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Enzyklopädie der Schlafmedizin
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Publiziert am: 21.02.2020

Psychologische und psychiatrische Ursachen bei Schlafstörungen

Verfasst von: Kai Spiegelhalder und Dieter Riemann
Insomnischen Beschwerden liegen sehr häufig psychologische Ursachen zugrunde. Darüber hinaus kommt psychologischen Faktoren, wie etwa der Unfähigkeit nachts abschalten zu können und sich stattdessen intensiv mit der Schlaflosigkeit oder anderen Themen zu beschäftigen, eine große Rolle bei der Aufrechterhaltung dieses Krankheitsbildes zu. Daneben gelten psychische Erkrankungen als Ursache von Schlafstörungen, insbesondere von Insomnien. Hierbei sind insbesondere depressive Erkrankungen zu nennen, die fast immer mit Störungen des Schlafs einhergehen, meistens mit einer Insomnie, seltener aber auch mit einer Tagesschläfrigkeit. Hierbei ist es allerdings im Regelfall sehr schwierig, zwischen Ursache und Wirkung zu unterscheiden.

Englischer Begriff

psychological and psychiatric causes of sleep disorders

Definition

Wie unter dem Beitrag „Insomnien“ ausgeführt, liegen insomnischen Beschwerden sehr häufig psychologische Ursachen zugrunde. Bei der „Psychophysiologische Insomnie“ können beispielsweise Faktoren wie Stress und Überbelastung eine große Rolle bei der Auslösung der Schlafbeschwerden spielen. Darüber hinaus kommt psychologischen Faktoren, wie etwa der Unfähigkeit nachts abschalten zu können und sich stattdessen intensiv mit der Schlaflosigkeit oder anderen Themen zu beschäftigen, eine große Rolle bei der Aufrechterhaltung dieses Krankheitsbildes zu. Ein Forschungszweig hat sich mit der Frage befasst, ob Persönlichkeitsfaktoren für bestimmte Formen von Schlafstörungen, insbesondere Insomnien, prädisponieren. Problematisch an den bisher durchgeführten Untersuchungen ist allerdings, dass Persönlichkeitseigenschaften in der Mehrzahl der Untersuchungen erst dann gemessen wurden, wenn bereits eine chronifizierte Insomnie vorlag. Somit bleibt unklar, ob die abweichenden Persönlichkeitseigenschaften Ursache oder Folge der Schlaflosigkeit sind. Insbesondere für erhöhten Neurotizismus und Perfektionismus konnte ein Zusammenhang zu Insomniebeschwerden aufgezeigt werden.
Daneben gelten psychische Erkrankungen als Ursache von Schlafstörungen, insbesondere von Insomnien. Hierbei sind insbesondere depressive Erkrankungen zu nennen, die fast immer mit Störungen des Schlafs einhergehen, meistens mit einer Insomnie, seltener aber auch mit einer „Tagesschläfrigkeit“. Hierbei ist es allerdings im Regelfall sehr schwierig, zwischen Ursache und Wirkung zu unterscheiden. Es konnte beispielsweise gezeigt werden, dass auch chronische Insomniebeschwerden ein Risikofaktor für das Auftreten einer depressiven Erkrankung darstellen (Baglioni et al. 2011). Bei Depressionen („Affektive Störungen“) ist es somit häufig so, dass die Schlaflosigkeit der psychischen Erkrankung vorausgeht, sich mit Ausbruch der psychischen Erkrankung weiter verschlechtert, über den Zeitraum der Erkrankung hinaus persistiert und einen Risikofaktor für das Wiedererkranken darstellt. Ähnliches gilt auch für die Alkoholabhängigkeit, für die Insomnien ebenfalls ein Risikofaktor sind. Die im Zeitraum der Entgiftung und frühen Abstinenz auftretenden Schlafstörungen wiederum sind ein Risikofaktor dafür, dass die Patienten wieder zum Alkohol greifen.

Grundlagen

Tab. 1 fasst die Ergebnisse einer Metaanalyse polysomnographischer Studien zusammen, die von Benca et al. (1992) zur Thematik Schlaf bei psychischen Erkrankungen publiziert wurde.
Tab. 1
Auffälligkeiten des Schlafs bei psychischen Störungen (nach Benca et al. 1992)
Störungsbild
Störung der Schlafkontinuität
Tiefschlafreduktion
REM-Schlaf-Enthemmung
Affektive Erkrankungen
+++
++
++
+
Angsterkrankungen
+
Ø
Ø
Ø
++
+++
+
Ø
+
Ø
+
Ø
+++
+++
Ø
+
+
Ø
Ø
Ø
+++
+++
+
+
++ = bei ca. 50 % aller Patienten vorhanden
+ = bei ca. 25 % aller Patienten vorhanden
+++ = fast bei allen Patienten vorhanden
Ø = bisher nicht berichtet
Diese Metaanalyse bezog sich auf polysomnographische Studien, bei denen Patienten vor den Untersuchungen zwei Wochen medikamentenfrei waren.
Die meisten polysomnographischen Untersuchungen wurden bislang bei Patienten mit affektiven Störungen durchgeführt. Bei diesen Patienten fällt auf, dass eine Schlafkontinuitätsstörung mit Ein- und Durchschlafstörungen sowie frühmorgendlichem Erwachen und nicht erholsamem Schlaf vorhanden ist. Viele Patienten zeigen zudem eine Reduktion der Tiefschlafanteile. Jeder zweite Patient mit einer klinisch relevanten affektiven Störung zeigt zudem eine REM-Schlaf-Enthemmung mit einer Verkürzung der REM-Latenz und einer Erhöhung der REM-Dichte sowie einer Zunahme der Dauer des REM-Schlafs. Bei Sonderformen affektiver Störungen, wie bei den saisonal abhängigen Depressionen mit Beginn im Winter, liegen hingegen häufiger Tagesschläfrigkeitsbeschwerden vor.
Fast so häufig treten aber auch bei Patienten mit „Psychosen“, Beeinträchtigungen des Schlafs mit Schlafkontinuitäts- und Tiefschlafstörungen sowie einer REM-Schlaf-Enthemmung auf. Ähnliches gilt für Demenzen und die Alkoholabhängigkeit. Weniger häufig treten Beeinträchtigungen des Schlafs bei Patienten mit Essstörungen (Anorexie, Bulimie), Borderline-Persönlichkeitsstörungen und Angsterkrankungen auf.
Generell sind verschiedene Gründe dafür vorstellbar, warum es bei psychischen Erkrankungen so häufig zu Schlafstörungen kommt. Einerseits haben Patienten mit fast allen psychischen Erkrankungen, insbesondere diejenigen mit Affektiven Störungen, eine starke Neigung zum Grübeln, was wiederum zu Schlafstörungen führt („Stress und Hyperarousal“). Andererseits wird bei nahezu allen psychischen Erkrankungen angenommen, dass Neurotransmittersysteme betroffen sind, die auch an der Schlaf-Wach-Regulation beteiligt sind. Die hierbei am häufigsten diskutierten „Neurotransmitter“ sind Noradrenalin, Serotonin, Dopamin, GABA, Glutamat und Acetylcholin.
Tab. 1 zeigt, dass eine psychiatrische Diagnostik, die auf polysomnographischen Befunden beruht, nicht möglich ist, d. h., einzelne schlafmedizinische Befunde haben keine hohe Sensitivität und Spezifität für psychiatrische Störungen. Die Tabelle zeigt aber auch, dass es bei psychischen Störungen generell, insbesondere bei den affektiven Störungen, enge Verknüpfungen zwischen den Beschwerden und einem gestörtem Schlaf gibt.
Eine polysomnographische Diagnostik der schlafbezogenen Beschwerden ist bei psychischen Erkrankungen in der Regel nicht notwendig. Hingegen haben (wie bei Insomnien und Tagesschläfrigkeit anderer Genese) psychometrische Instrumenten, wie „Schlaffragebögen SF-A und SF-B“, und „Schlaftagebücher“ einen großen Stellenwert in der Erfassung der schlafbezogenen Symptomatik. Im akuten Zustand einer Psychose wird man diese Instrumente jedoch selten valide einsetzen können, sondern erst dann, wenn das Krankheitsbild medikamentös gebessert wurde. Ähnliches gilt für schwere Depressionen, bei denen betroffene Patienten große Schwierigkeiten haben können, Fragebögen auszufüllen. Eine polysomnographische Diagnostik kann jedoch auch bei Patienten mit psychiatrischen Erkrankungen sinnvoll sein, wenn sich die insomnischen bzw. hypersomnischen Beschwerden im Verlauf der Erkrankung als besonders schwerwiegend erweisen und persistieren, obwohl die psychische Grunderkrankung gut auf eine Therapie angesprochen hat.
Hypersomnische Beschwerden liegen häufig bei Patienten mit „Psychosen“ vor, die mit sedierenden „Neuroleptika“ behandelt werden. In der Regel remittiert diese Symptomatik, wenn die Dosis reduziert wird. Symptome wie Antriebs- und Interesselosigkeit, die bei vielen psychischen Erkrankungen, vorrangig aber bei affektiven Erkrankungen auftreten, können mit dem gestörten Schlaf dieser Patienten zusammenhängen und sollten demnach ernst genommen werden. Eine schlafbezogene Anamnese unter Hinzuziehung des Bettpartners oder im stationären Rahmen unter Beobachtung durch den Nachtpfleger bzw. die Nachtschwester kann sinnvoll sein und wird unter Umständen den Verdacht auf „Obstruktive Schlafapnoe“ bei starkem „Schnarchen“ und beobachteten Atemaussetzern nahe legen, woraufhin dann eine polysomnographische Diagnostik angezeigt ist.
Generell gilt bei insomnischen/hypersomnischen Beschwerden im Rahmen psychischer Erkrankungen, dass sie genauso ernst genommen werden sollten wie bei Patienten ohne psychische Erkrankungen. Selbstverständlich können Komorbiditäten mit allen schlafmedizinisch relevanten Erkrankungen bestehen, beispielsweise mit der Obstruktiven Schlafapnoe oder der Narkolepsie. Bei einer klinisch relevanten insomnischen oder hypersomnischen Symptomatik sollte daher dieselbe Diagnostik inklusive „Kardiorespiratorische Polysomnographie“ und Multiplem Schlaflatenztest (MSLT) bzw. Multiplem Wachbleibetest (MWT) erfolgen wie bei anderen Patienten, die sich mit einer entsprechenden Symptomatik vorstellen.
Einen großen Stellenwert hat die Kardiorespiratorische Polysomnographie bei der Entwicklung neuer Psychopharmaka, die im Bereich der psychischen Erkrankungen eingesetzt werden. Die Frage der Beeinflussung des Schlafs wird dabei üblicherweise in den wissenschaftlichen Untersuchungen vor Zulassung eines Medikaments geprüft. Ebenso sind Beeinträchtigungen der Fahrtüchtigkeit bei Psychopharmaka häufig und werden entsprechend in vorklinischen Studien evaluiert.
In Bezug auf die Therapie von Schlafstörungen im Zusammenhang mit psychischen Erkrankungen, wird zunehmend davon ausgegangen, dass beide Problembereiche störungsspezifisch behandelt werden sollten. Das heißt beispielsweise, dass die kognitive Verhaltenstherapie für Insomnien auch bei Patienten mit komorbider depressiver Symptomatik eingesetzt werden kann (Manber et al. 2008). Weiterhin ist es möglich, beide Problembereiche pharmakologisch gemeinsam zu behandeln. Das heißt, dass beispielsweise bei ausgeprägten Insomniebeschwerden im Rahmen einer Depression eine antidepressive Substanz eingesetzt werden kann, die auch einen sedierenden Effekt hat („Antidepressiva“). Ähnliches gilt auch für Insomnien bei Psychosen, wo mithilfe eines sedierenden Neuroleptikums sowohl die Psychose als auch die Insomnie positiv beeinflusst werden kann.
Literatur
Baglioni C, Battagliese G, Feige B et al (2011) Insomnia as a predictor of depression: a meta-analytic evaluation of longitudinal epidemiological studies. J Affect Disord 135:10–19CrossRef
Benca RM, Obermeyer WH, Thisted R et al (1992) Sleep and psychiatric disorders: a meta-analysis. Arch Gen Psychiatry 49:651–668CrossRef
Manber R, Edinger JD, Gress JL et al (2008) Cognitive therapy for insomnia enhances depression outcome in patients with comorbid major depressive disorder and insomnia. Sleep 31:489–495CrossRef