Enzyklopädie der Schlafmedizin
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Verfasst von:
Werner Cassel
Publiziert am: 26.09.2020

Tagesschläfrigkeit und Unfälle bei Obstruktiver Schlafapnoe

Bei Patienten mit Obstruktiver Schlafapnoe (OSA) ist infolge der Schlaffragmentierung die Schlafqualität gestört, der nicht erholsame Schlaf führt zu Tagesschläfrigkeit und die Wahrscheinlichkeit, dass die Betroffenen einen Unfall verursachen, ist erhöht. Dieser Beitrag befasst sich vorwiegend mit Unfällen im Straßenverkehr. Obwohl die Forschung zum Einfluss von Schläfrigkeit auf Leistungsfähigkeit und Fehlerrate ihren Ursprung eher in arbeitsmedizinischen Untersuchungen, z. B. zur Leistungsfähigkeit von Flugbeobachtern an Radarschirmen hat, liegen für den Bereich der Unfälle im Straßenverkehr mehr und bessere Untersuchungen zu dieser Problematik vor. Dieser Themenbereich hat aufgrund der Bedeutung des Individualverkehrs, der Häufigkeit von Unfällen, den damit verbundenen Kosten und der zwar in Deutschland kontinuierlich sinkenden, aber absolut immer noch hohen Anzahl von Verkehrstoten die größte sozioökonomische Bedeutung.

Synonyme

Schläfrigkeit und Unfälle bei Schlafapnoe

Englischer Begriff

daytime sleepiness and car accidents in obstructive sleep apnea

Definition

Bei Patienten mit „Obstruktive Schlafapnoe“ (OSA) ist infolge der Schlaffragmentierung die Schlafqualität gestört, der nicht erholsame Schlaf führt zu „Tagesschläfrigkeit“ und die Wahrscheinlichkeit, dass die Betroffenen einen Unfall verursachen, ist erhöht. Dieser Beitrag befasst sich vorwiegend mit Unfällen im Straßenverkehr. Obwohl die Forschung zum Einfluss von Schläfrigkeit auf Leistungsfähigkeit und Fehlerrate ihren Ursprung eher in arbeitsmedizinischen Untersuchungen, z. B. zur Leistungsfähigkeit von Flugbeobachtern an Radarschirmen hat, liegen für den Bereich der Unfälle im Straßenverkehr mehr und bessere Untersuchungen zu dieser Problematik vor (siehe „Einschlafen am Steuer“). Dieser Themenbereich hat aufgrund der Bedeutung des Individualverkehrs, der Häufigkeit von Unfällen, den damit verbundenen Kosten und der zwar in Deutschland kontinuierlich sinkenden, aber absolut immer noch hohen Anzahl von Verkehrstoten die größte sozioökonomische Bedeutung.

Grundlagen

Das sichere Führen eines Kraftfahrzeugs setzt ein Mindestmaß an Wahrnehmungsfähigkeiten, kognitiven und psychomotorischen Fähigkeiten sowie Informationsverarbeitungs- und Entscheidungsfähigkeiten voraus. Neben unerwarteten Geschehnissen muss die Aufmerksamkeitszuwendung auf die Spurhaltung und die Geschwindigkeitskontrolle gerichtet sein; es handelt sich also um eine Aufgabe, die geteilte Aufmerksamkeit erfordert („Leistung“). Die Notwendigkeit, dieser Aufgabe adäquat und auf einem Mindestniveau nachkommen zu können, spiegelt sich auch im Mindestalter, das zum Erwerb des Führerscheins erreicht sein muss, in der Beschränkung des erlaubten Alkoholspiegels und in obligaten Sehtests vor Erwerb des Führerscheins wider. Bei Berufskraftfahrern werden noch strengere Maßstäbe angelegt, und regelmäßige Gesundheitsprüfungen ab dem 50. Lebensjahr sind vorgeschrieben. Obwohl belegt ist, dass Tagesschläfrigkeit zu ähnlichen oder stärkeren Beeinträchtigungen der Fähigkeit zum Führen eines Kraftfahrzeugs führt wie der Genuss von Alkohol, wird deren Gefährlichkeit bzw. ihr Beitrag zur Entstehung eines Unfalls weitgehend unterschätzt. Hierzu trägt wohl auch bei, dass Tagesschläfrigkeit ein stark fluktuierendes, auch von Umgebungsbedingungen abhängiges Symptom ist, das zumindest bisher nicht mit einem dem Alkoholatemtest vergleichbaren, einfachen Verfahren im Feld gemessen werden kann.
Für die Genese der Tagesschläfrigkeit bei Obstruktiver Schlafapnoe werden folgende pathophysiologische Konzepte diskutiert:
  • Sauerstoffmangel während des Schlafs durch die häufigen Apnoen mit begleitenden Sauerstoffentsättigungen.
  • Störungen der Schlafstruktur durch apnoeterminierende Arousal, die auf der einen Seite Voraussetzung für das Wiederaufnehmen der Atmung sind, auf der anderen Seite aber die EEG-Aktivität in Richtung „Wach“ verschieben und so für das Verlassen bzw. Nichterreichen des mit Erholung assoziierten Tiefschlafstadiums 3 oder von REM-Schlaf verantwortlich sein können. Die repetitiven Apnoen von bis zu mehreren Hundert pro Nacht bewirken eine Reduktion des Tiefschlafs und Schlaffragmentierung und beeinflussen damit die Erholungsfunktion des Schlafs. In der Regel werden die Störungen des Schlafs den Betroffenen nicht bewusst, sie erleben den eigenen Schlaf nicht selten sogar als gut. Auch Vigilanzbeeinträchtigungen werden oft zunächst fehlattribuiert und beispielsweise mit dem Altern in Zusammenhang gebracht oder gar nicht bemerkt, da sie bei Patienten mit Obstruktiver Schlafapnoe meist schleichend beginnen und sich langsam verschlechtern. Im Gegensatz zu plötzlichen Veränderungen funktioniert die Selbstbeurteilung über längere Zeitabschnitte daher meist nicht zuverlässig.
Während die Sauerstoffmangelhypothese als Ursache für Tagesschläfrigkeit heute eher als unwahrscheinlich angesehen wird, gibt es doch Hinweise, dass mangelnde Oxygenierung bei ausgeprägten, lange unbehandelt gebliebenen Schlafbezogenen Atmungsstörungen zu diskreten, aber irreversiblen Schädigungen des frontalen Kortex führen können, die sich in Gedächtnisbeeinträchtigungen und auch anderen kognitiven Beeinträchtigungen manifestieren können. Das gilt insbesondere für Kinder mit Obstruktiver Schlafapnoe oder Hypoventilationssyndromen, aber auch für Erwachsene mit ausgeprägter Hypoxämie bei fortgeschrittenen Hypoventilationssyndromen. Der Einfluss solcher Beeinträchtigungen auf die Unfallwahrscheinlichkeit kann aber im Vergleich zum Effekt der Schläfrigkeit auf die Verkehrssicherheit als eher gering angesehen werden.
Das Symptom Tagesschläfrigkeit ist bei einigen Patienten mit Obstruktiver Schlafapnoe, die auch während der Anamnese einnicken, so deutlich ausgeprägt, dass die Frage nach einem eventuell erhöhten Unfallrisiko sehr naheliegend ist (Abb. 1).
In den 1980er-Jahren erschienen erste Arbeiten zu diesem Thema, die auf ein deutlich erhöhtes Unfallrisiko von Patienten mit unbehandelter Obstruktiver Schlafapnoe hinwiesen. Tatsächlich stellt sich bei deutlich beeinträchtigten Patienten oft die Frage, warum sie bisher keine schweren Unfälle verursacht haben. Objektive Daten zum Unfallrisiko von Betroffenen sind in den meisten Ländern nur schwer oder nicht zu erhalten. Trotz vieler methodischer Schwächen zeigen die heute aus einer Vielzahl verschiedener Länder vorliegenden Studien übereinstimmend ein gegenüber der Gesamtbevölkerung etwa zwei- bis dreifach erhöhtes Unfallrisiko von Patienten mit Obstruktiver Schlafapnoe (Strohl et al. 2013). In Kenntnis dieses erhöhten Risikos stellt sich natürlich die Frage, ob grundsätzlich Patienten mit unbehandelten Atmungsstörungen die Teilnahme am Straßenverkehr untersagt werden sollte. Allerdings kann auch bei Gesunden Tagesschläfrigkeit durch Schlafmangel auftreten und führt nicht automatisch zu einem Unfall, da natürlich, ähnlich wie bei Geschwindigkeitswahl und Abstand zu vorausfahrenden Fahrzeugen bei ungünstigen Wetterbedingungen, der Umgang des Fahrzeugführers mit einem gegebenen Risiko mindestens so bestimmend für das tatsächliche Eintreten eines Unfalls ist wie das Risiko selbst. Nimmt man die bestehende Müdigkeit adäquat wahr und geht sinnvoll und verantwortungsbewusst mit ihr um, kann man das Risiko minimieren. So berichtet ein nicht unerheblicher Teil von Patienten mit Obstruktiver Schlafapnoe, dass sie nur noch kurze Strecken fahren, oft Pausen einlegen und Nachtfahrten vermeiden. Auch Monotonievermeidung durch eher schnelles, stimulierendes Fahrverhalten kommt vor, kann aber wohl eher nicht als verantwortungsbewusster Umgang mit der Problematik gesehen werden. Da trotz der geschilderten Problematik ein sehr großer Anteil dieser Patienten unfallfrei am Straßenverkehr teilnimmt, wäre ein pauschales Fahrverbot sicher unverhältnismäßig und nicht aus der wissenschaftlichen Literatur ableitbar (Strohl et al. 2013). Vielmehr muss für den Einzelfall eine verantwortungsvolle Abwägung der Risiken vorgenommen werden.
Wichtiger als Einschränkungen für unbehandelte Patienten mit Obstruktiver Schlafapnoe ist aber deren möglichst schnelle, effiziente Diagnostik und Therapie. Als Behandlung der Wahl steht die Therapie mit nasaler kontinuierlicher Überdruckbeatmung an erster Stelle („Mechanische Ventilation bei Obstruktiver Schlafapnoe“; „CPAP“). Deren prima vista überwältigend positiver Effekt auf den Schlaf hat paradoxerweise dazu geführt, dass viele Schlafmediziner einen sauberen evidenzbasierten Nachweis dieses Effekts für unnötig bzw. unethisch hielten und in der Folge die Wirksamkeit dieser Behandlung angezweifelt wurde. Heute liegen allerdings ausreichend evidenzbasierte Ergebnisse vor, sodass die schlafverbessernde Wirkung dieser Therapie als abgesichert gelten kann. Folgt man der oben dargestellten pathophysiologischen Verbindung zwischen beeinträchtigtem Schlaf, gesteigerter Tagesschläfrigkeit und erhöhtem Unfallrisiko, so sollte durch eine effiziente Behandlung der Obstruktiven Schlafapnoe bei regelmäßiger Therapie die Tagesschläfrigkeit reduziert oder normalisiert werden (Abb. 2) und infolgedessen das Unfallrisiko idealerweise bis auf das Normalrisiko sinken.
In einer eigenen Untersuchung konnten wir eine klare Verbesserung der Wachheit am Tage und eine deutliche Reduktion des Unfallrisikos belegen (Abb. 3); ein Ergebnis (Cassel et al. 1996), das bis heute in mehreren Studien, zum Teil auch mit objektiven Unfallangaben, repliziert beziehungsweise in Richtung der Normalisierung des Unfallrisikos von mit CPAP behandelten Patienten mit OSA präzisiert werden konnte (Findley et al. 2000; George 2001). Die schnellstmögliche Einleitung einer CPAP-Therapie ist dementsprechend die einzige evidenzbasierte Therapieempfehlung (starke Empfehlung, Evidenz moderater Qualität) für Risikofahrer mit schläfrigkeitsbedingten Unfällen oder Beinaheunfällen (Strohl et al. 2013).
Die festgestellte Normalisierung des Unfallrisikos dieser Patienten steht auf den ersten Blick im Widerspruch zu Befunden, die mangelnde Compliance mit der CPAP-Therapie zeigen, sowie zu vereinzelten Berichten von weiter bestehender Schläfrigkeit trotz optimaler CPAP-Therapie. Dieser scheinbare Widerspruch lässt sich auflösen:
Das normale Unfallrisiko spiegelt nicht das Risiko absolut schlafgesunder Personen wider, sondern das aller Verkehrsteilnehmer. Als Teilmenge sind hier Personen enthalten, mit bisher unerkannten Schlafstörungen, unerkannten neurologischen Erkrankungen, Personen mit chronischem Schlafdefizit oder unter dem Einfluss schläfrigmachender Nebenwirkungen von Medikamenten stehend. Außerdem ist davon auszugehen, dass Patienten mit behandelter Obstruktiver Schlafapnoe besser über schläfrigkeitsbedingte Risiken beim Führen eines Fahrzeuges informiert sind. Sie können so möglicherweise potenziell gefährliche Situationen besser erkennen und lange, monotone Nachtfahrten unterlassen, bei Müdigkeitsanzeichen früher stoppen und eine Schlafpause machen und es vermeiden, unausgeschlafen längere Strecken anzutreten.
Weiterhin wird auch bei behandelten Patienten mit Obstruktiver Schlafapnoe oft diskutiert, dass die Behandlung mit CPAP nicht wirklich kausal sei. Das Vertrauen auf die Compliance des Patienten, die Voraussetzung für eine Normalisierung der Vigilanz am Tage ist, könnte somit ungerechtfertigt sein, sodass auch von behandelten Patienten noch ein erhöhtes Risiko ausgehen könnte. Würde man dieser Logik folgen, dürften auch Patienten, die zur Sicherstellung ausreichender visueller Wahrnehmung auf Sehhilfen angewiesen sind, nicht am Straßenverkehr teilnehmen, da sie theoretisch ja auch ohne Brille oder Kontaktlinsen unterwegs sein könnten. Darüber hinaus rechtfertigt auch die Datenlage keine Einschränkungen für mit CPAP behandelte Fahrzeugführer mit Obstruktiver Schlafapnoe (Strohl et al. 2013).
Teil einer rationalen Risikoabwägung sollte es aber ebenfalls sein, das von einem Patienten ausgehende Gefährdungspotenzial individuell abzuwägen. So erscheint es vernünftig, einen Fahrer von Gefahrguttransporten oder einen Busfahrer mit Obstruktiver Schlafapnoe ab dem Diagnosezeitpunkt bis zum Eintreten des vollen Effektes der CPAP-Therapie (mindestens zwei Wochen nach Therapiebeginn) krank zu schreiben. Bei einem solchen Risikokollektiv ist eine engmaschige Kontrolle des Therapieerfolgs mit Erhebung des Effekts der Behandlung auf die Tagesschläfrigkeit durch die Anwendung standardisierter Testverfahren wie Multipler Schlaflatenztest (MSLT) oder Multipler Wachbleibetest (MWT) (siehe „Multipler Schlaflatenztest und Multipler Wachbleibetest“) und mit Feststellen der Compliance anzuraten. Einem Patienten mit einer ausgeprägten Tagesschläfrigkeit, der eine Therapie verweigert oder der nicht compliant ist, sollte dringend von der aktiven Teilnahme am Straßenverkehr abgeraten werden.
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass unbehandelte Patienten mit Obstruktiver Schlafapnoe ein erhöhtes Unfallrisiko haben, das sich unter effektiver Behandlung normalisiert. Eine generelle Beschränkung der aktiven Teilnahme am Straßenverkehr ist für effektiv behandelte Patienten nicht gerechtfertigt. Auch bei unbehandelten Patienten ist dies meist der Fall, im Rahmen der individuellen Risikoabwägung können aber beispielsweise bei Berufskraftfahrern Einschränkungen gerechtfertigt sein (siehe auch „Begutachtung bei Schlafbezogenen Atmungsstörungen“).
Literatur
Cassel W, Ploch T, Becker HF et al (1996) Risk of traffic accidents in patients with sleep-disordered breathing: reduction with nasal CPAP. Eur Respir J 9:2606–2611CrossRef
Findley L, Smith C, Hooper J et al (2000) Treatment with nasal CPAP decreases automobile accidents in patients with sleep apnea. Am J Respir Crit Care Med 161:857–859CrossRef
George CFP (2001) Motor vehicle collisions are reduced when sleep apnoea is treated with nasal CPAP. Thorax 56:508–512CrossRef
Strohl KP, Brown DB, Collop N, George C, Grunstein R, Han F, Kline L, Malhotra A, Pack A, Phillips B, Rodenstein D, Schwab R, Weaver T, Wilson K (2013) An Official American Thoracic Society clinical practice guideline: sleep apnea, sleepiness, and driving risk in noncommercial drivers. An update of a 1994 statement. Am J Respir Crit Care Med 187(11):1259–1266. https://​doi.​org/​10.​1164/​rccm.​201304-0726STCrossRefPubMedPubMedCentral