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Enzyklopädie der Schlafmedizin
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Publiziert am: 17.03.2020

Nierenerkrankungen

Verfasst von: Hans-Walter Jacob
In diesem Beitrag über die Zusammenhänge zwischen Nierenerkrankungen und Schlafstörungen geht es seitens der Niere vor allem um die terminale Niereninsuffizienz mit und ohne Dialysepflichtigkeit, unabhängig von den ihr zugrunde liegenden Erkrankungen. Unter schlafmedizinischem Aspekt werden bei Patienten mit Nierenerkrankungen sowohl die Ein- und Durchschlafstörungen (Insomnie) wie auch Übermüdung und exzessive Tagesschläfrigkeit vermehrt gefunden. Sie können Ausdruck von symptomatischen Schlafstörungen durch die nephrologische Grunderkrankung sein, die im Zusammenhang mit einer renalen Anämie und in Abhängigkeit der renalen Funktionstörung stehen, andererseits aber auch die Folge von primären schlafmedizinischen Erkrankungen wie Schlafbezogene Atmungsstörungen oder Schlafbezogene Bewegungsstörungen wie Restless-Legs-Syndrom, die gehäuft mit chronischem Nierenversagen assoziiert sind.

Englischer Begriff

renal disease

Definition

In diesem Beitrag über die Zusammenhänge zwischen Nierenerkrankungen und Schlafstörungen geht es seitens der Niere vor allem um die terminale Niereninsuffizienz mit und ohne Dialysepflichtigkeit, unabhängig von den ihr zugrunde liegenden Erkrankungen. Unter Niereninsuffizienz versteht man den irreversiblen Verlust glomerulärer, tubulärer und endokrinologischer Funktionen beider Nieren. Daraus resultieren Störungen von Wasser-, Elektrolyt- und Hormonhaushalt. Das hat Schädigungen von weiteren Organsystemen zur Folge, wie Knochen, Haut, Magen-Darmsystem, Herz-Kreislauf-System und Lunge. Unter schlafmedizinischem Aspekt werden bei Patienten mit Nierenerkrankungen sowohl die Ein- und Durchschlafstörungen („Insomnie“) wie auch Übermüdung und exzessive Schläfrigkeit („Tagesschläfrigkeit“) vermehrt gefunden. Sie können Ausdruck von symptomatischen Schlafstörungen durch die nephrologische Grunderkrankung sein, die im Zusammenhang mit einer renalen Anämie und in Abhängigkeit der renalen Funktionstörung stehen, andererseits aber auch die Folge von primären schlafmedizinischen Erkrankungen wie „Schlafbezogene Atmungsstörungen“ oder Schlafbezogene Bewegungsstörungen wie „Restless-Legs-Syndrom“ (RLS), die gehäuft mit chronischem Nierenversagen assoziiert sind.

Epidemiologie und Risikofaktoren

Über die meisten Nierenerkrankungen liegen keine spezifischen Erkenntnisse bezüglich einer Komorbidität mit Schlafstörungen oder schlafmedizinischen Erkrankungen vor. Das betrifft auch die chronischen Nierenerkrankungen, die zu einer terminalen Niereninsuffizienz mit Dialysepflichtigkeit führen können, wie z. B. Pyelonephritis, Glomerulonephritis, Zystennieren oder Nephrosklerose. Darüber hinaus kann eine chronische Niereninsuffizienz auch bedingt sein durch eine Stoffwechselerkrankung wie „Diabetes mellitus“ oder durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie arterieller „Bluthochdruck“ im Sinne einer renalen Hypertonie.
Die meisten Informationen zu Zusammenhängen von Nierenerkrankungen und Schlaf liegen über die terminale Niereninsuffizienz mit und ohne Dialysepflichtigkeit vor. Hier gibt es auch Assoziationen mit primären schlafmedizinischen Erkrankungen. Das „Restless-Legs-Syndrom“ tritt bei Patienten mit terminaler Niereninsuffizienz und Dialyse in einer Häufigkeit von 21 % auf (Gigli et al. 2004). Die Häufigkeit für das Vorkommen von Obstruktiver Schlafapnoe wird mit 16 % angegeben (Kuhlmann et al. 2000). Über Schlafstörungen und Tagesmüdigkeit klagen zwischen 50–80 % der Dialysepatienten (Parker 2003; Hörl 2009)

Pathophysiologie

Die pathophysiologischen Zusammenhänge zwischen Nierenversagen und dem nicht erholsamen Schlaf sind bisher nur unvollständig geklärt. Metabolische Veränderungen im Rahmen der Urämie und die Anämie werden als ursächlich für die Entstehung von Insomnie und Restless-Legs-Syndrom angesehen. Für das Auftreten von periodischen Extremitätenbewegungen im Schlaf (PLMS; „Periodische Beinbewegungen“) und Schlafbezogenen Atmungsstörungen (SBAS) werden die Auswirkungen von metabolischen und endokrinologischen Faktoren auf das Zentralnervensystem diskutiert. „Schlafbezogene Bewegungsstörungen“ und „Schlafbezogene Atmungsstörungen“ verursachen ihrerseits Schlaffragmentation und führen zum nicht erholsamen Schlaf (Hörl 2009). Die Niereninsuffizienz kann über den pathophysiologischen Mechanismus der Flüssigkeitseinlagerung den Pharynxquerschnitt vermindern und damit die Entstehung eines Obstruktiven Schlafapnoesyndroms fördern (Elias 2011). Nächtliche Dialyse kann das obstruktive Schlafapnoesyndrom bessern (Hanly et al. 2003). Weiterhin existieren Daten, dass die Obstruktive Schlafapnoe die Nierenfunktion verschlechtert und die Beatmungstherapie nephroprotektiv wirkt (Lee 2015).
Somit gibt es komplexe Zusammenhänge zwischen der Niereninsuffizienz und schlafbezogenen Atmungsstörungen.

Symptomatik

Patienten mit chronischem Nierenversagen berichten häufig über Ein- und Durchschlafstörungen und klagen über nicht erholsamen Schlaf mit Tagesmüdigkeit und Einschlafneigung am Tage (Gigli et al. 2004; Hörl 2009). Weiterhin geben sie Konzentrationsstörungen an und sind häufig depressiv verstimmt und ängstlich. Bei Vorhandensein eines Restless-Legs-Syndroms klagen die Patienten über Bewegungsdrang und schmerzhafte Missempfindungen in den Beinen, die das Einschlafen behindern. Ist „Obstruktive Schlafapnoe“ vorhanden, können neben der Tagesmüdigkeit und der Einschlafneigung am Tage fremdanamnestisch auch nächtliches „Schnarchen“ und Atempausen berichtet werden. Im Rahmen der Niereninsuffizienz aufgetretene Knochenschmerzen, Pruritus und Parästhesien können den Schlaf ebenfalls beeinträchtigen.

Psychosoziale Faktoren

Vermehrte Erschöpfbarkeit, Müdigkeit und Tagesschläfrigkeit führen zu erheblichen Einschränkungen der Lebensqualität. Verschiedene Autoren verweisen auf den Zusammenhang von eingeschränkter Lebensqualität und erhöhter Morbidität und Mortalität bei Patienten mit terminaler Niereninsuffizienz (Kuhlmann et al. 2000; Parker 2003; Hörl 2009).

Komorbide Erkrankungen

Im Gesamtzusammenhang von Nierenerkrankungen und nicht erholsamem Schlaf müssen auch komorbide Erkrankungen berücksichtigt werden. Hier spielen Veränderungen im kardiovaskulären System, wie „Bluthochdruck“ und „Koronare Herzkrankheit“ (KHK), die Folgen von Myokardinfarkt und Hirninfarkt sowie Knochenschmerzen im Rahmen der renalen Osteopathie sowie ein Hyperparathyreoidismus eine wichtige Rolle.

Diagnostik

Um das Krankheitsbild angemessen zu erfassen, ist es bei Patienten mit terminaler Niereninsuffizienz hilfreich, zusätzlich zu den nephrologischen Parametern auch eine schlafmedizinische Anamnese zu erheben. Als Einstieg dazu eignet sich das kritische Weiterfragen bei der Angabe von vermehrter Müdigkeit. Ist „müde“ gemeint im Sinne von matt, antriebslos, lustlos und wird diese Angabe in Kombination mit frühmorgendlichem Erwachen geschildert, sollte weitere Diagnostik in Richtung einer depressiven Störung erfolgen (siehe auch „Psychometrische Fragebögen zu Depressivität“). Demgegenüber ist Müdigkeit im Sinne von leichter Erschöpfbarkeit bei körperlicher Anstrengung meist im Zusammenhang mit der nephrologischen Grunderkrankung zu sehen. Wenn die Angabe „müde“ im Sinne von vermehrter Tagesschläfrigkeit mit Einschlafneigung am Tage geäußert wird, besteht Verdacht auf Vorliegen einer assoziierten schlafmedizinischen Erkrankung. Infrage kommen Schlafbezogene Bewegungsstörungen, hier speziell RLS, und Schlafbezogene Atmungsstörungen, hier speziell „Obstruktive Schlafapnoe“ oder „Zentrale Schlafapnoesyndrome“, und die Untersuchung im Schlaflabor mittels „Kardiorespiratorische Polysomnographie“ (KRPSG) kann indiziert sein. Das Ausmaß der Tagesschläfrigkeit lässt sich mittels „Multipler Schlaflatenztest und Multipler Wachbleibetest“ objektivieren (Parker 2003). Über eine depressive Störung oder Angststörung hinaus kommen für die Beschwerde der Insomnie bei Patienten mit Niereninsuffizienz Ursachen in Betracht wie Pruritus, Parästhesien, „Schmerz“ infolge Osteopathie und „Medikamentennebenwirkungen“. Hier spielt die Medikamentenanamnese eine entscheidende Rolle. Da das Restless-Legs-Syndrom eine häufige Ursache für nicht erholsamen Schlaf ist und da es gehäuft bei Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz und in Assoziation mit einer Anämie gefunden wird, gehört die Frage nach quälender Ruhelosigkeit der Beine vor dem Schlafengehen in jede nephrologische Anamnese (siehe auch „Fragebögen zum RLS“).

Therapie

Muss zusätzlich zur Behandlung der Nierenerkrankung eine schlafmedizinische Therapie eingeleitet werden, orientiert sie sich am erhobenen schlafmedizinischen Befund und folgt den einschlägigen Therapierichtlinien. Die Therapie von Begleitsymptomen der chronischen Niereninsuffizienz, die sich schlafstörend auswirken können, wie Pruritus und Knochen- und Gelenkschmerzen, folgt den in der Nephrologie üblichen Schemata. Die Lebensqualität der Patienten mit einer zusätzlichen schlafmedizinischen Erkrankung kann durch eine gezielte Behandlung deutlich verbessert werden. Umgekehrt sind Verbesserungen der Schlafstörungen bei optimierter Therapie der Nierenerkrankung ebenfalls bekannt. Winkelmann (2002) berichtet über positive Effekte der Nierentransplantation bei Patienten mit Restless-Legs-Syndrom. Die Beschwerden nahmen ab oder verschwanden völlig. Auch im Follow up von neun Jahren blieben einige Patienten in dieser Hinsicht beschwerdefrei, bei anderen waren die Symptome deutlich regredient. Ungeklärt ist dagegen der Einfluss der Nierentransplantation auf Insomnie, auf weitere Schlafbezogene Bewegungsstörungen wie „Periodic Limb Movement Disorder“ (PLMD) oder Schlafbezogene Atmungsstörungen.
Beim Vorliegen von Obstruktiver Schlafapnoe ist die Datenlage nicht einheitlich. Die Therapie mittels „CPAP“ besitzt verschiedene positive Effekte, indem sie inkomplette und komplette Obstruktionen im Kollapssegment beseitigt, die Oxygenierung verbessert, kardial die Vor- und Nachlast senkt und zur Drucksenkung in der arteriellen Strombahn führt („Atmung“; „Herz-Kreislauf-System“). Die Schlafarchitektur wird positiv beeinflusst, sodass die Tagesbefindlichkeit sich oft dramatisch bessert. Dies hat einen unmittelbaren Einfluss auf die Lebensqualität. Ob sich die Prognose der Patienten hierunter signifikant verbessert, kann noch nicht abschließend beurteilt werden, da sie durch die Grunderkrankung mitbestimmt wird. Die Prognose hängt somit auch davon ab, wie die nephrologische Grunderkrankung therapiert werden kann. Im Falle einer Nierentransplantation kann im Einzelfall und je nach zugrunde liegender schlafmedizinischer Diagnose eine deutliche Besserung beobachtet werden, wobei weitere Studien erforderlich sind, um diese Zusammenhänge weiter aufzuklären.
In einer Untersuchung von Hanly (2003) sowie in der Übersichtsarbeit von Hörl (2009) waren die insomnischen und hypersomnischen Beschwerden der Patienten bei nächtlicher Dialyse im Vergleich zur konventionellen Dialyse rückläufig, Tagesbefindlichkeit und Lebensqualität wurden positiv beeinflusst. Es existieren auch Berichte über die Besserung von Insomnie und Tagesschläfrigkeit nach Nierentransplantation.

Zusammenfassung, Bewertung

Schlafstörungen, Tagesmüdigkeit sowie Tagesschläfrigkeit sind häufige Beschwerden bei Patienten mit terminaler Niereninsuffizienz und haben einen negativen Einfluss auf die Lebensqualität, den Verlauf der Erkrankung und die Mortalität. Daher ist gegebenenfalls eine weiterführende schlafmedizinische Diagnostik unter Berücksichtigung komorbider Erkrankungen sinnvoll und erforderlich.
Literatur
Elias RM (2011) Rostral overnight fluid shift in end stage renal disease. Nephrol Dial Transplant 0:1–5
Gigli GL, Adorati M, Dolso P et al (2004) Restless legs syndrome in end-stage renal disease. Sleep Med 5:309–315CrossRef
Hanly PJ, Gabor JY, Chan C, Pierratos A (2003) Daytime sleepiness in patients with CRF: impact of nocturnal hemodialysis. Am J Kidney Dis 41:403–410CrossRef
Hörl WH (2009) Schlafstörungen bei chronischer Nierenerkrankung. Nephro-News 3:14–19
Kuhlmann U, Becker HF, Birkhahn M et al (2000) Sleep-apnoe in patients with end-stage renal disease and objective results. Clin Nephrol 53:460–466PubMed
Lee YC (2015) Sleep apnea and the risk of chronic kidney disease. Sleep 38(2):213–221CrossRef
Parker KP (2003) Sleep disturbance in dialysis patients. Sleep Med Rev 7:131–143CrossRef
Winkelmann J, Stautner A, Samtleben W, Trenkwalder C (2002) Long term course of restless legs syndroms in dialysis patients after kidney transplantation. Mov Disord 17:1072–1076CrossRef