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Enzyklopädie der Schlafmedizin
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Publiziert am: 26.11.2020

Schläfrigmachende Nebenwirkungen von gebräuchlichen Medikamenten zur Therapie neurologischer Krankheiten

Verfasst von: Dietmar Schäfer
Bei zahlreichen in der Neurologie häufig verwendeten Substanzen ist eine schläfrigmachende Nebenwirkung bekannt. Ähnlich den paradoxen Reaktionen auf Benzodiazepine sind jedoch, insbesondere bei deutlich vorgeschädigtem Zentralnervensystem, auch Effekte mit Agitiertheit oder Insomnie zu beobachten.

Englischer Begriff

sedating and sleep-inducing side-effects of drugs commonly used in the therapy of neurologic diseases

Definition

Die medikamentösen Therapieformen neurologischer Erkrankungen beeinflussen in unterschiedlicher Weise das Schlaf-Wach-System. Zahlreiche Präparate wirken beispielsweise über die Beeinflussung GABAerger oder glutamaterger Systeme zentral dämpfend. Dieser Nebenwirkung wurde im Rahmen von Zulassungsstudien in den meisten Fällen nur durch die Erfassung der subjektiven Befindlichkeit von Probanden oder Patienten Rechnung getragen. Die Beschwerde „Schläfrigkeit“ ist weder im deutschen noch im angloamerikanischen Sprachgebiet allgemeinverständlich definiert. So finden sich parallel Begrifflichkeiten wie „Müdigkeit“, „Mattigkeit“ und „Sedierung“ sowie „erhöhtes Schlafbedürfnis“, „Verlängerung der Reaktionszeit“, „Wahrnehmungs- und Bewusstseinsstörung“, aber auch „Benommenheit“, „Muskelschwäche“ oder „Abgeschlagenheit“. Neben der unzureichend vereinheitlichten Begrifflichkeit ist auch die Selbst- oder Fremdwahrnehmung der Wachheit mit großer Unsicherheit behaftet. Erst in jüngerer Zeit, nach verschiedenen Publikationen zu exzessiver Schläfrigkeit oder sogenannten Schlafattacken unter medikamentöser Parkinson-Therapie, wurden umfassendere neurophysiologische Untersuchungen des Schlaf-Wach-Systems bei Präparaten durchgeführt, die nicht unmittelbar zur Insomnietherapie eingesetzt werden.
Bei manchen dargestellten Substanzgruppen, wie den Benzodiazepinen (siehe „Benzodiazepine“), sind die Wirkmechanismen hinreichend bekannt, bei anderen Präparaten wie den Immunmodulatoren weitgehend spekulativ. Über die Prognose einer schläfrigmachenden oder schlafstörenden Nebenwirkung können oft nur Vermutungen angestellt werden. So können erkrankungsbedingte Veränderungen der zentralnervösen Transmittersystembalancen, wie sie bei vielen Systemerkrankungen des Zentralnervensystems (ZNS) auftreten, zu paradoxen Reaktionen führen. Von dopaminerg wirkenden Präparaten sind auch biphasische Effekte, das heißt sowohl schlaffördernde als auch schlafhemmende Wirkungen, tierexperimentell und klinisch belegt. Grundsätzlich sind mit der Untersuchung der Kardiorespiratorischen Polysomnographie (KRPSG; siehe „Kardiorespiratorische Polysomnographie“) während der Hauptschlafperiode und dem Multiplen Schlaflatenztest (Multiple Sleep Latency Test, MSLT) oder dem Multiplen Wachbleibetest (Maintenance of Wakefulness Test, MWT) in der Wachperiode die diagnostischen Methoden entwickelt, die eine sichere Aussage über schläfrigmachende Nebenwirkungen von Medikamenten erlauben (siehe „Multipler Schlaflatenztest und Multipler Wachbleibetest“). Es herrscht aber diesbezüglich ein Mangel an Untersuchungen zu den in der Neurologie gebräuchlichen Medikamenten.

Grundlagen

Aufgrund der oben dargestellten Unschärfe bei der Erfassung von vigilanzverändernden Wirkungen wird in der Beschreibung der Häufigkeit von Nebenwirkungen wichtiger neurologischer Präparate auf die gesetzlich festgelegten Begriffe „sehr häufig“ (>1/10), „häufig“ (>1/100), „gelegentlich“ (>1/1000) und „selten“ (>1/10.000) zurückgegriffen.

Antiepileptika

Müdigkeit und Sedierung sind sehr häufige Nebenwirkungen der meisten Antikonvulsiva (vgl. Tab. 1; Jain und Glauser 2014). Akute Intoxikationen durch zahlreiche Antikonvulsiva können sogar zu Somnolenz und Koma führen.
Tab. 1
Häufigkeit schläfrigmachender Nebenwirkungen gängiger Antiepileptika (nach Rote Liste 2015)
Sehr häufig
(>1/10)
Häufig
(>1/100)
Gelegentlich
(>1/1000)
Keine Häufigkeitsangaben
Carbamazepin (z. B. Tegretal, Timonil, Sirtal, Generika)
Oxcarbazepin (z. B. Trileptal, Timox)
Eslicarbazepin (z. B. Zebinix)
Gabapentin (z. B. Neurontin, Generika)
Pregabalin (z. B. Lyrica)
Phenobarbital (z. B. Luminal)
Primidon (z. B. Liskantin, Mylepsinum, Resimatil)
Topiramat (z. B. Topamax)
Benzodiazepine [div. Substanzen] (z. B. Frisium, Rivotril, Tavor u. v. a. m.)
Valproinsäure (z. B. Ergenyl, Convulex, Depakine, Leptilan, Orfiril, u. a. m.)
Primidon (z. B. Mylepsinum)
Diphenylhydantoin (z. B. Phenhydan, Zentropil, Epanutin)
Lamotrigen (z. B. Lamictal)
Ethosuximid (z. B. Petnidan, Pyknolepsinum, Suxinutin)
Mesuximid (z. B. Petinutin)
Sultiam (z. B. Ospolot)
Tiagabin (z. B. Gabitril)
Vigabatrin (z. B. Sabril)
Levetiracetam (z. B. Keppra)
Zonisamid (z. B. Zonegran)
Lacosamid (z. B. Vimpat)
Rufinamid (z. B. Inovelon)
Felbamat (z. B. Taloxa)
  
Eine verstärkte Müdigkeit oder Schläfrigkeit tritt insbesondere in der Eindosierungsphase auf. So treten unter Carbamazepin bei bis zu 45 % der Behandelten initial Müdigkeitserscheinungen auf, die zumeist innerhalb von 14 Tagen vorübergehen. Dosisreduktionen oder ein langsamer Spiegelaufbau führen oftmals zu einer Verbesserung des Befindens. Da Oxcarbazepin und Eslicarbazepin einen ähnlichen Wirkmechanismus über seinen Metaboliten besitzen, sind auch die zu erwartenden Nebenwirkungen hinsichtlich des Zentralnervensystems vergleichbar.
Die Verabreichung von Valproinsäure führt ebenfalls in der ersten Zeit bei bis zu 50 % der Patienten zu einer leichten Sedation, die im Verlauf abnimmt. Ursächlich wird unter anderem ein erhöhter, dosisabhängiger Blutammoniakwert diskutiert. Gegebenenfalls kann eine Umverteilung der Applikation mit nur noch einmaliger abendlicher Gabe die Problematik reduzieren.
Diphenylhydantoin kann im Rahmen der Langzeitbehandlung im oberen therapeutischen Bereich (>20 μg/ml) vermehrt Müdigkeit, aber auch Doppelbilder, Sehstörungen und Gleichgewichtsstörungen hervorrufen. Diese unerwünschten Effekte sind möglicherweise Frühzeichen einer beginnenden Intoxikation und sollten zur Dosisreduktion Anlass geben. Die unterschiedliche Galenik der auf dem Markt befindlichen Präparate kann bei Präparatwechsel zu Intoxikationen trotz gleich bleibender Nominaldosis führen.
Gabapentin, eine Substanz mit GABA-agonistischen und glutamatergen Wirkungen, erzeugte in klinischen Studien dosisunabhängig innerhalb der ersten 15–20 Tage Müdigkeit, Schwindel und Ataxie in zahlreichen Fällen. Innerhalb weiterer 14 Tage war die meist mild ausgeprägte Symptomatik jedoch wieder abgeklungen. Für Pregabalin und Topiramat gilt Vergleichbares.
Lacosamid und Rufinamid, Antikonvulsiva mit Wirkung auf spannungsabhängige Natriumkanäle, führen ebenso mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer deutlichen Vigilanzminderung als Nebeneffekt. Vigabatrin in Kombinationstherapie führt bei Erwachsenen sehr häufig zu einer deutliche Ermüdung, während die Substanz auf Kinder eher erregend wirkt.
Unter Phenobarbital und Primidon wird eine initiale Müdigkeit beobachtet, die bisweilen auch nach abendlicher Gabe zu einem ausgeprägten Hangover am folgenden Morgen führen kann. Weiterhin sind aber auch paradoxe Effekte mit Schlaflosigkeit oder Hyperaktivität beschrieben.
„Benzodiazepine“ werden gerade aufgrund der sedierenden Nebenwirkungen in der Langzeitbehandlung eher vermieden, sie sind in der Initialbehandlung des epileptischen Status Mittel der ersten Wahl. Clobazam wird im Vergleich zu Clonazepam oder Diazepam eine geringe sedierende Wirkung zugeschrieben.
Ethosuximid und Mesuximid können sowohl Schlafstörungen als auch Müdigkeit hervorrufen.
Unter Vigabatrin in Kombinationstherapie verspüren Erwachsene sehr häufig eine deutliche Ermüdung, während die Substanz auf Kinder eher erregend wirkt.

Medikamentöse Parkinson-Therapie

Den dopaminergen Substanzen wird älteren tierexperimentellen Befunden zufolge dosisabhängig eine biphasische Wirkung auf das Schlaf-Wach-System zugeschrieben: Während niedrige Dosen eher schlaffördernd sein sollen, wird bei hohen Plasmaspiegeln ein schlafhemmender Effekt beobachtet. Möglicherweise liegt diesen Beobachtungen eine selektive Erregung unterschiedlicher dopaminerger Systeme des Zentralnervensystems beziehungsweise der verschiedenen Dopaminrezeptortypen zugrunde.
Im Rahmen der Therapie bei den Parkinson-Syndromen (siehe „Parkinson-Syndrome“) stellt in besonderem Maße die sedierende Wirkung ein Problem dar. Erhöhte Aufmerksamkeit ist bei Patienten geboten, die – zumeist im Rahmen der Medikamentenumstellung – unter plötzlich auftretender exzessiver Schläfrigkeit am Tage, sogenannten Schlafattacken, leiden. Inzwischen wurden derartige Episoden bei allen in der Parkinson-Therapie eingesetzten Dopaminergika beschrieben, und verschiedene Arbeitsgruppen gehen von einem Klasseneffekt dieser Substanzen aus. Es scheint einen Dosisbezug zu geben (Tholfsen et al. 2015).
Das Phänomen ist noch nicht hinreichend geklärt (Knie et al. 2011). Untersuchungen hinsichtlich eines Genpolymorphismus der Dopaminrezeptoren lieferten keine aussagekräftigen Befunde. Neurophysiologische Messungen konnten die subjektiven Angaben von raschen Wechseln zwischen alertem Wachsein und Schläfrigkeit teilweise dokumentieren (Schäfer und Greulich 2000). Möglicherweise ist dies auf die biphasische Wirkung der dopaminergen Stimulation zurückzuführen, und die ungewohnt rasche Veränderung der Vigilanz wird von den Patienten als Schlafattacke empfunden.
Parkinson-Patienten müssen in einer Ein- oder Umstellungsphase auf die Gefährdung durch ungewohnte Schläfrigkeit hingewiesen werden und sollten das Führen eines Kraftfahrzeugs zunächst meiden. Nach 3 Monaten ohne richtungweisende Auffälligkeiten können nach gängiger Meinung diesbezügliche Einschränkungen aufgehoben werden, da die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten derartiger Nebenwirkung sehr gering wird.
Neben der plötzlich auftretenden Schläfrigkeit finden sich andauernde Müdigkeit, Schläfrigkeit oder Abgeschlagenheit als häufige unerwünschte Wirkungen der verschiedenen Parkinson-Medikamente. Tab. 2 zeigt die Daten aus einer früheren Metaanalyse in einer Übersicht.
Tab. 2
Häufigkeit vigilanzsenkender Nebenwirkungen von Parkinson-Medikamenten. Die Daten sind der Metaanalyse von Reichmann et al. mit Abrufdatum 18.05.2005 entnommen (alle Angaben in % der Anwender)
Wirkstoff
Präparat
Substanzklasse
Abgeschlagenheit
Benommenheit
Bewusstseinsstörung
Ermüdbarkeit
Exzessive Schläfrigkeit
Konzentrationsstörungen
Müdigkeit
Schläfrigkeit
Sedierung
Benzatropin
Ach
2,0
0,6
0,4
1,2
Biperiden
Akineton, Generika
Ach
5,7
0,1
0,3
0,1
Bornaprin
Sormodren
Ach
2,3
4,6
Metixen
Tremarit, Tremaril
Ach
1,5
1,5
4,5
Pridinol
Myoson, Parks 12
Ach
Procyclidin
Osnervan
Ach
2,0
1,0
Trihexyphenidyl
Artane, Parkopan
Ach
3,6
0,5
0,5
0,1
a-Dihydroergocryptin
Almirid, Cripar
DA
0,6
0,7
APO Go, Apomorphin, Uprima
DA
0,9
0,4
14,7
4,3
3,0
Bromocriptin
Kirim, Parlodel, Pravidel, Generika
DA
0,1
11,3
0,1
0,5
7,3
0,2
Cabergolin
Dostinex, Cabaser, Cabaseril
DA
2,4
Lisurid
Dopergin
DA
0,2
6,0
0,1
4,6
0,1
Pergolid
Parkotil, Celance, Generika
DA
0,2
0,8
0,7
0,4
0,2
Pramipexol
Sifrol, Mirapexin
DA
0,5
15,3
0,1
2,8
0,5
12,4
0,1
Ropinirol
ReQuip
DA
0,5
0,1
10,4
6,5
0,1
Levodopa
Dopaflex
Dop
16,3
Levodopa + Benserazid
Madopar, PKLevo, Prolopa, Restex, Generika
Dop
0,3
1,5
Levodopa + Carbidopa
Nacom, Isicom, Dopadura, Sinemet, Stalevo∗∗, Generika
Dop
0,4
0,2
6,0
0,0
1,0
Selegilin
Antiparkin, Movergan, Xilopar, Generika
MAO
0,6
1,4
2,2
Entacapon
Comtess, Stalevo∗∗
COMT
3,1
3,0
0,2
Tolcapon
Tasmar
COMT
0,4
8,6
Amantadin
PK-Merz, Generika
NMDA
0,4
0,6
0,1
0,3
0,6
0,9
Parkinsan
NMDA
3,0
Ach, Anticholinergikum; COMT, COMT-Hemmer; DA, Dopaminagonist; Dop, Levodopa; MAO, MAO-B-Hemmer; NMDA, NMDA-Antagonist
∗Keine Angaben
∗∗Kombinationspräparat: Levodopa + Carbidopa + Entacapone

Sonstige Substanzgruppen

Zu den häufig eingesetzten neurologischen Präparaten gehören Muskelrelaxantien. Diese besitzen einerseits einen unmittelbar zentral sedierenden Effekt. Andererseits können sie über eine Störung der Atmung im Schlaf, beispielsweise in Gestalt von periodischer Atmung, der Verstärkung einer partiellen beziehungsweise kompletten Obstruktion oder der Verminderung der Atemtiefe, den Schlaf unerholsam machen.
Die Immunmodulatoren zur Multiple-Sklerose-Therapie (β-Interferone, Glatirameracetat) können, betont in den ersten Wochen der Einstellung, zu unspezifischen Müdigkeitsempfindungen oder Abgeschlagenheit führen. Auch bei der Neueinstellung auf Fingolimod wurden Bradykardien und Müdigkeit innerhalb der ersten Stunden nach Einnahme beschrieben.
Antiverginosa besitzen zumeist über ihre antihistaminische Wirkkomponente sedierende Effekte.
Übermäßige Schläfrigkeit und Müdigkeit wurden auch bei bis zu 8 % der Patienten nach Einnahme von Triptanen zur akuten Migränetherapie beobachtet.

Zusammenfassung

Bei zahlreichen in der Neurologie häufig verwendeten Substanzen ist eine schläfrigmachende Nebenwirkung bekannt. Ähnlich den paradoxen Reaktionen auf Benzodiazepine sind jedoch, insbesondere bei deutlich vorgeschädigtem Zentralnervensystem, auch Effekte mit Agitiertheit oder Insomnie zu beobachten.
Literatur
Jain SV, Glauser TA (2014) Effects of epilepsy treatments on sleep architecture and daytime sleepiness: an evidence-based review of objective sleep metrics. Epilepsia 55:26–37CrossRef
Knie B, Mitra MT, Logishetty K, Chaudhuri KR (2011) Excessive daytime sleepiness in patients with Parkinson's disease. CNS Drugs 25:203–212CrossRef
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Rote Liste Service GmbH (Hrsg) (2015) Rote Liste: Arzneimittelverzeichnis für Deutschland (einschließlich EU-Zulassungen und bestimmter Medizinprodukte). Rote Liste Service GmbH, Frankfurt
Schäfer D, Greulich W (2000) Effects of parkinsonian medication on sleep. J Neurol 247(Suppl 4):IV/24–IV/27
Tholfsen LK, Larsen JP, Schulz J, Tysnes OB, Gjerstad MD (2015) Development of excessive daytime sleepiness in early Parkinson disease. Neurology 85:162–168CrossRef