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Geriatrische Onkologie
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Publiziert am: 10.04.2017

Geriatrisches Assessment – ein wichtiges Tool für die Therapieselektion in der Onkologie

Verfasst von: Heinrich Burkhardt
Das geriatrische Assessment ist ein Bündel von Tests zur Erfassung funktioneller und partizipativer Aspekte sowie Darstellung von geriatrischen Syndromen. Es kann sehr gut zur Risiko-Erkennung und Prognoseabschätzung eingesetzt werden und leistet so einen wichtigen Beitrag zur Darstellung der individuellen Risiko-Nutzen-Relation in therapeutischen Situationen. Dies ist auch in der Onkologie sinnvoll, wenn es darum geht ältere Patienten bezüglich ihrer Belastbarkeit einzuschätzen. Hier empfiehlt sich ein zweistufiges Konzept mit einer Vortestung mittels kurzer und einfacher Screeninginstrumente, um diejenigen Patienten zu identifizieren, die von der Anwendung des ausführlicheren Assessments profitieren. Werden Problempunkte mit dem ausführlichen Assessment erkannt, sollten sie auch mit entsprechenden Interventionen hinterlegt, bzw. in den Dialog im Tumorboard integriert werden. Das Kapitel gibt eine Übersicht über den aktuellen Stand des geriatrischen Assessments.

Einleitung

Das geriatrische Assessment ist ein Bündel von Tests zur Erfassung funktioneller und partizipativer Aspekte sowie Darstellung von geriatrischen Syndromen. Ursprünglich im rehabilitativen Kontext entwickelt, kann es in adaptierter Form auch sehr gut zur Risiko-Erkennung und Prognoseabschätzung eingesetzt werden und leistet so einen wichtigen Beitrag zur Darstellung der individuellen Risiko-Nutzen-Relation in therapeutischen Situationen. Dies ist auch in der Onkologie sinnvoll, wenn es darum geht ältere Patienten bezüglich ihrer Belastbarkeit einzuschätzen. Hier empfiehlt sich, wie in der Geriatrie auch, ein zweistufiges Konzept mit einer Vortestung mittels kurzer und einfacher Screeninginstrumente, um diejenigen Patienten zu identifizieren, die von der Anwendung des ausführlicheren Assessments profitieren. Werden Problempunkte mit dem ausführlichen Assessment erkannt, sollten sie auch mit entsprechenden Interventionen hinterlegt, bzw. in den Dialog im Tumorboard integriert werden. Welche Screener und welche Tests im ausführlichen Assessment im onkologischen Kontext am effektivsten sind, ist noch in der Diskussion. Das Kapitel gibt eine Übersicht über den aktuellen Stand.

Was ist ein geriatrisches Assessment?

Mit geriatrischem Assessment ist eine Testbatterie unterschiedlicher diagnostischer Instrumente gemeint, die qualitativ und quantitativ die Ressourcen älterer Menschen hinsichtlich signifikanter und relevanter funktioneller Einschränkungen beurteilen soll. Es handelt sich um die geriatrische Diagnostik schlechthin. Die Idee des geriatrischen Assessments stammt aus den Anfängen der Geriatrie und wurde zunächst dazu benutzt rehabilitativ zugängliche Einschränkungen, die typischerweise im höheren Lebensalter auftreten zu identifizieren und eine rational begründete rehabilitative Planung hinsichtlich sinnvoller Ziele und einzusetzender Verfahren zu ermöglichen. Dazu war es erforderlich neben gebräuchlichen klinischen Aspekten der Patienten wie z. B. Belastbarkeit bei körperlicher Anstrengung verschiedene weitere Funktionsebenen zu erfassen, da diese Funktionseinschränkungen bei älteren Menschen zu erheblichen Anteilen im Rahmen geriatrischer Syndrome und nicht nur im organmedizinisch schärfer definierten Kontext auftreten (Details siehe im Kap. Geriatrische Syndrome), sondern letztlich auch wesentliche Anteile der Prognose determinieren (Rubenstein und Wieland 1989).
Im Rahmen der weiteren historischen Entwicklung solcher diagnostischer Schritte haben dann Teile des geriatrischen Assessments, insbesondere was die Aspekte der Alltagskompetenz von Patienten anbelangt, eine erhebliche Verbreitung auch außerhalb der Kernbereiche der geriatrischen klinischen Arbeit gefunden und werden z. B. zur Ressourcenplanung im Bereich der Sozialversicherungen eingesetzt. Aber auch darüber hinaus stellen Assessment-Instrumente eine ergänzende Diagnostik dar, welche die klassischen an Organfunktionen orientierten diagnostischen Instrumente komplementiert und so auch in einem umfassenderen Blick Aspekte der Erkrankung mit einbezieht, wie sie insbesondere die WHO in ihrem konzeptionellen Rahmen fordert (www.who.int/classifications/icf/en/. Zugegriffen am 15.1.2017) und mit dem Klassifikationssystem ICF unterstützt (s. Abb. 1). Hier spielen Aspekte der Funktionalität und Partizipation (Teilhabe) eine bedeutsame Rolle. Dies meint, dass neben der Organfunktion auch die Funktion des gesamten Organismus in seinem Lebensumfeld betrachtet werden muss um das Ausmaß der Krankheitsschwere erfassen und beschreiben zu können. Letztlich ist dies unabdingbar, um individuell die jeweils angemessene Therapielösung zu finden. War anfänglich dieser Aspekt besonders bei Erwägung rehabilitativer Maßnahmen beachtet worden, kann eine solche, ergänzende Sichtweise auch Hilfestellung geben bei präventiven Fragen oder weiteren komplexen Fragestellungen (z. B. auch im Rahmen einer prognostischen Determinierung fortgeschrittener Krankheitsphasen oder im palliativmedizinischen Kontext). Ein wichtiger Gesichtspunkt hierbei war stets, dass möglichst mehrere Ebenen mit dieser Diagnostik erfasst werden sollten, um die klinische Situation umfassend bewerten zu können. Hieraus kann direkt abgleitet werden, dass der Assessment-Gedanke immer das Zusammenspiel verschiedener, sich ergänzender Testverfahren beinhaltet und nicht stringent auf einen einzelnen Test fokussiert wird. Das Potenzial dieses Ansatzes ist bei weitem nicht ausgeschöpft und gewinnt für die moderne Medizin aktuell weiter an Bedeutung auch wenn nach wie vor erhebliche Barrieren für eine Integration dieser Methode bestehen (Gladman et al. 2016).
Die Wirksamkeit des geriatrischen Assessment, was die Verbesserung der klinischen Situation des Patienten anbelangt, ist generell anerkannt und in verschiedenen Settings bewiesen. Im Rahmen eines Hospital-Aufenthaltes angewandt, konnten eindeutige positive Effekte in einer Cochrane-Analyse der zur Verfügung stehenden Daten nachgewiesen werden (Ellis et al. 2011). Endpunkte waren hier erhaltene Funktionalität und Mortalität.
Verschiedene Funktionsebenen werden mit dem Instrumentarium des geriatrischen Assessments untersucht:
  • Alltagskompetenz und Selbsthilfekompetenz
  • Soziales Umfeld und Partizipation
  • Emotion und Depression
  • Kognition
  • Lokomotion
  • Visus und Akusis
Aus dieser Aufstellung wird bereits deutlich, dass es sich hier um sehr unterschiedliche ineinander geschachtelte und aufeinander Bezug nehmende Funktionsebenen handelt, von sehr übergeordneten Aspekten wie soziales Umfeld und Alltagskompetenz bis hin zu konkreteren Funktionsebenen wie z. B. den lokomotorischen Aspekten. Einige Ebenen können mit eher klassischen medizinischen Test abgebildet werden, wie z. B. Visus und Akusis, bei anderen handelt es sich um komplexere der somatischen Ebene fernere Konstrukte wie Kognition, soziales Umfeld und Alltagskompetenz. Hier bedient sich das Assessment psychologischer und soziologischer Verfahren und basiert in wichtigen Teilen auf testtheoretischen Erkenntnissen z. B. was die Entwicklung und Anwendung von Fragebögen anbelangt.

Formen und Standards des geriatrischen Assessments

Welche Tests für die Erfassung welcher Domänen verwendet werden sollen, variiert sehr stark je nach Einsatzgebiet und Zielsetzung des Assessments. Wie in anderen Bereichen der Medizin auch wird eine gewisse Standardisierung angestrebt, wobei man im Bereich Assessmentverfahren weit entfernt von einem international gültigen Konsens ist. Für das geriatrische Basis-Assessment existiert seit den 1990er-Jahre in den deutschsprachigen Ländern Mitteleuropas die sogenannte AGAST-Konvention (Arbeitsgruppe Geriatrisches Assessment 1997). International wird seit den 2000er-Jahren durch das interRAI-Konsortium (www.interrai.org. Zugegriffen am 15.01.2017) eine weitergehende Standardisierung für unterschiedliche Einsatzgebiete vorangetrieben. Vorteile einer solchen Standardisierung wäre eine bessere Vergleichbarkeit von Daten, sowohl was klinische, versorgungsplanerische als auch wissenschaftliche Fragen anbelangt. Ein Beispiel für eine sehr große Reichweite ist die Beurteilung der basalen Alltagsaktivitäten (ADL) nach Barthel (Mahoney und Barthel 1965). Hier ist in Deutschland eine sehr weitreichende Standardisierung und Durchdringung gelungen. Nachteile können sein, dass nur sehr träge auf neue Entwicklungen eingegangen werden kann und evtl. auch die individuelle Patienten- oder auch Teamsituation nicht ausreichend berücksichtigt wird.
Grundsätzlich kann nach Umfang und Zeit- bzw. Ressourcenaufwand zwischen unterschiedlichen Assessments differenziert werden. Auch hierüber besteht kein stringenter Konsens, grob lassen sich aber vier Kategorien bilden, sofern man isolierte Tests mit betrachtet:
  • Einzelne Tests, z. B. ADL-Score. Das sind isolierte Tests, die nur einen Aspekt abbilden – zum Beispiel Alltagskompetenz.
  • Screener, z. B. Geriatrisches Screening nach Lachs (Lachs et al. 1990), ISAR (McCusker et al. 1999), G8 in der Onkologie (Bellera et al. 2008). Das sind kurze Fragen oder Performance-Tests, die unter ca. 10 Minuten Zeitaufwand benötigen.
  • Basis-Assessment, z. B. Geriatrisches Assessment nach der AGAST-Konvention. Diese Batterien benötigen bis zu 45–60 Minuten Zeitaufwand.
  • Erweitertes Assessment, z. B. Basis-Assessment erweitert um eine ausführliche gerontopsychiatrische Testung hinsichtlich Demenz mit SIDAM (Zaudig et al. 1991). Das sind Test-Batterien, die mehr als 45–60 Minuten in Anspruch nehmen.
Je nach Aufgabenstellung wird man auf unterschiedliche Kategorien zurückgreifen. Werden z. B. in einer Memory-Klinik zu Beginn einer ambulanten und gerontopsychiatrisch differenzierten Behandlung und Beratung mit einem längeren Zeithorizont zur Planung evtl. auch fraktioniert erweiterte Assessments eingesetzt, um ein möglichst detailliertes Bild der kognitiven Situation zu bekommen, so empfiehlt sich für das Screening von Patienten in einer Notaufnahmesituation ein kurzer Screener. Vielfach werden Screener auch als Vorstufe ausführlicherer Testverfahren benutzt, um grob Kandidaten erkennen zu können, die von einem Basis-Assessment profitieren („fit versus nicht fit“). Screener eignen sich auch, um im Vorfeld mit einfachen und schnellen Verfahren auf eine ausgewiesene z. B. ärztliche oder pflegerische geriatrische Expertise und Erfahrung verzichten zu können, die teilweise für ein Basis-Assessment, insbesondere aber für ein erweitertes Assessment notwendig sein wird.

Ziele und Einsatzgebiete des geriatrischen Assessments

Aus historischer Sicht wurden diese Testbatterien zunächst zur Rehabilitationsplanung verwendet, später dann für die Planung und Durchführung geriatrischer Behandlungen generell. Über die aktuellen Anwendungen im geriatrischen Feld im engeren Sinn gibt Krupp 2013 eine gute Übersicht. Heute wird das Assessments als Ganzes und viele der darin enthaltenen Tests für zahlreiche Fragestellungen verwendet. Die wichtigsten sind:
  • Rehabilitationsplanung und Dokumentation, z. B. Planung, Durchführung und Dokumentation der geriatrischen Komplexbehandlung
  • Identifizieren von Risiko-Personen bez. kritischer Ereignisse zur Planung präventiver Maßnahmen, z. B. Stürze im Alter, Delir-Prophylaxe
  • Identifizieren von Unterstützungsbedarfen im palliativen Kontext
  • Unterstützen einer Prognose-Schätzung, z. B. im Rahmen einer dementiellen Erkrankung
  • Ressourcen-Planung, z. B. Leistungen der Pfle geversicherung
  • Beurteilung des Risiko-Nutzen-Profils von Interventionen, z. B. Operations-Risiko, Gerontopharmakologie
  • Placement-Entscheidungen, z. B. Erkennen von zusätzlichen Bedarfen bezüglich des Settings vor Inanspruchnahme stationärer Leistungen
  • Planung und Beratung zum Hilfsmittel-Einsatz
  • Beratung bezüglich des Wohnumfeldes, z. B. Planen von Maßnahmen zur Reduktion von Barrieren
  • Charakterisierung von Kohorten in wissenschaftlichen Untersuchungen
  • Gesundheitspolitische Entscheidungen, bes. im Bereich der Senioren- und Behindertenarbeit sind die Entscheider auf entsprechendes Datenmaterial repräsentativer Untersuchungen angewiesen.
In den genannten Bereichen sind die Durchdringung, die Vielfalt der relevanten Instrumentarien und die Akzeptanz im medizinischen Diskurs durchaus unterschiedlich. Ist der Alltag im Bereich Rehabilitationsmedizin nicht mehr ohne Assessmentinstrumente vorstellbar, werden solche im Bereich prognostische Abschätzung von Risiko-Nutzen-Relation oder im Bereich wissenschaftlicher Untersuchungen nur unzureichend genutzt und ihr Potenzial bei weitem nicht ausgeschöpft. So findet sich z. B. nur in einer Minderheit von wissenschaftlichen medizinischen Untersuchung mit älteren Menschen ein Hinweis auf deren Funktionalität und nur selten werden Medikamente und Verfahren vor dem Hintergrund einer bereits eingeschränkten Alltagskompetenz bewertet (z. B. inhalative Devices).

Methodische Aspekte

Die im geriatrischen Assessment verwendeten Tests haben ganz unterschiedliche Eigenschaften. Für einen differenzierten und kritischen Einsatz ist es von Bedeutung einige methodische Besonderheiten und Aspekte zu kennen. Von der Form her kann man unterscheiden zwischen Fragebogen-Instrumenten, die direkt mit dem Patienten oder auch fremdanamnestisch beantwortet werden können und sogenannten Performance-Tests, die eine spezielle Aufgabe am Patienten abprüfen (z. B. Standsicherheit mit versetzten Füßen – Semi-Tandem-Stand). Die Ergebnisse dieser Tests („numbers“) sind ebenfalls in unterschiedlicher Weise zu interpretieren. So gibt es Instrumente, die lediglich eine qualitative Analyse erbringen, indem sie in Art einer Checkliste Problempunkte aufzeigen, dazu zählt z. B. das geriatrische Screening nach Lachs oder auch das in der AGAST-Konvention enthaltene soziale Assessment. Diese werden also keinen operationalisierbaren Zahlenwert liefern können. Am anderen Ende des Spektrums stehen Performance-Tests, die sich an einem cut-off-limit orientieren, um ein vorhandenes Risiko identifizieren zu können. Hierfür sind viele Lokomotionstests gute Beispiele (z. B. der timed up and go oder auch der Semi-Tandem-Stand). Solche Tests versuchen mit Zeitwerten oder Summenscores stetige Ergebnisse zu erzeugen, aus welchen in Test-Kohorten cut-off-limits abgeleitet werden können.
Für Testverfahren, die mit numerischen Skalen arbeiten, sind zusätzlich auch Skalenprobleme zu beachten, die für diagnostische Verfahren aus der Medizin, die sich ja näher an physikalisch-chemischen Vorgängen orientieren, nicht in gleichem Umfang und in gleicher Weise entstehen. Häufig wird eine lineare Skala suggeriert, wobei aber die Inkremente in unterschiedlichen Skalenbereichen bei einer qualitativen Analyse sich nicht entsprechen („Pseudo-Linearität“). Häufig sind Boden- und Deckeneffekte zu beobachten. Dies rührt daher, dass die Minimal- und Maximalwerte, welche die Skalen liefern eher artifiziell entstehen und nicht eng mit natürlichen Gegebenheiten korrelieren. Boden- und Deckeneffekte bedeuten in der Praxis, dass unter Umständen Beobachtungen an den Skalenenden nicht mehr gut diskriminierbar sind und der Test Unterschiede in diesen Bereichen schlecht abbilden kann – unzureichende Trennschärfe.
Wie für jedes diagnostisches Instrument, muss auch hier die Frage der Wiederholbarkeit (Reliabilität) und Gültigkeit (Validität) untersucht und beantwortet werden. Dies ist für die hier beschriebenen Tests, die zum Teil sehr komplexe Konstrukte abbilden sollen, naturgemäß deutlich anspruchsvoller als für diagnostische Verfahren, die näher an einer z. B. direkt physikalisch determinierten Größe angesiedelt sind. Insbesondere die Bewertung der Validität kann in einzelnen Aspekten, der in der Geriatrie abzubildenden Facetten, sehr anspruchsvoll sein.

Domänen des geriatrischen Assessments

Die Domänen des geriatrischen Assessments beziehen sich auf die oben stehenden angesprochenen Funktionsebenen, welche die Funktionalität und Partizipation des älteren Menschen in seinem Umfeld wesentlich bedingen. Tab. 1 gibt einen Überblick über die Domänen und gängige Testverfahren um diese abzubilden. Im Folgenden werden kurz diese Domänen im Kontext der Onkologie diskutiert.
Tab. 1
Übersicht über Domänen und Testverfahren im Rahmen des geriatrischen Assessments
Domäne
Test
Charakterisierung
Kommentar
Alltagskompetenz
ADL nach Barthel (Mahoney und Barthel 1965)
Bestandteil der AGAST-Konvention; misst basale Aktivitäten des Alltags; Score in 5er-Schritten 0–100
Weit verbreitet auch außerhalb der Geriatrie; gute Reliabilität und Validität
 
IADL nach Lawton und Brody (1969)
Bestandteil der AGAST-Konvention; misst erweiterte Tätigkeiten im Alltag; Score 0–8, Gender und kulturelle Einflüsse
Bildet komplementär zum ADL-Spektrum eher partizipative Funktionen ab
 
Geldzähltest nach Nikolaus (Nikolaus et al. 1995)
Komplexe Performance-Aufgabe, testet kognitive Fähigkeiten, Visus und Handmotorik simultan, Ergebnis als Zeit-Wert
Propagiert zur Einschätzung Selbstmanagement Medikation, einfach anzuwenden
Soziale Situation
SoS nach AGAST (Nikolaus et al. 1994)
Heterogene Checkliste, Summen-Scores problematisch
Assessment aufgrund des komplexen Konstrukts meist über individuelle Checklisten
Emotion
GDS (Yesavage et al. 1982)
15 Fragen; einfaches Screening für depressive Stimmungslage
Kann bei zusätzlichem dementiellen Syndrom falsch positiv ausfallen (Pseudo-Demenz), ersetzt keinesfalls die qualifizierte Anamnese
Kognition
MMSE (Folstein et al. 1975)
30 Aufgaben; Score 0–30; Gedächtnis, Sprache, Orientierung, Handlungsausführung, visuell-räumliche Konstruktion
Oft vom Patienten belastend erlebt, sehr weit verbreitet; eingeschränkte Re-Test-Reliabilität, kann ein sehr weites Spektrum der kognitiven Ressourcen abbilden
 
MOCA (www.mocatest.org. Zugegriffen am 15.01.2017)
30 Aufgaben; Score 0–30; Gedächtnis, Sprache, visuell-räumliche Konstruktion, Orientierung
Dem MMSE ähnlich von Umfang und diagnostischen Spannweite, gilt als weniger belastend wie der MMSE
 
DEMTECT (Kalbe et al. 2004)
5 komplexere Aufgaben (Gedächtnis, Sprache, Rechnen)
In Deutschland verbreitet, deutlich anspruchsvoller, identifiziert Personen mit mild cognitive impairment oder Demenzverdacht, kann aber nicht Schweregrade der Demenz abbilden
 
Uhrentest (Shulman et al. 1986)
Hier qualitative Bewertung, sehr kurz und einfach, verwendet eine Aufgabe zur räumlich visuellen Konstruktion
Kann gut als kurzer Screener verwendet werden
Lokomotion
Chair rise (Guralnik et al. 1994)
Eine Performance-Aufgabe, gibt einen Zeit-Wert heraus, einfach durchführbar, fokussiert stark auf die Beinkraft
Kurzer Test, der einen ersten Anhaltspunkt für eine evtl. vorhanden Sarkopenie geben kann, Teil der short physical performance battery
 
Timed-up and go (Posiadlo und Richardson 1991)
Eine Performance-Aufgabe, gibt einen Zeit-Wert heraus, einfach durchführbar
Benötigt eine standardisierte kurze Gehstrecke
 
POMA/Tinetti (1986)
Performance-Batterie
Kann die gesamte Spannbreite der Lokomotion abbilden, zielt primär auf Sturz-Risiko, viele Balance-Aufgaben, Ganganalyse; erfordert teilweise größere Erfahrung des Untersuchers
Ernährung
MNA (Guigoz et al. 1996)
Fragebogen plus anthropometrische Aspekte
Standardtest zur Erfassung des Malnutritionsrisikos, fokussiert auf die geriatrietypische Eiweißmangelernährung; es existiert eine Kurzform
PMS-15 (Lawton 1975)
15 dichotom zu beantwortende Items, fokussiert auf die emotionalen Aspekte
Wenig verbreitet aber speziell für die Situation des älteren Patienten entwickelt und evaluiert, erfragt nicht direkt Funktionalität oder somatische Beschwerden
Die Alltagskompetenz des Patienten, die im geriatrischen Bereich eine sehr große Rolle spielt, finden wir auch wieder bei onkologischen Erkrankungen. Hier zeigen Einschränkungen in diesem Bereich nicht nur zu erwartende Schwierigkeiten an, die oft komplizierten und belastenden Therapien überhaupt zu realisieren, sondern Einschränkungen im Alltag können auch durch die voranschreitende Tumorerkrankung erklärt werden. Im Prinzip bilden die in der Onkologie verwendeten Skalen zur Beurteilung des allgemeinen Zustandes des Patienten auch Aspekte der Alltagskompetenz ab, ohne die Details direkt abzufragen, sondern mehr indirekt über das Urteil der Ärzte und Pfleger abzuleiten. Man kann die unterschiedlichen Skalen aber sehr gut miteinander in Bezug setzen. Ist der typische geriatrische Patient im Akutkrankenhaus mit einem ADL-Wert von 30 bis 60 Punkten repräsentiert, wäre dies im onkologischen Kontext bereits eine Einschränkung ECOG-3.
Aspekte des sozialen Umfeldes sind wichtige und entscheidende Faktoren für die Therapieplanung. Das gilt nicht nur für die Versorgung von gebrechlichen älteren Patienten – ein klassisches Tätigkeitsfeld in der Geriatrie –, sondern auch für die Planung komplexer therapeutischer Strategien, welche die Mitwirkung und Unterstützung des sozialen Umfeldes benötigen. Neben dem sozialen Netzwerk werden hier meist auch Aspekte des Wohnumfeldes, finanzielle Aspekte und rechtliche Gesichtspunkte abgefragt, z. B. Vorausverfügungen, Betreuung. Das führt zu einem sehr heterogenen Feld, welches in der Regel mit Checklisten strukturiert erfasst wird. Auch im onkologischen Feld kann eine detaillierte Erhebung und Analyse dieser Bezüge sehr hilfreich sein, insbesondere wenn es um die Unterstützung der Patienten im ambulanten setting und die frühzeitige Rekrutierung einschlägiger Hilfsangebote geht.
Assessment des emotionalen Erlebens bedeutet hauptsächlich Hinweise für Depression oder Angst frühzeitig zu erkennen. Hier hat sich das kurze Instrument GDS etabliert, welches durch 15 Standardfragen auf depressive Tendenzen screent. Dies ersetzt keine klinische Diagnose der Depression durch ein gezieltes diagnostisches Gespräch, kann aber gute Hinweise geben, eine gezieltere Diagnostik einzusetzen. Hier sind bei älteren Menschen oft subklinische Formen der depressiven Verstimmung vorzufinden, die unter dem Oberbegriff Dysthymie subsumiert werden. Im onkologischen Kontext ergeben sich Bezüge und Schnittmengen zum Phänomen der Fatigue.
Kognitive Einbußen spielen eine zentrale Rolle bei den hochaltrigen Menschen. Hier geht es nicht nur um die Einwilligungsfähigkeit in fortgeschrittenen Stadien, sondern auch um Copingstrategien und Mitwirkung in der Planung komplexer Therapien. Eine Therapie, deren Tragweite und Konsequenzen der betroffene Patient nicht verstehen kann und folglich auch kein shared-decison-making Ansatz realisiert werden kann, entspricht nicht mehr dem Bild der modernen Medizin und wird nicht den möglichen benefit mobilisieren können. Führt man sich dies vor Augen wird deutlich, dass bereits mildere Formen der kognitiven Störung (mild cognitive impairment), welche häufig bei genauerer Analyse vorzufinden sind (siehe Kap. Geriatrische Syndrome) zu Problemen führen können. Hier besteht noch keine eindeutige Einbuße im Alltag durch diese Probleme. Bedacht werden sollte auch, dass bis zu 30 % dieser Patienten in eine Demenz übergehen. Zur Diagnostik werden meist zunächst kürzere Screener als Suchtest verwendet (z. B. der Uhrentest) und dann bei entsprechendem Ergebnis durch ausführliche Instrumente ergänzt. Eine umfangreichere Testung muss innerhalb des Konstruktes Kognition verschiedene Aspekte abprüfen (u. a. Gedächtnis, Sprache, logisches Denken, räumlich-visuelle Konstruktion). Dann können neben einer Abschätzung des Levels der kognitiven Einschränkung auch weitere qualitative Aspekte, z. B. die Frage nach dem Muster der kognitiven Probleme, abgebildet werden. Dies kann helfen unterschiedliche Formen der Demenzerkrankung zu differenzieren. Wichtig ist es, eine kognitive Einschränkung als Risiko für ein eintretendes Delir zu erkennen (z. B. bei einer pharmakotherapeutischen Behandlung), um die Therapieplanung optimal gestalten zu können. Dies kann auch im onkologischen Kontext eine große Bedeutung haben. Für alle kognitiven Tests muss beachtet werden, dass meist eine gewisse Sprachkompetenz erforderlich ist, das heißt, eigentlich eine muttersprachliche Version Verwendung finden sollte. Für Patienten mit Aphasie sind spezielle Tests möglich. Eine weitere wichtige Bedingung ist, dass kognitive Tests meist für ein Mindestmaß an Bildung konzipiert sind (Hauptschulabschluss) und der Einfluss der Bildung auf das Testergebnis nicht unerheblich ist.
Lokomotion als grundlegende Kompetenz des Menschen und einer der zentralen Garanten von Funktionalität und Partizipation, ist ebenfalls nur auf den ersten Blick eine einfach zu erfassende Domäne. Hier geht es nicht nur darum, das Ausmaß einer etwaig schon bestehenden Einschränkung in der Mobilität bis hin zur Bettlägerigkeit zu erfassen, sondern bereits im Vorfeld verminderte Kraft (Sarkopenie) als Risiko-Prädiktor für Sturzereignisse zu erkennen, welche letztlich bei älteren Menschen oft der erste Schritt zur bleibenden Behinderung darstellen können. Grundsätzlich können auch hier unterschiedliche Aspekte abgeprüft werden: Kraft, Balance, Sturzangst, Visus. Auf einer mehr phänotypischen Ebene geht es um Ganganalyse und Beurteilung der Stand- und Gangsicherheit in einem standardisierten Kontext. Dazu werden gerne sogenannte Performance-Tests verwendet, wie sie z. B. auch in der etwas umfangreicheren Test-Batterie der POMA-Tests, die auf M. E. Tinetti zurückgehen vorzufinden ist. Eine Vielfalt von Tests steht hier zur Verfügung, die dies auf unterschiedlichen Ebenen erfassen, diese Tests sollen primär über cut-off limits sturzgefährdete ältere Menschen von nicht Sturzgefährdeten unterscheiden. Im onkologischen Kontext kann es zu einer Überlappung des Sarkopenie/Frailty Komplexes mit Kachexie besonders bei nicht gut kontrollierten Tumorsituationen kommen. Grundsätzlich wird heute angestrebt trotz der großen Überlappungen zwischen Sarkopenie und Kachexie, diese beiden Begriffe doch deutlicher differenziert zu verwenden. Sarkopenie sollte für die primär durch Alterungsvorgänge bedingten Veränderungen der Muskulatur bedingt sein. Hier findet man eher geringer ausgeprägte Aktivierung immunologischer Kaskaden (immunaging). Kachexie andererseits sollte diejenigen Veränderungen in der Muskulatur kennzeichnen, welche stärker durch Aktivierung immunlogischer Kaskaden, wie dies bei chronischen Erkrankungen (z. B. rheumatoide Arthritis), Infektionen oder eben auch bei Tumorerkrankungen der Fall ist. Viele Details zu dieser Frage sind aktuell nicht geklärt und auf einer eher phänomenologisch statt pathogenetisch geprägten Ebene, wie dies im praktisch klinischen Kontext der Fall ist, überwiegen die Ähnlichkeiten. So können für das Erfassen des Ausmaßes der Kachexie ähnliche Messungen eingesetzt werden (z. B. Handkraft), wie dies in der Geriatrie zur Abschätzung der Sarkopenie geschieht. In der Geriatrie werden zusätzlich erweiterte Tests eingesetzt, um die Muskelmasse abschätzen zu können, z. B. nicht-invasive apparative Methoden wie die Body-Impedanz-Analyse. Ein wichtiger Unterschied, der dennoch angesprochen werden sollte, ist der zeitliche Verlauf, so ist die rein alterungsbedingte Sarkopenie ein sehr langsamer über Jahre anlaufender Prozess, wohingegen Kachexie sich bereits über Monate oder sogar kürzer entwickeln kann, je nachdem wie gut die immunologischen Kaskaden kontrolliert werden können.
Ein hierzu eng assoziierte Komplex ist der Bereich der Ernährung. Hier geht es darum möglichst frühzeitig ein altersbedingtes Malnutritions-Risiko zu erkennen, welches in der Regel multifaktoriell bedingt ist und in einer Protein-Mangel-Ernährung mündet. Mit dem MNA existiert im geriatrischen Kontext ein gut einsetzbares Instrument, um das Malnutritions-Risiko abbilden zu können. Hierdurch können frühzeitig Patienten erkannt werden, die Kandidaten für eine Ernährungsintervention sein können (z. B. die Gabe von Supplementen oder die gezielte Ernährungsberatung). Dieses lässt sich auch im onkologischen Kontext gut nutzen. Allerdings ist auch Malnutrition ein komplexes Feld und ein einzelnes Assessment reicht nicht aus, um alle möglichen Faktoren abzubilden. Wie in vielen anderen Domänen ersetzt das Assessmentinstrument nicht die gezielte Anamnese und Untersuchung des Patienten. Oft übersehen werden z. B. Probleme mit dem Gebiss, der Mundschleimhaut oder Xerostomie. Im onkologischen Kontext ergeben sich Überschneidungen mit therapiebedingten oder im Rahmen einer Kachexie auftretenden Störungen (z. B. Stomatitis, Übelkeit).
Nicht explizit unter den Domänen genannt ist das Erfassen der aktuellen Lebensqualität. Dies ist bereits außerhalb des geriatrischen Feldes eine recht komplexe Aufgabe, da sowohl Hinweise für psychische Beeinträchtigungen, wie auch ganz eindeutige somatische Punkte, wie z. B. Schmerz oder andere klassische Symptome aber auch Funktionalität direkt erfasst werden. In diesem Sinne klassische Instrumente, wie der SF36 Fragebogen, werden im geriatrischen Kontext aufgrund ihres Umfanges und der oft eingeschränkten Belastbarkeit der Patienten eher nicht verwendet. In Betracht kämen verkürzte Versionen, wie der SF12, die aber nicht speziell für die Lebenssituation der älteren Patienten entwickelt wurden. Ein speziell geriatrisches Instrument ist die Philadelphia Morale Scale, für die eine 15 Items umfassende deutsche Version eingesetzt werden kann und der ausschließlich auf die emotionale Einschätzung der Lebenssituation fokussiert (s. Krupp 2013 für Details). In der Praxis wird dies aber selten in Standard-Assessments integriert und ist nicht in der mitteleuropäischen AGAST-Konvention enthalten. Im onkologischen Kontext kann an dieser Stelle der EORTC QLQ-C30 angewendet werden. Dieser Fragebogen ist allerdings recht umfangreich und fokussiert deutlich auf onkologische Problemfelder und damit verbundene, mögliche somatische Aspekte und eher weniger auf Funktionalität. Aktuell wird versucht eine Erfassung der Lebensqualität bei schwer betroffenen Patienten, z. B. durch strukturierte situative Beobachtung, zu ermöglichen. Hier wäre ein Beispiel das H.I.L.DE Instrumentarium (Becker et al. 2011).

Das Potenzial des geriatrischen Assessments im onkologischen Kontext

Im onkologischen Kontext ergibt sich sehr häufig das Problem, dass der Patient nach Diagnosestellung einer anstrengenden und nicht selten erheblich Risiko-behafteten Therapie entgegensieht. Aus dem klinischen Eindruck, insbesondere bei von Gebrechlichkeit und so per se reduzierter Lebenserwartung gekennzeichneter Patienten, dass in diesen Fällen kein günstiges oder akzeptables Nutzen-Risiko Verhältnis gewährleistet ist, wurden in der Praxis meist nach klinisch qualitativer Beurteilung Therapiestrategen adaptiert. Unter dem Druck der durch Leitlinien gestützten Weiterentwicklung der Medizin, forderte dies aber eine bessere argumentative Unterstützung auch im individuellen Fall. Hier ist ein erster Schritt die Propagierung einfacher Kategorien von Balducci und Extermann 2000 gewesen, die anhand der Einschränkungen im Alltag, welche für den Patienten entstehen, drei einfache Kategorien abgebildet haben:
  • Go go – kein Argument gegen Standardtherapie
  • Slow go – möglicherweise ungünstiges Nutzen-Risiko-Verhältnis; adaptierte Standardtherapie
  • No go – eindeutig negative Nutzen-Risiko-Verhältnis; keine onkologische Standardtherapie
Balducci und Extermann verwendeten für diesen Vorschlag Aspekte des ADL/IADL-Kontinuums (s. Tab. 2), rekurrierten damit aber im Wesentlichen auf Alltagskompetenz und verwendeten keine Marker, die näher an den pathophysiologischen Kaskaden der Seneszenz, besonders aber an den Vorgängen, die wir heute mit frailty bezeichnen angesiedelt sind. Eingeschränkter Nutzen einer Tumortherapie kann im Kontext von Alterungsvorgängen durch eine per se reduzierte Lebenserwartung entstehen. Diese kann evtl. sogar deutlich mehr durch die altersbezogenen Veränderungen im Organismus bedingt sein, als durch die Tumorerkrankung selbst.
Tab. 2
Kategorien allgemeiner Risiko-Nutzen-Abschätzung nach Balducci und Extermann 2000
Kategorie
Kriterien
Kommentar
Go go (Standardbehandlung möglich)
Patienten ohne funktionelle Einbußen und ohne Komorbiditäten.
Ursprünglich so definiert, um die Kandidaten für eine Standard-Chemotherapie zu identifizieren, kann auch unter anderen Bedingungen gut benutzt werden, um Patienten zu charakterisieren, die kein erhöhtes Vulnerabilitätsrisiko aufweisen.
Slow go (Standardbehandlung anpassen)
Erfüllt weder Kriterien von go go noch von no go, es können Defizite in ein oder zwei IADL-Bereichen oder 1–2 Komorbiditäten bestehen.
Ursprünglich so definiert, um Kandidaten mit leichten Einschränkungen der physiologischen Reserve und noch ohne Auswirkungen auf die Funktionalität zu charakterisieren, bei welchen eine Dosisanpassung der Chemotherapie erwogen werden soll.
No go (Symptomkontrolle im Vordergrund, Standardbehandlung oft nicht möglich)
Patienten, welche die Bedingungen des Frailty-Syndroms erfüllen: Defizite in mindestens einer ADL-Domäne oder mindestens 3 Komorbiditäten aufweisen oder mindestens ein geriatrisches Syndrom.
Diese Definition versucht den Frailty-Aspekt abzubilden, relativ weit gefasste Definition, in welcher man einen großen Teil der geriatrischen Patienten ansiedeln wird, die Definition kann nicht auf einen absoluten ADL-Wert umgebrochen werden und hat eher qualitativen Charakter. Ursprünglich sollten durch diese Definition Patienten identifiziert werden, bei denen ein palliatives Konzept im Vordergrund steht.
Allgemeine Abschätzungen die verbleibende Lebenserwartung betreffend sind per se sehr komplex, gerade in einer Situation, die von Multimorbidität geprägt ist. Kann man bereits für die gesamte Gruppe der älteren Personen eine erhebliche Heterogenität konstatieren, was die verbleibenden Ressourcen und die Morbiditätslast betrifft, gestaltet sich dies in der letzten Lebensphase ganz eindeutig ebenso. Neben der Dynamik der evtl. bestehenden Grunderkrankungen wird häufig die allgemeine Funktionalität als wichtiger Marker im Kontext der Prognoseschätzung diskutiert. Man kann aber nur für spezielle Muster den Verlust der Funktionalität als führendes oder anzeigendes Kriterium ansehen. Dies ist sicher bei dominierender Frailty oder auch in Analogie bei Demenz so und hier mag ein eher stringenter Bezug zur Alltagskompetenz anzunehmen sein. Lunney et al. 2003 haben prototypische Muster der letzten Lebensphase des Menschen anhand der Funktionalität aufgezeigt und konnten mindestens 4 unterschiedliche Muster identifizieren, von denen allerdings nur zwei einen deutlichen Bezug zum allgemeinen Funktionsniveau aufweisen, das Muster der Tumorerkrankung und dasjenige der Frailty. Bei chronischen Erkrankungen wie COPD und Herzinsuffizienz sowie beim Muster des plötzlichen Todes ist das nicht eindeutig. Findet man beim Frailty- oder Demenzmuster einen langfristigen kontinuierlichen Verlust der Alltagskompetenz aus dem man linear das Unterschreiten einer kritisch niedrigen Schwelle und damit das Eintreten in die letzte Lebensphase (letzte 6 Monate) ableiten kann, ist bei vielen Tumorerkrankungen der Beginn einer rascheren Abnahme von Alltagskompetenz ein gewisser Anzeiger für das Eintreten in die letzte Krankheitsphase und – sofern die Tumorerkrankung die dominante Rolle spielt – auch Lebensphase. Dies ist dann nicht stringent abhängig vom allgemeinen Niveau der Alltagskompetenz. Beim Muster des plötzlichen Todes findet man dies naturgemäß alles nicht, ebenso bleibt eine Prognoseschätzung bei vielen chronischen Erkrankungen schwieriger, da auch der Verlauf im letzten Lebensjahr in diesem Muster, was die Funktionalität anbelangt, von Krisen und Erholungen geprägt ist.
Als zusätzliches Element wird in der einfachen Kategorisierung von Balducci und Extermann die Anzahl der Komorbiditäten genannt. Auch dies ist nicht unproblematisch, haben die Komorbiditäten je nach Art derselben doch einen durchaus unterschiedlichen Einfluss auf die Lebenserwartung und auch auf die allgemeinen Ressourcen des Organismus, ein Problem, was auch im Kontext der Frailty-Definitionen wieder auftaucht. Nichtsdestotrotz finden diese Kategorien im Allgemeinen auch aufgrund ihrer einfachen Anwendbarkeit ein positives Echo und werden auch außerhalb des onkologischen Feldes verwendet.
Andere Risiken lassen sich nicht so direkt über dieses Konstrukt abbilden. Diese können aber auch dafür sorgen, dass die Risikoerwartungen unabhängig vom vielleicht eingeschränkten Nutzen deutlich erhöht sein kann. Hier sind spezielle Szenarien durchaus unterschiedlich zu bewerten. Beinhaltet z. B. eine Radiatio des Gehirns ein deutliches Delir-Risiko – besonders ausgeprägt natürlich beim vorerkrankten Gehirn z. B. bei einem vorbestehenden kognitiven Problem – so kann man dies nicht für die Gesamtheit der chemotherapeutischen Interventionen ähnlich annehmen und hierauf extrapolieren. Hier müssen die therapiebezogenen Toxizitäten im Detail mit Berücksichtigung finden. Zweitens sind auf Seiten der Risikoabwägung auch die Toxizitätsereignisse zu nennen, die im höheren Lebensalter häufiger auftauchen. Bewertet werden also mindestens zwei unterschiedliche Kategorien von Risikoszenarien:
  • Individuelle Risiken aus der Therapie (Toxizität)
  • Geriatrische Risiken (z. B. Sturz-Risiko, Delir-Risiko)
Für beide Gruppen kann es aber auch Überlappungen und wechselseitige Bezüge geben, insofern ein verwendetes Therapeutikum auch direkt ein zusätzliches geriatrisches Risiko bedeutet. Ergänzend zum obenstehenden Beispiel mit der Radiatio und dem dadurch erhöhten Delir-Risiko bei vulnerabler Gesamtsituation wäre hier das einer Behandlung mit Cisplatin inhärente neurotoxische Risiko. Auch für klassische Begleitreaktionen der onkologischen Therapie (z. B. Übelkeit, Inappetenz) können bei Vorhandensein von geriatrischen Problemen wie z. B. einem bereits bestehenden Risiko zur Malnutrition ungünstige Aggravationen negativer Kaskaden abgeleitet werden. Dies könnte z. B. ein überproportionaler Verlust an Muskulatur durch zu wenig Eiweißaufnahme und somit eine Verstärkung bereits bestehender Sarkopenie-Kaskaden sein, welches letztlich zu einem erhöhten Sturzrisiko in der therapeutischen Situation führt.
Ergänzend zu dieser Darstellung der im Einzelfall erhöhten Risiken bzw. des eingeschränkten Nutzens, können diese Instrumente aber auch gut verwendet werden, um Kandidaten als fit zu identifizieren, bei denen vorderhand keine Argumente bestehen eine onkologische Standardtherapie zu adaptieren oder gänzlich zu verzichten. Dazu würden sich spezielle Screener eignen, die gezielt die wesentlichen Prädiktoren abfragen, welche ein erhöhtes Risiko signalisieren. Personen, die im Screener als fit identifiziert werden können, benötigen kein weiteres Assessment, bei den übrigen lohnt sich ein Assessment, um ein detailliertes Bild zu gewinnen. Ein solches abgestuftes Verfahren wurde z. B. von Horgan et al. 2010 propagiert (s. Abb. 2)
In zwei großen Kohorten wurde diese Frage nach geeigneten Prädiktoren untersucht (s. Tab. 3). Extermann et al. 2012 fokussierten besonders auf die Frage prädiktiver Einschätzung von Toxizitätsereignissen und konnten einige Aspekte identifizieren und daraus den sogenannten CRASH-Score ableiten. Dies eignet sich besonders für therapeutische Situationen, bei denen eine besonders belastende Chemotherapie angedacht wird. Der CRASH-Score ist ein kombinierter Score, der sowohl Patienten-Aspekte wie auch Aspekte des Therapie-Schemas berücksichtigt. Ebenso ergab sich aus der Kohorte von Hurria et al. 2011, die einen ähnlichen Ansatz verfolgten, ebenso ein kombinierter Score, der nicht nur das erwartete Risiko der Chemotherapie von Seiten der verwendeten Substanzen und deren Anzahl umfasste, sondern auch Marker der Organfunktion und der Funktionalität. In dieser Kohorte war die Demenz, anders wie bei Extermann et al. 2012 nicht als Komorbidität ausgeschlossen worden und spielte dann im Score zur Prädiktion von Toxizitätsereignissen eine Rolle.
Tab. 3
Risiko-Scores bezüglich Toxizitätsereignissen bei älteren onkologischen Patienten – Vergleich der Kohorten von Extermann et al. 2012 und Hurria et al. 2011
 
Extermann et al. 2012
Hurria et al. 2011
Charakteristika der Kohorte und methodische Aspekte
518 Patienten über 70 Jahre mit unterschiedlichen soliden Tumoren, Demenz ausgeschlossen; multizentrisch prospektiv; Entwicklungskohorte: 331 Pat. Validationskohorte: 187 Pat.
ECOG-0: 53 %
ECOG-1: 33 %
ECOG-2: 11 %
ECOG-3/4: 3 %
500 Patienten über 65 Jahre mit diversen soliden Tumoren zur Chemotherapie vorgesehen; multizentrisch; interner iterativer Validationsprozess: Karnofsky-Index 40–100, 79 % über 70
Toxizität
Grad 3 bis Grad 4 (in 64 % aufgetreten)
Grad3 bis Grad5 (in 59 % aufgetreten)
Elemente im Score
Hämatologisches Risiko: diastolischer Blutdruck, LDH, IADL, Chemotoxa
Nicht-hämatologisches Risiko: ECOG, MMSE, MNA; Chemotoxa
Alter über 72, Dosis Chemotherapie, Anzahl der chemotherapeutischen Substanzen, Hämoglobin, Kreatinin-Clearance, Akusis, Anzahl der Stürze, MOSb
(1 Block Gehen, soziale Aktivitäten)
Bewertung
In Kombination mit der Einschätzung Chemotherapie
Unabhängig von der Art der Chemotherapie
 
Hämatologisches Risiko: Mittleres Risiko ab 4 Punkte (Risiko Tox. Ereignis 50 %) Hohes Risiko ab 6 Punkte (Risiko Tox. Ereignis >70 %)
Nicht-hämatologisches Risiko: Mittleres Risiko ab 5 Punkte (Risiko Tox. Ereignis 50 %) Hohes Risiko ab 7 Punkte (Risiko Tox. Ereignis >70 %)
Mittleres Risiko ab 6 Punkte (Risiko Tox. Ereignis 50 %) Hohes Risiko ab 10 Punkte (Risiko Tox. Ereignis >70 %)
Kommentar
Im klinischen Alltag nur mit Einschätzung des Tox. Risikos des aktuellen Chemotherapie-Regimes anwendbar
 
aOrientiert sich an dem MAX2-Score (Extermann et al. 2004); benötigt Konsens update
bVerwendete hier eine Unterskala des Medical Outcome Study Scores MOS, welcher in Deutschland nicht gebräuchlich ist

Im Bereich Onkologie verwendete Screener

Der Trend in der geriatrischen Onkologie geht aktuell dahin spezielle kurze Screener zu finden, die ältere Personen identifizieren können, bei welchen ein ausführliches geriatrisches Assessment und damit eine umfassende qualitative und quantitative Unterstützung der onkologischen Therapieentscheidungen durchgeführt werden soll. Diese Screener sollten neben dem geringen Zeitaufwand auch sehr einfach z. B. auch von Assistenzpersonal durchführbar sein und keine weiterführende Erfahrung oder Expertise voraussetzen, wie dies für manche Aspekte des geriatrischen Assessments erforderlich ist (z. B. Teile des lokomotorischen Assessments). Ebenso sollten keine komplexen technischen Hilfsmittel erforderlich sein. Dafür stehen folgende Argumente:
  • Ressourcenschonung im diagnostischen Prozess
  • Einbringen quantifizierbarer Signale in den therapeutischen interdisziplinären Diskurs
Unter diesen Screenern ist aktuell das in Frankreich entwickelte G8-Instrument (Bellera et al. 2008) mit einem cut-off-Wert von 14 Punkten, das am stärksten für diese Aufgabenstellung favorisierte. Dieses Instrument wurde speziell für den Einsatz im Bereich Onkologie entwickelt (s. Tab. 4).
Tab. 4
Der geriatrisch-onkologische Screener G8. (Bellera et al. 2008)
Hat die Nahrungsaufnahme in den letzten 3 Monaten aufgrund von Appetitverlust, Verdauungsproblemen, Kau- oder Schluckproblemen abgenommen?
0: Schwere Einschränkung der Nahrungsaufnahme;
1: Mäßige Einschränkung der Nahrungsaufnahme;
2: Normale Nahrungsaufnahme
Gewichtsverlust in den letzten 3 Monaten
0: Gewichtsverlust >3 kg;
1: Unbekannt;
2: Gewichtsverlust zwischen 1 und 3 kg;
3: Kein Gewichtsverlust
Mobilität
0: Bett oder Stuhl;
1: Kann aus Bett/Stuhl aufstehen, aber geht nicht nach draußen;
2: Geht nach draußen
Neuropsychologische Probleme
0: Schwere Demenz oder Depression;
1: Milde Demenz oder Depression;
2: Keine psychologischen Probleme
Body-Mass-Index (Gewicht in kg/Größe in m2)
0: BMI <19;
1: BMI 19 bis 21;
2: BMI 21 bis <23;
3: BMI ≥23
Nimmt >3 Medikamente/Tag ein
0: Ja;
1: Nein
Verglichen mit Gleichaltrigen, wie schätzt der Patient seinen Zustand ein?
0: Nicht so gut;
0,5: Weiß nicht;
1: Gleich gut;
2: Besser
Alter
0: >85;
1: 80–85;
2: <80
0–17 Punkte (>14 Punkte auffällig)
Neben diesem gibt es eine Reihe weiterer einfacher Screener, die prinzipiell für diese Aufgabe verwendet werden können, aber nicht primär für den Einsatz im Feld der geriatrischen Onkologie entwickelt wurden. In einem aktuellen Überblick wird die diagnostische Effektivität hinsichtlich der Detektion von tatsächlich vorhandenen geriatrischen Problemen bewertet und nachgewiesen, dass diese Aufgabe von den aufgeführten Screenern ganz gut gelöst werden kann (Hamaker et al. 2012). Einen Überblick über mögliche Alternativen gibt Tab. 5. Beachtet werden muss, das diese Screener noch nicht eindeutig identifizieren, dass zum Beispiel Gebrechlichkeit besteht, sie erhöhen nur die Prä-Test-Wahrscheinlichkeit, dass ein relevantes einschlägiges geriatrisches Syndrom vorliegt. Dieses wäre dann durch das Assessment näher zu verifizieren. Manche Instrumente fokussieren etwas stärker auf den Frailty-Komplex, sind aber kein geeigneten Instrumente, dies definitiv zu entscheiden. Die im Bereich der Onkologie verwendeten Screener arbeiten mit Summen-Scores und entsprechenden diskriminatorischen cut-off-Werten. Diese können natürlich nicht die entsprechende Domäne aufzeigen, wo das Problem besteht und unterschieden sich darin in gewisser Weise grundlegend von den klassischen geriatrischen Screenern (z. B. Lachs), welche im Sinne einer Checkliste eine qualitative Analyse bieten.
Tab. 5
Übersicht über geriatrisch-onkologisch verwendete Screener
Screener
Items/Domänen
Daten
Kommentar
G8 (Geriatric 8)
(Bellera et al. 2008)
8 Items
Malnutrition, Kognition/Depression, Mobilität, Selbsteinschätzung, Polypharmazie, Altersgruppe
Gut untersucht hinsichtlich Screening für geriatrische Problemfelder; positiv bei 14 und mehr Punkten
Speziell für die geriatrische Onkologie entwickelt, bereits relativ gut untersucht
GFI (Groningen frailty index)
(Slaets 2006)
15 Items, 7 Domänen
ADL/IADL, Visus/Akusis, Malnutrition, Kognition, Depression, Polypharmazie; physische Gesundheit (Selbsteinschätzung)
Relativ gut evaluiert in den Niederlanden bezüglich der Screening-Qualitäten, was die Identifikation von gebrechlichen älteren Menschen anbelangt
Ursprünglich als Screener für ältere Patienten mit Frailty-Syndrom entwickelt, fokussiert aber auf einen allgemeineren Frailty-Begriff, in Deutschland kaum gebräuchlich
VES-13 (vulnerable elders screening tool-13)
(Saliba et al. 2000)
13 Fragen
Alter, Selbstbewertung physischer Gesundheit, Einschränkung körperliche Aktivität, Einschränkung Alltagsaktivität
Kann auch gut als Selbstbewertungsfragebogen angewendet werden, ausreichend untersucht bezüglich Vorhersagekraft geriatrischer Problemfelder; positiv bei 3 und mehr Punkten
Ursprünglich zur Beurteilung eines ambulanten geriatrischen Kollektivs entwickelt, soll funktionelle Defizite identifizieren
TRST (triage risk screening tool)
(Meldon et al. 2003)
Kurze Checkliste mit 6 Positionen
Kognitive Einschränkung, Stürze, Gangstörung, 5 oder mehr Medikamente; kürzliche Hospitalisierung; soziale Isolierung, Einschätzung bez. weiterer geriatrischer Probleme
Relativ gut untersucht, meist aber außerhalb des geriatrisch-onkologischen Kontextes; positiv bei 2 und mehr Punkten
Ursprünglich als Screener für den Notaufnahmebereich entwickelt, identifiziert gute Kandidaten für ausführliches geriatrisches Assessment
Falls ein Screener positiv ausfällt, muss die ausführliche geriatrische Bewertung mit dem Assessment erfolgen, wobei bisher kein eindeutiger Konsens bezüglich der abzubildenden Domänen oder der anzuschließenden Batterien besteht. Dies gilt besonders für die Frage, inwiefern sich ein spezielles geriatrisch-onkologisches Assessment anbieten würde. So werden meist die klassischen geriatrischen Domänen verwendet bzw. auf den lokal verfügbaren geriatrischen Standard, was das Assessment anbelangt, zurückgegriffen.

Rationaler Einsatz geriatrischer Testverfahren im onkologischen Kontext

Es ist nicht sinnvoll, alle ältere Patienten einem ausführlichen Assessmentverfahren zu unterziehen. Wie in der Geriatrie auch, sollte ein zweistufiges Schema angewendet werden, in welchem mit einfacheren Screenern diejenigen Patienten identifiziert werden, für die eine ausführlichere Analyse in Betracht kommt, um entsprechende unterstützungsbedürftige Defizite abbilden zu können. So kann mit adaptierten Behandlungsstrategien für die vulnerableren Patienten individueller auf die Ressourcen des Patienten reagiert werden. Abb. 2 zeigt graphisch einen solchen Algorithmus auf, wie er von Horgan et al. 2010 bereits vorgeschlagen wurde und vielfach propagiert wird. Neben dem Eröffnen geeigneter adaptierter Behandlungsstrategien bei vulnerableren Patienten ist hier auch die Frage der Prognose adressiert, wenn funktionelle Einschränkungen oder Kachexie einen zusätzlichen Hinweis auf die Dominanz und Dynamik der Tumorerkrankung geben können. Schließlich ist ein dritter Aspekt, die im Rahmen der Therapie zu erwartende Toxizität, die hier auch abbildbar ist und nicht Bestandteil des ursprünglichen diagnostischen Portfolios des geriatrischen Assessments ist. Die Abschätzung der Toxizität ist eine gute Ergänzung, wenn man sich zu einer entsprechenden Therapie entschließt, um gezielt therapiebezogen das Risiko darstellen zu können.
Wie oben erwähnt, gibt es aktuell weder zu der Ebene der Screener, noch zu den Fragen, wie ein geriatrisches Assessment exakt angeschossen werden sollte einen eindeutigen Konsens. Argumente, die für eine spezielle Adaptation des geriatrischen Assessments im onkologischen Kontext sprechen sind die Argumente der Prognose-Schätzung und der Einschätzung des speziellen Toxizitäts-Risikos. An dieser Stelle sei darauf verwiesen, dass derartige komplexe Themen gut auch in Teamkonferenzen oder z. B. den Tumorboards behandelt werden können. Hier könnten Ergebnisse der spezielleren geriatrischen Diagnostik wertvolle Hinweise zur Therapieplanung geben.
Die Effektivität solcher Maßnahmen ist noch unzureichend durch Studien belegt. In diesem Zusammenhang konnte auch noch nicht grundlegende aufgezeigt werden, dass mittels des geriatrischen Assessments auch bei onkologischen Patienten die positiven Effekte dieser Maßnahme genutzt werden können. Dies erfordert selbstverständlich nicht nur das Darstellen der funktionellen oder partizipativen Defizite, sondern deren konsequente Umsetzung in therapeutische Angebote, z. B. Ernährungsinterventionen, Krafttraining oder sozial und emotional unterstützende Maßnahmen. An dieser Stelle darf das geriatrische Assessment nicht als isolierte diagnostische Maßnahme betrachtet werden, sondern sollte im Kontext therapeutischer Maßnahmen gesehen werden. Hier stellt sich auch die Frage, inwiefern mit adaptierten rehabilitativen bzw. prehabilitativen Maßnahmen die Bedingungen für eine Therapie verbessert werden können, bzw. wie diese unterstützenden geriatrischen Maßnahmen genau in die onkologisch Therapie einzuflechten sind. Eine gute Übersicht zu diesen Fragen findet sich in Magnuson et al. 2016. Sollen die Potenziale des hier skizzierten strukturierten Vorgehens genutzt werden, ist insbesondere in der Implementierungsphase darauf zu achten, dass von Beginn an für mögliche klinische Aspekte, welche durch das geriatrische Assessment beschrieben werden, auch entsprechende Lösungsvorschläge hinterlegt werden. Hier ist Kooperation mit und Integration von geriatrischer Expertise unverzichtbar und ein wichtiger Auftrag für eine interdisziplinäre Zusammenarbeit klar zu erkennen.
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