Enzyklopädie der Schlafmedizin
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Verfasst von:
Peter Young
Publiziert am: 09.03.2022

Schädel-Hirn-Trauma

Ein Schädel-Hirn-Trauma (SHT) bezeichnet jede geschlossene Verletzung des Schädels mit Hirnbeteiligung. Reine Schädelfrakturen werden nicht zu den Schädel-Hirn-Traumata gezählt. Die Einteilung erfolgt in drei Schweregrade. Grundlegend für die Einteilung ist die Dauer der mit dem Trauma verbundenen Bewusstlosigkeit. Eine spezifische Schlafstörung, die mit einem Schädel-Hirn-Trauma assoziiert ist, gibt es nicht. Es können mit einem Schädel-Hirn-Trauma verschiedene posttraumatische auftretende Schlafstörungen assoziiert sein: Hypersomnien, Insomnien und Schlafbezogene Atmungsstörungen (SBAS).

Synonyme

SHT; Schädeltrauma; Schädel-Hirn-Verletzung

Englischer Begriff

traumatic brain injury; head trauma

Definition

Ein Schädel-Hirn-Trauma (SHT) bezeichnet jede geschlossene Verletzung des Schädels mit Hirnbeteiligung. Reine Schädelfrakturen werden nicht zu den Schädel-Hirn-Traumata gezählt. Die Einteilung erfolgt in drei Schweregrade. Grundlegend für die Einteilung ist die Dauer der mit dem Trauma verbundenen Bewusstlosigkeit:
Ein Schädel-Hirn-Trauma 1. Grades entspricht einer Commotio cerebri, Gehirnerschütterung, und ist durch eine gedeckte Hirnverletzung mit einer Bewusstlosigkeit von maximal 60 Minuten gekennzeichnet. Patienten mit einer Commotio cerebri haben eine retrograde Amnesie, die fakultativ mit Übelkeit und ungerichtetem Schwindel einhergehen kann.
Ein Schädel-Hirn-Trauma 2. Grades entspricht einer Contusio cerebri und ist durch Bewusstlosigkeit von mehr als 60 Minuten gekennzeichnet. Diese Schädel-Hirn-Traumata führen zu irreversiblen, in der Magnetresonanztomographie (MRT) oder der Computertomographie (CT) des Schädels identifizierbaren morphologischen Veränderungen des Hirngewebes. Klinische Symptome einer Contusio cerebri sind eine längere Bewusstlosigkeit von Stunden bis Tage, zentrale Herdsymptome und bleibende neurologische Defizite, die leichten Ausmaßes sein oder bis zum Apallischen Syndrom reichen können.
Ein Schädel-Hirn-Trauma 3. Grades entspricht einer Compressio cerebri und bezeichnet die schwerste Form der Schädel-Hirn-Traumata. Hierbei kommt es zu einer Einklemmung oder Quetschung des Gehirns mit nachfolgender Einblutung und Hirnödembildung. Klinisch ist die Compressio cerebri durch ein lang anhaltendes Koma gekennzeichnet (siehe auch „Wachheit und Schlaf“).
Eine spezifische Schlafstörung, die mit einem Schädel-Hirn-Trauma assoziiert ist, gibt es nicht. Es können mit einem Schädel-Hirn-Trauma verschiedene posttraumatische auftretende Schlafstörungen assoziiert sein: „Hypersomnie“, „Insomnien“ und „Schlafbezogene Atmungsstörungen (SBAS)“. Die Häufigkeit posttraumatisch auftretender Schlafstörungen nach einem Schädel-Hirn-Trauma wird, unabhängig vom Schweregrad des Schädel-Hirn-Traumas, mit fast 50 % angegeben (Mathias und Alvaro 2012).

Genetik

Es gibt keine umfangreichen Untersuchungen zur genetischen Prädisposition für posttraumatisch auftretende Schlafstörungen nach Schädel-Hirn-Trauma. „Posttraumatische Hypersomnie“ können einer „Narkolepsie“ ähnlich sein, ohne dass sich in diesen Fällen der mit der Narkolepsie gehäuft assoziierte HLA-DR15(2) Haplotyp (DQB1∗0602-positiv) nachweisen lässt. In einer Fallsammlung wurden vier Patienten beschrieben, die an einer posttraumatischen symptomatischen Narkolepsie litten und die eine Assoziation mit einem DR16-DQ5-Haplotyp zeigten (Autret et al. 2001).

Pathophysiologie, Psychophysiologie

Im Falle eines Schädel-Hirn-Traumas 2. und 3. Grades kommt es zu einer intraparenchymatösen Schädigung des Gehirns. Die Schädigungsmuster können völlig unterschiedlicher Art sein. Während kortikale Defekte sehr viel häufiger zu posttraumatischen Epilepsien als zu nachweisbaren Schlafstörungen führen, können mesodienzephale Schädigungen zu einer Störung des Schlaf-Wach-Rhythmus und zu einer Störung des NREM-Schlafs führen. Hier wird von einigen Autoren eine Form der relativen zentralen Katecholamindefizienz postuliert (Autret et al. 2001) oder den Verlust „Wach-vermittlender“ histaminerger Neurone in bestimmten Hirnregionen. Schädigungen der zentralen pontinen Bahnen können zu Durchschlafstörungen im REM-Schlaf wie auch im NREM-Schlaf führen. Des Weiteren können insbesondere zentrale pontine Läsionen zu einer zentral bedingen Atemregulationsstörung führen, die sich klinisch als rein zentrale Schlafapnoe äußert. Aus diesem Grund gilt das Vorliegen eines reinen „Zentrale Schlafapnoesyndrome“ als eine ausreichende Indikation für eine weiterführende Hirnstammdiagnostik mit elektrophysiologischen Verfahren, zum Beispiel der Untersuchung von Blinkreflex und akustisch-evozierten Potentialen sowie mit bildgebender Diagnostik, die in erster Linie aus einer Magnetresonanztomographie (MRT) des Hirnstamms bestehen sollte.
In einigen Untersuchungen wurden jedoch auch Patienten mit posttraumatischen Schlafstörungen beschrieben, bei denen sich keinerlei morphologische Schädigungszeichen im MRT oder Veränderungen in den elektrophysiologischen Untersuchungen finden lassen (Autret et al. 2001). Welche Pathomechanismen beim Schädel-Hirn-Trauma 1. Grades zu Schlafstörungen führen, obwohl keine morphologisch nachweisbaren parenchymatösen Hirnveränderungen vorliegen, ist bislang nicht geklärt. Patienten mit Schädel-Hirn-Trauma 1. Grades können auch nach langer Latenz zum Schädel-Hirn-Trauma die Zeichen einer Insomnie mit polysomnographisch nachweisbar verlängerter Einschlaflatenz und vermehrten Weckreaktionen entwickeln, zum Beispiel noch sechs Monate nach einem Schädel-Hirn-Trauma. Bei Patienten mit Schädel-Hirn-Trauma 1. und 2. Grades sind psychiatrische und neuropsychologische Störungen zu beachten (siehe Abschn. „Komorbide Erkrankungen“). Besonders ist hier die posttraumatische Depression zu erwähnen, die in unterschiedlichen Untersuchungen mit einer Prävalenz bis 50 % angegeben wird (Morin et al. 2006). Das Zusammenkommen von verschiedenen Faktoren, die vor dem Schädel-Hirn-Trauma, während des Schädel-Hirn-Traumas und in der Postakutphase zusammenkommen müssen, um eine Schlafstörung zu generieren, sind insgesamt noch weitgehend unerforscht (Ouellet et al. 2015).

Symptomatik

Die führende akute klinische Manifestation eines Schädel-Hirn-Traumas ist die Bewusstlosigkeit. Je nach Schwere des Schädel-Hirn-Traumas ist eine unterschiedlich lange posttraumatische Rehabilitation des Patienten erforderlich. Schlafstörungen treten mit unterschiedlicher Latenz zu dem akuten Ereignis des Schädel-Hirn-Traumas auf. Posttraumatische Hypersomnien zeichnen sich durch einen vermehrten Schlaf auch am Tage aus. Imperativer Schlafdrang kann auftreten und die differentialdiagnostische Abgrenzung zur Narkolepsie erforderlich machen. Bei posttraumatischen Hypersomnien können auch hypnagoge Halluzinationen, automatisches Verhalten oder Schlaflähmungen vorkommen. Die Prävalenz beträgt 28 % (Ouellet et al. 2015). Beim Auftreten von Kataplexien muss von einer symptomatischen Narkolepsie ausgegangen werden, deren Häufigkeit mit 4 % angeben wird.
Insomnien stellen die zweite Gruppe von Schlafstörungen nach einem Schädel-Hirn-Trauma dar. Die Häufigkeit von Insomnien nach einem Schädel-Hirn-Trauma wird mit unterschiedlichen Prävalenzen angegeben (Ouellet et al. 2015). Klinisch und polysomnographisch werden verlängerte Einschlaflatenzen und eine Fragmentierung des Nachtschlafs beschrieben. Insomnien nach einem Schädel-Hirn-Trauma sind gehäuft assoziiert mit „Angsterkrankungen“, neuropsychologischen Defiziten und Depressionen (Ouellet et al. 2015). Siehe auch „Affektive Störungen“.
Apnoe-Syndrome kommen mit einer Prävalenz von 25 % vor (Mathias und Alvaro 2012). 17 % der hypersomnischen Patienten zeigten zusätzlich Apnoen im Schlaf oder periodische Extremitätenbewegungen im Schlaf (PLMS). Siehe auch „Periodic Limb Movement Disorder“.

Psychosoziale Faktoren

Ein Schädel-Hirn-Trauma stellt immer ein einschneidendes psychisches Erlebnis für den Betroffenen dar. Neben den möglichen intraparenchymatösen Schädigungen des Gehirns und des Hirnstamms kann ein Schädel-Hirn-Trauma zu einer posttraumatischen Belastungsreaktion führen, die ihrerseits auch zu einer zumindest vorübergehenden insomnischen Schlafstörung führen kann. Auch die Entwicklung einer posttraumatischen Depression und der damit verbundenen Schlafstörung kann durch psychosoziale Faktoren verstärkt werden. Bislang gibt es jedoch keine Untersuchungen über den Einfluss psychosozialer Faktoren auf das Auftreten von Schlafstörungen nach einem Schädel-Hirn-Trauma.

Komorbide Erkrankungen

Die häufigste posttraumatische Störung nach einem Schädel-Hirn-Trauma ist die Depression und die Angststörung (Morin et al. 2006). Durch die häufige Assoziation von Depressionen und Schädel-Hirn-Trauma muss im Falle von Schlafstörungen untersucht werden, ob eine Depression als komorbide Erkrankung vorliegt.
Schädel-Hirn-Traumata 2. und 3. Grades, die mit morphologischen Veränderungen einhergehen, wie sie in der Magnetresonanztomographie nachweisbar sind, führen gehäuft zu symptomatischen „Epilepsie“, die ihrerseits auch mit Schlafstörungen assoziiert sein können.

Diagnostik

Neben der klinischen Anamnese in Bezug auf die Schwere des Schädel-Hirn-Traumas ist die bildgebende Diagnostik (Magnetresonanztomographie und Computertomographie) der wichtigste Parameter zur Bestimmung morphologischer posttraumatischer Veränderungen des Gehirns. Magnetresonanztomographisch lassen sich posttraumatische Gliosen finden. Insbesondere mesenzephale Läsionen lassen sich in der Regel nur mit der Magnetresonanztomographie darstellen. Im Elektroenzephalogramm (EEG) finden sich auch posttraumatisch nach einem Schädel-Hirn-Trauma 2. und 3. Grades gehäuft Zeichen einer Allgemeinveränderung. Herdbefunde können ebenfalls auf morphologische Veränderungen nach einem Schädel-Hirn-Trauma hinweisen. In den elektrophysiologischen Untersuchungen des Hirnstamms können sich in den evozierten Potentialen durch Latenzverzögerungen oder Amplitudenminderung strukturelle Schäden äußern.
Lassen sich klinische Zeichen einer depressiven Episode finden, muss geprüft werden, ob eine Depression die Ursache für die Schlafstörungen ist.

Prävention

Zur Prävention von Schlafstörungen, die infolge eines Schädel-Hirn-Traumas auftreten können, gibt es in der Literatur keine ausreichenden Untersuchungen. Die psychosoziale Integration und Rehabilitation stellt einen wichtigen Faktor zur Vermeidung depressiver Störungen dar.

Therapie

Symptomatische Hypersomnien nach einem Schädel-Hirn-Trauma sprechen anderen Hypersomnien vergleichbar auf zentralwirksame „Stimulanzien“ (z. B. Modafinil) an. Hierzu gibt es in der Literatur jedoch nur wenig kontrollierten Studien. Die Therapie posttraumatischer Insomnien unterscheidet sich nicht grundlegend von der Therapie nicht posttraumatischer Insomnien (Thaxton und Myers 2002). Pharmakologisch finden auch bei posttraumatischen Insomnien kurzwirksame „Benzodiazepine“ und Benzodiazepinanaloga therapeutische Anwendung. Hierzu konnte in einer einzigen kontrollierten Studie, in der die Effektivität von Lorazepam versus Zopiclon verglichen wurde, eine gleich gute Wirkung von beiden Präparaten auf die Schlafdauer und die subjektive Qualität des Schlafs gemessen werden. Ebenso zeigte sich kein signifikanter Unterschied in der Auswirkung beider Substanzen auf neuropsychologische Leistungen. Neben den pharmakologischen Therapieansätzen stehen auch für die Insomnien infolge eines Schädel-Hirn-Traumas dieselben nicht medikamentös basierten Therapieverfahren in Gestalt von Stimuluskontrolle und Schlafrestriktion („Verhaltenstherapie“) wie zur Behandlung Schädel-Hirn-Trauma-unabhängiger Insomnien zur Verfügung (Morin et al. 2006).
Die Therapieoptionen Schlafbezogener Atmungsstörungen nach einem Schädel-Hirn-Trauma unterscheiden sich nicht von Therapiemöglichkeiten nicht posttraumatischer Schlafbezogener Atmungsstörungen. Die Therapie der Wahl stellt ebenfalls die nächtliche Beatmung mit „BIPAP“ dar. Sollte sich nach einem Schädel-Hirn-Trauma eine vorwiegend „Obstruktive Schlafapnoe“ diagnostizieren lassen, so kann diese Schlafstörung auch entsprechend mit „CPAP“ (Continuous Positive Airway Pressure) behandelt werden.

Prognose

Die Prognose einer posttraumatischen Schlafstörung ist abhängig vom Ansprechen auf therapeutische Maßnahmen sowie der mit dem Trauma einhergehenden Begleiterkrankungen wie einer posttraumatischen Depression oder einer posttraumatischen Epilepsie. Als Faktoren, die für die Prognose entscheidend sind, gelten insbesondere das Ausmaß der morphologischen Schädigung der Gehirns und der Schweregrad der Schlafstörung. Die gutachterlichen Fragen, die mit einer posttraumatischen Schlafstörung nach einem Schädel-Hirn-Trauma verbunden sind, müssen ebenfalls diese Faktoren mit einbeziehen.
Literatur
Autret A, Lucas B, Mondon K et al (2001) Sleep and brain lesions: a critical review of the literature and additional new cases. Neurophysiol Clin 31:356–375CrossRef
Mathias JL, Alvaro PK (2012) Prevalence of sleep distrubances, disorders and problems following traumatic brain injury: a meta analysis. Sleep Med 13:898–905CrossRef
Morin CM, Bootzin RR, Buysse DJ et al (2006) Psychological and behavorial treatment of insomnia: update of the recent evidence (1998–2004). Sleep 29:1398–1414CrossRef
Ouellet MC, Beaulieu-Bonneau S, Morin CM (2015) Sleep-wake distrubances after traumatic brain injury. Lancet Neurol 14:746–757CrossRef
Thaxton L, Myers MA (2002) Sleep disturbances and their management in patients with brain injury. J Head Trauma Rehabil 17:335–348CrossRef