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Enzyklopädie der Schlafmedizin
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Publiziert am: 17.03.2022

Kleine-Levin-Syndrom

Verfasst von: Peter Young und Geert Mayer
Das Kleine-Levin Syndrom (KLS) ist gekennzeichnet durch hypersomnische Episoden begleitet von Hyperphagie, sexueller Enthemmung sowie kognitiven und psychischen Störungen. Das menstruationsbezogene Kleine-Levin Syndrom ist charakterisiert durch wiederkehrende zyklusgebundene hypersomnische Phasen. Die Symptomatik sistiert jeweils mit dem Einsetzen der Menstruation.

Synonyme

Rezidivierende Hypersomnie; Periodische Hypersomnie; Rekurrierende Hypersomnie; Periodische Hypersomnolenz

Englischer Begriff

recurrent hypersomnia; periodic hypersomnolence

Definition

Das Kleine-Levin Syndrom (KLS) ist gekennzeichnet durch hypersomnische Episoden begleitet von Hyperphagie, sexueller Enthemmung sowie kognitiven und psychischen Störungen. Das menstruationsbezogene Kleine-Levin Syndrom ist charakterisiert durch wiederkehrende zyklusgebundene hypersomnische Phasen. Die Symptomatik sistiert jeweils mit dem Einsetzen der Menstruation.
In der „ICSD-3“ wird das Kleine-Levin Syndrom unter der Diagnosegruppe „Zentrale Störungen mit exzessiver Tagesschläfrigkeit“ (Central Disorders of Hypersomnolence) klassifiziert. In der ICSD-2 (2005) hieß diese Diagnosegruppe „Hypersomnien zentralnervösen Ursprungs“ (siehe auch „Diagnostische Klassifikationssysteme“; „Hypersomnolence“; „Tagesschläfrigkeit“; „Hypersomnie“).

Genetik, Geschlechterwendigkeit

Vom Kleine-Levin-Syndrom sind Männer viermal häufiger betroffen als Frauen. Analysen der Genpolymorphismen von HLA-DQB1 zeigten eine signifikant erhöhte Frequenz in Kauskasiern des Allels HLA-DQB1∗0201 gegenüber einer Kontrollpopulation (Dauvilliers et al. 2002) und auch in Asiaten. Heterozygotie und noch stärker Homozygotie für dieses Allel geht mit einem erhöhtem Risiko für ein KLS einher.

Epidemiologie und Risikofaktoren

Das Kleine-Levin-Syndrom ist eine sehr seltene Erkrankung, zu der epidemiologische Daten fehlen. Man geht von einer Prävalenz von 1–5 pro 1 Million aus. Insgesamt sind in der Literatur etwas mehr als 500 Patienten beschrieben (Arnulf et al. 2005). Es manifestiert sich meist im 2. Lebensjahrzehnt mit einer Häufung um das 15. Lebensjahr, späte Erstmanifestationen sind aber bis zum 69. Lebensjahr bei Frauen und bis zum 80. Lebensjahr bei Männern beschrieben worden. Beim Kleine-Levin-Syndrom vergehen von der Erstmanifestation bis zur vollen Ausprägung bei Männern meist bis zu 5, bei Frauen bis zu 2 Jahren. Als Risikofaktoren werden Geburtskomplikationen und Entwicklungsverzögerungen diskutiert.

Pathophysiologie, Psychophysiologie

Die Ätiologie des Kleine-Levin-Syndroms ist unbekannt.
Es werden unterschiedliche pathophysiologische Zusammenhänge diskutiert, die zu einer postulierten dienzephalen und mesenzephalen Dysregulation des Schlaf-Wach-Rhythmus führen. Als mögliche Trigger werden virale Infekte der oberen Atemwege diskutiert, seitdem in einer taiwanesischen Kohorte zu 96 % dem KLS ein Infekt der oberen Atemwege vorausgegangen war. Es ist auszuschließen, dass Hypocretin einen vergleichbaren Effekt wie in der Pathogenese der „Narkolepsie“ Typ 1 hat. Es gibt einen Bericht, in dem der Wert für das Hypocretin im Liquor bei 42 Patienten mit KLS leicht erniedrig war. Ebenso gibt es Einzelfälle, in denen ein Kleine-Levin-Syndrom mit einem erniedrigten Hypocretin im Liquor assoziiert war, aber zusätzlich eine andere Grunderkrankung (z. B. Prader-Willi-Syndrom) bestand.
Die menstruationsbezogene Schlafstörung stellt sich meist einige Monate nach der Menarche ein. Hormonelle Imbalancen während des Zyklus scheinen eine Rolle zu spielen (siehe auch „Sexualhormone“).

Symptomatik

Den hypersomnischen Episoden gehen meist Abgeschlagenheit und Kopfschmerzen voraus. Im Weiteren kommt es zu verlängerten Schlafphasen zwischen 12–21 Stunden. Patienten sind dann apathisch, schlafen jederzeit ein und reagieren nur verlangsamt auf Aufforderungen. Die Patienten reagieren auch schneller gereizt und gelegentlich aggressiv. Gehäuft kommt es zu Derealisierungserleben für die Betroffenen. Sexuelle Enthemmung findet sich häufiger bei männlichen Patienten als bei weiblichen. Die Hyperphagie, gekennzeichnet durch die enthemmte Aufnahme von kohlenhydratreichen Nahrungsmitteln, findet sich dagegen bei beiden Geschlechtern in vergleichbarem Ausmaß. Die Episoden halten Tage bis Wochen an. Die symptomfreien Intervalle betragen zwischen 60–100 Tagen. Als Trigger für die hypersomnischen Episoden gelten Alkoholkonsum, Schlafentzug, Impfungen, leichte Schädel-Hirn-Traumata und zahnärztliche Lokalanästhesien.

Komorbide Erkrankungen

Parasomnien werden bei ca. 7 %, Intelligenzminderung bei 13 % der Betroffenen beschrieben (Dauvilliers et al. 2002).

Diagnostik

Bei Verdacht auf Kleine-Levin-Syndrom sollte sowohl in der symptomatischen als auch in der asymptomatischen Phase eine polysomnographische Untersuchung mit 24-Stunden-EEG erfolgen. Polysomnographisch imponiert während der hypersomnischen Episoden eine erhöhte nächtliche motorische Aktivität, die sich kaum von der am Tage unterscheidet. Die Schlafeffizienz ist nicht vermehrt. Die Schlafzyklen sind bei verringertem Tiefschlafanteil und Zunahme von Schlafstadienwechseln und „REM-Schlaf“ erhalten. Die REM-Latenz ist nicht verkürzt (Mayer et al. 1998). Wenn zum Ausschluss einer entzündlichen Ursache der exzessiven Tagesschläfrigkeit (Hypersomnolenz) eine Liquorpunktion durchgeführt werden muss, empfiehlt es sich, den Liquor auch auf seinen Hypocretin-1-Gehalt hin zu untersuchen. Eine kraniale Magnetresonanztomographie (MRT) ist durchzuführen, da Hirntumoren, Enzephalitiden, Schlaganfälle und Hirntraumen differentialdiagnostisch ausgeschlossen werden müssen (Lavault et al. 2015). Bei diesen Erkrankungen kann eine Rezidivierende Hypersomnie auftreten und wird dann als symptomatische Hypersomnie bezeichnet.

Therapie

Angesichts der in der Literatur beschriebenen geringen Fallzahl existieren keine empirisch gesicherten Daten zur Therapie. Vorgeschlagen wurden „Stimulanzien“, Antiepileptika und Lithium. Die Lithiumgabe ist Therapie der Wahl. Hierunter wurde jahrelange Symptomfreiheit beschrieben (Mayer 2015). Die Gabe von Stimulanzien und Antiepileptika scheint obsolet.

Nachsorge

Die medizierten Patienten bedürfen einer regelmäßigen Kontrolle durch einen erfahrenen Schlafmediziner.

Psychosoziale Bedeutung

Bei hoher Frequenz der Episoden ist die Arbeitsfähigkeit massiv eingeschränkt. Während der hypersomnischen Phasen besteht Arbeitsunfähigkeit und Fahruntauglichkeit.

Prognose

Jahre- und jahrzehntelange Verläufe sind beschrieben. Eine Begutachtung sollte sich am Therapieerfolg orientieren.

Zusammenfassung

Das Kleine-Levin-Syndrom und die menstruationsbezogene Schlafstörung sind seltene Erkrankungen. Je nach Symptomfrequenz und Symptomdauer haben sie erhebliche Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit der Betroffenen. Eine sorgfältige Differentialdiagnostik zum Ausschluss von Erkrankungen des Zentralnervensystems ist erforderlich.
Literatur
Arnulf I, Zeitzer JM, File J et al (2005) Kleine-Levin syndrome: a systematic review of 186 cases in the literature. Brain 128:2763–2776CrossRef
Dauvillier Y, Mayer G, Lecendreux M et al (2002) Kleine-Levin Syndrom: an autoimmune hypothesis based on clinicaland genetic analysis in thirty unrelated patients. Neurology 59:1739–1745
Lavault S, Golmard JL, Groos E et al (2015) Kleine-Levin syndrome in 120 patients: differential diagnosis and long episodes. Ann Neurol 77:529–540CrossRef
Mayer G (2015) Lithium treatment of Kleine-Levin syndrome: an advance for a disorder of hypersomnolence. Neurology 85:1642–1643CrossRef
Mayer G, Leonhard E, Krieg J et al (1998) Endocrinological and polysomnographic findings in Kleine-Levin syndrome: no evidence for hypothalamic and circadian dysfunction. Sleep 21:278–284CrossRef
Miglis MG, Guilleminault C (2014) Kleine-Levin syndrome: a review. Nat Sci Sleep 6:19–26PubMedPubMedCentral