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Enzyklopädie der Schlafmedizin
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Publiziert am: 11.01.2022

Pupillographischer Schläfrigkeitstest

Verfasst von: Barbara Wilhelm
Der pupillographische Schläfrigkeitstest (PST) ist eine Langzeitaufzeichnung des Pupillendurchmessers für eine Dauer von zirka elf Minuten mit dem Ziel der standardisierten Erfassung und Analyse von schläfrigkeitstypischen Oszillationen der Pupillenweite in Dunkelheit. Demgegenüber steht der Begriff Pupillographie bzw. Pupillometrie auch noch für die Aufzeichnungen des Pupillendurchmessers bei anderen Bedingungen, wie zum Beispiel bei Lichtreaktion oder Akkommodation. Deshalb sollte die hier dargestellte Methode keinesfalls mit der Messung des Pupillenlichtreflexes verwechselt werden, die zur Erfassung von Tagesschläfrigkeit nachgewiesener Maßen ungeeignet ist. Der PST erfasst – ebenso wie Multipler Schlaflatenztest (Multiple Sleep Latency Test, MSLT) und Multipler Wachbleibetest (Maintenance of Wakefulness Test, MWT) – die tonische zentralnervöse Aktivierung.

Synonyme

PST

Englischer Begriff

pupillographic sleepiness test

Definition

Der pupillographische Schläfrigkeitstest (PST) ist eine Langzeitaufzeichnung des Pupillendurchmessers für eine Dauer von zirka elf Minuten mit dem Ziel der standardisierten Erfassung und Analyse von schläfrigkeitstypischen Oszillationen der Pupillenweite in Dunkelheit. Demgegenüber steht der Begriff Pupillographie bzw. Pupillometrie auch noch für die Aufzeichnungen des Pupillendurchmessers bei anderen Bedingungen, wie zum Beispiel bei Lichtreaktion oder Akkommodation. Deshalb sollte die hier dargestellte Methode keinesfalls mit der Messung des Pupillenlichtreflexes verwechselt werden, die zur Erfassung von Tagesschläfrigkeit nachgewiesener Maßen ungeeignet ist. Der PST erfasst – ebenso wie Multipler Schlaflatenztest (Multiple Sleep Latency Test, MSLT) und Multipler Wachbleibetest (Maintenance of Wakefulness Test, MWT) („Multipler Schlaflatenztest und Multipler Wachbleibetest“) – die tonische zentralnervöse Aktivierung, die gemäß dem Aufmerksamkeitsmodell von Posner und Rafal als die niedrigste Ebene von Aufmerksamkeit anzusehen ist und die Voraussetzung für höhere Aufmerksamkeitsleistungen darstellt. Die Hierarchie der Ebenen beginnt gemäß diesem Modell mit der tonischen zentralnervösen Aktivierung und der phasischen zentralnervösen Aktivierung, gefolgt von der selektiven Aufmerksamkeit, der geteilten Aufmerksamkeit und der Vigilanz. Die ersten beiden Ebenen werden mit physiologischen Verfahren erfasst, zur Prüfung der folgenden drei höheren Aufmerksamkeitsebenen stehen Testverfahren zur Verfügung, bei denen der Proband auf definierte Reize reagiert.

Messverfahren

Physiologische Grundlagen der Methode
Bei hoher zentralnervöser Aktivierung ist die zentrale sympathische Hemmung der parasympathischen Edinger-Westphal-Kerne (EW-Kerne) im Okulomotorius-Kernkomplex ausgeprägt und der Musculus dilatator pupillae wird über den peripheren Sympathikus aktiviert. Daraus resultiert bei guter Aufmerksamkeit eine weite Pupille, deren Durchmesser nur unwesentlich schwankt (Abb. 1, obere Kurve). Das charakteristische Pupillenverhalten des schläfrigen Menschen ist hingegen gekennzeichnet durch eine Tendenz zur Abnahme des Pupillendurchmessers mit langsamen, deutlichen Oszillationen, die auch als Schläfrigkeitswellen bezeichnet werden (Abb. 1, untere Kurve). Dieses Phänomen ist durch die Abnahme und Instabilität der zentralen sympathischen Hemmung der EW-Kerne zu erklären. Nach derzeitigem Kenntnisstand aus Tiermodellen erfolgt die Hemmung der EW-Kerne über zwei simultan aktive noradrenerge Bahnen. Diese gehen zum einen vom Locus coeruleus aus, einem Kerngebiet in der Formatio reticularis, und zum anderen vom Hypothalamus. Die zuletzt genannte neuronale Bahn benutzt vermutlich GABA als Transmitter. Das Kerngebiet A1/A5 der Medulla oblongata übt seinerseits eine Kontrollfunktion auf die Nervenbahn aus.
Aufzeichnungsmethode
Im Mittelpunkt der Messung steht ein Algorithmus, der den Pupillendurchmesser auch dann noch zuverlässig berechnet, wenn nur ein Teil der Pupille sichtbar ist (Lüdtke et al. 1998). Dabei wird ein Kreis an die detektierten Randpunkte der Pupille angepasst. Für die Aufzeichnung des Pupillendurchmessers wird Infrarot-Video-Pupillographie mit einer Messfrequenz von 25 Hz und einer räumlichen Auflösung von etwa 0,05 mm angewendet.
Rahmenbedingungen
Vor Messbeginn ist mittels Lichtreaktion zu prüfen, ob die gemessene Pupille beweglich ist. Standardbedingungen für den PST wurden in einer Reihe von Tests definiert. Die 11-minütige Messung erfolgt in sitzender Haltung in einem angenehm temperierten, ruhigen und dunklen Raum. Dabei stellt Dunkelheit eine besonders wichtige Bedingung dar, weil konstantes Licht Oszillationen des Pupillendurchmessers hervorrufen kann, die den schläfrigkeitstypischen Oszillationen sehr ähneln. Während der Messung sollte Stille herrschen; äußere Reize, welche die Vigilanz steigern, sind zu vermeiden. Vor der Messung werden zehn Minuten motorischer Ruhe empfohlen. Ab vier Stunden vor der Messung soll kein Alkohol mehr getrunken und nicht mehr geraucht werden; auf „Koffein“ ist ab Mitternacht vor der Messung zu verzichten. Die empfohlene Tageszeit der Messung ist der Vormittag. Nach der Instruktion des Probanden/Patienten muss die Messung kontinuierlich überwacht werden, um Artefakte zu minimieren. Besondere Ereignisse, wie zum Beispiel Einschlafen, sind zu markieren, und es muss gegebenenfalls durch Wecken eingegriffen werden. Zu diesem Zweck können über die Software diskrete akustische Stimuli gegeben werden, bevor als letzter Schritt der Proband angesprochen wird. Üblicherweise erfolgt die subjektive Einschätzung der Schläfrigkeit im Untersuchungszeitraum durch die untersuchte Person retrograd im Anschluss an die Messung.

Auswerteverfahren, Bewertung

Die Daten zum Pupillendurchmesser werden offline automatisch ausgewertet, wodurch die Messergebnisse objektiv sind. In mehreren Schritten wurden Auswerteparameter definiert, welche die Messkurve und deren Veränderungen mit wechselnder zentralnervöser Aktivierung beschreiben. Neben den beiden unten erwähnten Zielgrößen gibt die Datenauswertung noch die Pupillenweite im Messverlauf sowie Blinzelvorgänge an. Typischerweise nehmen durch Lidschluss bedingte Messunterbrechungen bei wachsender Schläfrigkeit ebenfalls zu.
Der Pupillen-Unruhe-Index (PUI) ist die zeitlich normierte Summe der Beträge absoluter Änderungen des Pupillendurchmessers während der Messung; er wird in Millimetern pro Minute angegeben. Der Ergebniswert beruht somit auf kumulativen Änderungen des Pupillendurchmessers. Der Betrag des PUI liegt umso höher, je stärker die Pupillenweite oszilliert. Es werden jeweils 16 aufeinander folgende Messwerte gemittelt, die Beträge der Differenzen aller dieser Mittelwerte werden aufsummiert und durch die Messzeit in Minuten dividiert. Vereinfacht lässt sich der Pupillen-Unruhe-Index näherungsweise beschreiben als die doppelte Strecke, die ein Punkt auf dem Pupillenrand pro Minute der Messung zurücklegt.
Anhand einer schnellen Fourier-Transformation (FFT) erfolgt eine Frequenzanalyse. Dazu wird die Datensequenz in Abschnitte von je 2048 Werten unterteilt; ein Abschnitt entspricht etwa 82 s. In der Analyse wird der Frequenzbereich von 0,0–0,8 Hz berücksichtigt. Für jedes Frequenzband von 0,1 Hz Breite und jedes Zeitfenster erfolgt die Berechnung des Amplitudenspektrums und des Anteils eines jeden Frequenzbereichs am Gesamtamplitudenspektrum. Das Amplitudenspektrum wird erfasst in der Einheit Millimeter mal Sekunden und ist ein Maß für die Quantität langsamer Pupillenoszillationen im Frequenzbereich von 0,0–0,8 Hz.
Ein hohes zentralnervöses Aktivierungsniveau ist mit niedrigen Werten des PUI bzw. des Amplitudenspektrums verbunden, starke Schläfrigkeit hingegen wird durch hohe Werte gekennzeichnet. Als Referenzbereich für Einzelmessungen oder Studien steht die Normierung an mehreren hundert Normalpersonen zur Verfügung, die durch eine Multizenterstudie mit deutschen schlafmedizinischen Zentren überprüft und bestätigt wurde.
Durch die Testmonotonie kommt es zur Demaskierung von Schläfrigkeit. Dadurch ist auch in Messungen von Normalpersonen eine Dynamik während der Messung zu beobachten. Die Schläfrigkeitswerte der zweiten Messhälfte liegen deshalb in der Regel höher als die der ersten Messminuten.
Die Sehfunktion hat keinen Einfluss auf die Messergebnisse. Es sind keine Erkrankungen oder Bedingungen bekannt, die unter den standardisierten Bedingungen des pupillographischen Schläfrigkeitstests die gleichen Pupillenphänomene auslösen wie die Schläfrigkeit.

Apparative Umsetzung, Geräte

Eine kombinierte Kinn-Stirn-Stütze für die untersuchte Person ist an der Schmalseite eines kleinen Messtischs von zirka 70 cm Länge und zirka 50 cm Breite montiert, gegenüber befindet sich eine Infrarotvideokamera (Abb. 2). Der Messtisch erlaubt das bequeme Auflegen der Arme des Probanden während der Messung. Ein weiterer (Computer-)Tisch beherbergt die Rechnereinheit. Auf dem Monitor kann der Untersucher kontinuierlich das Auge des Probanden beobachten; zudem wird die Messung graphisch dargestellt. Abdunklung wird durch das Tragen einer mit Infrarotfiltern versehenen Brille gewährleistet.
Für spezielle Anwendungen, wie in der Arbeits- oder der Verkehrsmedizin, steht eine kleine mobile Messeinheit zur Verfügung (Geräteherstellung: AMTech, Weinheim, Deutschland). Letzteres System besteht aus einem Rechner und einer Messbrille, in die sowohl die Infrarotlichtquelle als auch die Kamera integriert sind; ein Tisch wird hierbei nicht benötigt.

Indikationen

Grundsätzlich ist der pupillographische Schläfrigkeitstest (PST) ein universelles Verfahren zur Erfassung der zentralnervösen Aktivierung bei gesunden Personen und bei Patienten. Daraus ergeben sich Anwendungsmöglichkeiten in Probandenstudien ebenso wie im klinischen Alltag. Die Validierung des Verfahrens erfolgte in Schlafentzugsstudien; unter Schlafentzug nehmen Pupillen-Unruhe-Index (PUI) und Amplitudenspektrum bei Gesunden deutlich zu. Da tageszeitliche Schwankungen der zentralnervösen Aktivierung mit dem PST gezeigt werden konnten, ergeben sich Anwendungsmöglichkeiten in chronobiologischen Testbatterien. Die Reliabilität wurde anhand von Vergleichen zwischen Messungen mit Intervallen von wenigen Tagen sowie drei Monaten mit positivem Ergebnis untersucht. In der Schlafmedizin liegt die Domäne des Tests in der objektiven Früherkennung von behandlungsbedürftiger Tagesschläfrigkeit. Nach erfolgter Behandlung einer Hypersomnie ermöglicht der PST eine objektive Erfassung des Therapieeffekts auf die zentralnervöse Aktivierung am Tage. Hier ist darüber hinaus die Möglichkeit von Entscheidungshilfen in Fällen therapieresistenter Tagesschläfrigkeit bei „Obstruktiver Schlafapnoe“ gegeben. Für gutachterliche Zwecke sind Tagesprofilmessungen empfehlenswert. Die Möglichkeiten der Früherkennung von Erkrankungen mit erhöhter Tagesschläfrigkeit mittels PST sind derzeit noch nicht ausgeschöpft. Neben Schlafforschung und Schlafmedizin erfolgen in jüngster Zeit verstärkt PST-Nutzungen zur Beantwortung verkehrs- und arbeitsmedizinischer Fragestellungen wie beispielsweise Fahrerschläfrigkeit oder Prüfung von Arbeitsbedingungen. In der klinischen Pharmakologie verwendet man den PST zur Erfassung sedierender Medikamentenwirkungen bzw. -nebenwirkungen.

Grenzen der Methode

Die Anwendbarkeit der Methode setzt die Gewährleistung der oben beschriebenen Rahmenbedingungen voraus. Sie sind im Fall von Abweichungen bei der Bewertung zu berücksichtigen. Einflussgrößen auf die zentralnervöse Aktivierung, wie zum Beispiel vorausgehende Nachtschlafdauer oder zentralstimulierende Substanzen wie Koffein, wirken auch auf die Messergebnisse ein und sind ebenfalls zu berücksichtigen. Das Verfahren selbst ist insoweit unspezifisch, als es keine Differentialdiagnose unterschiedlicher Hypersomnien erlaubt.
Literatur
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