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Enzyklopädie der Schlafmedizin
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Publiziert am: 09.12.2020

Parasomnien

Verfasst von: Anna Heidbreder
Parasomnien sind nicht beeinflussbare körperliche Symptome, Erlebnisse oder Verhaltensweisen, die während des Einschlafens oder Aufwachens, während des NREM-Schlafs oder des REM-Schlafs, beim Schlafstadienwechsel oder im Zusammenhang mit einem Arousal auftreten. Die nächtlichen Verhaltensauffälligkeiten können eine relevante Schlafstörung verursachen, mit Tagesschläfrigkeit als Folge des nicht erholsamen Schlafs. Bei einigen Parasomnien besteht ein Verletzungsrisiko mit Gefährdung des Betroffenen oder des Bettpartners. Für die Differentialdiagnostik der Parasomnien und den Ausschluss anderer schlafmedizinischer oder neurologischer Erkrankungen ist neben einem spezialisierten Interview eine Polysomnographie unerlässlich.

Englischer Begriff

parasomnias

Definition

Parasomnien sind nicht beeinflussbare körperliche Symptome, Erlebnisse oder Verhaltensweisen, die sowohl während des NREM-Schlafs als auch während des REM-Schlafs, beim Einschlafen und Aufwachen, beim Schlafstadienwechsel oder in Assoziation mit einem „Arousal“ auftreten können.
Nach der Internationalen Klassifikation für Schlafstörungen von 2014 („ICSD-3“) werden 4 Hauptgruppen der Parasomnien unterschieden:
1.
NREM-Parasomnien
  • Arousalstörungen (aus dem NREM-Schlaf)
    • „Verwirrtes Erwachen“
    • „Schlafwandeln“
    • „Pavor nocturnus“
    • „Schlafbezogene Essstörung“
 
2.
REM-Parasomnien
  • „REM-Schlaf-Verhaltensstörung“
  • Rezidivierende isolierte Schlaflähmung („Schlaflähmung“)
  • Albtraum-Störung („Albträume“)
 
3.
Andere Parasomnien
  • „Exploding-head-Syndrom“
  • „Schlafbezogene Halluzinationen“
  • Nächtliche Enuresis (Schlafenuresis; siehe „Enuresis und Harninkontinenz“)
  • Parasomnie durch körperliche Erkrankung
  • Parasomnie durch Medikamente oder Substanzen
  • Parasomnie nicht näher bezeichnet
 
4.
Isolierte Symptome und Normvarianten
  • Sprechen im Schlaf (Somniloquie)
 

Grundlagen

Das menschliche Bewusstsein wird in 3 wesentliche Zustände unterteilt: Wach, „NREM-Schlaf“ und „REM-Schlaf“. Diese 3 Zustände werden durch endogene und exogene Faktoren moduliert. Dabei spielen verschiedene neurochemische Einflüsse, der Grad der zentralnervösen Aktivierung und der Grad endogener und exogener Stimuli eine wesentliche Rolle. Unter physiologischen Bedingungen ist ein wiederkehrender 24-Stunden-Rhythmus mit einem Wechsel von Wachen und Schlafen durch das Ziel einer Homöostase vorgegeben, unterstützt durch eine zirkadiane Rhythmizität. Da es trotz des normalerweise vorgegebenen Wechsels von Wach und Schlaf zu Episoden von nicht klar einzuordnenden Stadien kommen kann, sollte Schlaf eher als ein Spektrum und nicht als gänzlich dichotom aufzutrennende Stadien interpretiert werden (siehe auch „Schlafregulation“).

Pathophysiologie

In verschiedenen Studien konnte gezeigt werden, dass Parasomnien das Vorhandensein von einem oder mehreren Bewusstseinsstadien widerspiegeln und das Auftreten eines nicht klar abzugrenzenden modifizierten Bewusstseins erklären können. Parasomnien können somit als Dissoziation verschiedener Bewusstseinsstadien interpretiert werden. Arousalstörungen wie Schlafwandeln, Pavor nocturnus oder Verwirrtes Erwachen sind eine Mischung aus Wach und NREM-Schlaf. Höhere kortikale Funktionen sind während der Episoden maßgeblich beeinträchtigt, wenn nicht sogar vollständig gestört, während die motorischen Fähigkeiten meist komplett vorhanden bleiben. REM-Schlaf-Verhaltensstörungen können als eine Mischung aus REM-Schlaf mit Wach oder mit NREM-Schlaf-Stadien mit tonischer Muskelaktivität verstanden werden. NREM- und REM-Parasomnien können auch gleichzeitig bei einem Individuum auftreten (Overlap-Parasomnie).
Die Vermischung der grundlegenden Bewusstseinsstadien ist auf verschiedene Pathophysiologien zurückzuführen. Bei den Arousalstörungen ist bisher keine sichere neuropathologische Veränderung nachweisbar, allerdings finden sich funktionelle Veränderungen der zerebralen Aktivität, bei der ein gleichzeitiges Auftreten von Wach und Schlaf während des NREM-Schlafs nachweisbar ist (siehe auch „Lokaler Schlaf“). Diese zentrale Aktivierung, die mit muskulärer und autonomer Aktivierung verbunden ist, wird als Ausdruck einer Störung beziehungsweise Schädigung von Hirnarealen verstanden, die eigentlich für die Unterdrückung dieser Aktivierung während des Schlafes zuständig sind. Zusätzlich dazu wird angenommen, dass auch die Initiierung von Schlaf, eine Schlafstadieninstabilität und eine Störung lokomotorischer zentraler Generatoren eine Rolle für die Entstehung von NREM-Parasomnien spielen (siehe auch „Motorik“).
Bei NREM-Parasomnien/Arousalstörungen spielen oftmals basale beziehungsweise triebgesteuerte Bedürfnisse wie Nahrungsaufnahme, sexuelles Verlangen und Aggression eine Rolle. Aggressionen sind dabei meist abrupt, nicht komplex und wirken nicht geplant. In diesem Zusammenhang wurde bereits diskutiert, dass es sich bei NREM-Parasomnien auch um ein zentral ausgelöstes Abspielen von abgelegten Handlungsabläufen/Bewegungsschablonen handeln könnte, die im Wachen durch den präfrontalen Kortex inhibiert werden.
Im Gegensatz zu den NREM-Parasomnien liegt der REM-Schlaf-Verhaltensstörung eine neuropathologische Ursache zugrunde. Diese betrifft Areale des Gehirns, die normalerweise während des REM-Schlafs für die Unterdrückung von Muskelaktivität verantwortlich sind. In der Folge kommt es zu einem aktiven Ausleben von Trauminhalten, die häufig einen aggressiven Charakter haben. Nicht selten ist eine Antizipation des Geträumten durch den Beobachter möglich. REM-Schlaf-Verhaltensstörungen sind mit hoher Wahrscheinlichkeit mit der Entwicklung einer neurodegenerativen Erkrankung verbunden, insbesondere des Morbus Parkinson oder anderer Synukleopathien.
Andere auslösende Faktoren, wie beispielsweise die Einnahme bestimmter Medikamente, werden bei den einzelnen Parasomnien genannt.

Symptomatik

Parasomnische Ereignisse im NREM- und im REM-Schlaf umfassen komplexe Bewegungen und/oder Verhaltensweisen, die von Emotionen oder Wahrnehmungen begleitet sind und nicht selten in Assoziation zu Trauminhalten stehen. In unterschiedlichem Ausmaß kommt es dabei auch zu einer Aktivierung des autonomen Nervensystems (siehe „Autonomes Nervensystem“). Die Ereignisse entbehren einer bewussten Kontrolle. Das nächtliche Verhalten stellt bei einigen Parasomnien sowohl für die Betroffenen als auch für die Bettpartner ein Risiko für Verletzungen dar, und nicht selten führt es zu einer relevanten Schlafstörung, die Tagesschläfrigkeit verursachen kann.

Diagnostik

Die Diagnostik und Differentialdiagnostik der Parasomnien erfordern die Kombination aus strukturiertem Interview und Video-Polysomnographie. Mit der zuverlässigen Zuordnung der nächtlichen Verhaltensauffälligkeiten zum Schlafstadium ihres Auftretens erlaubt die „Polysomnographie“ (PSG) die Differentialdiagnostik der Parasomnien; ebenso unerlässlich ist sie zum Ausschluss von anderen, eine Parasomnie eventuell aggravierenden schlafmedizinischen Erkrankungen wie „Schlafbezogene Atmungsstörungen“ und „Schlafbezogene Bewegungsstörungen“. In der Abgrenzung der NREM-Parasomnien zur „Epilepsie“ ist die Video-Polysomnographie mit erweiterter EEG-Montage erforderlich. Für die „REM-Schlaf-Verhaltensstörung“ wird eine veränderte beziehungsweise erweiterte EMG-Montage empfohlen, die auch die Ableitung der Armmuskulatur beinhaltet. Bisher ist nur für die Diagnostik der REM-Schlaf-Verhaltensstörung eine Video-Polysomnographie in die geforderten Diagnosekriterien eingegangen, aber auch bei der NREM Parasomnie sinnvoll.
Siehe auch „Elektroenzephalogramm“, „Elektromyogramm“, „Messung im Schlaflabor“, „Kardiorespiratorische Polysomnographie“, „AASM-Manual“.

Zusammenfassung

Parasomnien sind nicht beeinflussbare körperliche Symptome, Erlebnisse oder Verhaltensweisen, die während des Einschlafens oder Aufwachens, während des NREM-Schlafs oder des REM-Schlafs, beim Schlafstadienwechsel oder im Zusammenhang mit einem Arousal auftreten. Die nächtlichen Verhaltensauffälligkeiten können eine relevante Schlafstörung verursachen, mit Tagesschläfrigkeit als Folge des nicht erholsamen Schlafs. Bei einigen Parasomnien besteht ein Verletzungsrisiko mit Gefährdung des Betroffenen oder des Bettpartners. Für die Differentialdiagnostik der Parasomnien und den Ausschluss anderer schlafmedizinischer oder neurologischer Erkrankungen ist neben einem spezialisierten Interview eine Polysomnographie unerlässlich.
Literatur
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Ohayon MM, Mahowald MW, Dauvilliers Y, Krystal AD, Leger D (2012) Prevalence and comorbidity of nocturnal wandering in the U.S. adult general population. Neurology 78:1583–1589CrossRef
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Schenck CH, Mahowald MW (2002) REM sleep behavior disorder: clinical, developmental, and neuroscience perspectives 16 years after its formal identification in sleep. Sleep 25:120–138CrossRef
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