Synonyme
Rezidivierende
Hypersomnie; Periodische Hypersomnie; Rekurrierende Hypersomnie; Periodische Hypersomnolenz
Definition
Das Kleine-Levin Syndrom (
KLS) ist gekennzeichnet durch hypersomnische Episoden begleitet von Hyperphagie, sexueller Enthemmung sowie kognitiven und
psychischen Störungen. Das
menstruationsbezogene Kleine-Levin Syndrom ist charakterisiert durch wiederkehrende zyklusgebundene hypersomnische Phasen. Die Symptomatik sistiert jeweils mit dem Einsetzen der Menstruation.
In der „ICSD-3“ wird das Kleine-Levin Syndrom unter der Diagnosegruppe „Zentrale Störungen mit exzessiver Tagesschläfrigkeit“ (Central Disorders of
Hypersomnolence) klassifiziert. In der
ICSD-2 (2005) hieß diese Diagnosegruppe „Hypersomnien zentralnervösen Ursprungs“ (siehe auch „Diagnostische Klassifikationssysteme“; „Hypersomnolence“; „Tagesschläfrigkeit“; „Hypersomnie“).
Genetik, Geschlechterwendigkeit
Vom
Kleine-Levin-Syndrom sind Männer viermal häufiger betroffen als Frauen. Analysen der Genpolymorphismen von HLA-DQB1 zeigten eine signifikant erhöhte Frequenz in Kauskasiern des Allels HLA-DQB1∗0201 gegenüber einer Kontrollpopulation (Dauvilliers et al.
2002) und auch in Asiaten.
Heterozygotie und noch stärker
Homozygotie für dieses Allel geht mit einem erhöhtem Risiko für ein KLS einher.
Epidemiologie und Risikofaktoren
Das
Kleine-Levin-Syndrom ist eine sehr seltene Erkrankung, zu der epidemiologische Daten fehlen. Man geht von einer
Prävalenz von 1–5 pro 1 Million aus. Insgesamt sind in der Literatur etwas mehr als 500 Patienten beschrieben (Arnulf et al.
2005). Es manifestiert sich meist im 2. Lebensjahrzehnt mit einer Häufung um das 15. Lebensjahr, späte Erstmanifestationen sind aber bis zum 69. Lebensjahr bei Frauen und bis zum 80. Lebensjahr bei Männern beschrieben worden. Beim Kleine-Levin-Syndrom vergehen von der Erstmanifestation bis zur vollen Ausprägung bei Männern meist bis zu 5, bei Frauen bis zu 2 Jahren. Als Risikofaktoren werden Geburtskomplikationen und Entwicklungsverzögerungen diskutiert.
Pathophysiologie, Psychophysiologie
Es werden unterschiedliche pathophysiologische Zusammenhänge diskutiert, die zu einer postulierten dienzephalen und mesenzephalen Dysregulation des Schlaf-Wach-Rhythmus führen. Als mögliche Trigger werden virale Infekte der oberen Atemwege diskutiert, seitdem in einer taiwanesischen Kohorte zu 96 % dem KLS ein Infekt der oberen Atemwege vorausgegangen war. Es ist auszuschließen, dass Hypocretin einen vergleichbaren Effekt wie in der Pathogenese der „Narkolepsie“ Typ 1 hat. Es gibt einen Bericht, in dem der Wert für das Hypocretin im Liquor bei 42 Patienten mit KLS leicht erniedrig war. Ebenso gibt es Einzelfälle, in denen ein
Kleine-Levin-Syndrom mit einem erniedrigten Hypocretin im Liquor assoziiert war, aber zusätzlich eine andere Grunderkrankung (z. B.
Prader-Willi-Syndrom) bestand.
Die menstruationsbezogene Schlafstörung stellt sich meist einige Monate nach der Menarche ein. Hormonelle Imbalancen während des Zyklus scheinen eine Rolle zu spielen (siehe auch „Sexualhormone“).
Symptomatik
Den hypersomnischen Episoden gehen meist Abgeschlagenheit und
Kopfschmerzen voraus. Im Weiteren kommt es zu verlängerten Schlafphasen zwischen 12–21 Stunden. Patienten sind dann apathisch, schlafen jederzeit ein und reagieren nur verlangsamt auf Aufforderungen. Die Patienten reagieren auch schneller gereizt und gelegentlich aggressiv. Gehäuft kommt es zu Derealisierungserleben für die Betroffenen. Sexuelle Enthemmung findet sich häufiger bei männlichen Patienten als bei weiblichen. Die Hyperphagie, gekennzeichnet durch die enthemmte Aufnahme von kohlenhydratreichen Nahrungsmitteln, findet sich dagegen bei beiden Geschlechtern in vergleichbarem Ausmaß. Die Episoden halten Tage bis Wochen an. Die symptomfreien Intervalle betragen zwischen 60–100 Tagen. Als Trigger für die hypersomnischen Episoden gelten Alkoholkonsum,
Schlafentzug, Impfungen, leichte
Schädel-Hirn-Traumata und zahnärztliche Lokalanästhesien.
Diagnostik
Bei Verdacht auf
Kleine-Levin-Syndrom sollte sowohl in der symptomatischen als auch in der asymptomatischen Phase eine polysomnographische Untersuchung mit 24-Stunden-EEG erfolgen. Polysomnographisch imponiert während der hypersomnischen Episoden eine erhöhte nächtliche motorische Aktivität, die sich kaum von der am Tage unterscheidet. Die Schlafeffizienz ist nicht vermehrt. Die Schlafzyklen sind bei verringertem Tiefschlafanteil und Zunahme von Schlafstadienwechseln und „REM-Schlaf“ erhalten. Die REM-Latenz ist nicht verkürzt (Mayer et al.
1998). Wenn zum Ausschluss einer entzündlichen Ursache der exzessiven
Tagesschläfrigkeit (Hypersomnolenz) eine Liquorpunktion durchgeführt werden muss, empfiehlt es sich, den Liquor auch auf seinen Hypocretin-1-Gehalt hin zu untersuchen. Eine kraniale Magnetresonanztomographie (MRT) ist durchzuführen, da
Hirntumoren, Enzephalitiden, Schlaganfälle und Hirntraumen differentialdiagnostisch ausgeschlossen werden müssen (Lavault et al.
2015). Bei diesen Erkrankungen kann eine Rezidivierende
Hypersomnie auftreten und wird dann als symptomatische Hypersomnie bezeichnet.
Therapie
Angesichts der in der Literatur beschriebenen geringen Fallzahl existieren keine empirisch gesicherten Daten zur Therapie. Vorgeschlagen wurden „Stimulanzien“,
Antiepileptika und
Lithium. Die Lithiumgabe ist Therapie der Wahl. Hierunter wurde jahrelange Symptomfreiheit beschrieben (Mayer
2015). Die Gabe von
Stimulanzien und Antiepileptika scheint obsolet.
Nachsorge
Die medizierten Patienten bedürfen einer regelmäßigen Kontrolle durch einen erfahrenen Schlafmediziner.
Psychosoziale Bedeutung
Bei hoher Frequenz der Episoden ist die Arbeitsfähigkeit massiv eingeschränkt. Während der hypersomnischen Phasen besteht Arbeitsunfähigkeit und Fahruntauglichkeit.
Prognose
Jahre- und jahrzehntelange Verläufe sind beschrieben. Eine Begutachtung sollte sich am Therapieerfolg orientieren.
Zusammenfassung
Das
Kleine-Levin-Syndrom und die menstruationsbezogene Schlafstörung sind seltene Erkrankungen. Je nach Symptomfrequenz und Symptomdauer haben sie erhebliche Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit der Betroffenen. Eine sorgfältige Differentialdiagnostik zum Ausschluss von Erkrankungen des Zentralnervensystems ist erforderlich.