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Enzyklopädie der Schlafmedizin
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Publiziert am: 06.02.2020

Qualitätsmanagement in der Diagnostik

Verfasst von: Friedhart Raschke
Qualitätsmanagement (QM) ist gemäß Deutscher Industrienorm (DIN EN ISO 9000:2000) die aufeinander abgestimmte Tätigkeit zum Leiten und Lenken einer Organisation bezüglich ihrer Qualität. Die Anwendung von Qualitätsmanagement zur Verfahrensverbesserung, aber auch seine kontinuierliche Weiterentwicklung sind über § 136 und § 136a des Sozialgesetzbuches SGB V gesetzlich vorgeschrieben. Qualitätsmanagement in der schlafmedizinischen Diagnostik umfasst den qualitätsgesicherten Prozess, der zur Ermittlung der Ursachen von Schlafstörungen und nicht erholsamem Schlaf führt, die sich nach der internationalen Klassifikation von Schlafstörungen (ICSD-3) ermitteln lassen. Die Diagnostik erfolgt gestuft, je nach erforderlichem Aufwand mit verschiedenen Instrumenten: Anamnese, Interviews, standardisierte und validierte Fragebögen sowie apparative Methoden in Form von ambulanten, teilstationären oder stationären nächtlichen Messungen und Funktionstests am Tage. Art und Umfang der verwendeten Instrumente sowie die Anzahl der Untersuchungsnächte beziehungsweise Funktionstests am Tage und die Aufgabenteilung zwischen ambulanter, teilstationärer und stationärer Diagnostik haben entscheidenden Einfluss auf die Qualität des Prozesses.

Englischer Begriff

quality management in diagnostics

Definition

Qualitätsmanagement (QM) ist gemäß Deutscher Industrienorm (DIN EN ISO 9000:2000) die aufeinander abgestimmte Tätigkeit zum Leiten und Lenken einer Organisation bezüglich ihrer Qualität. Die Anwendung von Qualitätsmanagement zur Verfahrensverbesserung, aber auch seine kontinuierliche Weiterentwicklung sind über § 136 und § 136a des Sozialgesetzbuches SGB V gesetzlich vorgeschrieben.
Qualitätsmanagement in der schlafmedizinischen Diagnostik umfasst den qualitätsgesicherten Prozess, der zur Ermittlung der Ursachen von Schlafstörungen und nicht erholsamem Schlaf führt, die sich nach der internationalen Klassifikation von Schlafstörungen („ICSD-3“) ermitteln lassen. Die Diagnostik erfolgt gestuft, je nach erforderlichem Aufwand mit verschiedenen Instrumenten: Anamnese, Interviews, standardisierte und validierte Fragebögen sowie apparative Methoden in Form von ambulanten, teilstationären oder stationären nächtlichen Messungen und Funktionstests am Tage.
Art und Umfang der verwendeten Instrumente sowie die Anzahl der Untersuchungsnächte beziehungsweise Funktionstests am Tage und die Aufgabenteilung zwischen ambulanter, teilstationärer und stationärer Diagnostik haben entscheidenden Einfluss auf die Qualität des Prozesses. Die qualitative Befundung, die Entscheidung „positiv“ oder „negativ“ und die quantitativ gestützte Ermittlung des Schweregrads hängen von den eingesetzten Instrumenten, den technischen, apparativen und prozeduralen Gegebenheiten für die ärztliche Entscheidungsfindung ab. Diese wiederum wird von Vorgaben zur Prozessoptimierung und zum Qualitätsmanagement bestimmt. Hierzu zählen die Akkreditierung des Schlaflabors („Qualitätsmanagement in der Schlafmedizin“), der Qualifikationsnachweis des Untersuchers („Ausbildung, Fortbildung und Weiterbildung“), Leitlinien („Evidenzbasierung und Leitliniengestaltung“), Richtlinien und Health Technology Reports, aber auch versorgungstechnische und ökonomische Gegebenheiten.
Die Grundlagen des QM, einschließlich der festgelegten Grenzziehung zwischen „gesund“ und „krank“, sollten sich aus den Erkenntnissen einer evidenzbasierten Medizin ergeben. Ihre Grundlagen werden permanent angepasst und weiterentwickelt. Die vorgeschriebenen Variablen zur Diagnostik bestimmter Schlafstörungen und die Vereinbarungen über die Grenzwerte, um positive von negativen Befunden zu trennen, sowie die Schweregradeinteilung müssen in aufwendigen klinischen und epidemiologischen Studien unter Berücksichtigung gesundheitsökonomischer Gesichtspunkte ermittelt werden. Leitlinien und Richtlinien zu Art und Umfang des gesamten diagnostischen Prozesses haben daher eine entscheidende Steuerungsfunktion für die Morbidität sowie den Bedarf und Umfang zur schlafmedizinischen Versorgung in der Gesamtbevölkerung.

Grundlagen

Anamnese

Die Diagnose geht von subjektiven Beschwerden und Symptomen (siehe „Beschwerden und Symptome“) aus, die sich äußern als Einschränkungen der Gesundheit, der körperlichen, psychomentalen und psychosozialen Leistungsfähigkeit und der Teilnahmefähigkeit am beruflichen und sozialen Leben einschließlich der daraus resultierenden Einschränkungen der Lebensqualität. Die Erstdiagnostik schlafmedizinischer Beschwerden wird gemäß der Leitlinie Nicht erholsamer Schlaf nach einem klinischen Algorithmus durchlaufen, der sämtliche Schritte und Untersuchungsebenen der Diagnostik enthält (Mayer et al. 2017; Riemann et al. 2017). An erster Stelle stehen standardisierte Interviews, Leitfäden, „Fragebögen“, Verhaltensbeobachtung, Selbstbeurteilungsbögen, Symptomtagebücher und visuelle Analogskalen (siehe auch „Messung im Schlaflabor“). Diese werden durch Selbstbeurteilung des Patienten oder Fremdbeurteilung ausgefüllt beziehungsweise beantwortet. Die empfohlenen Instrumente stehen in deutschen Versionen zur Verfügung und genügen testtheoretischen Anforderungen an Reliabilität und Validität. Entsprechend auszuwählende psychometrische Instrumente dienen als Leitfaden zur genauen Diagnosefindung. Weiterhin wird eingangs abgeklärt, inwieweit Verhaltens- und Lebensgewohnheiten als Verursacher des nicht erholsamen Schlafs infrage kommen. Hierfür ist eine sorgfältige Anamnese notwendig. Schlaftagebücher und Symptomfragebögen können diesen Diagnoseschritt hilfreich unterstützen. Weiterhin muss der Einfluss störender sozialer oder sozioökonomischer Zeitgeber wie Nacht- und Schichtarbeit, Zeitzonensprünge/Jetlag und mögliche Fehlanpassungen an den geopysikalisch und sozioökonomisch vorgegebenen Tag-Nacht-Rhythmus geprüft werden („Chronobiologie“). Die Diagnosefindung kann zu diesem Zeitpunkt neben der Anamnese durch Schicht- und Dienstpläne, Schlaftagebücher und objektivierende Aktivitätsmessungen zum Tag-Nacht-Verhalten durch 1-Kanal-Rekorder unterstützt werden. Darüber hinaus sind der Gebrauch, aber auch der Missbrauch von Genuss- und Suchtmitteln sowie die Einnahme von Medikamenten zu klären.
Siehe auch „Algorithmus Nicht erholsamer Schlaf“.

Labordiagnostik

Um die Strukturqualität nach Donabedian (1980) in der schlafmedizinischen Diagnostik nach „ICSD-3“ sicherzustellen, wurde die Schlaflaborakkreditierung (Schädlich et al. 2017) geschaffen, die einen Mindeststandard für die apparative, personelle und räumliche Ausstattung sowie die verwendeten Messgrößen vorsieht. Auch die Befundung und die Arbeitsorganisation inklusive Personalschlüssel, Personalqualifikation, Arbeitszeitorganisation und Auslastung im Schlaflabor sind nach vorgegebenen Kriterien durchzuführen. Fachkenntnisse müssen Ausbildungsstandards entsprechen. Die Signalqualität wird über eine Biokalibrierung zu Beginn einer Aufzeichnung kontrolliert. Im Rahmen der Akkreditierung findet außerdem eine Begehung durch Experten statt. Die Akkreditierung wird im 2-Jahres-Intervall mittels Fragebogen wiederholt.
Der diagnostische Prozess, wenn er über ein akkreditiertes Schlaflabor beziehungsweise nach den Vorgaben der Leitlinie durchgeführt wird, ist damit hinsichtlich Umfang und Aufwand, auch bezüglich der apparativen Vorgaben, weitgehend festgelegt (siehe auch „Qualitätsmanagement in der Schlafmedizin“). Für die besonders häufig diagnostizierten Schlafbezogenen Atmungsstörungen gelten außerdem Gesetzesvorlagen der vertragsärztlichen Versorgung speziell zur apparativen Diagnostik und weiteren Randbedingungen der Untersuchung, die einzuhalten sind (siehe „Diagnostik der Schlafbezogenen Atmungsstörungen“).
Als generelles Qualitätskriterium für das bestmögliche Verfahren gilt die Wahrscheinlichkeit, mit der eine Erkrankung richtig erkannt beziehungsweise eine nicht vorliegende Erkrankung ausgeschlossen werden kann (Sensitivität und Spezifität). Um eine hohe Qualität zu erreichen, müssen daher die Maßzahlen für die Nützlichkeit der apparativen und nichtapparativen Verfahren im Einzelnen und auch als Kombination im Gesamtprozess der Diagnostik bekannt sein. Diese liegen bislang nur für einzelne Fragebögen, Gerätegruppen und Krankheitsbilder vor. Die apparative Erkennung Schlafbezogener Atmungsstörungen wurde zum Beispiel als Metaanalyse von Ross et al. (2000) und der Leitfaden von Kushida et al. (2005) ausgearbeitet. In der Metaanalyse wird die Polysomnographie mit anderen, einfacheren Messverfahren aus 71 Studien verglichen, deren Sensitivität jedoch nur bis auf maximal 87 % und deren Spezifität im Vergleich zur Polysomnographie-freien Diagnostik nur Werte von maximal 65–70 % zum sicheren Ausschluss einer Obstruktiven Schlafapnoe erreicht. Auch wird ein unbeaufsichtigtes Heimmonitoring mittels 4-Kanal-Recorder weder zur Einschluss- noch zur Ausschlussdiagnostik empfohlen (Chesson et al. 2003). Siehe auch „Ambulantes Monitoring“.
Nicht nur die Gerätestufe hat einen Einfluss auf das Ergebnis, sondern auch die Auswahl der verwendeten Variablen (Schnarch-, Apnoe-Hypopnoe-, Entsättigungs- oder Arousal-Indizes, RERAs) und besonders die festgesetzten Grenzwerte, die zur Befundermittlung verwendet werden. Solche Grenzwerte zur Unterscheidung von „gesund“, „grenzwertig“, „leicht“, „mittel“ oder „schwer erkrankt“ bestimmen das Morbiditätsprofil einzelner Personengruppen und den Leistungsumfang der medizinischen Gesamtversorgung. Aufwand und Anzahl der einzusetzenden Testverfahren sind allerdings prinzipiell nicht bis ins Detail vorgegeben, sodass Über- oder Unterdiagnostik mitunter nicht auszuschließen sind.
Über- und Unterversorgung, die daraus resultieren, dürfen nicht nur an den entstehenden Kosten gemessen werden. Vom Standpunkt der bedarfsgerechten Versorgung muss stets auch der Nutzen berücksichtigt werden, der den Kosten gegenübersteht. Hierzu zählen eingesparte Arbeitsunfähigkeits- und Krankheitstage, Reduzierung von Vorsorgeaufwendungen, Therapie, Nachsorge und Pflege, Minimierung von Multimorbidität und Folgeerkrankungen (Schlaganfall) und der Gewinn an Lebensqualität und qualitätsadaptierten Lebensjahren, sogenannten QALYs (siehe „Pharmakoökonomie“). Erst die Berücksichtigung von Nutzwerten führt zu einem vollständigen Bild gesundheitsökonomisch begründeter, versorgungstechnischer Notwendigkeiten.
Ziel des Qualitätsmanagements in der Diagnostik ist die fortlaufende Qualitätsverbesserung zur bestmöglichen Ermittlung von Morbidität und zur Vermeidung von Fehl-, Über- und Unterversorgung. Die Beschränkung auf effektive und qualitativ hochwertige Verfahren ist daher ein Qualitätsbeitrag zur Vermeidung von unnötigen Kosten. Im Rahmen der Prozessbewertung muss stets auch die Wirtschaftlichkeit und Bedarfsgerechtigkeit am Nutzen gemessen werden, um den personellen, organisatorischen und therapeutischen Aufwand angemessen zu gestalten.

Bewertung und Ausblick

Zu den Bestandteilen und Methoden des QM in der Diagnostik gehören Verfahren wie Leitlinien, Zertifizierungen (DIN/ISO), nachgewiesene Strukturqualität (Akkreditierung) eines Schlaflabors, die Berücksichtigung von evidenzbasierter Medizin (HTA-Reports, Cochrane Library) und gesetzliche Bestimmungen.
Die Erfahrung der letzten Jahre zeigt, dass die Diskussion um den adäquaten diagnostischen Prozess entscheidend vom Standpunkt abhängt, der gesundheitsökonomisch und versorgungsstrategisch vertreten wird. Aus Sicht der Krankenkassen und kassenärztlichen Vereinigungen wird ein Verfahren bevorzugt, wie es die BUB-Richtlinie vorgibt, in der eine schlafmedizinische Diagnose zugelassen ist, ohne den Schlaf je gemessen zu haben und dies als hinreichend angesehen wird. Aus Sicht der Industrie, die sich mit innovativen Entwicklungen um einfache und störungsarme ambulante Verfahren verdient gemacht hat, sind Schnarchindikatoren zur Erkennung von Schlafbezogenen Atmungsstörungen hinreichend. Aus Sicht der DGSM steht die Sicherung der Prozessqualität an oberster Stelle. Die Praxis ist mittlerweile davon geprägt, dass eine Verlagerung von der stationären in die ambulante Diagnostik gesundheitsökonomisch begründet erwünscht ist, obwohl der Beweis dafür aussteht, das die gewünschten Effekte auch eintreten. Auch werden inzwischen häufig Individuelle Gesundheitsleistungen (IGEL) in Anspruch genommen, vom Patienten mit angestrebten Minimalkosten getragen. Ein regelmäßiges Update der benutzten Verfahren ist Voraussetzung, um dem gesetzlichen Auftrag zur Weiterentwicklung der Versorgungsqualität gerecht zu werden.
Der diagnostische Prozess ist entscheidendes Steuerungsinstrument für Kosten, Folgekosten und Gesamtumfang zu erbringender medizinischer Leistungen. Kosten, die vordergründig der Solidargemeinschaft (Gesetzliche Krankenversicherung, Rentenversicherung, Unfallversicherung, andere Sozialträger) abverlangt werden, sind aber nur eine Seite der gesundheitsökonomischen Betrachtungen. Unberücksichtigt bleibt dabei der Nutzen, der bei rechtzeitiger Intervention (Prävention) und Therapie langfristige Kosten verhindert, die zum Beispiel durch Chronifizierung oder Folgekosten (Pflege) entstehen. Hochwertige Untersuchungen, die solche Beziehungen analysieren (zum Beispiel HTA-Reports, Hailey et al. 2005) müssen daher stets Aufwand und Nutzen gegenüberstellen. An entsprechenden Studien zur Versorgungsforschung herrscht in Deutschland ein großer Mangel. Siehe auch „Gesundheitspolitik“.
Literatur
Chesson AL, Berry RB, Pack A (2003) Practice parameters for the use of portable monitoring devices in the investigation of suspected obstructive sleep apnea in adults. Sleep 26:907–913CrossRef
Donabedian A (1980) The definition of quality and approaches to its assessment, Explorations in quality assessment and monitoring, Bd I. Health Administration Press, Ann Arbor
Hailey D, Tran K, Dales R et al (2005) A review of guidelines for referral of patients to sleep laboratories, Technology report no 55. Canadian Coordinating Office for Health Technology, Ottawa
Kushida CA, Littner MR, Morgenthaler T et al (2005) Practice parameters for indications for polysomnography and related procedures: an update for 2005. Sleep 28:499–519CrossRef
Mayer G, Arzt M, Braumann B et al (2017) Leitlinie S3 Nicht erholsamer Schlaf/Schlafstörungen Kapitel „Schlafbezogene Atmungsstörungen bei Erwachsenen“. Somnologie 20(Suppl s2):S97–S180
Riemann D, Baum E, Cohrs S et al (2017) Leitlinie S3 Nicht erholsamer Schlaf/Schlafstörungen Kapitel „Insomnie bei Erwachsenen“. Somnologie 21:2–44CrossRef
Ross SD, Sheinhait IA, Harrison KJ et al (2000) Systematic review and meta-analysis of the literature regarding the diagnosis of sleep apnea. Sleep 23:519–532CrossRef
Schädlich S, Warmuth R, Rodenbeck A (2017) Leitfaden und Kriterien für die Akkreditierung von Schlaflaboren der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM). Somnologie 21:200–2019CrossRef