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Enzyklopädie der Schlafmedizin
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Publiziert am: 17.04.2021

Insomnien

Verfasst von: Kai Spiegelhalder und Dieter Riemann
Insomnien als eigenständige Krankheitsentität bzw. als Insomnieform werden bislang fast nur in schlafmedizinischen Zentren als solche diagnostiziert, weitaus seltener im hausärztlichen Setting. Nach der International Classification of Sleep Disorders ICSD-3 von 2015 werden bei einer Insomnie Ein- und/oder Durchschlafstörungen für die Dauer von mindestens drei Monaten angegeben, die mindestens dreimal pro Woche auftreten. Die Schlafstörung verursacht dabei in klinisch bedeutsamer Weise Leiden oder eine Beeinträchtigung im sozialen oder beruflichen oder in einem anderen wichtigen Funktionsbereich. Eine Insomnie liegt vor, wenn die Symptome nicht eindeutig auf eine andere Schlafstörung, eine psychische Erkrankung oder eine körperliche Erkrankung zurückzuführen sind und wenn es ausreichend Gelegenheit zum Schlafen gibt.

Synonyme

Nicht-organische Insomnie

Englischer Begriff

insomnia disorders; insomnia

Definition

Nach der International Classification of Sleep Disorders „ICSD-3“ von 2015 werden bei einer Insomnie Ein- und/oder Durchschlafstörungen für die Dauer von mindestens drei Monaten (Ausnahme „Kurzzeit-Insomnie“) angegeben, die mindestens dreimal pro Woche auftreten. Die Schlafstörung verursacht dabei in klinisch bedeutsamer Weise Leiden oder eine Beeinträchtigung im sozialen oder beruflichen oder in einem anderen wichtigen Funktionsbereich. Eine Insomnie liegt vor, wenn die oben beschriebenen Symptome nicht eindeutig auf eine andere Schlafstörung, eine psychische Erkrankung oder eine körperliche Erkrankung zurückzuführen sind und wenn es ausreichend Gelegenheit zum Schlafen gibt.
Diese Definition ist nahezu deckungsgleich mit den diagnostischen Kriterien der Insomnie (insomnia disorder) nach dem DSM-5, die wiederum sehr ähnlich zu denen der Diagnose „nicht-organische Insomnie“ nach dem ICD-10 sind. Während die ICSD (1990) und das DSM-IV (1994) noch die Bezeichnung Primäre Insomnien verwendeten, wurde der Begriff in der ICSD-2 (2005) fallengelassen zugunsten von Insomnien. Im DSM-5 (2013) werden erstmalig Insomnien als diagnostische Entität aufgeführt.
In der Hauptkategorie Insomnien unterscheidet die ICSD-3 zwei Diagnosen, eine offene Kategorie und zwei sogenannte Isolierte Symptome und Normvarianten. Es handelt sich um
  • Chronische Insomnie
  • Andere Insomnie
  • Isolierte Symptome und Normvarianten
    • Zu lange Schlafzeit
    • Kurzschläfer
Demgegenüber umfasste die ICSD-2 (2005) insgesamt neun Diagnosen (darunter zwei sekundäre Insomnien) und zwei offene Kategorien („Diagnostische Klassifikationssysteme“). Die Diagnosen der ICSD-2 werden in der ICSD-3 bis auf die Schlafanpassungsstörung (Kurzzeit-Insomnie) in der übergreifenden Diagnose Chronische Insomnie zusammengefasst. Die AASM (American Academy of Sleep Medicine) sah es u. a. als gegeben an, dass zu viele Überlappungsbereiche die Diskrimination in die spezifischen Subtypen erschweren und dass Schlussfolgerungen hinsichtlich der Assoziation und der Kausalitätsrichtung zwischen Insomnie und koexistierenden Störungen häufig nicht eindeutig zu treffen sind. Damit haben aber die klinischen Aspekte der „Psychophysiologische Insomnie“, „Paradoxe Insomnie“, „Idiopathische Insomnie“, Inadäquaten „Schlafhygiene“ und „Verhaltensbedingten Insomnie in der Kindheit“ ihre Relevanz nicht verloren.

Genetik

Bislang gibt es keine replizierten molekulargenetischen Untersuchungen, die sich mit der Insomnie befassen bzw. die einen Beleg dafür finden konnten, dass bei der Entstehung der Schlafstörung genetische Faktoren eine Rolle spielen. Dies steht damit im Zusammenhang, dass es bislang kein gesichertes Tiermodell für Insomnien gibt.
Untersuchungen an Familien legen nahe, dass Erstgradangehörige von Patienten mit Insomnien um einen Faktor 3 häufiger unter Insomnien leiden als es bei Kontrollpersonen der Fall ist (z. B. Dauvilliers et al. 2005). Dies spricht dafür, dass bei der Entstehung von Insomnien genetische Faktoren eine Rolle spielen. Wie allerdings oben schon angemerkt, ist die Forschung auf diesem Gebiet noch weit davon entfernt, definitive und sichere Aussagen zum Mechanismus der genetischen (Mit-)Verursachung von Insomnien machen zu können.

Epidemiologie und Risikofaktoren

Im Hinblick auf Untersuchungen von Hausarztpatienten konnte übereinstimmend gezeigt werden, dass etwa ein Fünftel der Patienten, die ihren Hausarzt konsultieren, den diagnostischen Kriterien für eine Insomnie entsprechen. Eine repräsentative, europaweit durchgeführte Studie, die zufällig aus der Allgemeinbevölkerung ausgewählte Erwachsene erfasste, konnte hingegen zeigen, dass in dieser Grundgesamtheit nur 4 % der Menschen die Kriterien erfüllen, wobei 75 % der Betroffenen schon länger als ein Jahr unter ihrer Insomnie litten.
Weitere Studien konnten zudem übereinstimmend zeigen, dass Insomniebeschwerden mit dem Alter zunehmen und das weibliche Geschlecht deutlich häufiger davon betroffen ist als das männliche. Weiterhin fanden sich in vielen Untersuchungen signifikante Zusammenhänge der Schlafstörung mit Schichtarbeit, kritischen Lebensereignissen wie Scheidung oder Tod des Partners, niedrigem sozioökonomischen Status, körperlichen/psychischen Erkrankungen.
Längsschnittliche Untersuchungen befassten sich mit der Frage, ob Insomniesymptome zu einem gegebenen Zeitpunkt prädiktiv für das Auftreten späterer körperlicher oder psychischer Erkrankungen sind. Im Hinblick auf das Risiko späterer körperlicher Erkrankungen legt die Datenlage einen Zusammenhang zwischen Insomnien und dem Auftreten von kardiovaskulären Erkrankungen nahe (Sofi et al. 2014). Der Zusammenhang zwischen Insomniesymptomen und erhöhter Mortalität ist jedoch weiterhin umstritten, wobei es auch Evidenz für einen Zusammenhang zwischen der Einnahme von „Hypnotika“ und erhöhter Mortalität gibt.
Als gesichert kann zudem der Zusammenhange gelten, dass das Auftreten von Insomniesymptomen ein Risikofaktor für das spätere Auftreten psychischer Störungen, v. a. einer „Depression“, ist. Dies konnte unabhängig voneinander in mehreren Untersuchungen gezeigt werden (Übersicht bei Riemann und Voderholzer 2003; siehe auch Baglioni et al. 2011). Ähnliche, aber schwächer ausgeprägte Zusammenhänge bestehen auch zwischen insomnischen Symptomen zu einem gegebenen Zeitpunkt und späterem Substanzmissbrauch sowie dem häufigeren Auftreten von „Angsterkrankungen“.
Zusammenfassend ergibt sich somit das Bild, dass Patienten in allgemeinärztlicher Behandlung in etwa 20 % der Fälle unter einer ausgeprägten und chronischen Insomnie leiden, wohingegen in der Allgemeinbevölkerung die Prävalenzraten mit 5–10 % deutlich niedriger liegen. Als gesichert kann der Zusammenhang gelten, dass insomnische Symptome zu einem gegebenen Zeitpunkt einen Risikofaktor für das spätere Auftreten von kardiovaskulären Erkrankungen sowie einer Depression darstellen.
Generell litt die epidemiologische Literatur zum Thema Insomnie bislang darunter, dass in fast allen Untersuchungen nur sehr undifferenziert nach Insomniesymptomen gefragt wurde, jedoch nie nach speziellen Subtypen der Insomnie, wie zum Beispiel die Psychophysiologische Insomnie, Paradoxe Insomnie oder idiopathische Insomnie. Dies wäre in der Zukunft wünschenswert.

Pathophysiologie, Psychophysiologie

In Abb. 1 wird ein Modell der Insomnie (DSM-5) bzw. der nicht-organischen Insomnie (ICD-10) gezeigt. Das Modell fasst psychologisch-psychosoziale und psychophysiologische Faktoren zusammen, die bei Insomnien wahrscheinlich eine große Rolle spielen (nach Morin 1993).
Generell wird davon ausgegangen, dass Insomnien nicht grundlos auftreten, sondern häufig im Kontext eines belastenden Lebensereignisses erstmalig augenscheinlich werden. Akute Insomnien sind wiederum ein Ereignis, mit dem wahrscheinlich jeder Mensch einmal im Leben konfrontiert ist. Vollkommen unklar ist bislang noch die Frage, warum anscheinend viele Menschen mehrere Nächte gestörten Schlafs ohne Probleme erleben und dann wieder zu ihrem gesunden Schlafmuster zurückkehren, während bei einer Teilgruppe der Betroffenen die Schlafstörung chronifiziert. Das in Abb. 1 dargestellte Modell geht zentral davon aus, dass ein unbewusster Lernprozess, entsprechend einem konditionierten Arousal stattfindet, der zur Ausbildung schlafverhindernder Assoziationen führt, die zur Aufrechterhaltung der Schlaflosigkeit beitragen. In diesem Modell spielen mehrere Faktoren eine große Rolle.
Aktivierung/Erregung/Hyperarousal
Angespanntheit bzw. Erregtheit wird als ein zentraler Faktor der Entstehung und Aufrechterhaltung von Insomnien angesehen. Die erhöhte Angespanntheit kann isoliert oder simultan auf emotionaler, kognitiver und physiologischer Ebene bestehen. Die neurobiologisch orientierte Insomnieforschung hat sich in den letzten Jahren intensiv mit dieser Ebene befasst. Bislang gelang es jedoch nur teilweise, auf der Ebene autonomer Parameter, wie beispielsweise Herzfrequenz, Blutdruck oder Hautleitwiderstand („Elektrodermale Aktivität“), konsistente Ergebnisse bei Patienten mit Insomnien festzustellen. Einen Fokus der gegenwärtigen Forschung stellt die Spektralanalyse des Schlaf-EEG dar. Einige Studien belegten bei diesen Patienten ein zentralnervöses Hyperarousal in Gestalt eines erhöhten Anteils schneller Frequenzen, insbesondere im β-Bereich des Schlaf-EEGs. Darüber hinaus konnte mithilfe der Positronenemissionstomographie (PET) belegt werden (Nofzinger et al. 2004), dass bei Insomnien umschriebene Hirnareale, insbesondere im Thalamus und im aszendierenden retikulären aktivierenden System (ARAS), im Schlaf nicht so stark wie bei gesunden Menschen deaktiviert werden. Das könnte das subjektive Empfinden von Patienten, die die ganze Nacht trotz relativ unauffälliger Polysomnographie wach gelegen haben, erklären (siehe auch „Stress und Hyperarousal“).
Schlafbehindernde Gedanken
Im Laufe einer chronischen Insomnie entwickeln sich häufig dysfunktionale und schlafinkompatible Kognitionen, wie etwa ausgeprägte Sorgen um den Schlaf, das Grübeln über die Folgen der Schlaflosigkeit und unrealistische Erwartungen im Hinblick auf das eigene Schlafverhalten. Ausgeprägte Selbstbeobachtung, starker innerer Druck einschlafen zu müssen sowie die Antizipation unangenehmer Folgen der Insomnie erhöhen das Anspannungsniveau. Die Kluft zwischen subjektiv erlebtem Schlaf und oftmals unrealistischen Erwartungen verstärken diese Diskrepanz noch.
Ungünstige Schlafgewohnheiten
Viele Patienten mit Insomnien tendieren zu Gewohnheiten, die für schlafförderlich gehalten werden, tatsächlich aber auf Dauer den Schlaf negativ beeinflussen. Dazu zählen eine Ausdehnung der Bettzeiten, frühes Zubettgehen, unregelmäßige Schlaf-Wach-Rhythmik, Tagschlaf sowie das Ausführen schlafbehindernder Aktivitäten, wie etwa Fernsehen und Lesen oder Arbeiten im Bett.
Ebenso als nicht langfristig schlaffördernd angesehen werden muss die in unserer Gesellschaft übliche Strategie, schlechten Schlaf mit Alkoholkonsum oder „Hypnotika“ zu bekämpfen. Beim Alkoholkonsum kommt es zwar initial zu einer Besserung der Schlaflosigkeit, langfristig gesehen führt Alkoholkonsum jedoch zu Durchschlafstörungen („Alkohol-induzierte Schlafstörung“). Ähnliche Phänomene sind für viele Schlafmittel dokumentiert. Die Dauereinnahme von Hypnotika kann zu einer Toleranzentwicklung und zu Absetzphänomenen führen, die dann bewirken, dass die Patienten zu Dauerkonsumenten von Schlafmitteln werden, ohne dass sie dadurch einen deutlichen Vorteil ihrer Schlaflosigkeit erleben.
Konsequenzen der Insomnie
Als Konsequenzen ihres nicht erholsamen Schlafs erleben Insomniepatienten Stimmungsbeeinträchtigungen mit erhöhter Ängstlichkeit und Depressivität sowie Müdigkeit, Leistungs- und Konzentrationsstörungen. Die erhöhte Depressivität kann als Folge des erlebten Kontrollverlusts über den Schlaf aufgefasst werden, gerade weil viele Patienten Anstrengungen unternehmen, ihren Schlaf zu verbessern, die jedoch nicht von Erfolg gekrönt werden. Aus realem Schlafverlust können zudem erhöhte Tagesschläfrigkeit und gestörte Konzentrations- und Leistungsfähigkeit resultieren.

Symptomatik

Beschwerden und Symptome

In erster Linie werden von Patienten mit Insomnien Ein- und/oder Durchschlafstörungen berichtet sowie daraus resultierende Beeinträchtigungen der Leistungsfähigkeit während des Tages, insbesondere in Bezug auf Konzentration und Aufmerksamkeit. Einige Patienten geben an, ins Bett zu gehen, wenn sie müde sind, dass allerdings in dem Moment, in dem sie die Augen schließen, erhöhte Anspannung auftritt und sie ein Gefühl hätten, „wie wenn ein Schalter umgelegt werden würde“. Sie können sich gedanklich nicht von Tagesproblemen lösen oder auch nicht von dem Grübeln über den gestörten Schlaf. Zudem berichten viele Patienten von einem leichten Schlaf oder einem Oszillieren zwischen Wachen und Schlafen, wobei dies von vielen primär als unangenehmes, quälendes Wachliegen mit erhöhter kognitiver Aktivität erlebt wird.

Erstmanifestation

Häufig lässt sich bei einer akuten Insomnie ein Auslöser für die Schlaflosigkeit festmachen. Dies sind oft umschriebene belastende Lebenssituationen, wie etwa Prüfungen, Stress am Arbeitsplatz oder Schwierigkeiten in der Partnerschaft. Entsprechende Belastungen kennt jeder Mensch, sie werden jedoch zum Glück keineswegs immer zum Auslöser für eine chronische Insomnie. Anscheinend neigen jedoch Menschen mit einer gewissen Prädisposition dazu, sich aus einem Teufelskreis zwischen erhöhter Anspannung und insomnischen Beschwerden nicht mehr lösen zu können.
Nicht selten berichten Patienten mit Insomnien, dass es schon in der Jugendzeit, beispielsweise bei Prüfungen, zu einer Verschlechterung des Nachtschlafs kam, die jedoch wieder remittierte. Später bewirken dann ähnliche Belastungen, wie Arbeit unter hohem Zeitdruck, eine Wiederkehr und Persistenz der Schlaflosigkeit.

Auslöser

Die Auslöser können vielfältig sein und beinhalten alle „klassischen“ psychosozialen Belastungen, aber auch körperliche Erkrankungen. Schwierige und belastende partnerschaftliche Situationen, Trennungssituationen, Scheidung, Tod des Partners sind prototypische Auslöser für Insomniebeschwerden. Es sind jedoch nicht immer nur negative Ereignisse, die den Schlaf nachhaltig stören; auch positive Anspannung, beispielsweise im Vorfeld einer Beförderung, kann zum Auslöser einer Insomnie werden.

Verlauf

Der Verlauf einer Insomnie ist häufig chronisch progredient, aber auch Fluktuationen mit phasenhaftem Verlauf und intermittierenden Spontanremissionen sind möglich. Es gibt Verlaufsbilder von Patienten, die berichten, über Jahrzehnte hinweg immer schon schlecht geschlafen zu haben ohne jegliche Besserung. Im Gegensatz dazu schildert eine andere Patientengruppe Remissionsphasen von Monaten bis zu Jahren zwischen den Phasen der Insomnie. Die gravierendste Form stellt jedoch der chronisch progrediente Typus dar, der bis in die Kinder- und Jugendzeit zurückreicht, und dessen Insomnie dann im mittleren Erwachsenenalter ein so starkes Ausmaß erreicht, dass ärztliche Hilfe unumgänglich wird.

Psychosoziale Faktoren

Psychosozial relevante Faktoren ergeben sich aus den weiter vorne dargestellten Ergebnissen zur Epidemiologie der Insomnie. Zu erwähnen ist ein niedriger sozioökonomischer Status, weibliches Geschlecht und Alleineleben, insbesondere nach Scheidung oder Tod des Partners. Hohe berufliche Belastung, die Doppelbelastung von Frauen in Haushalt und Beruf und ähnliche Überforderungen müssen als wichtige Risikofaktoren für das Entstehen von Insomnien angesehen werden.

Komorbide Erkrankungen

Wie weiter vorne ausgeführt, ist es zur Stellung der Diagnose einer Insomnie wichtig, dass die Beschwerden nicht eindeutig auf eine organische oder psychische Ursache zurückzuführen sind, wobei dies letztlich in wenigen Fällen zweifelsfrei möglich ist. Komorbidität liegt dann vor, wenn unabhängig zur Insomnie noch eine weitere körperliche oder psychische Erkrankung besteht, die allerdings nicht in ursächlichem Zusammenhang mit den Insomniebeschwerden steht. Spezifische Komorbiditäten mit organischen Erkrankungen sind für Insomnien bisher nicht beschrieben worden. Aufgrund des erhöhten Risikos, bei einer chronischen Insomnie später auch an einer depressiven Erkrankung oder an einer anderen psychischen Störung zu erkranken, stellt sich natürlich die Frage, ob beim zusätzlichen Entstehen einer Depression dann neben der Insomnie die depressive Erkrankung als komorbid zu diagnostizieren ist. Sollte die Insomnie dem Entstehen der Depression weit vorangehen, so scheint dies plausibel zu sein. Insofern besteht sicherlich eine erhöhte Komorbidität bei Insomnien mit depressiven Störungen. Ebenso ist davon auszugehen, dass erhöhte Komorbiditäten mit Hypnotikaabusus und „Hypnotikaabhängigkeit“ bestehen.

Diagnostik

Neben der klinischen und schlafbezogenen Anamnese kommen in der Diagnostik von Insomnien „Schlaftagebücher“ sowie Schlaffragebögen („Schlaffragebögen SF-A und SF-B“) zum Einsatz. Diagnostische Instrumente, wie etwa strukturierte Interviews und Schlaffragebögen (z. B. der SF-B oder der ISI), bieten sich zur Erfassung der Beschwerden an. Schlaftagebücher dienen dazu, den Schlaf von Betroffenen systematisch zu erfassen. Die Protokolle der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM, www.dgsm.de) bieten die Möglichkeit, sowohl morgens nach dem Schlaf einige Fragen zum Schlaf zu protokollieren als auch abends vor dem Zubettgehen Fragen zur Tagesbefindlichkeit zu erheben. Damit kann ein schneller Überblick über eine insomnische Symptomatik gewonnen werden. Die Patienten müssen jedoch instruiert werden, nicht mit der Stoppuhr nachts zu überwachen, wie viel oder wie schlecht sie schlafen, sondern dass es darum geht, am Morgen den subjektiven Eindruck bezüglich der zurückliegenden Nacht wiederzugeben. Vor jeder Intervention sollte über einen Zeitraum von 14 Tagen ein Schlaftagebuch geführt werden, um ein realistisches Bild der Symptome gewinnen zu können.
Tab. 1 gibt einen Überblick über Fragebögen und Interviewinstrumente, die sich zur Insomniediagnostik eignen.
Tab. 1
Diagnostische Instrumente. Zur Insomniediagnostik geeignete Schlaffragebögen, Schlaftagebücher und Interviewleitfäden
Verfahren
Zielsetzung
Kurzbeschreibung
Strukturiertes Interview für Schlafstörungen nach DSM-IIIR (SIS-D)
(Schramm et al. 1993)
Stellung von Diagnosen für den Bereich Schlafstörungen nach DSM-III-R
Strukturiertes Interview, Dauer ca. 30–45 Minuten; Reliabilität und Validität belegt
Schlaffragebogen-B (SF-B)
(Görtelmeyer 1986)
Erfassung von Schlafstörungen, Angaben zum Schlaf und Tagesbefindlichkeit der letzten zwei Wochen
Fragebogen zur Selbsteinschätzung mit 28 Fragen, Dauer 5–10 Minuten; fünf relevante Subskalen mit Wertebereich 1–5
Pittsburgh Schlafqualitätsindex (PSQI)
(Buysse et al. 1989; deutsche Version)
Erfassung von Schlafstörungen inklusive Fremdanamnese innerhalb der letzten zwei bzw. vier Wochen
Fragebögen zur Selbsteinschätzung, Dauer 5–10 Minuten; Subskalen mit Gesamtscore 0–21
Schlaffragebogen A (SF-A)
(Görtelmeyer 1986)
Erfasst spezifisch den Schlaf der vorhergehenden Nacht und die Befindlichkeit des Vortags
Schlaffragebogen mit 22 Fragen, Dauer ca. 3–5 Minuten; Wertebereich 1–5, fünf Subskalen
Visuelle Analogskalen abends/morgens (VIS-A/VIS-M)
Erfassung der Schlafqualität einer oder mehrerer spezifischer Nächte
Visuelle Analogskalen (0–100) zu verschiedenen Aspekten der Schlafqualität
Abend- und Morgenprotokolle
(Hoffmann et al. 1997; Liendl und Hoffmann 1999)
Schlaftagebuch zur Diagnostik und Therapieverlaufsmessung
Praktisches Schlaftagebuch für Zeiträume von 7–14 Tagen oder länger
Neben der schlafbezogenen Anamnese sollte eine ausführliche körperliche und klinisch-psychologische/psychiatrische Diagnostik erfolgen. So können Laborparameter wie Entzündungswerte, Blutbild, Schilddrüsen-, Leber- und Nierenwerte erhoben werden, um eventuell bedeutsame organische Faktoren zu erfassen. Ebenso kann die Einnahme bestimmter Medikamente den Schlaf stören. Insofern ist es immer wichtig, im Rahmen der Anamnese eine ausführliche Erhebung der eingenommenen Medikamente durchzuführen. Mögliche, den Schlaf störende Substanzen sind in den Beiträgen über „Schlafstörende Nebenwirkungen“ dargestellt.
Darüber hinaus spielen psychologisch/psychiatrische Erkrankungen eine zentrale Rolle als Ursache für Insomnien, so zum Beispiel „Affektive Störungen“, „Demenzen“, „Psychosen“, aber auch „Alkoholabhängigkeit“ (siehe auch „Psychologische und psychiatrische Ursachen bei Schlafstörungen“). Um eine genaue Abschätzung durchzuführen, ob es sich um eine organische, substanzinduzierte oder psychisch bedingte Insomnie handelt, empfiehlt sich folgendes diagnostisches Vorgehen:
  • Einsatz von Schlaffragebögen und Schlaftagebüchern
  • Ausführliche körperliche und klinisch-psychologisch-psychiatrische Untersuchung unter Zuhilfenahme von Laboruntersuchungen
  • An spezifischen Untersuchungen des Schlafs können „Aktimetrie“ und „Kardiorespiratorische Polysomnographie“ eingesetzt werden
Die Polysomnographie ist ein relativ aufwendiges Verfahren, in der Regel muss sie in mindestens zwei aufeinander folgenden Nächten durchgeführt werden. Damit kann allerdings ein valides Bild des Schlafs gewonnen werden. Die Polysomnographie ist der letzte Schritt in der Diagnostik einer Insomnie, die vor allem dann notwendig wird, wenn schon verschiedene pharmakologische und verhaltenstherapeutische Interventionen erfolglos waren.

Prävention

Bislang liegen keine wissenschaftlichen Ansprüchen genügende Untersuchungen vor, die nachweisen konnten, dass es durch bestimmte Präventionsprogramme möglich ist, das Auftreten von Insomnien zu verhindern. Es erscheint jedoch plausibel, dass beispielsweise die Befolgung der Regeln der „Schlafhygiene“ präventiv wirksam sein kann. Ebenso ist anzunehmen, dass zum Beispiel der frühzeitige Einsatz kognitiv-verhaltenstherapeutischer Methoden bei Insomniebeschwerden dazu führen kann, dass chronische Insomnien verhindert werden. Wissenschaftlich belegt ist dies bisher jedoch noch nicht.

Therapie

Die Therapie von Insomnie erfolgt typischerweise pharmakologisch und/oder nicht pharmakologisch. Die nicht pharmakologischen Maßnahmen lassen sich aufgliedern in solche, die auf körperliche und kognitive „Entspannung“ ausgerichtet sind oder die auf ungünstige Schlafgewohnheiten abzielen, sowie kognitive Maßnahmen, die auf die Unterbindung schlafbehindernder und schlafstörender Gedanken fokussieren (Überblick bei Spiegelhalder et al. 2011; „Kognitive Verhaltenstherapie“). Es handelt sich dabei um sehr effektive Maßnahmen, was durch Metaanalysen belegt wird (siehe z. B. Morin et al. 1994). Die verhaltenstherapeutischen Interventionen sind in Tab. 2 dargestellt.
Tab. 2
Übersicht zu den Verfahren nicht pharmakologischer Intervention bei Patienten mit Insomnie
Faktoren, die eine Schlafstörung aufrechterhalten können
Maßnahmen zur Behebung von Schlafstörungen
Körperliche Anspannung
Muskelentspannung
Geistige Anspannung
Ruhebild, Phantasiereisen, angenehme Gedanken
Ungünstige Schlafgewohnheiten
Regeln für einen gesunden Schlaf, Stimuluskontrolle, Schlafrestriktion
Schlafbehindernde Gedanken
Grübelstuhl, Gedankenstopp, Ersetzen negativer Gedanken und Erwartungen zum Schlaf durch schlaffördernde Gedanken
In der pharmakologischen Behandlung von Insomnien sind die am häufigsten verschriebenen Medikamente die „Benzodiazepine“ und die „Non-Benzodiazepin-Hypnotika“. In den letzten Jahren hat es sich zudem durchgesetzt, bei Insomnien „Antidepressiva“ zu geben. In Tab. 3 sind die pharmakologischen Behandlungsmöglichkeiten aufgeführt.
Tab. 3
Übersicht zu den Gruppen von Pharmaka, die üblicherweise als Hypnotika eingesetzt werden
Benzodiazepine
Lormetazepam, Flurazepam, Triazolam etc.
Non-Benzodiazepine
Antidepressiva
Trimipramin, Doxepin, Amitriptylin, Mirtazapin, Trazodon
Neuroleptika
Melperon, Pipamperon, Levomepromazin etc.
Antihistaminika
Alkoholderivate
Pflanzliche Sedativa
Baldrian, Hopfen, Melisse etc.
Endogene Substanzen

Rehabilitation

Im deutschen Rehabilitationssystem gibt es bislang keine speziell ausgerichteten Kliniken, die sich vorzugsweise dem Problem der Insomnien widmen. Dies rührt sicherlich daher, dass es bislang außerhalb von schlafmedizinischen Zentren wenig üblich ist, Insomnien als eigenständige Krankheitsentität aufzufassen und zu diagnostizieren. Es stellt sich die Frage, ob bei einer Insomnie auch eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme gewährt werden sollte. Unsere klinische Erfahrung legt nahe, dass es effektiver sein könnte, Insomnien ambulant am Wohnort des Patienten zu behandeln. Die meisten Rehabilitationseinrichtungen bieten eine relativ stressfreie, alltagsferne Umgebung, die nicht dem Lebens- und Berufsalltag entspricht, unter dem Insomnien gewöhnlich auftreten. Insofern bleibt anzuzweifeln, ob eine stationäre rehabilitative Betreuung von Insomnien überhaupt wünschenswert wäre.

Nachsorge

Aufgrund der hohen Gefahr der Chronifizierung von Insomnien ist generell zu fordern, dass Patienten die Möglichkeit bekommen, im Anschluss an eine abgeschlossene Therapie in halbjährlichen oder jährlichen Abständen ambulante Kontrolltermine wahrzunehmen.

Psychosoziale Bedeutung

Schwere, chronische Insomnien betreffen schätzungsweise 3–5 % der Allgemeinbevölkerung. Viele dieser Patienten werden nicht spezifisch behandelt, sondern im hausärztlichen Bereich und, wenn überhaupt, meist mit Hypnotika versorgt. Insbesondere Patienten mit chronischen langwierigen Verläufen tendieren dazu, neben der Insomnie noch eine Hypnotikaabhängigkeit oder eine Depression zu entwickeln. Insofern ist die Problematik der Insomnien sicherlich sehr bedeutsam, und es ist notwendig und angemessen, den betroffenen Patienten spezifische, zum Beispiel kognitiv-verhaltenstherapeutische Methoden frühzeitig anzubieten, um negative Langzeitfolgen zu verhindern.

Prognose

Untersuchungen zur Effizienz der kognitiven Verhaltenstherapie zeigen, dass die Prognose auch bei chronischen Fällen noch sehr günstig gestaltet werden kann. Viele Untersuchungen weisen darauf hin, dass etwa einem Drittel der Patienten mit einer Insomnie so effektiv geholfen werden kann, dass sie nach Beendigung einer Behandlung nicht mehr die Kriterien für das Vorliegen der Störung erfüllen. Ein weiteres Drittel der Patienten bessert sich deutlich, erfüllt allerdings noch die Kriterien für die Störung, und ein Drittel der Patienten sprechen nicht oder nur wenig auf kognitiv-verhaltenstherapeutische Maßnahmen an. Vollkommen ungeklärt ist hingegen bislang noch die Frage, ob der mehrmonatige oder auch langjährige Einsatz von Psychopharmaka zur Behandlung von Insomnien ohne Schaden für die Patienten bleibt. Diesbezügliche Untersuchungen stehen noch aus.

Zusammenfassung, Bewertung

Insomnien als eigenständige Krankheitsentität bzw. als Insomnieform, die nicht sekundär zu einer körperlichen oder psychischen Erkrankung besteht, werden bislang fast nur in schlafmedizinischen Zentren als solche diagnostiziert, weitaus seltener im hausärztlichen Setting. Aufgrund des hohen Depressionsrisikos dieser Patienten wäre ein frühzeitiges Erkennen und Behandeln wünschenswert, vor allem auch im Hinblick auf die erwiesenermaßen sehr effektiven kognitiv-verhaltenstherapeutischen Techniken.
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