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Enzyklopädie der Schlafmedizin
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Publiziert am: 29.08.2020

Schlafbezogene rhythmische Bewegungsstörung

Verfasst von: Anna Heidbreder
Die Schlafbezogene rhythmische Bewegungsstörung beinhaltet ein Spektrum verschiedener, vor allem im Schlaf-Wach-Übergang zu beobachtender Verhaltensauffälligkeiten. Nur wenn sich daraus Konsequenzen in Form von Schlafstörungen, Einschränkung der Tagesperformance oder psychosozialen Konflikten durch Belastung des Bettpartners ergeben, sollte die Diagnose gestellt werden. Die Pathophysiologie ist noch nicht endgültig geklärt, eine fehlende Inhibition zentral-motorischer Abläufe wird neben einem provozierten Stimulus im Zusammenhang der Entwicklung des motorischen Systems bei Kindern diskutiert. Therapeutisch stehen bisher keine randomisierten Studien zur Verfügung, neben verhaltenstherapeutischen Maßnahmen zeigten sowohl trizyklische Antidepressiva als auch Benzodiazepine einen Effekt.

Synonyme

RMD; Rhythmie du sommeil; Rhythmische Bewegungsstörungen

Englischer Begriff

sleep-related rhythmic movement disorder; RMD

Definition

Die Schlafbezogene rhythmische Bewegungsstörung ist definiert als das Auftreten repetitiver, stereotyper rhythmischer Bewegungsmuster große Muskelgruppen, die hauptsächlich schlafgebunden auftreten, also während eines Kurzschlafs, des Nachtschlafs oder während des Einschlafens sowie bei großer Erschöpfung. Nur wenn sie zu einer Belastung oder relevanten Beeinträchtigung des Schlafs oder der Tageswachheit, zu Verletzungen oder dem Risiko von Verletzungen führen, sollten sie diagnostiziert werden. Die Bewegungen dürfen außerdem nicht Folge einer anderen Erkrankung wie zum Beispiel einer Epilepsie oder einer anderen Bewegungsstörung sein. Haben rhythmische Bewegungen keine klinische Konsequenz, sollten sie auch nicht als Störung bezeichnet werden.
Die Schlafbezogene rhythmische Bewegungsstörung wird in der International Classification of Sleep Disorders von 2014 („ICSD-3“) unter den Schlafbezogenen Bewegungsstörungen (siehe „Schlafbezogene Bewegungsstörungen“) klassifiziert.

Genetik, Geschlechterwendigkeit

Bei Kindern finden sich keine Geschlechtsunterschiede. Bei Erwachsenen zeigt sich eine Prädominanz bei Männern. Eine familiäre Häufung wird selten beobachtet.

Epidemiologie

Im Alter von 9 Monaten finden sich bei bis zu 59 % der Kinder rhythmische Bewegungen, die an den Schlaf gebunden sind. Mit 18 Monaten sinken diese wieder auf 33 % und liegen mit 5 Jahren bei 5 %.

Pathophysiologie

Die Pathophysiologie ist nicht ganz verstanden. Es wird angenommen, dass die Bewegung die Entwicklung des motorischen Systems durch Stimulation des vestibulären Systems anregt. Weiterhin nimmt man jetzt an, dass inhibitorische Kontrollmechanismen auf die zentral-motorischen Zentren eine Rolle spielen, was das Auftreten bei Kindern und Erwachsenen erklären könnte.
Stress und ein Mangel an äußerer Stimulation wurden ebenfalls als auslösender Faktor diskutiert. Nur in einer Studie konnte gezeigt werden, dass Kinder mit einer schlafgebundenen rhythmischen Bewegungsstörung höhere Scores für Ängstlichkeit haben als gesunde Kontrollen. Auch Selbststimulation wurde als Auslöser vermutet, dies insbesondere bei geistig behinderten, autistischen oder emotional gestörten Kindern. Es wurde ferner diskutiert, ob es sich bei den rhythmischen Bewegungen auch um eine Beruhigungstechnik zum Einschlafen bei insomnischen Kindern handelt.

Symptomatik

Es werden verschiedene Subtypen der Schlafbezogenen rhythmischen Bewegungsstörung unterschieden:
1.
Body Rocking: Der gesamte Körper wird im Vierfüßlerstand bewegt
 
2.
Head Rolling: Der Kopf wird, meist in der Rückenlage, von der einen zur andere Seite gedreht
 
3.
Head Banging: Der Kopf wird gewaltsam gegen ein Objekt geschlagen
 
4.
Andere: beinhaltet Body rolling, leg rolling, leg banging
 
5.
Kombinationen: Beinhalten zwei oder mehr der oben genannten Typen
 
Die verschiedenen Formen der Schlafbezogenen rhythmischen Bewegungsstörung beinhalten repetitive, stereotype rhythmische Bewegungen, die vor allem während großer Erschöpfung beziehungsweise Schläfrigkeit und im Übergang zum Schlaf auftreten, sie können aber auch in Ruhesituationen am Tag auftreten. Sie betreffen große Muskelgruppen. Die Bewegungen führen zu einer relevanten Belastung des Betroffen entweder in Bezug auf den Schlaf und die Tagesperformance durch eine daraus resultierende Erschöpfung am Tage oder durch das Risiko von Verletzung. Nicht selten sind die rhythmischen Bewegungen begleitet von Brummen oder ähnlichen Lauten. Die Frequenz der Bewegungen liegt meist zwischen 0,5 und 2 pro Sekunde, sie dauern meist nicht länger als 15 Minuten an. Kinder haben normalerweise eine Amnesie für die Bewegungsstörung, Erwachsene können sich oft erinnern und geben auch eine willentliche Beeinflussbarkeit auf die Bewegung an.
Meist tritt die schlafgebundene rhythmische Bewegungsstörung erstmals in der frühen Kindheit auf, oft schon ab dem 6. Lebensmonat. Meist verschwindet sie mit zunehmendem Alter. Dass sie bis in das Erwachsenenalter persistiert, ist äußerst selten, genauso wie das erstmalige Auftreten im Erwachsenenalter. Selten tritt sie später auf, dies häufig nach einem ZNS-Trauma. Bei Erwachsenen sind meist die Bettpartner durch die häufig gemischte Form der rhythmischen Bewegungsstörung gestört.

Komorbide Erkrankungen

In der Mehrzahl der Fälle liegt weder bei Kindern noch bei Jugendlichen oder Erwachsenen mit einer Schlafbezogenen rhythmischen Bewegungsstörung eine Entwicklungsstörung oder intellektuelle Störung vor.

Diagnostik

Um die rhythmische Bewegungsstörung dem Schlafstadium ihres Auftretens zuordnen zu können und um andere Bewegungsstörungen auszuschließen, ist eine „Polysomnographie“ mit zeitsynchroner Videographie hilfreich. Die Bewegungen treten im Schlafstadium N1 und N2 oder im Wach-Schlaf- oder Schlaf-Wach-Übergang auf. Aber auch im REM-Schlaf können sie auftreten, dies häufiger bei Erwachsenen.
Die Polysomnographie mit Videographie ermöglicht auch die Zuordnung in die oben genannten Subtypen (Abschn. „Pathophysiologie“).

Differentialdiagnostik

Andere rhythmische Bewegungen wie Bruxismus, Daumenlutschen oder rhythmisches Saugen, hypnagoger Fußtremor oder Ähnliches müssen differentialdiagnostisch evaluiert werden.
Auch Beschwerden eines nicht beherrschbaren oder nicht ausreichend therapierten Restless-Legs-Syndroms (siehe „Restless-Legs-Syndrom“) können als schlafgebundene rhythmische Bewegungsstörung verkannt werden. In seltenen Fällen kommt es dazu, dass eine Bewegungsstörung als „REM-Schlaf-Verhaltensstörung“ interpretiert wird. Eine Polysomnographie ist zur korrekten Diagnosestellung in diesen Fällen unabdingbar. Bei Patienten mit nicht behandelter Obstruktiver Schlafapnoe (OSA; siehe „Obstruktive Schlafapnoe“) können rhythmische Bewegungen auftreten, die mit der Behandlung der OSA wieder verschwinden. Bei Patienten mit „Narkolepsie“ können rhythmische Bewegungen selten zum Terminieren von Schlafparalysen beobachtet werden.
Bei Kindern mit Autismus treten häufig repetitive Bewegungsmuster auf. Dies geschieht jedoch meist im Wachen, sie sind nicht hauptsächlich an den Schlaf gebunden. Auch die im Statistical Manual of Mental Disorders (DSM) definierte Stereotype Bewegungsstörung, die häufig bei geistiger Behinderung auftritt, ist oftmals nicht vorwiegend schlafgebunden. Ebenso tritt die Akathisie nicht vorwiegend assoziiert mit Schlaf auf.
Nur selten müssen schlafgebunden auftretende rhythmische Bewegungen differentialdiagnostisch von „Epilepsie“, Tic-Störungen oder anderen Bewegungsstörungen im Kontext neurologischer Erkrankungen abgegrenzt werden.

Therapie

Betroffenen sind schlafhygienische Maßnahmen zu raten, dazu gehören eine ausreichende Bettliegezeit und der Verzicht auf eine Schlafdeprivation. Durch das potenziell erhöhte Verletzungsrisiko ist die Bettumgebung entsprechend abzusichern, gegebenenfalls durch Abpolsterung der Schlafumgebung. Randomisierte Studien zur medikamentösen Behandlung der schlafgebundenen rhythmischen Bewegungsstörungen liegen nicht vor. In Fallberichten wird die Wirksamkeit von trizyklischen Antidepressiva und Benzodiazepinen berichtet. Auch verhaltenstherapeutische Maßnahmen können erwogen werden.

Zusammenfassung, Bewertung

Die Schlafbezogene rhythmische Bewegungsstörung beinhaltet ein Spektrum verschiedener, vor allem im Schlaf-Wach-Übergang zu beobachtender rhythmischer Verhaltensauffälligkeiten. Nur wenn sich daraus Konsequenzen in Form von Schlafstörungen, Einschränkung der Tagesperformance oder psychosozialen Konflikten durch Belastung des Bettpartners ergeben, sollte die Diagnose gestellt werden. Die Pathophysiologie ist noch nicht endgültig geklärt, eine fehlende Inhibition zentral-motorischer Abläufe wird neben einem provozierten Stimulus im Zusammenhang der Entwicklung des motorischen Systems bei Kindern diskutiert. Therapeutisch stehen bisher keine randomisierten Studien zur Verfügung, neben verhaltenstherapeutischen Maßnahmen zeigten sowohl trizyklische Antidepressiva als auch Benzodiazepine einen Effekt.
Literatur
American Academy of Sleep Medicine (2014) International classification of sleep disorders, 3. Aufl. American Academy of Sleep Medicine, Darien
Kohyama J, Matsukura F, Kimura K, Tachibana N (2002) Rhythmic movement disorder: polysomnographic study and summary of reported cases. Brain Dev 24:33–38CrossRef
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