Das diagnostische Vorgehen bei alten CLL-Patienten ist in Tab.
1 zusammengefasst. Der hämato-onkologische „Workup“ zur Sicherung der CLL-Diagnose
, Erfassung des CLL-Stadiums und Beurteilung der Behandlungspflichtigkeit sowie Abschätzung der CLL-spezifischen Prognose ist in verschiedenen Leitlinien bzw. Konsensusempfehlungen detailliert beschrieben (Hallek et al.
2008; Eichhorst et al.
2015) und bei jüngeren und älteren CLL-Patienten identisch.
Tab. 1
Diagnostisches Vorgehen bei alten Patienten mit CLL
Sicherung der Diagnose | Blutbild, Differentialblutbild → Lymphozytose |
Beurteilung der Krankheitsausdehnung/Behandlungspflichtigkeit | Gezielte Anamnese → B-Symptome, sonstige Beschwerden Palpation Lymphknoten, Leber, Milz → Lymphadenopathie, Splenomegalie Blutbild → Anämie, Thrombopenie (= Binet-Staging, Rai-Staging) |
Abschätzung der Therapiewirksamkeit | Gensequenzierung im Blut → TP53-Mutation |
Abschätzung der Therapieverträglichkeit/Therapiedurchführbarkeit | Umfassende Anamnese und körperliche Untersuchung* → Komorbidität Laborchemie und ggf. apparative Untersuchung → Komorbidität |
Die Erfassung des klinischen Stadiums erfolgt nach Binet
oder Rai
(Rai et al.
1975; Binet et al.
1977) und erfordert eine sorgfältige Palpation von Lymphknotenstationen, Leber und Milz sowie die Bestimmung der Hämoglobinkonzentration und der Thrombozytenzahl. Die bildgebende Darstellung nicht palpabler, d. h. thorakaler, abdomineller und pelviner Lymphknotenstationen mittels Computertomografie ist meistens nicht therapieentscheidend. Weil bei vielen alten CLL-Patienten eine subklinische, chronische Nierenfunktionsstörung mit Gefahr der kontrastmittelinduzierten Funktionsverschlechterung besteht, sollte auf die Computertomografie im Regelfall verzichtet bzw. diese außerhalb von klinischen Studien nur nach sorgfältiger Abwägung von Nutzen und Risiko durchgeführt werden. Zum Zeitpunkt der Erstdiagnose liegt in ca. 75 % aller Fälle ein Stadium Binet A, in ca. 15 % ein Stadium Binet B und in ca. 10 % ein Stadium Binet C vor (Abrisqueta et al.
2009). Hinsichtlich dieser Stadienverteilung sind keine relevanten Unterschiede zwischen jüngeren und älteren CLL-Patienten bekannt.
Bei der Bestimmung molekularer Prognosefaktoren
ist zu beachten, dass einige (z. B. ZAP70, CD38) ihre prognostische Bedeutungskraft mit zunehmendem Lebensalter teilweise einbüßen (Shanafelt et al.
2010). Die prognostische Bedeutungskraft kürzlich identifizierter, neuer molekularer Prognosefaktoren (z. B.
ATM, NOTCH1, SF3B1, BIRC3) (Zent und Burack
2014) ist speziell bei alten Patienten bisher weniger gut validiert als bei jüngeren Patienten. Möglicherweise sind bei älteren CLL-Patienten (insbesondere nach der Verabreichung Chlorambucil-basierender Chemoimmunotherapien) noch weitere molekulare Marker wie KRAS oder POT1 bedeutsam. Jüngst vorgeschlagene neue Prognosewerkzeuge wie z. B. der
CLL International Prognostic Index (CLL-IPI) (International CLL-IPI Working Group
2016) werden derzeit hinsichtlich ihrer prognostischen Wertigkeit bei alten CLL-Patienten untersucht und könnten in Zukunft sowohl bei jüngeren als auch bei älteren Patienten bei der Therapieplanung konkrete Verwendung finden. Integraler Bestandteil solcher Werkzeuge ist u. a. das Fahnden nach einer 17p-Deletion bzw.
TP53-Mutation, deren Vorhandensein altersübergreifend mit einem unbefriedigenden Ansprechen auf konventionelle Therapien und deutlich verkürzter Überlebenszeit assoziiert ist. Vor Beginn einer Therapie ist daher nicht nur bei jungen, sondern auch bei alten CLL-Patienten immer zu klären, ob eine 17p-Deletion
bzw.
TP53-Mutation
vorliegt oder nicht.
Bei alten CLL-Patienten sind neben diesen molekularen Prognosefaktoren auch das Vorhandensein von Komorbidität und/oder
geriatrischen Syndromen prognosebestimmend bzw. prädiktiv für die Therapieverträglichkeit und -durchführbarkeit. Eine eingeschränkte Nierenfunktion (d. h. reduzierte
glomeruläre Filtrationsrate bzw.
Kreatinin-Clearance) ist zum Beispiel mit einem erhöhten Risiko für das Auftreten von hämatologischer Toxizität bei der Therapie mit Purinanaloga verbunden (Martell et al.
2002). Das Gesamtausmaß von Komorbidität – gemessen mit Komorbiditäts-Scores
wie z. B. der
Cumulative Illness Rating Scale (CIRS) – korrelierte in einer Untersuchung ebenfalls mit der Verträglichkeit einer kombinierten Chemotherapie bzw. Immunchemotherapie (Goede et al.
2012). Mehrere Studien haben inzwischen überzeugend gezeigt, dass CLL-Patienten mit mehreren oder schwerwiegenden Begleiterkrankungen kürzer leben als CLL-Patienten mit wenigen milden oder ohne Begleiterkrankungen (Baumann et al.
2014; Goede et al.
2014a). Komorbide Patienten versterben dabei nicht nur früher an ihren Begleiterkrankungen, sondern zu einem beachtlichen Teil auch früher an ihrer CLL, weil die Therapie nicht so akkurat durchgeführt werden kann, wie bei Patienten ohne Komorbidität. Auch zwischen dem Vorhandensein von geriatrischen Syndromen (z. B. Kognitions-, Mobilitäts- oder Autonomieeinschränkung) und der verbleibenden Überlebenszeit wurde jüngst für alte CLL-Patienten ein adverser Zusammenhang beschrieben (Goede et al.
2016). Die umfängliche Erfassung von Komorbiditäten und geriatrischen Syndromen ist deshalb ein wichtiger Bestandteil der Diagnostik bei alten CLL-Patienten (insbesondere, wenn eine Therapie durchgeführt werden soll). Eine umfassende, d. h. nicht nur auf CLL-Symptome fokussierte Anamnese und körperliche Untersuchung sowie die erweiterte Laborchemie (u. a. Bestimmung der glomerulären Filtrationsrate, hepatische Parameter) sind obligat. Bei entsprechenden Verdachtsmomenten sind weitere apparative Untersuchungen zu erwägen (z. B. elektrokardiografische, echokardiografische, spirometrische). Eine systematische Erfassung von Komorbiditäten und geriatrischen Syndromen gelingt durch ein
geriatrisches Assessment (GA). Nicht selten werden dabei altersassoziierte Gesundheitsprobleme entdeckt, welche dem Untersucher im Rahmen des üblichen hämato-onkologischen
Workups entgehen (z. B. inadäquate Polypharmazie, mildes kognitives Defizit, Depression,
Delir, Hör- und
Sehstörungen, Sarkopenie, Sturzgefahr, Teilimmobilität, Hilfsbedürftigkeit) (Hamaker et al.
2014b). Solche GA-Befunde können nicht nur hilfreich bei der Wahl der hämato-onkologischen Therapiestrategie sein, sondern auch zu einem flankierenden Einsatz geriatrischer Interventionen Anlass geben (Hamaker et al.
2014c). Sofern logistisch möglich und Infrastrukturen vorhanden sind, kann die Durchführung eines GA bei alten CLL-Patienten somit empfohlen werden. Der Ressourceneinsatz kann möglicherweise durch ein vorgeschaltetes geriatrisches Konsil oder Screening optimiert werden (Hamaker et al.
2014a; Schiphorst et al.
2016). Erhobene GA-Befunde bedürfen aber immer einer sorgfältigen Einzelbewertung. Feste Therapiealgorithmen auf dem Boden von Screening- oder GA-Befunden können bislang weder für die CLL, noch für andere Tumorentitäten sicher definiert werden.