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Enzyklopädie der Schlafmedizin
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Publiziert am: 20.08.2022

Wachstumshormon

Verfasst von: Burkhard L. Herrmann
Unter den Aspekten der Schlafmedizin ist von Bedeutung, dass die Überproduktion von Wachstumshormon bei der Akromegalie, vermittelt über die beim Erwachsenen damit einhergehende Makroglossie, zur Obstruktiven Schlafapnoe führt. Mit Therapie der Akromegalie bilden sich die Makroglossie und konsekutiv auch die Obstruktive Schlafapnoe und die dadurch bedingte Tagesschläfrigkeit zurück. Eine Entwicklungsstörung durch Mangel an Wachstumshormon spielt bei Kindern eine Rolle, die infolge vergrößerter Tonsillen und Adenoide eine Einengung des Oropharynx erfahren. Davon geht eine vermehrte Kollapsneigung des Oropharynx im Schlaf aus, und es entsteht das klinische Bild der Obstruktiven Schlafapnoe. Die betroffenen Kinder sind infolge der Schlaffragmentierung tiefschlafdepriviert, was neben Tagesschläfrigkeit auch Aufmerksamkeitsdefizite zur Folge haben kann und was über die verminderte Ausschüttung von Wachstumshormon Verzögerungen der körperlichen Entwicklung verursacht.

Synonyme

GH

Englischer Begriff

growth hormone (GH)

Definition

Das in dem Hypophysenvorderlappen synthetisierte und pulsatil sezernierte Wachstumshormon (GH; „growth hormone“) hat eine Plasmahalbwertszeit von 19 Minuten und wird überwiegend durch sein hypothalamisches Releasing-Hormon (GHRH; „growth hormone releasing hormone“) stimuliert und durch Somatostatin inhibiert. Neben seiner eigenen biologischen Wirkung stimuliert Wachstumshormon das vorwiegend in der Leber gebildete Effektorhormon Insulin-like Growth Factor-I (IGF-I). IGF-I ist im Blut überwiegend an das Bindungsprotein IGFBP-3 als auch an die „acid labile subunit“ (ALS) gebunden. Die Überprüfung des GH/IGF-I-Systems sollte bei Verdacht auf Wachstumshormonmangel oder Wachstumshormonexzess erfolgen. Zugelassen ist die Therapie mit Wachstumshormon in der Pädiatrie bei Minderwuchs, u.a. beim Prader-Willi-Syndrom und bei sogenannten SGA-Kindern, die bei Geburt zu klein für ihr Gestationsalter sind (SGA = „small for gestational age“). Im Erwachsenenalter entfaltet Wachstumshormon vorwiegend Stoffwechselfunktionen, sodass Wachstumshormon bei einem nachgewiesenen hypophysären Wachstumshormonmangel, wie er beispielsweise bei einem Hypophysenadenom vorkommt, therapeutisch substituiert werden kann. Nicht zugelassen ist Wachstumshormon als sogenannte Anti-Aging-Therapie oder beim familiären Kleinwuchs.
Unter den Aspekten der Schlafmedizin ist von Bedeutung, dass die Überproduktion von Wachstumshormon bei der Akromegalie, vermittelt über die beim Erwachsenen damit einhergehende Makroglossie, zum Obstruktiven Schlafapnoe-Syndrom („Obstruktive Schlafapnoe“) führt. Mit Therapie der Akromegalie bilden sich die Makroglossie und konsekutiv auch die Obstruktive Schlafapnoe und die dadurch bedingte Tagesschläfrigkeit zurück.
Ferner spielt eine Entwicklungsstörung durch Mangel an Wachstumshormon bei Kindern eine Rolle, die infolge vergrößerter Tonsillen und Adenoide eine Einengung des Oropharynx erfahren. Davon geht eine vermehrte Kollapsneigung des Oropharynx im Schlaf aus, und es entsteht das klinische Bild der Obstruktiven Schlafapnoe. Die betroffenen Kinder sind infolge der Schlaffragmentierung tiefschlafdepriviert, was neben Tagesschläfrigkeit auch Aufmerksamkeitsdefizite zur Folge haben kann und was über die verminderte Ausschüttung von Wachstumshormon Verzögerungen der körperlichen Entwicklung verursacht. Mit operativer Entfernung der Tonsillen bzw. Adenoide erfahren die Kinder häufig einen Wachstumsschub (siehe auch „Kindesalter“).

Grundlagen

Regulation der GH-Sekretion

Das in den somatotropen Zellen des Hypophysenvorderlappens gebildete Wachstumshormon ist zum einen von einer ausreichenden Synthese, zum anderen von einer intakten Regulation der Sekretion abhängig. Synthese und Sekretion unterliegen der positiven wie auch der negativen Rückkopplung in Regelkreisen. Die ca. 500 mg schwere Hypophyse, deren Masse zu 75 % der Adenohypophyse (Hypophysenvorderlappen) und nur zu 25 % der Neurohypophyse (Hypophysenhinterlappen) zuzuordnen ist, synthetisiert in 24 Stunden ca. 3 mg GH, was deren beträchtliche Syntheseleistung dokumentiert. Der Prozess unterliegt der Stimulation durch das hypothalamische Growth Hormone Releasing Hormone (GHRH) und der Hemmung durch Somatostatin, das im zentralen und peripheren Nervensystem sowie in den pankreatischen D-Zellen der Langerhans-Inseln gebildet wird (siehe auch „Endokrinium“; „Neuropeptide“; „Hypophyse und Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenachse“).
Ein Defekt der hypophysären Wachstumshormonsekretion kann aufgrund des komplexen Regelkreises verschiedene Ursachen haben, sodass ein niedriger oder nicht nachweisbarer Wachstumshormonspiegel nicht zwangsläufig auf einen hypophysären Schaden schließen lässt. Diejenigen Neurone, die GHRH im Hypothalamus synthetisieren und sezernieren, sind überwiegend im Nucleus arcuatus und im ventromedialen Nukleus lokalisiert. Die Axone dieser Zellen projizieren sich in die Eminentia mediana, von wo aus GHRH in den hypothalamisch-hypophysären Portalkreislauf fließt. GHRH stimuliert die Funktion der somatotropen Zelle, indem es über eine vermehrte Wachstumshormon-Gentranskription dessen Synthese steigert und somit die Menge des für die pulsatile Sekretion zur Verfügung stehenden Wachstumshormons anhebt. GHRH moduliert somit die pulsatile Sekretion von Wachstumshormon.
Somatostatin hemmt die spontane und GHRH-vermittelte Sekretion der somatotropen Zelle, kann jedoch auch indirekt über axonale Kontakte an der GHRH-produzierenden Zelle im Nucleus arcuatus die Wachstumshormonsekretion beeinflussen. Sowohl Dauer als auch Höhe des Somatostatintonus regulieren die Wachstumshormonsekretion.
Neben den Peptiden GHRH und Somatostatin beeinflussen „Neurotransmitter“ direkt und indirekt den hypothalamisch-hypophysären Regelkreis der Wachstumshormonsekretion. α2-adrenerge Einflüsse, Galanin und GABA stimulieren die GHRH-Sekretion, wohingegen β2-adrenerge die Somatostatinsekretion positiv beeinflussen. Clonidin als α2-Agonist kann somit als diagnostische Testsubstanz zum Nachweis eines Wachstumshormonmangels genutzt werden. Dopamin und Arginin, die ebenfalls als Testsubstanzen dienen, hemmen die Somatostatinsekretion und steigern physiologischerweise bei intaktem Regelkreis die Wachstumshormonsekretion (Abb. 1).

Regulation der IGF-I-Sekretion

IGFs (Insulin-like Growth Factors) sind Polypeptide mit einem Molekulargewicht von ca. 7,5 kDa und weisen eine ca. 40 %ige Strukturähnlichkeit mit dem Proinsulin auf. Aufgrund dieser Strukturähnlichkeit erklärt sich die frühere Bezeichnung als Somatomedine, die durch die jetzt gebräuchliche Bezeichnung IGF ersetzt wurde. Sogenannte big-IGF-II-Formen können durch Tumoren sezerniert werden und induzieren Hypoglykämie aufgrund der Insulin-ähnlichen Wirkung. IGF-I wirkt einerseits als mitogener Faktor und weist andererseits antiapoptotische Wirkung auf. IGF-I ist sowohl im Plasma als auch im Gewebe überwiegend an Bindungsproteine gekoppelt, sogenanntes IGF-Binding Protein (IGFBP).
IGF-I-Serumspiegel zeigen eine Altersabhängigkeit. Im heranwachsenden Alter liegen die höchsten Spiegel vor, die im Verlauf des Lebens stetig abfallen. Katabole Zustände wie bei Leber- oder Niereninsuffizienz und bei Unterernährung führen zu niedrigen IGF-I-Spiegeln.

Biologische Wirkung von Wachstumshormon und IGF-I

Die biologische Wirkung des Wachstumshormons wird über den Wachstumshormonrezeptor vermittelt, dessen Gen auf dem Chromosom 5 liegt. Wachstumshormon und IGF-I haben überwiegend synergistische und additive metabolische Effekte. Wachstumshormon stimuliert die Lipolyse, Ketogenese, Glukogenese, Proteinsynthese und fördert beim Kind das longitudinale Knochenwachstum. Wachstumshormon reduziert die Körperfettmasse und steigert die Muskelkraft durch Zunahme der Skelettmuskelfasern. Durch die Insulin-antagonistische Wirkung ist Wachstumshormon Insulinresistenz-fördernd („Diabetes mellitus“).
Eine der wichtigsten Wirkungen des Wachstumshormons kommt der IGF-I-Synthese und Sekretion zu. IGF-I hemmt im Gegensatz zum Wachstumshormon die Lipolyse, stimuliert jedoch wie Wachstumshormon die Proteinsynthese und fördert das longitudinale Knochenwachstum (Abb. 2). IGF-I supprimiert die Insulin- und C-Peptid-Sekretion, es fördert jedoch die zelluläre Glukoseaufnahme. Darüber hinaus beeinflusst IGF-I durch Stimulation der Kreatininclearance, der glomerulären Filtrationsrate und des renalen Plasmaflusses die Nierenfunktion. Weiterhin stimuliert IGF-I die Erythropoese. Der negative Rückkopplungsmechanismus der GH-IGF-I-Achse zeigt sich durch die Fähigkeit der IGF-I-induzierten Suppression der Wachstumshormonsekretion aus der Hypophyse.

Klinische Zeichen des Wachstumshormonmangels

Klinische Zeichen eines Wachstumshormonmangels im Säuglingsalter können postnatale Apnoen, Mikrozephalus, Icterus prolongatus und Hypoglykämie sein. Klinisch relevante Defizite werden bei den meisten Patienten erst zwischen dem 2–3. Lebensjahr auffällig. Die Retardierung des Längenwachstums ist meist stärker ausgeprägt als die des Knochenalters. Eine ausgeprägte Gesamtkörperdysproportion findet sich selten. Die Gesichtslänge ist gegenüber der Gesichtsbreite reduziert, weshalb man bei den Betroffenen auch von einem „Puppengesicht“ spricht. Das Kopfhaar ist häufig dünn. Im Bereich des Abdomens kann sich dagegen eine ausgeprägte Adipositas entwickeln. Motorische Entwicklungsverzögerungen entstehen durch die unzureichend entwickelte Muskulatur.
Klinische Zeichen eines Wachstumshormonmangels im Erwachsenenalter können reduzierte Muskelkraft und Knochenmasse sein. Die Zeichen der Insulinresistenz können durch die Abnahme der fettfreien Masse entstehen. Dies zeigt sich durch eine abdominelle Adipositas und eine Zunahme des viszeralen Fetts. Patienten mit Wachstumshormonmangel weisen einen erhöhten Gesamtcholesterin- und LDL-Cholesterinspiegel bei erniedrigten HDL-Werten auf. Diese Charakteristika sowie die Beobachtung, dass Patienten mit einem Wachstumshormonmangel eine reduzierte NO-Synthese haben, dienen als Erklärung, weshalb die Betroffenen eine zwei- bis dreifach erhöhte kardiovaskuläre Mortalität haben. Bei Erwachsenen mit „Obstruktiver Schlafapnoe“ (OSA) trägt die Tiefschlafdeprivation und der dadurch verursachte Wachstumshormonmangel mit zur erhöhten kardiovaskulären Morbidität und Mortalität bei (siehe dazu auch „Kardiovaskuläre Folgen der Obstruktiven Schlafapnoe“; „Endotheliale Dysfunktion“).

Klinische Zeichen des Wachstumshormonexzesses

Patienten mit Akromegalie durch ein GH-produzierendes Adenom der Hypophyse fallen durch die klinischen Stigmata der Hypertrophie der Akren auf. Hände und Füße sind ebenso betroffen wie die Kalotte, die Augenbrauenwülste und der Unterkiefer. Die Stimmlage kann tiefer werden, was bei Frauen naturgemäß stärker auffällt als bei Männern. Die Zunge ist merklich vergrößert und die Lippen sind wulstig. Die Patienten berichten über Kopfschmerzen, Arthralgien und Myalgien sowie über eine vermehrte Schweißbildung. Die erhöhte Prävalenz von „Bluthochdruck“, Dyslipoproteinämie und diabetogener Stoffwechsellage verursacht Folgeerkrankungen für das kardiovaskuläre System wie Kardiomyopathie, Atherosklerose und „Herzrhythmusstörungen“. Die Betroffenen können „Schlafbezogene Atmungsstörungen“ unterschiedlicher Formen und Schweregrade entwickeln (siehe auch „Herzinsuffizienz und Schlafbezogene Atmungsstörungen (SBAS)“). Die Organomegalie zeigt sich neben der linksventrikulären Hypertrophie durch eine Hepatomegalie. Patienten mit aktiver Akromegalie neigen zu Kolonpolypen und haben ein erhöhtes Risiko für Kolonkarzinom, Mammakarzinom, Prostatakarzinom und Schilddrüsenkarzinom. Patienten mit Akromegalie haben ein ca. dreifach erhöhtes Mortalitätsrisiko.

Wachstumshormon und Schlaf

Die Beziehung zwischen Wachstumshormon, IGF-I und dem Schlaf ist komplex. Die Sekretion von Wachstumshormon ist überwiegend an das Vorhandensein von Tiefschlaf gebunden, sodass schlafmedizinische Erkrankungen, die mit Tiefschlafverlust einhergehen, niedrige nächtliche Wachstumshormonspiegel und konsekutiv niedrige IGF-I-Spiegel zur Folge haben. Beispielsweise können vergrößerte Adenoide und Tonsillen bei Kindern Obstruktive Schlafapnoe verursachen. Das hierdurch verursachte Tiefschlafdefizit zieht eine verminderte Sekretion von Wachstumshormon und IGF-I nach sich. Wachstum und Entwicklung der betroffenen Kinder können sich verzögern. Nach operativer Entfernung der hyperplastischen Gewebe aus dem Oropharynx verschwindet die Obstruktive Schlafapnoe, und die Kinder verzeichnen einen Entwicklungsschub. Beim Erwachsenen ist Adipositas häufig mit Obstruktiver Schlafapnoe assoziiert und die bei Übergewicht erhöhten freien Fettsäuren hemmen zusätzlich die Wachstumshormonsekretion und somit die IGF-I-Synthese der Betroffenen.
Anderseits bewirkt ein Wachstumshormonexzess mit erhöhten IGF-I-Spiegeln das Entstehen von Akromegalie, in deren Rahmen infolge der Makroglossie das Auftreten von Schlafbezogenen Atmungsstörungen (SBAS), vor allem Obstruktive Schlafapnoe, begünstigt wird. Patienten mit Akromegalie haben durch den Wachstumshormonexzess auch einen erhöhten Somatostatintonus. Da Somatostatin die zentrale Atmungsregulation hemmen kann, kann dieser Pathomechanismus die Ursache von zentralen Atmungsstörungen bei Patienten mit Akromegalie sein. Sie treten jedoch nach eigenen Daten bei Patienten mit Akromegalie seltener auf als Atmungsstörungen mit pharyngealer Obstruktion. Durch die Behandlung mit dem Somatostatinanalogon Octreotid nimmt das Zungenvolumen signifikant ab. Der IGF-I-Spiegel korreliert mit dem Zungenvolumen. Nach Normalisierung der Akromegalie-spezifischen Aktivitätsmarker GH und IGF-I nimmt der initial erhöhte Respiratory Disturbance Index (RDI) ab. Auch eventuell vorhandene Schluckstörungen bei Akromegalie sind nach einer suffizienten Therapie mit Octreotid rückläufig. Patienten mit schlafbezogenen zentralen Atmungsstörungen haben signifikant höhere Wachstumshormon- und IGF-I-Spiegel als Patienten mit Obstruktiver Schlafapnoe außerhalb der Gruppe von Akromegaliepatienten mit Obstruktiver Schlafapnoe.
Literatur
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