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Enzyklopädie der Schlafmedizin
Info
Verfasst von:
Dieter Köhler und Bernd Schönhofer
Publiziert am: 18.03.2022

Schlafbezogene Hypoxämie

Häufig führen die unterschiedlichen Formen der Schlafapnoe nur zu gering ausgeprägter Hypoxämie ohne relevante Sauerstoffmangelzustände. Eine länger anhaltende schlafbezogene Hypoxämie, wie in der ICSD-3 definiert, ist in den meisten Fällen durch eine schlafbezogene Hypoventilation verursacht. Sie ist daher ein deutlicher Hinweis auf die Hypoventilation, auch wenn keine CO2-Messung durchgeführt wurde. Nur selten werden Patienten mit anderen zur Hypoxämie führenden Erkrankungen im Schlaflabor untersucht, wie zum Beispiel mit Störung der Ventilationsperfusionsverteilung im Schlaf bei obstruktiven Lungenerkrankungen. Eine isolierte Behandlung der nächtlichen Hypoxämie ist meist nicht erforderlich, da sich mit der Behandlung der Grunderkrankung die Hypoxämie im Schlaf korrigieren lässt

Englischer Begriff

sleep-related hypoxemia

Definition

In der vorherigen Klassifikation der Schlafstörungen (ICSD-2, 2005) wurden Schlafbezogene Hypoventilation und Hypoxämie als eine Krankheitsentität behandelt. In der „ICSD-3“ (2014) wurden sie getrennt. In der ICSD-3-Klassifikation wird die schlafbezogene Hypoxämie als Hämoglobinentsättigung bezeichnet, wenn sie bei Erwachsenen unter 88 % und bei Kindern unter 90 % über mindestens 5 Minuten absinkt. Die weitergehende Aussage über eine Hypoventilation erfordert neuerdings nach ICSD-3 den Nachweis einer Hyperkapnie und somit ein CO2-Monitoring. Wenn gleichzeitig mit der schlafbezogenen Hypoxämie eine Hypoventilation anhand einer Hyperkapnie im CO2-Monitoring dokumentiert ist, soll die Störung als Schlafbezogene Hypoventilation bezeichnet werden.
Sucht man in der Literatur nach der Definition der Hypoxämie, gibt es hier außerhalb der ICSD-3 keine Einheitlichkeit. Am häufigsten wird darunter ein Sauerstoffmangel im arteriellen Blut verstanden (Eckman 2010), wobei dieser am Sauerstoffgehalt und nicht an der Sauerstoffsättigung festgemacht wird (Pollak et al. 2010). Demgegenüber bezeichnet Hypoxie die Unterversorgung von Organen und Gewebe mit Sauerstoff.
Siehe auch „Schlafbezogene Hypoventilationssyndrome“.

Grundlagen

Pathophysiologie

Der Sauerstoffgehalt berechnet sich aus Hämoglobingehalt (Hb) × Sauerstoffsättigung (SaO2) × 1,34 (Hüfner-Zahl). Nimmt man hier einen unteren Normwert von 14 ml O2/100 ml Blut an, handelt es sich bei den meisten im Schlaflabor gemessenen Hypoxämien nach der Definition um keine relevanten Sauerstoffmangelzustände. Denn wenn zum Beispiel der Hämoglobinwert im mittleren Normbereich liegt, wird beispielsweise bei einer Sauerstoffsättigung von 75 % immer noch nicht der untere Normwert für den Sauerstoffgehalt erreicht (Köhler 2005). Noch deutlicher fallen die Abfälle im Sauerstoffpartialdruck (zum Beispiel transkutan gemessen) aus, bevor der Normwert des Sauerstoffgehalts unterschritten wird.
Obwohl bei den repetitiven Entsättigungen im Schlaf meist weder im Blut noch im Gewebe ein relevanter Sauerstoffmangel auftritt, wurde mitunter ein geringer Anstieg von Entzündungsmediatoren (oxidativer Stress) nachgewiesen (Dewan et al. 2015). Teleologisch könnte dieses Phänomen als eine prophylaktische Strategie des Organismus auf einen möglichen drohenden Schaden interpretiert werden. Allerdings könnte die Ursache für diese Mediatorenaktivierung auch in den Apnoe-assoziierten Druckschwankungen im Thorax beziehungsweise Blutdruckschwankungen und Arousals liegen. Darüber hinaus ist zu bedenken, dass solche milden inflammatorischen Reaktionen bei zahlreichen anderen Belastungen im täglichen Leben gefunden wurden, wie kalorienreicher Mahlzeit (Lacroix et al. 2012), körperliche Aktivität (Ramos 2015) oder Orgasmus (Haake 2004).
Generell gehen die meisten schlafbezogenen Atmungsstörungen mit einer schlafbezogenen oft nur milden Sauerstoffentsättigung einher. Als häufigster Vertreter führen die unterschiedlichen Formen der Schlafapnoe (das heißt obstruktiv oder zentral) abhängig von der Zeitdauer der Apnoen beziehungsweise Hypopnoen zur assoziierten repetitiv auftretenden Hypoxämie.
Alle im Beitrag „Schlafbezogene Hypoventilationssyndrome“ aufgeführten Erkrankungen, die zur chronisch-ventilatorischen Insuffizienz (CVI) führen, gehen mit einer durch die Hypoventilation induzierten Erhöhung des paCO2, das heißt Hyperkapnie, und mit einer Hypoxämie einher. Wesentliche Krankheitsgruppen, die häufig zur CVI führen, sind die Chronisch-obstruktive Lungenerkrankung (COPD), Thorakorestriktion, Obesitas-Hypoventilationssyndrom sowie neuromuskuläre Erkrankungen (Schönhofer 2015). Mehr oder weniger kontinuierlich verlaufende Hypoxämien im Schlaf gehen spiegelbildlich immer einher mit einer hypoventilationsinduzierten Hyperkapnie.
Hypoxämien infolge Ventilations-/Perfusionsverteilungsstörungen bei Zunahme der bronchialen Obstruktion treten manchmal beim Asthma bronchiale beziehungsweise bei COPD mit Asthma im Nachtschlaf auf, insbesondere dann, wenn die Patienten nicht ausreichend therapiert sind. Das hängt damit zusammen, dass in der Nacht die sympathische Regulation heruntergefahren wird und das zur Atemwegsobstruktion führende parasympathische System dominiert. Zudem findet sich auch nachts der höchste Histaminspiegel im Blut (Barnes et al. 1980). Der Höhepunkt der Obstruktion liegt meistens zwischen 2 und 4 Uhr. Mitunter erwachen die Patienten infolge der atemwegsobstruktiv bedingten Dyspnoe. Diese Patienten werden jedoch nur selten im Schlaflabor untersucht.

Symptomatik

Die mit der rezidivierenden Hypoxämie im Schlaf zusammenhängende Symptomatik wird fast nie durch den Abfall der Sauerstoffsättigung selbst, sondern die dem Sättigungsabfall zugrunde liegende Erkrankung, wie zum Beispiel „Obstruktive Schlafapnoe“ (OSA), verursacht. Die durch die OSA erzeugten Hypoventilationen beziehungsweise die thorakalen Druckschwankungen verursachen eine Weckreaktion (Arousal), die zur komplexen Symptomatik mit Störung der Schlafarchitektur und der Blutdruckregulation führt. Die Hypoxämie selbst führt meist erst bei schweren Entsättigungen auf unter 70 % zum Arousal (Berton Jones und Sullivan 1982), wobei der Schwellenwert bei an Hypoxämie adaptierten Patienten noch tiefer liegt. Einen stärkeren Weckreiz verursacht die Hyperkapnie (Douglas et al. 1982).
Schwere Hypoxämien werden, wie zuvor erwähnt, durch Hypoventilation verursacht. Die Ursache ist meistens eine sinnvolle Reaktion des Organismus, um eine bedrohliche Überlastung der Atmungsmuskulatur zu vermeiden beziehungsweise Energie zu sparen. Im Schlaf muss keine wesentliche körperliche Arbeit geleistet werden, sodass der Organismus sich noch mehr Hypoventilation als am Tage leisten kann.
Grundsätzlich kann Hypoxämie zum Anstieg des pulmonal-arteriellen Drucks führen. Eine pulmonale Hypertonie durch eine Hypoxämie im Schlaf entsteht nur bei schwerer Ausprägung. Dabei muss der Sauerstoffpartialdruck, der für den Euler-Liljestrand-Reflex als Messgröße dient, unter 50 mmHg über einen längeren Zeitraum fallen (Balanos et al. 2015). Zudem muss auch im Wachzustand eine schwere Hypoxämie vorherrschen (Singh et al. 1985; Choauot et al. 2001).

Diagnostik

Die Erfassung der Hypoxämie im Schlaf gehört zur Standarddiagnostik in der Schlafmedizin. Fast immer wird die Oxyhämoglobinsättigung (SaO2) gemessen. Hierbei ist es wichtig, darauf zu achten, wie viele Messpunkte pro Zeiteinheit zusammengefasst werden (Sample-Rate). Im Prinzip können die Geräte jeden Sättigungswert pro Pulsschlag erfassen. Nach der eigenen Erfahrung ist es wichtig, dass die Sättigung nur über wenige Sekunden gemittelt wird. Dann sieht man repetitive Entsättigungen deutlich besser. Bei manchen Geräten lässt sich die Sample-Rate einstellen.
Ein sägezahnförmiger Verlauf spricht für Obstruktive Schlafapnoe, ein sinusartiger Verlauf eher für zentral bedingte Atempausen. Die nächtliche Pulsoximetrie hat für den erfahren Schlafmediziner einen hohen diagnostischen Wert, wobei hier oft allein der Zeitverlauf der Pulsoximetrie in Verbindung mit der Pulskurve eine orientierende Diagnose erlaubt.
Eine weitere Möglichkeit der Sauerstofferfassung bietet die transkutane Messung des Sauerstoffpartialdruckes (pO2). Diese Methode ist fehlerbehafteter als die Sättigungsmessung, denn die Messsonden können über eine Aufzeichnungszeit von Stunden driften. Sie müssen deswegen immer mittels invasiver oder kapillärer Blutgasmessung geeicht werden. Bei der transkutanen Messung des Sauerstoffpartialdrucks wird praktisch immer auch der Kohlendioxidpartialdruck (pCO2) erfasst. Der pCO2 steht üblicherweise bei der klinischen Beurteilung im Vordergrund.
Bei einer Ventilationsänderung ändert sich der pO2 linear und der pCO2 hyperbolisch (reziprok linear), solange der Sollwertbereich nicht zu weit verlassen wird (Rasmussen et al. 1975). Diese Linearität existiert nicht mehr zwischen pCO2 und SaO2, da hier der S-förmige Verlauf der Sauerstoffbindungskurve zu berücksichtigen ist.
Dieser Zusammenhang wird in der Praxis oft nicht ausreichend gewürdigt. Eine Hypoventilation wird bei einem niedrigeren Ausgangswert der Sättigung häufig überinterpretiert. Abb. 1 zeigt diesen Zusammenhang anhand der Sauerstoffbindungskurve an 2 Beispielen mit gleicher Ventilationsänderung, aber unterschiedlichen Ausgangswerten der Sauerstoffsättigung.

Therapie und Prognose

Eine eigentliche Therapie der nächtlichen Hypoxämie ist meist nicht erforderlich, da diese sich mit der Behandlung der Grunderkrankung deutlich bessert oder auch oft komplett rückläufig ist. Deswegen hängt auch die Prognose der nächtlichen Hypoxämie von der Grunderkrankung beziehungsweise deren Therapie ab. In den 1980er-Jahren gab es Versuche, durch Sauerstoffgabe die nächtlichen Entsättigungen bei Obstruktiver Schlafapnoe zu bessern. Man hat dabei nicht bedacht, dass unter der Sauerstofftherapie die obstruktiven Phasen und damit die Arousals und die Symptomatik nicht beeinflusst wurden (Phillips et al. 1990).
Eine Ausnahme stellt die Sauerstofflangzeittherapie dar, wie sie bei schwerer COPD etabliert ist. Hier geht es darum, die mit dieser Erkrankung einhergehende Hypoventilation durch die Sauerstoffgabe weiter zu reduzieren und damit die Atmungsmuskulatur möglichst lange zu entlasten, also auch nachts (Köhler und Haidl 2011). Hierzu wird auf die Leitlinie zu Langzeitsauerstofftherapie verwiesen (http://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/020-002.html).

Zusammenfassung und Bewertung

Häufig führen die unterschiedlichen Formen der Schlafapnoe nur zu gering ausgeprägter Hypoxämie ohne relevante Sauerstoffmangelzustände. Eine länger anhaltende schlafbezogene Hypoxämie, wie in der ICSD-3 definiert, ist in den meisten Fällen durch eine schlafbezogene Hypoventilation verursacht. Sie ist daher ein deutlicher Hinweis auf die Hypoventilation, auch wenn keine CO2-Messung durchgeführt wurde.
Nach der ICSD-3 kann somit neuerdings anhand der eigens geschaffenen Diagnose einer schlafbezogenen Hypoxämie ein Hinweis auf eine schlafbezogene Hypoventilation als gesicherte Diagnose verschlüsselt werden. So wird auch bei rein pulsoxymetrischen Messungen in der Schlaflaborroutine das Augenmerk immer auf eine mögliche komorbide schlafbezogenen Hypoventilation gelenkt werden. Für die Praxis in Deutschland ist der Stellenwert der neuen Diagnose gering, da sie nicht im deutschen ICD-10 verschlüsselt werden kann. Es bleibt nach wie vor nur die G47.32 (Schlafbezogenes Hypoventilationssyndrom) als gesicherte oder Verdachtsdiagnose zu verschlüsseln. Dass sich dadurch für den Patienten negative Konsequenzen ergeben, darf aber bezweifelt werden.
Außerdem werden nur selten Patienten mit anderen zur Hypoxämie führenden Erkrankungen im Schlaflabor untersucht, wie zum Beispiel mit Störung der Ventilationsperfusionsverteilung im Schlaf bei obstruktiven Lungenerkrankungen. Eine isolierte Behandlung der nächtlichen Hypoxämie ist meist nicht erforderlich, da sich mit der Behandlung der Grunderkrankung die Hypoxämie im Schlaf korrigieren lässt.
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