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Enzyklopädie der Schlafmedizin
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Publiziert am: 01.01.2020

Kernschlaf

Verfasst von: Kai Spiegelhalder und Dieter Riemann
Der Begriff Kernschlaf stammt aus dem Forschungszweig der Schlafforschung, der sich mit der differenziellen Funktion verschiedener Schlafstadien befasst. In den 1970er- und 1980er-Jahren wurde eine Vielzahl von Experimenten zum Schlafentzug und zum Phänomen der natürlichen Kurzschläfer durchgeführt. Die Schlafentzugsexperimente führten zu der Annahme, dass es einen Kernschlaf und einen optionalen Schlaf gäbe. In der Folge wurde dieses Konzept jedoch durch kontrollierte Schlafentzugs- und Schlafrestriktionsstudien infrage gestellt.

Englischer Begriff

core sleep

Definition

Der Begriff Kernschlaf stammt aus dem Forschungszweig der Schlafforschung, der sich mit der differenziellen Funktion verschiedener Schlafstadien befasst. In den 1970er- und 1980er-Jahren wurde eine Vielzahl von Experimenten zum „Schlafentzug“ und zum Phänomen der natürlichen Kurzschläfer durchgeführt. Aus den Schlafentzugsexperimenten ist bekannt, dass nach einer Nacht ohne Schlaf zuerst der Tiefschlaf und erst später der REM-Schlaf nachgeholt wird. Der Entzug der Schlafstadien 1 und 2 wird hingegen in der Regel nicht direkt kompensiert. Diese Befunde führten zu der Annahme, dass es einen Kernschlaf und einen sogenannten optionalen Schlaf gäbe, wobei unter Kernschlaf das REM- und das Tiefschlafstadium zu verstehen seien, während unter dem optionalen Schlaf die leichten Schlafstadien 1 und 2 fallen würden. Daraus wurde gefolgert, dass die Kernschlafdauer, d. h. der wirklich notwendige Schlaf, etwa fünf bis sechs Stunden pro Nacht betrage. Diese Ansicht wurde insbesondere von dem englischen Autor Horne vertreten (Horne 1988). In der Folge wurde dieses Konzept jedoch durch kontrollierte Schlafentzugs- und Schlafrestriktionsstudien infrage gestellt (Van Dongen et al. 2003).

Grundlagen

Epidemiologische Untersuchungen konnten zeigen, dass die „Schlafdauer“ bei Erwachsenen sehr unterschiedlich ist und bei den meisten Menschen zwischen fünf und neun Stunden mit einem Mittelwert zwischen zirka sieben und acht Stunden liegt. In diesem Kontext konzentrierte sich die Forschung vor 30–50 Jahren auf extreme Kurz- und Langschläfer und versuchte, sie psychopathologisch oder persönlichkeitspsychologisch zu charakterisieren. Zudem wurden extreme Kurzschläfer beziehungsweise Menschen, die von sich behaupten, mit extrem wenig Schlaf auszukommen, im Schlaflabor untersucht. Aus dieser Forschungsrichtung ergab sich, dass Kurzschläfer mit einer durchschnittlichen Schlafdauer von vier bis fünf Stunden in der Regel weitaus weniger Schlafstadien 1 und 2 aufwiesen als Menschen mit einer normalen Schlafdauer. Die Kurzschläfer hatten jedoch kaum Defizite, was die Menge an REM- und Tiefschlaf betraf. Daraus wurde abgeleitet, dass eventuell der Tiefschlaf und der REM-Schlaf für die elementaren Funktionen des Schlafs verantwortlich seien. In der Zwischenzeit hat sich allerdings auch gezeigt, dass z. B. Schlafspindeln eine wichtige Funktion im Rahmen der Gedächtniskonsolidierung zukommt. Das spricht dafür, dass auch das Schlafstadium 2 essenziell ist.
Frühe Experimente zur Schlafrestriktion wiesen zudem darauf hin, dass es anscheinend möglich ist, ohne schädliche Folgen auch als Mensch mit einer habituellen Schlafdauer von sieben bis acht Stunden die eigene Schlafzeit auf etwa fünf Stunden zu reduzieren. Zu diesen Experimenten ist allerdings anzumerken, dass es sich um eher weniger gut kontrollierte Studien außerhalb des Labors handelte. Es konnte deswegen nicht vollständig ausgeschlossen werden, dass die experimentell induzierte kurze Schlafdauer nicht durch Mittagsschlaf oder durch verstärkte Einnahme von Koffein kompensiert wurde. Neuere Untersuchungen unter kontrollierten Bedingungen im Labor legen eher nahe, dass Menschen, die für einen Zeitraum von ein bis zwei Wochen ihre Schlafzeit deutlich reduzieren, erhebliche neuropsychologische Defizite entwickeln.
Unumstritten ist, dass die habituelle Schlafdauer eines Menschen genetisch determiniert wird und einer interindividuellen Variation unterliegt.
Die phylogenetische Forschung zur Schlafdauer und zur Funktion des Schlafs konnte belegen, dass es bei verschiedenen Säugetieren große Schwankungen der Schlafdauer gibt. Während Fledermäuse, Faultiere, Stachelschweine und Igel mit 17–20 Schlafstunden extrem lange Schlafzeiten haben, ist dies bei Rehen, Kühen, Pferden, Giraffen und Elefanten mit nur fünf bis sechs Stunden Schlaf deutlich geringer (siehe auch „Thermoregulation“). Es wurde viel darüber spekuliert, warum dies so ist. Eine initiale Hypothese lautete, dass der Schlaf umso kürzer sei, je größer ein Tier sei. Dies würde damit zusammenhängen, dass große Tiere viel Nahrung brauchen, dadurch viel mehr Zeit zum Futtersuchen benötigen und deswegen weniger schlafen können. Allerdings ist das Verhältnis von Körpergröße zur Schlafdauer nicht eindeutig. So schlafen Löwen, also sehr große Tiere, 12–16 Stunden, während die Maus als kleines Tier auch 12–15 Stunden schläft. Darüber hinaus gibt es die Hypothese, dass diejenigen Tiere länger schlafen, die weniger wiegen oder kürzer leben, dafür allerdings weniger Gehirnmasse, einen höheren Grundumsatz und/oder eine höhere Stoffwechselrate haben („Metabolismus“). Ein anderer wichtiger Erklärungsansatz für die unterschiedliche Schlafdauer bei Tieren ist die Frage, ob ein Tier ein Jagdtier oder ein Beutetier ist. Tiere, die in ihrer Umwelt sehr sicher leben, wie etwa Löwen, können es sich leisten, sehr lange zu schlafen und damit Energie zu sparen, während klassische Beutetiere sich das nicht erlauben können. Schlaf ist für solche Tiere ein gefährlicher Zustand, da die Flucht aus diesem Zustand nur mit Verzögerung möglich ist. Deswegen ist es für größere Beutetiere sehr gefährlich, längere Zeit am Stück zu schlafen. Ein weiterer Faktor, der eine Rolle spielt, ist, ob ein Tier in der Lage ist, sich für den Schlaf in eine geschützte Umgebung wie etwa in eine Höhle oder in einen Bau zu begeben.
Literatur
Horne J (1988) Why we sleep. Oxford Medical Publications, Oxford
Dongen HP Van, Maislin G, Mullington JM, Dinges DF (2003) The cumulative cost of additional wakefulness: dose response effects on neurobehavioral functions and sleep physiology from chronic sleep restriction and total sleep deprivation. Sleep 26:117–129CrossRef