Anamnese
Die Diagnose geht von subjektiven Beschwerden und Symptomen (siehe „Beschwerden und Symptome“) aus, die sich äußern als Einschränkungen der Gesundheit, der körperlichen, psychomentalen und psychosozialen Leistungsfähigkeit und der Teilnahmefähigkeit am beruflichen und sozialen Leben einschließlich der daraus resultierenden Einschränkungen der
Lebensqualität. Die Erstdiagnostik schlafmedizinischer Beschwerden wird gemäß der Leitlinie
Nicht erholsamer Schlaf nach einem klinischen Algorithmus durchlaufen, der sämtliche Schritte und Untersuchungsebenen der Diagnostik enthält (Mayer et al.
2017; Riemann et al.
2017). An erster Stelle stehen standardisierte Interviews, Leitfäden, „Fragebögen“, Verhaltensbeobachtung, Selbstbeurteilungsbögen, Symptomtagebücher und visuelle Analogskalen (siehe auch „Messung im Schlaflabor“). Diese werden durch Selbstbeurteilung des Patienten oder Fremdbeurteilung ausgefüllt beziehungsweise beantwortet. Die empfohlenen Instrumente stehen in deutschen Versionen zur Verfügung und genügen testtheoretischen Anforderungen an Reliabilität und
Validität. Entsprechend auszuwählende psychometrische Instrumente dienen als Leitfaden zur genauen Diagnosefindung. Weiterhin wird eingangs abgeklärt, inwieweit Verhaltens- und Lebensgewohnheiten als Verursacher des nicht erholsamen Schlafs infrage kommen. Hierfür ist eine sorgfältige Anamnese notwendig. Schlaftagebücher und Symptomfragebögen können diesen Diagnoseschritt hilfreich unterstützen. Weiterhin muss der Einfluss störender sozialer oder sozioökonomischer Zeitgeber wie Nacht- und Schichtarbeit, Zeitzonensprünge/
Jetlag und mögliche Fehlanpassungen an den geopysikalisch und sozioökonomisch vorgegebenen Tag-Nacht-Rhythmus geprüft werden („Chronobiologie“). Die Diagnosefindung kann zu diesem Zeitpunkt neben der Anamnese durch Schicht- und Dienstpläne, Schlaftagebücher und objektivierende Aktivitätsmessungen zum Tag-Nacht-Verhalten durch 1-Kanal-Rekorder unterstützt werden. Darüber hinaus sind der Gebrauch, aber auch der Missbrauch von Genuss- und Suchtmitteln sowie die Einnahme von Medikamenten zu klären.
Siehe auch „Algorithmus Nicht erholsamer Schlaf“.
Labordiagnostik
Um die Strukturqualität nach Donabedian (
1980) in der schlafmedizinischen Diagnostik nach „ICSD-3“ sicherzustellen, wurde die Schlaflaborakkreditierung (Schädlich et al.
2017) geschaffen, die einen Mindeststandard für die apparative, personelle und räumliche Ausstattung sowie die verwendeten
Messgrößen vorsieht. Auch die Befundung und die Arbeitsorganisation inklusive Personalschlüssel, Personalqualifikation, Arbeitszeitorganisation und Auslastung im Schlaflabor sind nach vorgegebenen Kriterien durchzuführen. Fachkenntnisse müssen Ausbildungsstandards entsprechen. Die Signalqualität wird über eine Biokalibrierung zu Beginn einer Aufzeichnung kontrolliert. Im Rahmen der
Akkreditierung findet außerdem eine Begehung durch Experten statt. Die Akkreditierung wird im 2-Jahres-Intervall mittels Fragebogen wiederholt.
Der diagnostische Prozess, wenn er über ein akkreditiertes Schlaflabor beziehungsweise nach den Vorgaben der Leitlinie durchgeführt wird, ist damit hinsichtlich Umfang und Aufwand, auch bezüglich der apparativen Vorgaben, weitgehend festgelegt (siehe auch „Qualitätsmanagement in der Schlafmedizin“). Für die besonders häufig diagnostizierten
Schlafbezogenen Atmungsstörungen gelten außerdem Gesetzesvorlagen der vertragsärztlichen Versorgung speziell zur apparativen Diagnostik und weiteren Randbedingungen der Untersuchung, die einzuhalten sind (siehe „Diagnostik der Schlafbezogenen Atmungsstörungen“).
Als generelles Qualitätskriterium für das bestmögliche Verfahren gilt die Wahrscheinlichkeit, mit der eine Erkrankung richtig erkannt beziehungsweise eine nicht vorliegende Erkrankung ausgeschlossen werden kann (Sensitivität und Spezifität). Um eine hohe Qualität zu erreichen, müssen daher die Maßzahlen für die Nützlichkeit der apparativen und nichtapparativen Verfahren im Einzelnen und auch als Kombination im Gesamtprozess der Diagnostik bekannt sein. Diese liegen bislang nur für einzelne Fragebögen, Gerätegruppen und Krankheitsbilder vor. Die apparative Erkennung
Schlafbezogener Atmungsstörungen wurde zum Beispiel als
Metaanalyse von Ross et al. (
2000) und der Leitfaden von Kushida et al. (
2005) ausgearbeitet. In der Metaanalyse wird die
Polysomnographie mit anderen, einfacheren
Messverfahren aus 71 Studien verglichen, deren Sensitivität jedoch nur bis auf maximal 87 % und deren Spezifität im Vergleich zur Polysomnographie-freien Diagnostik nur Werte von maximal 65–70 % zum sicheren Ausschluss einer Obstruktiven Schlafapnoe erreicht. Auch wird ein unbeaufsichtigtes Heimmonitoring mittels 4-Kanal-Recorder weder zur Einschluss- noch zur
Ausschlussdiagnostik empfohlen (Chesson et al.
2003). Siehe auch „Ambulantes Monitoring“.
Nicht nur die Gerätestufe hat einen Einfluss auf das Ergebnis, sondern auch die Auswahl der verwendeten Variablen (Schnarch-, Apnoe-Hypopnoe-, Entsättigungs- oder Arousal-Indizes, RERAs) und besonders die festgesetzten Grenzwerte, die zur Befundermittlung verwendet werden. Solche Grenzwerte zur Unterscheidung von „gesund“, „grenzwertig“, „leicht“, „mittel“ oder „schwer erkrankt“ bestimmen das Morbiditätsprofil einzelner Personengruppen und den Leistungsumfang der medizinischen Gesamtversorgung. Aufwand und Anzahl der einzusetzenden
Testverfahren sind allerdings prinzipiell nicht bis ins Detail vorgegeben, sodass Über- oder Unterdiagnostik mitunter nicht auszuschließen sind.
Über- und Unterversorgung, die daraus resultieren, dürfen nicht nur an den entstehenden Kosten gemessen werden. Vom Standpunkt der bedarfsgerechten Versorgung muss stets auch der Nutzen berücksichtigt werden, der den Kosten gegenübersteht. Hierzu zählen eingesparte Arbeitsunfähigkeits- und Krankheitstage, Reduzierung von Vorsorgeaufwendungen, Therapie, Nachsorge und Pflege, Minimierung von Multimorbidität und Folgeerkrankungen (
Schlaganfall) und der Gewinn an
Lebensqualität und qualitätsadaptierten Lebensjahren, sogenannten QALYs (siehe „Pharmakoökonomie“). Erst die Berücksichtigung von Nutzwerten führt zu einem vollständigen Bild gesundheitsökonomisch begründeter, versorgungstechnischer Notwendigkeiten.
Ziel des
Qualitätsmanagements in der Diagnostik ist die fortlaufende Qualitätsverbesserung zur bestmöglichen Ermittlung von Morbidität und zur Vermeidung von Fehl-, Über- und Unterversorgung. Die Beschränkung auf effektive und qualitativ hochwertige Verfahren ist daher ein Qualitätsbeitrag zur Vermeidung von unnötigen Kosten. Im Rahmen der Prozessbewertung muss stets auch die Wirtschaftlichkeit und Bedarfsgerechtigkeit am Nutzen gemessen werden, um den personellen, organisatorischen und therapeutischen Aufwand angemessen zu gestalten.
Bewertung und Ausblick
Zu den Bestandteilen und Methoden des QM in der Diagnostik gehören Verfahren wie Leitlinien,
Zertifizierungen (DIN/ISO), nachgewiesene Strukturqualität (
Akkreditierung) eines Schlaflabors, die Berücksichtigung von
evidenzbasierter Medizin (HTA-Reports, Cochrane Library) und gesetzliche Bestimmungen.
Die Erfahrung der letzten Jahre zeigt, dass die Diskussion um den adäquaten diagnostischen Prozess entscheidend vom Standpunkt abhängt, der gesundheitsökonomisch und versorgungsstrategisch vertreten wird. Aus Sicht der Krankenkassen und kassenärztlichen Vereinigungen wird ein Verfahren bevorzugt, wie es die
BUB-Richtlinie vorgibt, in der eine schlafmedizinische Diagnose zugelassen ist, ohne den Schlaf je gemessen zu haben und dies als hinreichend angesehen wird. Aus Sicht der Industrie, die sich mit innovativen Entwicklungen um einfache und störungsarme ambulante Verfahren verdient gemacht hat, sind Schnarchindikatoren zur Erkennung von
Schlafbezogenen Atmungsstörungen hinreichend. Aus Sicht der DGSM steht die Sicherung der Prozessqualität an oberster Stelle. Die Praxis ist mittlerweile davon geprägt, dass eine Verlagerung von der stationären in die ambulante Diagnostik gesundheitsökonomisch begründet erwünscht ist, obwohl der Beweis dafür aussteht, das die gewünschten Effekte auch eintreten. Auch werden inzwischen häufig Individuelle Gesundheitsleistungen (IGEL) in Anspruch genommen, vom Patienten mit angestrebten Minimalkosten getragen. Ein regelmäßiges Update der benutzten Verfahren ist Voraussetzung, um dem gesetzlichen Auftrag zur Weiterentwicklung der Versorgungsqualität gerecht zu werden.
Der diagnostische Prozess ist entscheidendes Steuerungsinstrument für Kosten, Folgekosten und Gesamtumfang zu erbringender medizinischer Leistungen. Kosten, die vordergründig der Solidargemeinschaft (Gesetzliche Krankenversicherung, Rentenversicherung, Unfallversicherung, andere Sozialträger) abverlangt werden, sind aber nur eine Seite der gesundheitsökonomischen Betrachtungen. Unberücksichtigt bleibt dabei der Nutzen, der bei rechtzeitiger Intervention (Prävention) und Therapie langfristige Kosten verhindert, die zum Beispiel durch Chronifizierung oder Folgekosten (Pflege) entstehen. Hochwertige Untersuchungen, die solche Beziehungen analysieren (zum Beispiel HTA-Reports, Hailey et al.
2005) müssen daher stets Aufwand und Nutzen gegenüberstellen. An entsprechenden Studien zur Versorgungsforschung herrscht in Deutschland ein großer Mangel. Siehe auch „Gesundheitspolitik“.