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Enzyklopädie der Schlafmedizin
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Publiziert am: 28.02.2020

Rheumatische Erkrankungen

Verfasst von: Christoph Baerwald
Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises umfassen unterschiedliche Erkrankungen des Bindegewebes und schmerzhafte Störungen des Bewegungsapparats, die sämtlich potenziell zur Ausbildung chronischer Symptome führen können. In diesem Beitrag wird der Zusammenhang mit dem Schlaf dargestellt.

Synonyme

Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises

Englischer Begriff

rheumatic diseases

Definition

Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises umfassen unterschiedliche Erkrankungen des Bindegewebes und schmerzhafte Störungen des Bewegungsapparats, die sämtlich potenziell zur Ausbildung chronischer Symptome führen können. In diesem Beitrag wird der Zusammenhang mit dem Schlaf dargestellt.

Genetik, Geschlechterwendigkeit

Für viele rheumatische Erkrankungen konnte eine genetische Prädisposition festgestellt werden. Dabei sind vor allen Dingen Gene im HLA-Bereich mit der Entwicklung einer rheumatischen Erkrankung assoziiert. Bei den meisten rheumatischen Erkrankungen sind häufiger Frauen als Männer betroffen, so zum Beispiel bei der rheumatoiden Arthritis, während bei einigen Erkrankungen auch Männer häufiger als Frauen erkranken, so zum Beispiel bei Spondyloarthritiden und Morbus Bechterew. Es konnte jedoch keine genetische Prädisposition für die Entwicklung von Schlafstörungen bei den Erkrankungen festgestellt werden.

Epidemiologie und Risikofaktoren

Bei den über 400 Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises sind nur wenige Erkrankungen bezüglich Schlafstörungen untersucht wurden. Am besten dokumentiert sind Schlafstörungen bei Patienten mit rheumatoider Arthritis, dort betreffen sie bis zu 70 % der Patienten. Auch bei einem systemischen Lupus erythematodes, der häufigsten Kollagenose, werden bei bis zu 60 % der Patienten Schlafstörungen berichtet. Eine ähnliche Häufigkeit von Schlafstörungen findet sich auch bei Patienten mit einem Sjögren-Syndrom. Bei Patienten mit Osteoarthrose liegen ebenfalls Daten zu Schlafstörungen vor. Bei allen rheumatischen Erkrankungen bestehen in mehr oder weniger ausgeprägtem Maße Schmerzen im Muskuloskelettalsystem, dabei prädisponieren die Schmerzen zur Entwicklung von Schlafstörungen („Schmerz“).

Pathophysiologie, Psychophysiologie

Bei Patienten mit rheumatischen Erkrankungen ist es sehr schwer zu differenzieren, inwieweit der Erkrankungsprozess selbst Schlafstörungen hervorruft. Aufgrund der im Vordergrund stehenden Schmerzen im Bewegungsapparat allein kann schon eine Schlafstörung induziert werden, auf der anderen Seite hat ein gestörter Schlaf auch eine Zunahme der Schmerzintensität zur Folge. So konnten Studien zeigen, dass gesunde Kontrollpersonen, die einem experimentellen „Schlafentzug“ für das Stadium 4 des NREM-Schlafs unterzogen wurden, muskuloskelettale Schmerzen entwickelten. Auf der anderen Seite hat die Schmerzinduktion bei gesunden Kontrollen im Schlaf-EEG eine Störung des Slow Wave Sleep (SWS) der Stadien 3 und 4 zur Folge. Bei Patienten mit rheumatischen Erkrankungen ist noch ungeklärt, ob die Schlafstörungen den physiologischen und psychologischen Veränderungen folgen oder vorausgehen, allerdings gibt es erste Studien, die auf eine Erhöhung des Risikos für Autoimmunerkrankungen durch Schlafstörungen („non-apnea sleep disorder“, NSD) hinweisen. Patienten mit rheumatoider Arthritis (RA) haben einen stärker fragmentierten und unruhigen Schlaf, der mit der Krankheitsaktivität assoziiert ist. Patienten mit einer Exazerbation der rheumatoiden Arthritis haben häufig auch verstärkte Schmerzen, was einen nicht erholsamen Schlaf zur Folge hat. Dies wiederum verstärkt die Schmerzsymptomatik der Patienten mit Morgensteifigkeit, morgendlichen Schmerzen und Abgeschlagenheit.
Bei der Entwicklung oder auch Verstärkung der Schlafstörungen von Patienten mit rheumatischen Erkrankungen spielen auch proinflammatorische Zytokine eine Rolle, die bei der rheumatoiden Arthritis in erhöhten Konzentrationen nachweisbar sind. Bei diesen Zytokinen sind vor allen Dingen Interleukin-1β, Tumornekrosefaktor-α und Interleukin-6 zu nennen. Zur Bedeutung dieser Zytokine für den Schlaf siehe „Infektionskrankheiten ohne Befall des Zentralnervensystems“. Eine weitere Ursache der Schlafstörungen bei Patienten mit rheumatoider Arthritis könnte in der gestörten Sekretion von Melatonin liegen („Melatonin und zirkadianer Rhythmus“). Es konnte in einer Studie eine gestörte Sekretionsrhythmik bei insgesamt niedrigeren Melatoninspiegeln bei RA-Patienten gefunden werden. Bei den anderen Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises sind die pathophysiologischen Zusammenhänge bis auf die Veränderungen in den Zytokinspiegeln nicht genauer bekannt. Unverändert bleibt jedoch der Zusammenhang von gestörtem Schlaf und Schmerzen des muskuloskelettalen Systems, die das Leitsymptom bei rheumatischen Erkrankungen darstellen. Diese Assoziation ist auch schon bei Kindern mit einer juvenilen idiopathischen Arthritis vorhanden.

Symptomatik

Beschwerden und Symptome

Bei den Patienten mit rheumatischen Erkrankungen findet sich nahezu jede Form einer Schlafstörung. Von Einschlafstörungen über häufiges nächtliches Erwachen bis hin zur ausgeprägten Tagesschläfrigkeit finden sich auch eine gehäufte Inzidenz des Restless-Legs-Syndroms (RLS; siehe „Restless-Legs-Syndrom“) und periodische Extremitätenbewegungen im Schlaf (PLMS; „Periodic Limb Movement Disorder“). Die Patienten berichten häufig über eine schlechte Schlafeffizienz und über verlängerte Zeit des Wachseins im Verlaufe der Nacht. Alle Symptome nahmen bei einer Exazerbation der Erkrankung zu. Bei Patienten mit einem systemischen Lupus erythematodes, einem Sjögren-Syndrom oder einer Osteoarthrose waren ähnliche Symptome auffällig. Speziell bei Patienten mit rheumatoider Arthritis fand sich mit 10,5–30,8 % gehäuft ein Schlafapnoesyndrom, wobei in seltenen Fällen auch ein Schlafapnoesyndrom aufgrund einer Alteration des Hirnstamms im Rahmen einer Manifestation der rheumatoiden Arthritis an der Halswirbelsäule vorliegen kann.
Patienten mit Spondyloarthropathien, wie zum Beispiel dem Morbus Bechterew, klagen typischerweise über tiefsitzende Rückenschmerzen vor allem in den frühen Morgenstunden, was den Schlaf tiefgreifend stört. Zwischen 50 % und 80 % der Patienten klagen somit über zu wenig Schlaf, inadäquaten Schlaf und Tagesschläfrigkeit.

Erstmanifestation

Die Schlafbeschwerden manifestieren sich bei diesen Patienten erst nach Ausbruch der Erkrankung, auch wenn es erst Hinweise gibt, dass Schlafstörungen das Risiko für Autoimmunerkrankungen erhöhen können. Bei den Patienten mit einer juvenilen idiopathischen Arthritis sind die Beschwerden dementsprechend auch schon im Kindesalter vorhanden.

Verlauf

Der Verlauf der Schlafstörungen hängt von der Grunderkrankung ab, sodass es bei einer Remission der Erkrankung und bei Schmerzfreiheit häufig auch zu einer Remission der Schlafstörung kommt. Auf der anderen Seite kommt es aufgrund des häufig chronischen Verlaufs der rheumatischen Beschwerden auch zu chronischen Schmerzen und demzufolge auch zu chronischen Schlafstörungen, sodass bei der Diagnostik und Therapie der Patienten diese spezielle Symptomatik berücksichtigt werden muss.

Psychosoziale Faktoren

Die Chronizität der Grunderkrankung und auch die Schlafstörungen sind gehäuft mit depressiven Störungen assoziiert, was wiederum die Schlafstörungen verstärken kann (siehe „Affektive Störungen“). Die Tagesschläfrigkeit schränkt die Leistungsfähigkeit der Patienten ein, was mit dazu beiträgt, dass die Patienten früher aus dem Beruf ausscheiden und bezüglich der Verdienstmöglichkeiten deutlich hinter einer gesunden Vergleichsgruppe zurückliegen. Bei Kindern führen die Schlafstörungen und die Tagesschläfrigkeit zu einer verminderten Leistungsfähigkeit in der Schule und beim Erlernen eines Berufs.

Diagnostik

Schlafanamnese und Fragebögen gehören zur Diagnostik von Patienten mit rheumatischen Erkrankungen. Für Felduntersuchungen werden auch die ambulanten Diagnoseverfahren wie die „Aktigraphie“ eingesetzt. Bei schwerer Tagesschläfrigkeit kann die Diagnostik im Schlaflabor mittels Kardiorespiratorischer Polysomnographie („Kardiorespiratorische Polysomnographie“) notwendig werden.
Analysen zum Vergleich der Angaben von RA-Patienten mit den objektiven Messdaten im Schlaflabor haben gezeigt, dass die Patienten dazu neigen, ihre Beeinträchtigung durch nicht erholsamen Schlaf unterzubewerten. Dass sie ihre Schlafqualität trotz häufigen Erwachens und fragmentierten Schlafs als gut beurteilten, wird darauf zurückgeführt, dass bei vielen Patienten eine Adaptation bzw. ein Coping stattfindet.

Therapie

Therapeutisch steht die Behandlung der Grunderkrankung im Vordergrund, da eine Reduktion des Schmerzes sehr häufig auch zu einer Verbesserung des Schlafs führt. Aufgrund des chronischen Charakters der Erkrankungen sollte aber auch vermehrt Augenmerk auf ein konsequentes Schlafmanagement gerichtet werden. Dabei sollte vor allem auf adäquate „Schlafhygiene“ geachtet werden. Weiterhin können Entspannungstechniken, Anwendung von Wärme und eine „Kognitive Verhaltenstherapie“ zur Anwendung kommen. Eine medikamentöse Therapie mit „Benzodiazepinen“, „Antidepressiva“ oder „Neuroleptika“ bleibt Einzelfällen vorbehalten. Die Therapie der Grunderkrankung scheint auch Einfluss auf den Schlaf zu haben (Detert et al. 2016).

Zusammenfassung, Bewertung

Bei allen rheumatischen Erkrankungen stehen Schmerzen des Bewegungsapparats an vorderster Stelle der Symptomatik. Zum einen durch die Schmerzen, zum anderen jedoch auch durch den Erkrankungsprozess selbst ist der Schlaf bei den betroffenen Patienten sehr häufig gestört. Dabei spielen vor allem proinflammatorische Zytokine und bei einem Teil der Patienten auch eine gestörte Melatoninsekretion eine Rolle. Zwischen den Symptomen Schmerz und Schlafstörung besteht eine Wechselbeziehung, indem sich beide gegenseitig verstärken. Somit ist bei dem Patienten mit rheumatischen Erkrankungen speziell nach Schlafstörungen zu fahnden. Therapeutisch stehen die Behandlung der Grundkrankheit im Vordergrund sowie eine Reduktion der Schmerzen, während eine medikamentöse Therapie der Schlafstörungen aufgrund des chronischen Charakters der Erkrankungen nur in Einzelfällen und über kurze Zeit durchgeführt werden sollte. Zur Minderung der Schlafstörungen sollten Maßnahmen wie die Beachtung der Regeln der Schlafhygiene, eine kognitive Verhaltenstherapie oder auch physikalische Therapiemaßnahmen wie Wärmeanwendungen oder Relaxationsübungen zur Anwendung kommen.
Literatur
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