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Kinderchirurgie
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Publiziert am: 31.03.2018

Perioperatives Management von Gerinnungsstörungen bei Kindern und Jugendlichen

Verfasst von: Karin Kurnik und Christoph Bidlingmaier
Bei operativen Eingriffen gilt im Kindesalter die Sorge vorwiegend der Entwicklung von Blutungskomplikationen und nur in einem geringeren Maß der Entwicklung von thromboembolischen Komplikationen. Gerinnungsstörungen können sowohl angeboren als auch durch akute oder chronische Grunderkrankungen erworben sein. Das Blutungsrisiko wird zudem durch die Art und den Schweregrad sowie durch die Lokalisation der Operation beeinflusst. Bei allen angeborenen und bekannten erworbenen, aber auch akut aufgetretenen Störungen empfiehlt es sich, einen hämostaseologisch erfahrenen Kinderarzt hinzuzuziehen. Bei Kindern mit bekannten Störungen der Hämostase muss vor der Operation ein Plan mit Vorsichtsmaßnahmen, Kontrollen aber auch Notfallmaßnahmen erstellt werden (Bidlingmaier et al. 2017, Perioperative management of hemostasis in children and adolescents. Blood Cells Mol Dis 67:91).
Bei operativen Eingriffen gilt im Kindesalter die Sorge vorwiegend der Entwicklung von Blutungskomplikationen und nur in einem geringeren Maß der Entwicklung von thromboembolischen Komplikationen. Gerinnungsstörungen können sowohl angeboren als auch durch akute oder chronische Grunderkrankungen erworben sein. Das Blutungsrisiko wird zudem durch die Art und den Schweregrad sowie durch die Lokalisation der Operation beeinflusst. Bei allen angeborenen und bekannten erworbenen, aber auch akut aufgetretenen Störungen empfiehlt es sich, einen hämostaseologisch erfahrenen Kinderarzt hinzuzuziehen. Bei Kindern mit bekannten Störungen der Hämostase muss vor der Operation ein Plan mit Vorsichtsmaßnahmen, Kontrollen aber auch Notfallmaßnahmen erstellt werden (Bidlingmaier et al. 2017).

Präoperatives Vorgehen

Anamnese

Eine exakte Anamnese, erhoben in einer standardisierten Form hinsichtlich der Eigen- und der Familienanamnese (s. Übersicht), gilt generell als das wichtigste Instrument zur Beurteilung des Blutungsrisikos. Jedoch ist die Sensitivität nicht hoch genug, um ein Blutungsrisiko sicher auszuschließen (Eberl 2005; Bidlingmaier et al. 2009; Guay et al. 2015). Bei Kindern kommt erschwerend hinzu, dass gerade in jüngerem Alter kaum anamnestisch verwertbare Situationen zu eruieren sind, wie z. B. vorausgegangene Operationen oder Verletzungen. Allerdings sind Sekundäreinflüsse z. B. durch Einnahme von gerinnungsaktiven Substanzen (u. a. Antikoagulanzien, Thrombozytenaggregationshemmer) oder Komorbiditäten bei Kindern selten. Vom Wissenschaftlichen Arbeitskreis Kinderanästhesie der „Deutschen Gesellschaft für Anästhesie und Intensivmedizin“ wurde eine Empfehlung veröffentlicht, nach der eine Laboruntersuchung nur bei Unsicherheiten oder anamnestisch-klinischem Verdacht auf eine Gerinnungsstörung nach Erhebung der Eigen- und Familienanamnese indiziert ist (Strauß et al. 2006).
Anamnese (nach Eberl et al. 2005)
  • Eigenanamnese des Kindes:
    • Hat Ihr Kind vermehrt Nasenbluten ohne erkennbaren Grund?
    • Treten bei Ihrem Kind vermehrt blaue Flecken auf, auch am Körperstamm oder ungewöhnlichen Stellen?
    • Haben Sie Zahnfleischbluten ohne erkennbare Ursache festgestellt?
    • Wurde Ihr Kind schon einmal operiert?
    • Kam es während oder nach der Operation zu verstärktem oder anhaltendem Bluten?
    • Kam es beim Zahnwechsel oder beim Zahnziehen zu längerem oder verstärkten Nachbluten?
    • Hat Ihr Kind schon einmal Blutkonserven oder Blutprodukte bekommen?
    • Hat Ihr Kind in den letzten Tagen Schmerzmittel eingenommen, z. B. Aspirin?
    • Bekommt Ihr Kind überhaupt Medikamente, z. B. Valproat, Marcumar usw.?
    • Ist bei Ihrem Kind eine Grunderkrankung bekannt, z. B. eine Leber- oder Nierenerkrankung?
  • Familienanamnese, getrennt für Mutter und Vater:
    • Haben Sie vermehrt Nasenbluten, auch ohne erkennbaren Grund?
    • Treten bei Ihnen vermehrt blaue Flecken auf, auch ohne sich zu stoßen?
    • Haben Sie bei sich Zahnfleischbluten ohne ersichtlichen Grund festgestellt?
    • Haben Sie den Eindruck, dass Sie bei Schnittwunden (z. B. beim Rasieren) länger nachbluten?
    • Gab es bei Ihnen nach Operationen längere oder verstärkte Nachblutungen?
    • Gab es bei Ihnen beim Zahnziehen längere oder verstärkte Nachblutungen?
    • Haben Sie schon einmal Blutkonserven oder Blutprodukte erhalten?
    • Gibt es oder gab es in Ihrer Familie vermehrte Blutungsneigung?
  • Zusatzfragen für die Mutter:
    • Haben Sie den Eindruck, dass Ihre Regelblutung verlängert oder verstärkt ist oder war?
    • Kam es bei oder nach der Geburt eines Kindes bei Ihnen zu verstärkten Blutungen?

Präoperative Gerinnungsdiagnostik

Angeborene Gerinnungsstörungen im Kindesalter sind seltene Erkrankungen (Kurnik et al. 2016; Bolton-Maggs 2013). Als Methoden zum Screening der plasmatischen Gerinnung („sekundäre Hämostase“) stehen die Globaltests – Quickwert und aktivierte partielle Thromboplastinzeit (aPTT) – zur Verfügung. Mit ihrer Hilfe können vorwiegend die seltenen schweren Formen von Einzelfaktormängeln ausgeschlossen werden. Die Screeningtests erlauben es aber nicht, mildere Gerinnungsstörungen auszuschließen. Dies gilt in einem besonders hohen Maß für das Von-Willebrand-Syndrom Typ 1 und Typ 2, das zu den häufigsten Gerinnungsstörungen mit Blutungsneigung gehört (Tab. 1). Gut 60 % der Patienten zeigen eine normale aPTT, werden also durch ein Screening nicht erfasst. Ebenfalls nicht erfasst wird jede Form eines Faktor-XIII-Mangels. Zusätzlich muss die Altersabhängigkeit der einiger Einzelfaktoren, aber auch des aPTT-Werts beachtet werden. Normalwerte finden sich bei Geburt nur für die Faktoren (F) VIII, V und I (Fibrinogen). Die anfänglich (leicht) erniedrigten Faktoren II, VII, IX, X, XI, XII, XIII steigen innerhalb der ersten 12 Lebensmonate an, der postpartal hohe Von-Willebrand-Faktor normalisiert sich ebenfalls im 1. Lebensjahr. Leichte Formen einer Blutungsneigung können also bei Neugeborenen und Säuglingen nicht sicher diagnostiziert werden. Eine Übersicht zu den klinischen und laborchemischen Besonderheiten der Gerinnung im Kindesalter findet sich bei Kurnik et al. 2016.
Tab. 1
Häufigkeit zu erwartender angeborener Gerinnungsstörungen
Gerinnungsstörung
Anteil
Häufigkeit
Quick (%)
PTT (sec)
Hämophilie A/B
 
1:10.000
  
Schwere Formen (<1 %)
43 %
 
n
↑↑↑
Mittelschwere Formen (1–5 %)
26 %
 
n
↑↑
Leichte Formen (6–30 %)
31 %
 
n
Von-Willebrand-Syndrom
 
1:1000
  
Typ 1
56 %
 
n
n – (↑)
Typ 2
43 %
 
n
n – ↑
Typ 3
1 %
 
n
↑↑
Schwerer Mangel an sonstigen Faktoren
 
1:500.000
n – pathologisch
n – pathologisch
Heterozygoter Mangel an sonstigen Faktoren
 
1:1000
n – pathologisch
n – pathologisch
Hereditäre Thrombozytopathie
 
1:250.000
n
n
n = Normalwert, ↑ = verlängerter Messwert
Eine nicht oder kaum verlängerte aPTT schließt also eine Blutungsneigung nicht aus. Hinzu kommen häufig falsch-positive Befunde, wie sie im Kindesalter z. B. bei Infektionen auftreten. Auch können klinisch irrelevante Faktorenmängel, wie z. B. ein FXII-Mangel, zu teils starken Verlängerungen der aPTT führen. Bei auffälliger Eigen- oder Familienanamnese oder wenn die Anamnese nicht erhebbar ist, sollte eine erweiterte Diagnostik erfolgen.
Die primäre Hämostase, bei der die Thrombozyten die entscheidende Rolle spielen, kann in der Praxis kaum laborchemisch getestet werden. In Kliniken ist häufig eine „in vitro Blutungszeit“ am Plättchen-Funktions-Analyzer (PFA) verfügbar, die Wertigkeit dieses Tests ist aber umstritten. Bei klinischem Verdacht auf eine Thrombozytenfunktionsstörung sollte zumindest eine Aggregometrie erfolgen (Knöfler et al. 2014).
Eine sorgfältige Anamneseerhebung ist unerlässlich. Risikopatienten sind mittels erweiterter Gerinnungsdiagnostik gezielt zu untersuchen. Bei Verdacht auf eine Thrombozytenfunktionsstörung muss eine gezielte Diagnostik in einem spezialisierten Zentrum erfolgen.

Perioperative Therapieoptionen bei Gerinnungsstörungen mit Blutungsneigung

Angeborene Blutungsneigung

Das perioperative Gerinnungsmanagement bei Patienten mit angeborener Blutungsneigung sollte immer durch hämostaseologisch erfahrene Ärzte erfolgen und wenn möglich in einem spezialisierten Zentrum (ausreichendes Notfalldepot, 24-Stunden-Rufbereitschaft von Ärzten und Speziallabor) durchgeführt werden (Srivastava et al. 2013).
Zur Therapie bzw. zur Prophylaxe von Blutungen stehen für die meisten Einzelfaktormängel verschiedene (z. T. auch kombinierte) plasmatisch oder gentechnisch (rekombinant) hergestellte Produkte, sog. Gerinnungskonzentrate zur Verfügung. Für die Faktoren VIII und IX sind neben konventionellen Faktorenkonzentraten auch halbwertszeitverlängerte Konzentrate zugelassen. Nur bei Mangel an Faktor V und Faktor XI muss auf Frischplasma (FFP), evtl. auch auf rekombinantes Faktor-VIIa-Konzentrat (NovoSeven®) ausgewichen werden. Sind Patienten bereits mit einem Präparat vorbehandelt, so sollte dieses auch bei Operationen eingesetzt werden.
Präoperativ sollte ein Substitutionsplan vorliegen, der zumindest auf folgende Punkte eingeht (s. Übersicht).
Im Substitutionsplan aufgeführte Informationen
  • Name/Firma des einzusetzenden Gerinnungskonzentrats mit Hinweis auf:
    • Lagerungsbedingungen (z. B. Kühlschrank)
    • Angaben über Ort und Erreichbarkeit des Depots
    • Pflicht zur Chargendokumentation (jede einzelne Ampulle muss extra dokumentiert werden!) mit Angabe von Uhrzeit der Gaben, ggfs. elektronische Dokumentation
    • Vermeidung zusätzlicher Bakterienfilter
  • Dosis und Dosierungsintervall der Präparate mit Angabe des Zeitpunktes der Initialdosis präoperativ (z. B. 1 h vor Operationsbeginn 1000 E i.v. über 5 min)
  • Dauer der Substitutionstherapie (meist bis zur abgeschlossenen Wundheilung, d. h. 8 – 10 – 14 Tage)
  • Labormonitoring (wann?, was?)
  • Vermeidung von thrombozytenaggregationshemmenden Schmerzmitteln (z. B. kein ASS)
  • Vermeidung von gerinnungshemmenden Substanzen (z. B. Heparin, nur in Ausnahmefällen nach Rücksprache mit Hämostaseologen)
  • Keine i.m.-Injektionen (z. B. bei Prämedikation)
  • Notfall-Telefonnummern
Im Allgemeinen richten sich bei allen angeborenen Blutungserkrankungen die Dosis und das Dosierungsintervall (Applikationsfrequenz) nach der Art und dem Schweregrad des zugrunde liegenden Mangels sowie nach der Halbwertszeit des entsprechenden Gerinnungsfaktors. Angestrebt werden in der Regel sog. Normalwerte, die auch nach Ablauf der jeweiligen Halbwertszeit nicht wesentlich unterschritten werden sollten. Die Therapie sollte die gesamte Wundheilungsphase andauern.
Die Berechnung der Dosis der Gerinnungskonzentrate erfolgt nach einer einfachen Regel: 1 Einheit Konzentrat/kg KG erhöht die Restaktivität um 1–2 %.
Eine Einheit ist definiert als diejenige Aktivität, die in 1 ml FFP enthalten ist.
Zusätzlich kann bei allen Blutungsformen (insbesondere bei Schleimhautblutungen) die adjuvante Gabe eines Antihyperfibrinolytikums erwogen werden (Tranexamsäure, z. B. Cyclokapron®, 10–20 mg/kg alle 6–8 h; i.v., p.o., topisch).
Weil das häufige Von-Willebrand-Syndrom ein sehr heterogenes Krankheitsbild beschreibt, ist hier präoperativ die Kenntnis der exakten Diagnose (Typ 1, Typ 2, Typ 3) und der individuellen Blutungsneigung (Anamnese!) unbedingt notwendig. Bei der Therapie muss entschieden werden zwischen der Gabe von von-Willebrand-Faktor-haltigem Faktor-VIII-Konzentrat oder der Gabe von DDAVP (1-Desamino-8-D-Arginin-Vasopressin [Minirin®]) alle 12–24 h, (Dosis: i.v.: 0,2–0,4 μg/kg KG in 50 ml NaCl 0,9 % über 30 min, nasal: 150–300 μg [Octostim®]). Wegen der ausgeprägten Tachyphylaxie von DDAVP ist nach 2–4 Gaben kein Effekt mehr nachweisbar. Diese Medikamente stellen also nur eine Therapieoption für leichte Von-Willebrand-Formen und bei kleinen Eingriffen (z. B. Zahnextraktionen) dar (Castaman et al. 2013).
Cave: DDAVP sollte wegen der Gefahr einer Hyponatriämie und zerebraler Krampfanfälle nicht Kindern <3.–4. Lebensjahr verabreicht werden. Auf eine erhöhte Flüssigkeitszufuhr ist zu verzichten. Die Wirkung von DDAVP sollte präoperativ getestet werden (Bestimmung von aPTT, Faktor VIII, von-Willebrand-Faktor nach 30 und 60 min, nach 2 h und 4 h nach Beendigung der Gabe).
Die perioperative Therapie von angeborenen Thrombozytopathien ist wenig standardisiert. Die Gefahr der Immunisierung durch die Gabe von Thrombozytenkonzentraten ist hoch. Dieses Risiko kann möglicherweise durch die Verabreichung von HLA/HPA-kompatiblen Thrombozyten vermindert werden. Als Alternative für Thrombozytenkonzentrate kann das rekombinante Faktor-VIIa-Präparat (NovoSeven®) erwogen werden, das allerdings nur für die Behandlung von Patienten mit Morbus Glanzmann und zusätzlichem Antikörpernachweis (sowie für die Hemmkörper-Hämophilie und den angeborenen Faktor-VII-Mangel) die Zulassung besitzt. Die empfohlene Dosis ist mit 90 μg/kg i.v. alle 1,5–2,5 h angegeben (für FVII-Mangel ein Drittel der Dosis). Auch die Gabe von DDAVP kann eine Option sein (Streif et al. 2014; Svensson et al. 2014).

Erworbene Blutungsneigung

Bereits präoperativ können anamnestisch zu eruierende erworbene Gerinnungs- und Thrombozytenstörungen mit Blutungsneigung vorliegen. Ursachen hierfür können sein:
  • Gabe von Medikamenten mit bekannten Auswirkungen auf die Gerinnung oder Thrombozyten (z. B. Antikonvulsiva [v. a. Valproinsäure], Antikoagulanzien, Immunsuppressiva) sowie
  • zugrunde liegende Erkrankungen (z. B. Hepatopathien jeglicher Genese, Tumor- und Gefäßerkrankungen, Herzvitien).
Therapeutisch wird ähnlich wie bei den angeborenen Störungen vorgegangen. Wegen der höheren Virussicherheit und des geringeren Volumens ist entsprechend der vorliegenden Störung die Gabe von Faktorenkonzentraten zu bevorzugen. Nur bei fehlender Alternative sollte auf die Gabe von FFP ausgewichen werden.

Intraoperative und unerwartete Gerinnungsstörungen

Im Kindesalter ist bei fast allen Operationen ein unkomplizierter Verlauf ohne vermehrten Blutverlust zu erwarten. In manchen Fällen (Eingriffe mit hohem Blutverlust, Operationen bei Mehrfachverletzten, Herz-, Neuro-, Tumorchirurgie) ist ein höherer Blutverlust vorhersehbar. Gelegentlich treten jedoch auch unerwartete Blutungsereignisse auf. Daraus kann sehr schnell das Bild einer „Dilutionskoagulopathie entstehen.
Dieser Begriff beschreibt das Nebeneinander von durch die Operation und die Blutung bedingtem Verlust und gesteigertem Verbrauch an Gerinnungsfaktoren (entsprechend ihrer jeweiligen Halbwertszeiten). Hinzu kommt die Verdünnung (Dilution) der Plasmafraktion durch Transfusion von Erythrozytenkonzentraten und kristallinen Lösungen (oder Plasmaexpandern). Je nach Eingriff (insbesondere bei HNO-, Trauma- oder neurochirurgischen Eingriffen) wird zusätzlich die Fibrinolyse vermehrt aktiviert.
Laboranalytisch präsentiert sich die Dilutionskoagulopathie wie eine Verbrauchskoagulopathie (DIC). Die Gerinnungsglobaltests, evtl. einschließlich Fibrinogenwert und Thrombozytenzahl, fallen pathologisch aus. In vielen Situationen hat sich aber gezeigt, dass alleinige Substitutionen von Gerinnungsfaktoren durch FFP-Gaben die Blutungen nicht suffizient kontrollieren (Parker 2013; Morley 2011).
Gezielte Hinweise auf eine optimale Therapie kann heutzutage die Rotations-Thrombelastografie („ROTEM“) bieten. Mangels der Häufigkeit an schweren, bedrohlichen, intraoperativen Blutungskomplikationen steht diese Methode, die eine gezielte Therapie mit Gerinnungsprodukten (PPSB, Einzelfaktorkonzentrate wie u. a. Fibrinogen oder Faktor XIII, Thrombozyten) erleichtert, nur wenigen kinderchirurgischen Einrichtungen zur Verfügung (Oswald et al. 2010).

Thromboseprophylaxe und -therapie

Perioperative Thromboseprophylaxe

Trotz der im Vergleich zu Erwachsenen geringeren Thromboserate wird auch bei Kindern und Jugendlichen immer häufiger eine perioperative Thromboseprophylaxe erwogen. Insbesondere betrifft dies Patienten, die bereits eine Thrombose erlitten haben oder bei denen eine bekannte, klinisch manifeste Thromboseneigung in der Familie vorliegt.
Die Ursachen für Thrombosen sind vielfältig, sie können angeboren (Tab. 2) und/oder erworben (u. a. entzündlich/rheumatisch, maligne) sein. Das perioperativ erworbene Thromboserisiko ist v. a. in Abhängigkeit von Operation, Gefäßkathetern und Immobilisation zu sehen. Angeborene Risikofaktoren werden in der Regel erst im Rahmen einer aufgetretenen Thrombose identifiziert, sind also im Kindesalter präoperativ meist unbekannt. Auch hier kann eine exakte Familienanamnese wertvolle Hinweise liefern.
Tab. 2
Prävalenz und Thromboserisiko bei angeborenen thrombophilen Risikofaktoren
Angeborener Defekt
Prävalenz (Normalbevölkerung)
Prävalenz (Thrombosepatienten)
Thromboserisiko (erhöht)
Faktor-V-Leiden (G1691A)
2–7 %
20–30 %
3- bis 5-fach (heterozygot)
50- bis 80-fach (homozygot)
Prothrombinmutation (G20210A)
2–4 %
5–15 %
3-fach (heterozygot)
0,02 %
1 %
10- bis 20-fach
Protein-C-Mangel
0,2–0,3 %
2–3 %
10-fach
Protein-S-Mangel
0,1–0,2 %
1–2 %
10-fach
Lipoprotein(a)-Erhöhung
~7 %
~20 %
Erhöht, wenn >30 mg/dl oder wenn >1 Jahr
In die chirurgischen Leitlinien für Erwachsene wurde in Bezug auf Kinder und Jugendliche aufgenommen, dass eine stationäre und ambulante Thromboseprophylaxe in der Chirurgie und perioperativen Medizin nur in „Ausnahmefällen erforderlich ist. Bei Jugendlichen mit beginnenden Pubertätszeichen (Tanner II) sind expositionelle und dispositionelle Risikofaktoren wie bei Erwachsenen zu bewerten; ggf. sollte eine risiko- und dosisadaptierte medikamentöse Thromboembolieprophylaxe durchgeführt werden“. Dies ist auch bei präpubertierenden Kindern ab einem Gewicht >50 kg (bzw. Body-Mass-Index >25 kg/m2) sowie bei bekannten, angeborenen und/oder zusätzlich erworbenen Risikofaktoren zu bedenken. Entscheidungshilfe können die Empfehlungen des Cincinnati Children‘s Hospital (2014) liefern. Das Tragen der üblichen (weißen) Klinikkompressionsstrümpfe wird als wertlos erachtet. Bei Notwendigkeit einer mechanischen Thromboseprophylaxe ist die Anwendung von angepassten Kompressionsstrümpfen Klasse II oder von intermittierenden pneumatischen Kompressionsschienen nach Arztanordnung notwendig.
Eine „dringende Empfehlung“ zur medikamentösen Thromboseprophylaxe besteht in der Regel nach vorausgegangen, nicht mehr therapierten thrombotischen Ereignissen (AWMF-Leitlinie Prophylaxe der venösen Thromboembolie 2015).
Bei allen Jugendlichen wird insbesondere bei großen Wirbelsäulen-, Thorax-, Abdomen- und Hüft-/Bein-Operationen eine perioperative Thromboseprophylaxe empfohlen. Auch in der Traumatologie ist eine Prophylaxe bei Ruhigstellung von Extremitäten zu diskutieren.

Therapeutische Optionen

Zur Prophylaxe, aber auch zur Therapie von Thrombosen haben sich auch in der Pädiatrie seit Mitte der 1990er-Jahre die niedermolekularen Heparine (NMH) in ihrer subkutanen Darreichungsform durchgesetzt. Allerdings müssen die Eltern der Patienten wegen der fehlenden Zulassung für Kinder <18 Jahre mit dem Einsatz einverstanden sein. Selbstverständlich müssen zuvor sämtliche Kontraindikationen für eine Antikoagulation (z. B. hämorrhagische Diathesen) ausgeschlossen sein. Bei Kindern und Jugendlichen wird mit der Prophylaxe meist erst postoperativ (nach 6–8 h) begonnen. In Tab. 3 sind die in der pädiatrischen Literatur dokumentierten Präparate mit ihren jeweiligen Dosierungen aufgelistet. Bei notwendiger präoperativer Gabe von NMH sollte der Abstand zwischen Gabe und Operationsbeginn (12–)24 h betragen. Ein Monitoring der prophylaktischen Therapie mit NMH wird nur in Ausnahmefällen (z. B. Nieren-, Leberinsuffizienz) empfohlen (Bidlingmaier et al. 2011).
Tab. 3
Dosierungsempfehlung für eine Prophylaxe mit niedermolekularen Heparinen bei Kindern/Jugendlichen
Alter
Zielspiegel (Anti-Faktor Xa, E/ml)
Enoxaparin (s.c.) (Clexane®)
Dalteparin (s.c.) (Fragmin®)
<2 Monate
0,2–0,4 (2 h nach Gabe)
0,75 mg/kg KG/12 h oder 1,5 mg/kg KG/24 h
50–100 E/kg/24 h
>2 Monate
0,2–0,4 (<3 Jahre 2 h nach Gabe, sonst 4 h nach Gabe)
0,5 mg/kg KG/12 h oder 1,0 mg/kg KG/24 h
50–100 E/kg/24 h
Jugendliche
0,2–0,4 (4 h nach Gabe)
20 mg/40 mg
2500 E/5000 E
Das Prozedere bei Kindern unter einer selten indizierten oralen Antikoagulation bedarf eines individuell angepassten Vorgehens, das in Absprache mit dem Hämostaseologen zu treffen ist. Ist ein angeborener Mangel der Inhibitoren Protein C/S oder Antithrombin bekannt, muss ggf. eine Substitution erfolgen. Die neuen direkten oralen Antikoagulanzien (DOACs) sind im Kindes- und Jugendalter noch nicht zugelassen (Monagle et al. 2012).
Literatur
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