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Enzyklopädie der Schlafmedizin
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Publiziert am: 21.01.2022

Kurzzeit-Insomnie

Verfasst von: Hans-Günter Weeß
Die Kurzzeit-Insomnie wird durch einen spezifischen Stressor ausgelöst und ist in der Regel von kurzer Dauer oder lediglich intermittierend bei Exposition mit dem Stressor auftretend. Die Insomnie remittiert, wenn der Stressor wegfällt oder sich das Individuum an den Stressor angepasst hat. Der Stressor kann – wie bei der chronischen Insomnie – psychologischer, psychosozialer, physikalischer, organischer oder umgebungsbedingter Natur sein. Typische Stressoren können Arbeitsplatzwechsel, familiäre Konflikte, Umzüge, Krankenhausaufenthalte und medizinische Diagnosen sein. Auch positive Erlebnisse, wie beispielsweise Verliebtheit oder ein Lottogewinn können die Kriterien eines Stressors erfüllen und den Schlaf vorübergehend stören, dürften jedoch eher selten als belastend erlebt werden.

Synonyme

Anpassungsbedingte Insomnie; Schlafanpassungsstörung

Englischer Begriff

Definition

Insomnien gehören zu den häufigsten Schlafstörungen und sind durch eine Diskrepanz zwischen Schlafbedürfnis und Schlafvermögen gekennzeichnet. Als charakteristisch gelten eine erhöhte Einschlafzeit, vermehrte nächtliche Wachphasen und frühmorgendliches Erwachen bei ausreichender Bettzeit. Kennzeichnend und als diagnostische Kriterien unabdingbar sind Beschwerden am Tage wie beispielsweise Müdigkeit, Erschöpftheit, psychosoziale Leistungseinschränkungen oder motivationale und emotionale Veränderungen. Die dritte Auflage der International Classification of Sleep Disorders von 2014 („ICSD-3“) führte zu einer fundamentalen Veränderung in der Betrachtung der Insomnien. Eine der wichtigsten Neuerungen ist die Einführung und Beschreibung des Konzepts der ursachen- und symptomübergreifenden „Insomniestörung“ („insomnia disorder“). Die Unterscheidung in primäre und sekundäre Insomnie bei organischen und psychischen Störungen als auch infolge Substanz- und Medikamentenkonsums wurde aufgegeben. In der ICSD-3 werden die Insomnien sowohl als Auslöser als auch als Folge von komorbiden Störungen gesehen, deren Ursachen-Wirkungs-Kette sich nicht immer eindeutig klären lässt („Insomnien“). Die ICSD-3 klassifiziert daher nur noch die 3 Insomniediagnosen Chronische Insomnie, Kurzzeit-Insomnie und Andere Insomnie neben den Isolierten Symptomen und Normvarianten Zu lange Schlafzeit und Kurzschläfer.
Die Kurzzeit-Insomnie wird von der chronischen Insomnie dahingehend unterschieden, dass die Beschwerden bis zu dreimal pro Woche oder über weniger als 3 Monate auftreten. Damit wird eine Kurzzeit-Insomnie klassifiziert, wenn die Beschwerden in geringerer Frequenz als dreimal pro Woche jedoch über längere Zeiträume als 3 Monate bestehen.

Epidemiologie und Risikofaktoren

Die Insomnie gilt als eine der häufigsten Schlafstörungen. In epidemiologischen Studien finden sich Angaben bei deutlich über 30 % der Bevölkerung, die zumindest zeitweise über die Beschwerden einer Insomnie klagen. Daten des Robert Koch-Instituts (Schlack et al. 2013) zur Häufigkeit von Insomnien in Deutschland zeigen, dass im Alter zwischen 18 und 79 Jahren 69,7 % der Befragten einmal im letzten Jahr Symptome einer Insomnie aufwiesen. Mindestens dreimal pro Woche traten die Symptome bei 30,3 % der Befragten auf. Wurde weiterhin eine schlechte Schlafqualität gefordert, reduzierte sich die Häufigkeit auf 21,9 %. Zusätzlich klinisch relevante Tagesbeeinträchtigungen wie etwa Müdigkeit oder Erschöpftheit wiesen 5,7 % der Befragten auf, die somit die Diagnose einer Insomnie erfüllten.

Pathophysiologie, Psychophysiologie

Insomnien können psychische, organische, verhaltensmedizinische und substanzinduzierte Ursachen haben. Im Verlauf der Erkrankung entwickeln schlafgestörte Patienten häufig psychische Fehlhaltungen und Verhaltensweisen, welche mit Schlaf inkompatibel sind und sekundär verstärkend auf die Insomnie wirken können. Letztere werden unter dem Begriff fehlende „Schlafhygiene“ zusammengefasst.
Die Kurzzeit-Insomnie wird durch einen spezifischen Stressor ausgelöst und ist in der Regel von kurzer Dauer oder lediglich intermittierend bei Exposition mit dem Stressor auftretend. Die Insomnie remittiert, wenn der Stressor wegfällt oder sich das Individuum an den Stressor angepasst hat. Der Stressor kann – wie bei der chronischen Insomnie – psychologischer, psychosozialer, physikalischer, organischer oder umgebungsbedingter Natur sein. Typische Stressoren können Arbeitsplatzwechsel, familiäre Konflikte, Umzüge, Krankenhausaufenthalte und medizinische Diagnosen sein. Auch positive Erlebnisse, wie beispielsweise Verliebtheit oder ein Lottogewinn können die Kriterien eines Stressors erfüllen und den Schlaf vorübergehend stören, dürften jedoch eher selten als belastend erlebt werden.
Kurzzeit-Insomnien können insbesondere bei entsprechenden psychologischen und organischen Prädispositionen in eine chronische Insomnie übergehen. Aus diesem Grunde bedürfen sie einer hohen medizinischen Aufmerksamkeit, um Chronifizierungen mit allen assoziierten Risikofaktoren des chronischen Schlafmangels präventiv zu begegnen.
Siehe auch „Entspannung“; „Psychologische und psychiatrische Ursachen bei Schlafstörungen“; „Psychophysiologische Insomnie“; „Stress und Hyperarousal“.

Symptomatik

In Bezug auf die nächtliche Schlafqualität wie auf die „Beschwerden und Symptome“ am Tage sind die Beschwerden bei der Kurzzeit-Insomnie vergleichbar mit denen der chronischen Insomnie. Dazu gehören Ein- und Durchschlafstörungen, frühmorgendliches Erwachen und Beeinträchtigungen am Tage, wie beispielsweise Müdigkeit, Erschöpftheit, psychosoziale Leistungseinschränkungen oder motivationale und emotionale Veränderungen. Die Beschwerden treten bis zu dreimal pro Woche oder über weniger als 3 Monate auf.

Diagnostik

Hinsichtlich des diagnostischen Prozedere gelten für die Kurzzeit-Insomnie dieselben Maßnahmen und Regeln wie für die chronische Insomnie. Neben der klinischen und schlafbezogenen Anamnese können „Schlaftagebücher“ sowie Schlaffragebögen zum Einsatz kommen. Weitere diagnostische Instrumente, wie etwa strukturierte Interviews und Schlaffragebögen (zum Beispiel der SF-B oder der ISI; siehe „Schlaffragebögen SF-A und SF-B“), bieten sich zur Erfassung der Beschwerden an. Schlaftagebücher dienen dazu, den Schlaf von Betroffenen systematisch zu erfassen (siehe dazu „Insomnien“).

Therapie

Das multifaktorielle Bedingungsgefüge der Insomnien bedarf eines multimodalen Therapieansatzes. Die Behandlung von auslösenden und aufrechterhaltenden Erkrankungen und Bedingungen steht im Vordergrund. Bei den Insomnien nehmen psychische Ursachen eine wesentliche Rolle bei der Genese, vor allem aber bei der Aufrechterhaltung beziehungsweise Verselbstständigung der Insomnie ein. Aus diesem Grunde stellen neben medikamentösen Strategien die verhaltensmedizinischen, verhaltenstherapeutischen und anderen psychotherapeutischen Interventionen ein wichtiges und nicht zu vernachlässigendes Element im Behandlungsplan dar. Der amerikanische Hausärzteverband hat im Jahr 2016 ebenso wie die AWMF-Leitlinie Insomnie die „Kognitive Verhaltenstherapie“ der Insomnie vor der medikamentösen Therapie als die Behandlungsmethode der ersten Wahl bezeichnet.
Ein rein symptomorientiertes Vorgehen, womöglich ohne umfassende vorausgehende Diagnostik, in Form von Behandlungen mit Schlafmitteln ist wenig Erfolg versprechend und ist vor allem in der Langzeitbehandlung aufgrund des Abhängigkeits- und Gewöhnungspotenzials obsolet.
In den nachfolgenden Abschnitten werden die wesentlichen Bausteine der Insomnietherapie kurz vorgestellt:
Mittels der Psychoedukation zu den Regeln der Schlafhygiene werden schlafinkompatible Verhaltensweisen aufgelöst und schlafförderliche Verhaltensweisen neu eingeführt. Sie gilt als Grundbaustein jeglicher therapeutischen Intervention bei Insomnien. Zu beachten ist jedoch, dass allein die Information und Beratung über schlafhygienische Maßnahmen bei Insomnien alleine in aller Regel keinen ausreichenden therapeutischen Nutzen aufweisen und allein selten zur Remission einer Insomnie führen.
Pharmakologische Interventionen mittels „Hypnotika“ sind geeignet, eine rasche und kurzfristige Besserung der Beschwerdesymptomatik herbeizuführen. Sie sind aufgrund ihres Wirkungs- und Nebenwirkungsprofils für eine kurzzeitige Anwendung indiziert und gelten nicht als kausale Therapie. Bei frustranen psychotherapeutischen Bemühungen und chronischen Insomnien kommt den sekundären Schlafmitteln aufgrund ihres geringen Risikos der Abhängigkeiten und Gewöhnungen im Rahmen der medikamentösen Langzeittherapie eine besondere Bedeutung zu. Siehe auch „Antidepressiva“; „Antihistaminika“; „Neuroleptika“.
Psychotherapeutische und vor allem verhaltenstherapeutische Interventionen gelten in vielen Fällen als kausale Therapie. Erfolgreiche verhaltenstherapeutische Interventionen vermeiden den langfristigen Einsatz von pharmakologischen Behandlungen. Sie zielen auf eine langfristige Auflösung des erhöhten psychovegetativen Arousals in der Schlafsituation ab, was als Voraussetzung für ein ungestörtes Auftreten von Schlaf betrachtet werden kann. Neuere Studien belegen, dass die kognitive Verhaltenstherapie für Insomnien (KVT-I) im Vergleich zu Hypnotika in der akuten, kurzfristigen Wirkung vergleichbare Effekte erzielt. Im Langzeitverlauf ist die KVT-I der Hypnotikatherapie jedoch überlegen. Einige wenige Studien haben sich mit der Frage beschäftigt, inwieweit bei der akuten Behandlung synergetische Effekte von KVT-I und Pharmakotherapie mit Hypnotika vom Typ der Benzodiazepine oder Benzodiazepinrezeptoragonisten auftreten. Sie kommen zu dem Schluss, dass ein leichter synergetischer Effekt vorhanden sein könnte, im Langzeitverlauf eine alleinige Behandlung mit KVT-I jedoch überlegen ist. Auch Studien zu komorbiden Insomnien zeigen, dass die KVT-I sowohl bei Insomnien im Rahmen somatischer als auch psychischer Erkrankungen durch eine spezifische Insomniebehandlung nicht nur die insomnischen Beschwerden, sondern auch die Grunderkrankung positiv beeinflusst werden kann. Erste nichtrandomisierte Studien und nichtkontrollierte Studien ergeben zudem Hinweise, dass die KVT-I auch bei Schichtarbeitern mit Insomnie hilfreich ist (siehe auch „Nachtarbeit und Schichtarbeit“).
In der jüngeren Vergangenheit wurden unterschiedliche Formen der KVT-I entwickelt. Diese werden von Berufsgruppen unterschiedlicher Qualifikation in Einzel- oder Gruppenbehandlungen angeboten. Darüber hinaus wurden Programme entwickelt, die dem Patienten selbst wirksame Techniken in Form von Manualen oder internetbasierten Programmen anbieten. Erste Studien belegen eine Wirksamkeit dieser Interventionsformen, wenngleich sie eine geringere Wirksamkeit gegenüber Face-to-Face-Therapien aufzuweisen scheinen.
Literatur
American Academy of Sleep Medicine (2014) International classification of sleep disorders, 3. Aufl.: Diagnostic and coding manual. American Academy of Sleep Medicine, Westchester/IL
Schlack R, Hapke U, Maske U, Bundesgesundheitsbl et al (2013) Häufigkeit und Verteilung von Schlafproblemen und Insomnie in der deutschen Erwachsenenbevölkerung 56: 740. https://​doi.​org/​10.​1007/​s00103-013-1689-2