Skip to main content
Enzyklopädie der Schlafmedizin
Info
Verfasst von:
Sylvia Kotterba
Publiziert am: 31.12.2019

Guillain-Barré-Syndrom

Das Guillain-Barré-Syndrom stellt aufgrund seiner raschen Progredienz eine potenziell lebensbedrohliche Erkrankung dar. Aus schlafmedizinischer Sicht ist die in der Frühphase vornehmlich nächtlich auftretende respiratorische Insuffizienz sowie eine vermehrte Tagesschläfrigkeit bedeutsam. Eine zentralnervöse Beteiligung an der Entstehung der Hypersomnie ist ursächlich noch nicht geklärt. Polysomnographisch imponiert fragmentierter Schlaf. Der Nachweis einer Hypocretinverminderung im Liquor könnte eine vermehrte Schläfrigkeit und die manchmal beobachtete Dissoziation von REM-Schlaf und Wachzustand erklären. Die frühzeitige Behandlung und intensivmedizinische Überwachung kann die Prognose der Patienten entscheidend verbessern.

Synonyme

GBS

Englischer Begriff

Guillain-Barré syndrome

Definition

Die Erkrankung gehört zu den autoimmunen Neuropathien und geht mit Polyradikulitis und Lähmungen einher. Man unterscheidet eine akute von einer subakuten Form. Schlafbezogene Beschwerden sind häufig assoziiert. „Hypersomnie“ tritt überwiegend im akuten Stadium auf. Im weiteren Verlauf kann es infolge Lähmung der Atmungsmuskulatur zur respiratorischen Insuffizienz kommen, die sich mit nächtlichen Hypoventilationen zuerst im Schlaf manifestiert.

Genetik

Bei der infizierten Person geht man von einer genetischen Prädisposition aus, die dazu führt, dass sich die physiologische Immunantwort nicht nur gegen den Erreger, sondern auch gegen Strukturen der eigenen peripheren Nerven richtet. Eine Geschlechterwendigkeit ist nicht bekannt.

Epidemiologie

Das Guillain-Barré-Syndrom ist mit einer jährlichen Inzidenz von 1–4/100.000 selten. Es ist aber zugleich die häufigste Ursache für eine akute schlaffe Lähmung. Die assoziierten Schlafstörungen sind durch die Lähmung und die Beteiligung des ZNS bedingt.

Pathophysiologie

Die Konzepte zu Ätiologie und Pathogenese stammen aus Einzelbeobachtungen und Tierversuchen zur experimentellen autoimmunen Neuritis. Die meisten Patienten haben einen banalen Infekt der Atemwege oder des Magen-Darm-Trakts, meist verursacht durch Campylobacter jejuni. Überzufällig häufig ist das Guillain-Barré-Syndrom ebenfalls mit einer vorausgegangenen Infektion durch Zytomegalie- und Epstein-Barr-Virus, Mycoplasma pneumoniae und Haemophilus influenzae assoziiert. Die Entzündungskaskade bedingt die Progressionsphase. In der Plateauphase klingt die Entzündungsaktivität ab, eine Erholung tritt ein. Einzelne Aspekte der Pathogenese sind weiter ungeklärt.
Das Guillain-Barré-Syndrom präsentiert sich in unterschiedlichen klinisch-pathologischen Varianten (Tab. 1). In Mitteleuropa ist die akute inflammatorische demyelinisierende Polyneuropathie am häufigsten. Histologisch findet man eine multifokale segmentale Entmarkung und entzündliche Infiltrate. Seltener ist eine akute motorische axonale Neuropathie, die durch eine primär axonale Schädigung gekennzeichnet ist. Im Akutstadium wurden im Liquor erniedrigte Hypocretinwerte nachgewiesenen, was zu der Annahme geführt hat, dass die im Initialstadium vorhandene Hypersomnie hierdurch mit verursacht ist.
Tab. 1
Varianten des Guillain-Barré-Syndroms (GBS)
Variante
Merkmal
Akute inflammatorische demyelinisierende Polyneuropathie
Primär demyelinisierend
Akute motorische axonale Neuropathie
Primär axonal
Akute motorische und sensible axonale Neuropathie
Primär axonal
Miller-Fisher-Syndrom
Ophthalmoplegie, Ataxie, Areflexie
Oropharyngeale Variante
Überwiegend bulbär
Sensibles GBS
Rein sensibel
Ataktisches GBS
 
Akute Pandysautonomie
Rein autonom
Siehe auch „Infektionskrankheiten ohne Befall des Zentralnervensystems“; „Entzündliche Erkrankungen des Zentralnervensystems“.

Symptomatik

Guillain-Barré-Patienten entwickeln im Rahmen der akut auftretenden und rasch progredienten Polyradikuloneuropathie zunächst eine schlaffe Paraparese, die sich bis zur Tetraplegie ausweiten kann. Betroffen sind in unterschiedlichem Umfang auch Hirnnerven, die Atemmuskulatur sowie autonome Nerven. Wegen der Gefahr der respiratorischen Insuffizienz mit Hyperkapnie (Schläfke et al. 1997) (siehe „Respiratorische Insuffizienz“) und von „Herzrhythmusstörungen“ sollten die Patienten in der Progredienzphase der Erkrankung intensivmedizinisch überwacht werden. Insbesondere die autonomen Störungen bedingen die hohe Komplikationsrate von bis zu 10 % bei nichtbeatmungspflichtigen Patienten und von bis zu 20 % bei beatmeten Patienten (Sindern & Malin 1996). Die Erkrankung ist selbstlimitierend, indem es nach einer Progressions- und Plateauphase zu einer spontanen, allerdings nur zögerlichen und nicht immer kompletten Remission kommt. Bei einer Progressionsphase von mehr als 4 Wochen spricht man von einem subakuten Guillain-Barré-Syndrom. Sowohl in der Akutphase als auch in der Plateauphase können Delirien und oneiroide Zustände auftreten (Weiss et al. 2002). Im Rahmen dieser psychischen Veränderungen können Halluzinationen, illusionäre Verkennungen, traumartige Zustände und eine „REM-Schlaf-Verhaltensstörung“ auftreten (Cochen et al. 2005). Inwieweit es sich bei allen Zuständen um Dissoziation des Schlaf-Wach-Zustands handelt, ist noch ungeklärt. Die Polyradikuloneuropathie verursacht eine zunehmende Schwäche der Atemmuskulatur, des Pharynx, des Zwerchfells und der Atemhilfsmuskulatur. Analog den im Beitrag „Neuromuskuläre Erkrankungen“ beschriebenen Verhältnissen kommt es zu respiratorischen Störungen, die sich zuerst im Schlaf manifestieren („Schlafbezogene Hypoventilationssyndrome“; „Autonomes Nervensystem“).

Diagnostik

Der Liquorbefund ist durch eine normale Zellzahl mit hohem Eiweiß (bis 200 mg/l) gekennzeichnet (zytoalbuminäre Dissoziation). Diesen Befund findet man allerdings erst etwa 10 Tage nach Erkrankungsbeginn. Erste Untersuchungen bestätigten im Mittel niedrigere Hypocretin-1-Werte im Vergleich zu gesunden Kontrollprobanden, es bestehen jedoch starke interindividuelle Streuungen (Ripley et al. 2001).
Neurophysiologisch sollen die Diagnose bestätigt und andere Differentialdiagnosen ausgeschlossen werden. Charakteristisch ist in Europa der GBS-Typ mit demyelinisierender Neuropathie, die durch verzögerte Nervenleitgeschwindigkeiten und multiple Leitungsblöcke gekennzeichnet ist. Bei der akuten, rein motorischen Form werden dagegen elektroneuro- und elektromyographisch Zeichen einer rein motorischen Neuropathie mit primär axonaler Schädigung gefunden. Im Schlaf können Verkürzungen der REM-Latenz und Muskeltonuserhöhungen im REM-Schlaf nachgewiesen werden.
In der Polysomnographie finden sich eine verminderte Schlafeffizienz, ein stark fragmentierter Schlaf und Angaben von traumähnlichen Zuständen ohne Registrierung von Schlaf, sodass hier eine Dissoziation von REM-Schlaf und Wachzustand vorliegen kann. Diagnostisch sind ein pulsoxymetrisches Langzeitmonitoring und gegebenenfalls eine „Kardiorespiratorische Polysomnographie“ indiziert.

Therapie

Obwohl die Erkrankung selbstlimitierend ist, wird versucht, die Progression einzudämmen, um insbesondere die Herzrhythmusstörungen und die respiratorische Insuffizienz zu verhindern. In mehreren randomisierten Studien hat sich die Plasmapheresetherapie, alternativ die Immunadsorption bewährt (in der Regel vier Austauschzyklen). Von gleicher Wirksamkeit ist die Gabe intravenöser Immunglobuline (0,4 g/kg KG/Tag über 5 Tage). Durch beide Verfahren werden ein geringerer maximaler Krankheitsgrad und eine raschere Erholung erreicht. Wegen der Ateminsuffizienz ist in der Akutphase ein nächtliches Monitoring der arteriellen Blutsauerstoffsättigung und des pCO2 notwendig. Insbesondere Patienten mit einer raschen Progression entwickeln eine respiratorische Insuffizienz. Es wird empfohlen, Patienten mit Schluckstörungen und/oder drohender Ateminsuffizienz frühzeitig und elektiv mit mechanischer Ventilation (siehe „Mechanische Ventilation“) zu behandeln.

Zusammenfassung, Bewertung

Das Guillain-Barré-Syndrom stellt aufgrund seiner raschen Progredienz eine potenziell lebensbedrohliche Erkrankung dar. Aus schlafmedizinischer Sicht ist die in der Frühphase vornehmlich nächtlich auftretende respiratorische Insuffizienz sowie eine vermehrte Tagesschläfrigkeit bedeutsam. Eine zentralnervöse Beteiligung an der Entstehung der Hypersomnie ist ursächlich noch nicht geklärt. Polysomnographisch imponiert fragmentierter Schlaf. Der Nachweis einer Hypocretinverminderung im Liquor könnte eine vermehrte Schläfrigkeit und die manchmal beobachtete Dissoziation von REM-Schlaf und Wachzustand erklären. Die frühzeitige Behandlung und intensivmedizinische Überwachung kann die Prognose der Patienten entscheidend verbessern.
Literatur
Bender A, Rémi J, Feddersen B, Fesl G (2015) Kurzlehrbuch Neurologie. Elsevier, München
Cochen V, Arnulf I, Demeret S et al (2005) Vivid dreams, hallucinations, psychosis and REM sleep in Guillain–Barré syndrome. Brain 128:2535–2545CrossRef
Ripley B, Overeem S, Fujiki N et al (2001) CSF hypocretin/orexin levels in narcolepsy and other neurological conditions. Neurology 57:2253–2258CrossRef
Schläfke ME, Hein H, Kotterba S et al (1997) Zur Bedeutung des CO2-Partialdruckes als Meßgröße im Schlaflabor. Somnologie 1:184–196
Sindern E, Malin JP (1996) Das akute Guillain-Barré-Syndrom. Dtsch Arztebl 93:A1895–A1898
Weiss H, Rastan V, Müllges W et al (2002) Psychotic symptoms and emotional distress in patients with Guillain-Barré syndrome. Eur Neurol 47:74–78CrossRef