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Enzyklopädie der Schlafmedizin
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Publiziert am: 28.02.2020

Tryptophan und Serotonin

Verfasst von: Andrea Rodenbeck
L-Tryptophan spielt als essenzielle Vorstufe des Serotonins eine wichtige Rolle in der Schlaf-Wach-Regulation. In der Behandlung von Schlafstörungen ist es als körpereigene Substanz mit schlaffördernder Wirkung eingesetzt worden. Im Beitrag wird nach einer Darstellung der biochemischen Kaskade Tryptophan/Serotonin/Melatonin vor allem auf die Rolle des Serotonins in der Schlafregulation und die schlaffördernde Wirkung des L-Tryptophans eingegangen.

Synonyme

Tryptophan: (S)-1-Amino-2-Indolylpropionsäure; Serotonin-Präkursor; L-Tryptophan; Serotonin: 5-Hydroxytryptamin (5-HT)

Englischer Begriff

b.
serotonin, 5-hydroxytryptamine
 

Definition

L-Tryptophan spielt als essenzielle Vorstufe des Serotonins eine wichtige Rolle in der Schlaf-Wach-Regulation. In der Behandlung von Schlafstörungen ist es als körpereigene Substanz mit schlaffördernder Wirkung eingesetzt worden. Im Folgenden wird nach einer Darstellung der biochemischen Kaskade Tryptophan/Serotonin/Melatonin vor allem auf die Rolle des Serotonins in der Schlafregulation und die schlaffördernde Wirkung des L-Tryptophans eingegangen.

Grundlagen

Tryptophan ist eine essenzielle Aminosäure, das heißt, sie kann nicht im Körper synthetisiert, sondern muss durch die Nahrung zugeführt werden. Der tägliche Bedarf wird mit etwa 250 mg angegeben. Da Tryptophan vor allem in Milchprodukten (in Form von Lactalbumin), aber auch in Fleisch, Fisch, Eiern, Nüssen und Kartoffeln reichlich vorkommt, ist bei normaler Ernährung ein Tryptophanmangel nicht anzunehmen.
Im Blut ist Tryptophan zu 90 % an Albumin gebunden, kann jedoch relativ schnell aus dieser Bindung freigesetzt werden. Im Gehirn wird Tryptophan mithilfe der Tryptophanhydroxylase über 5-Hydroxytryptophan (5-HTP) zu Serotonin umgewandelt (Abb. 1). Dabei stellt die Umwandlung zu 5-HTP den geschwindigkeitsbestimmenden Schritt in der Serotoninsynthese dar. Das Enzym kommt nur in serotonergen Zellen vor und ist unter physiologischen Bedingungen nicht gesättigt, sodass eine erhöhte Tryptophanmenge im Gehirn im Regelfall auch zu einer gesteigerten Serotoninproduktion führt. Die Enkodierung dieses Enzyms im Gehirn unterscheidet sich genetisch von der in der Peripherie. Es muss an dieser Stelle nochmals betont werden, dass Serotonin ausschließlich aus seinem Präkursor Tryptophan synthetisiert werden kann. Serotonin, das durch die Nahrung zugeführt wird, kann die Blut-Hirn-Schranke nicht passieren.
Serotonin wird durch ein weit ausgebreitetes Transmittersystem im Gehirn freigesetzt, wobei die Soma der serotonergen Zellen sich in den Raphekernen befinden und die Axone direkt bis in das Vorderhirn und das Rückenmark projizieren. Das serotonerge System wirkt dabei modulierend auf andere Systeme ein und beeinflusst auch Bereiche wie Stimmung, Aggressivität, Ess- und Schlaf-Wach-Verhalten (Huether und Rüther 2000). Serotonin wird über die Monoaminoxyidase zu 5-Hydroxindolessigsäure verstoffwechselt und über den Urin ausgeschieden. Zudem entsteht in den Pinealozyten der Epiphyse aus Serotonin das Indolamin Melatonin (N-Acetyl-5-Methoxytryptamin). Siehe dazu Abb. 1.
Die Menge an freiem Tryptophan, die dem Körper für die Serotoninsynthese zur Verfügung steht, wird durch zwei wesentliche Mechanismen beeinflusst: Zum einen kann Tryptophan vor allem durch freie Fettsäuren aus seiner Bindung an Albumin verdrängt werden, zum anderen erfolgt das Passieren der Blut-Hirn-Schranke durch einen Aminosäuretransporter, um dessen Bindungsstellen alle großen neutralen Aminosäuren einschließlich des Tryptophans miteinander konkurrieren. Das relative Verhältnis zwischen großen neutralen Aminosäuren und Tryptophan am Aminosäuretransporter kann durch eine Kohlenhydratzufuhr zugunsten des Tryptophans verändert werden (Rodenbeck et al. 2005). Kohlenhydrate bewirken eine verstärkte Insulinsekretion und infolgedessen eine Aufnahme der großen neutralen Aminosäuren – mit Ausnahme des Tryptophans – in die Muskulatur. Bei Menschen mit ausgeprägter Adipositas ist das Verhältnis von Tryptophan zu den anderen großen neutralen Aminosäuren signifikant vermindert, das heißt, es liegt eine relative Tryptophanarmut vor, wobei diese Veränderung auch nach erheblicher Gewichtsreduktion bestehen bleibt. Als möglicher Grund ist eine Insulinresistenz zu diskutieren. Patientinnen mit Anorexia nervosa („Essstörungen“) weisen eine im Vergleich zu den konkurrierenden großen neutralen Aminosäuren erhöhte Tryptophankonzentration im Blut auf, das heißt, die Transporter nehmen relativ viel Tryptophan zur Serotoninsynthese auf. Wie bei der Adipositas bleibt dieses Ungleichgewicht auch nach erfolgreicher Therapie bestehen. Der stimmungsaufhellende Effekt von Serotonin beinhaltet somit auch die Gefahr, dass Fasten als eine Möglichkeit der Stressbewältigung entdeckt und beibehalten wird.
Umgekehrt bewirkt eine zehntägige tryptophanarme Diät eine Verminderung der Tryptophanplasmakonzentration um 15–20 %. Nach der experimentellen Verabreichung eines Aminosäuretrunks ohne Tryptophan (Tryptophandepletion) fällt die Tryptophankonzentration nicht nur im Plasma, sondern nach etwa 8 Stunden auch im Liquor ab und die Serotoninsynthese reduziert sich um 90–95 %.

Das serotonerge System im Schlaf

Das serotonerge System weist wie das noradrenerge System eine Besonderheit auf. Während des aktiven Wachens feuert es tonisch mit einer Frequenz von etwa 5–7 Hz, die von äußeren oder inneren Faktoren unbeeinflusst bleibt. Diese Frequenz sinkt im Tiefschlaf auf etwa 3–5 Hz ab, während des REM-Schlafs kommt die serotonerge Aktivität dagegen völlig zum Erliegen. Bereits diese Aktivitätscharakteristika lassen vermuten, dass die serotonergen Efferenzen der Raphekerne wesentlich an der Koordination und Organisation zirkadianer Rhythmen einschließlich des Schlafens und Wachens beteiligt sind. Tatsächlich bedingt bei Nagern eine pharmakologische Hemmung der Serotoninsynthese oder eine mechanische Läsion der Raphekerne eine fast komplette Schlaflosigkeit, wobei die pharmakologische Hemmung durch die zusätzliche Gabe von 5-Hydroxytryptophan aufgehoben werden kann. Dies führte in den 1960er-Jahren zu der Formulierung der Monoaminhypothese des Schlafs von Jouvet (1968). Später konnte die Gruppe um Alexander Borbély und Irene Tobler zeigen, dass die pharmakologische Hemmung der Serotoninsynthese nur eine vorübergehende Störung der Schlaf-Wach-Regulation auslöst, wobei das Absinken der Serotoninkonzentration im Gehirn länger andauert als die passagere Schlafstörung und auch die Tiefschlaferhöhung nach einer Schlafdeprivation bei diesen Tieren erhalten bleiben.
Die eigentliche Rolle serotonerger Mechanismen im Schlaf lässt sich besser mit dem reziproken Interaktionsmodell von Hobson und McCarley verdeutlichen. In diesem Modell bedeutet eine verminderte serotonerge Aktivität eine deutliche Schwächung des aminergen Schenkels der aminerg-cholinergen Interaktion. Damit lassen sich unter Berücksichtigung eines relativen Serotoninmangels und/oder eines cholinergen Übergewichts bei Patienten mit psychiatrischen Störungen auch die bei diesen Patienten gehäuft auftretenden Veränderungen der internen „Schlafregulation“ erklären, wie eine geringere Zeitlatenz bis zum Auftreten der ersten REM-Schlafphase oder eine größere REM-Dichte. Das serotonerge System beeinflusst daher vor allem die sogenannte interne Schlafregulation, also den regelmäßigen Wechsel zwischen NREM- und REM-Schlaf. So sind an der Regulation des Tiefschlafs vor allem 5-HT2C-Rezeptoren beteiligt, während eine Aktivierung der serotonergen Autorezeptoren (5-HT1A) das Auftreten des REM-Schlafs verlängert und dessen prozentualen Anteil am Gesamtschlaf vermindert.
Die physiologische Aktivitätsänderung des serotonergen – wie auch des noradrenergen – Systems im Schlaf bedeutet eine verminderte aminerge Kontrolle, insbesondere im REM-Schlaf. So kommt es während des REM-Schlafs zu einem völligen Erliegen des hemmenden serotonergen Einflusses auf den frontalen Kortex und zu einem Wegfall der stabilisierenden Funktion des serotonergen Systems auf bestehende neuronale Netzwerke. Damit werden die mehr teleologischen Funktionen des REM-Schlafs als Zeiträume des affektbetonten Träumens deutlich (Rodenbeck et al. 2005): Die Schwächung der zentral ordnenden Kontrolle bewirkt eine assoziative Lockerung der Hirnfunktionen, sodass bestehende affektive Muster überschrieben beziehungsweise neue Muster spielerisch erprobt, ausgewählt und bereitgestellt werden können.

Die Wirkung von Tryptophan auf den Schlaf

Die Wirkung von „L-Tryptophan“ auf den Schlaf wurde bis zum Ende der 1980er-Jahre in vielen Studien untersucht. Bis dahin war L-Tryptophan eine wichtige Substanz in der Therapie von Insomnien. 1989 trat mehrfach nach der Einnahme von Tryptophan ein in ca. 60 Fällen tödlich verlaufendes Eosinophiles-Myalgie-Syndrom auf, das auf Verunreinigungen im gentechnisch hergestellten Tryptophan zurückgeführt werden konnte. Entsprechend fokussierte sich die anschließende Forschung auf die Tryptophandepletion als Methode zur Erfassung schlafrelevanter serotonerger Mechanismen. Seit 1996 ist L-Tryptophan in Deutschland wieder als Schlafmittel in Höchstdosen von 1 g/Tag zugelassen, neuere Studien zur Wirkung einer L-Tryptophan-Applikation auf den Schlaf fehlen jedoch.
Die Gabe von Tryptophan bedingt im Regelfall eine erhöhte Serotoninfreisetzung. Im reziproken Interaktionsmodell entspricht dies einer Stärkung des aminergen Schenkels und sollte sich entsprechend vor allem in Parametern des NREM-Schlafs zeigen. In fast allen Untersuchungen (Hajak et al. 1993) drückte sich dies konsistent in einer verminderten Schlaflatenz sowohl bei Gesunden als auch bei Patienten mit Schlafstörungen aus, wobei in den meisten Untersuchungen jedoch mindestens 2 g verabreicht wurden. In niedrigeren Dosierungen zeigte sich eine verminderte Schlaflatenz in etwa der Hälfte der Studien bis 1990. Die Wirkung auf andere NREM-Schlafparameter, wie den Tiefschlafanteil oder die echte Schlafzeit, war dagegen schon vor 1990 als minimal einzuschätzen, da diesbezüglich nur einige wenige Studien mit zumeist höheren L-Tryptophandosen positive Effekte zeigten. Hinsichtlich der REM-Schlafparameter sind die Daten auch bei höheren Tryptophandosen inkonsistent.
Tryptophan besitzt also eher eine schlafanstoßende als primär schlafverbessernde Wirkung und ist daher als Medikament vor allem zur Behandlung von leichten bis mittelschweren Einschlafstörungen geeignet. Nach der Gabe von Tryptophan kommt es zumindest bei Gesunden zu einem massiven Anstieg der Melatoninkonzentration im Plasma, sowohl nach einer Gabe von Tryptophan am Tage als auch am Abend („Melatoningabe“; „Melatonin und zirkadianer Rhythmus“). Die schlafinduzierenden Effekte des Tryptophans scheinen also zumindest teilweise melatoninvermittelt zu sein, wobei möglicherweise Tryptophan das Melatonin aus seiner Albuminbindung im Plasma verdrängt. Tatsächlich zeigen sich nach der Gabe von Melatonin ganz ähnliche Wirkungen auf den Schlaf wie unter Tryptophan.
Obwohl nur wenige Studien zur Wirkung von 5-Hydroxytryptophan (5-HTP) auf den Schlaf beim Menschen existieren, wird dessen therapeutische Wirkung als größer angesehen, da es die unmittelbare Vorstufe des Serotonins darstellt, nicht zu zum Beispiel Niacin verstoffwechselt wird und die Blut-Hirn-Schranke problemlos passieren kann (Birdsall 1998).
Literatur
Birdsall TC (1998) 5-Hydroxytryptophan: a clinically-effective serotonin precursor. Altern Med Rev 4:271–280
Hajak G, Huether G, Rodenbeck A, Rüther E (1993) Endocrine and sleep-inducing properties of L-tryptophan in men. In: Lehnert H, Murison R, Weiner H, Hellhammer D, Beyer J (Hrsg) Endocrine and nutritional control of basic biological functions. Hogrefe & Huber, Seattle, S 315–332
Huether G, Rüther E (2000) Das serotonerge System. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen
Jouvet M (1968) Insomnia and decrease of cerebral 5-hydroxytryptamine after destruction of the raphe system in the cat. Adv Pharmacol 6(Pt B):265–279CrossRef
Rodenbeck A, Hüther G, Rüther E (2005) Die Lust am serotonergen System. In: Przuntek H, Müller T (Hrsg) Das serotonerge System aus neurologischer und psychiatrischer Sicht. Steinkopff, Darmstadt, S 1–10