okifuji A, Hare BD (2011) Nightly analyses of subjective and objective (actigraphy) measures of sleep in fibromyalgia syndrome: What accounts for the discrepancy? Clin J Pain 27:289–296CrossRef
Roth T, Lankford DA, Bhadra P, Whalen E, Resnick EM (2012) Effect of pregabalin on sleep in patients with fibromyalgia and sleep maintenance disturbance: a randomized, placebo-controlled, 2-way crossover polysomnography study. Arthritis Care Res 64:597–606CrossRef