Lymphgefäße
Die Lymphgefäße (auf Deutsch „Saugadern“) lassen sich morphologisch – und auch funktionell – in drei Gruppen einteilen:
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Initiale Lymphgefäße
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Präkollektoren
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Kollektoren
Den anatomischen Beginn des Lymphgefäßsystems bilden die initialen Lymphgefäße. Sie liegen in der Peripherie und bilden in der Regel zwei- oder dreidimensionale Netzwerke. Initiale Lymphgefäße, früher oft auch als – nicht ganz korrekt – Lymphkapillaren bezeichnet, unterscheiden sich von Blutkapillaren in einigen wesentlichen Charakteristika.
Die initialen Lymphgefäße sind etwas weiter als Blutkapillaren, sie sind mit einem einzigartigen Endothel ausgekleidet, besitzen Ankerfilamente
(Leak und Burke
1968) und sie sind nicht dicht.
Die initialen Lymphgefäße sind mit einem Endothel ausgekleidet, dessen Zellen eine sehr charakteristische „Eichblatt“-Form besitzen. Die konvexen Ausläufer der einzelnen Lymphendothelzellen
überlappen dabei ihre Nachbarzellen. Die Fläche einer einzigen Lymphendothelzelle kann 500 μm
2 oder mehr betragen (Baluk et al.
2007). Im Verlauf der Zellgrenzen wechseln lang gestreckte Zonen, in denen benachbarte Lymphendothelzellen durch Schlussleisten, Zonulae occludentes oder Tight Junctions, fest miteinander verbunden sind, mit kleinen Abschnitten, in denen eine offene Verbindung, inter-endotheliale Öffnung oder Open Junction, besteht. Die Lymphendothelzellen sind also zumindest teilweise durch robuste Zellkontakte mittels VE-Cadherin und Tight-Junction Molekülen verbunden (Baluk et al.
2007). Lymphendothelzellen lassen sich auch immunhistochemisch gut von Blutendothelzellen unterscheiden, denn sie exprimieren eine Vielzahl von charakteristischen Markern: VEGFR-3, einen Tyrosinkinase-Rezeptor für VEGF-C und VEGF-D, Podoplanin, Prox-1, und LYVE-1, einen Hyaluronsäure-Rezeptor (Podgrabinska et al.
2002). LYVE-1 ist vornehmlich an den freien Rändern der inter-endothelialen Öffnungen situiert (Baluk et al.
2007).
Initiale Lymphgefäße besitzen auch keine Basalmembran im klassischen Sinne wie etwa Blutkapillaren. Sie wird durch einen subendothelialen Faserfilz
ersetzt (Kubik
1999a). Neben diesem subendothelialen Filz, der durchaus die lymphgefäßspezifische Entsprechung einer Lamina (fibro-)reticularis darstellt, fallen jedoch bei initialen Lymphgefäßen die sogenannten Ankerfilamente ins Auge (Brenner
2014). Diese Ankerfilamente strahlen radiär von den Lymphendothelzellen in das benachbarte, die initialen Lymphgefäße umgebende Bindegewebe. Diese Ankerfilamente besitzen einen Durchmesser von circa 4–11 nm und sind an der äußeren Zellwand der Lymphendothelzellen angeheftet. Dabei treten zwei Gruppen von Ankerfilamenten auf, dünnere (4–6 nm), welche in irregulär dichte Flecken der Basallamina eingebettet sind und auch mit den dicken Ankerfilamenten (10–11 nm) verwoben sind (Leak und Burke
1968).
Die initialen Lymphgefäße bilden grundsätzlich Netze aus (Swartz
2001).
Die oftmals beschriebenen „blinden Enden“ oder „blinden, fingerförmigen Anfänge“ finden sich nur im Bereich der Zotten der Darmschleimhaut (Brenner
2014). Diese Netze der initialen Lymphgefäße können zweidimensional sein, wie in vielen Bereichen der Haut (Kubik
1999b), können aber durchaus dreidimensional werden. Es sei an dieser Stelle festgehalten, dass nahezu alle Organe – zumindest in ihrer Organhülle oder Kapsel – derartige Netze initialer Lymphgefäße besitzen. Aus diesen initialen Netzwerken bilden sich die Präkollektoren und in Folge die Kollektoren aus.
Präkollektoren
sind gekennzeichnet durch eine unregelmäßige und diskontinuierliche Anordnung der glatten Muskelzellen in ihrer Wand. Diese Anordnung hat nichts mit dem Standort der Klappen zu tun. Wenn vorhanden, sind muskuläre Elemente helikoidal angeordnet. Das Endothel ähnelt dem der initialen Lymphgefäße, unabhängig vom Vorhandensein von glatten Muskelzellen; es ist dünn, reich an pinozytotischen Vesikeln, unterstützt durch eine diskontinuierliche Basallamina und durch Ankerfilamente. Myoendotheliale Kontakte sind häufig. Die Klappen hingegen gleichen denen der Kollektoren. Diese morphologischen Merkmale legen nahe, dass die Präkollektoren zur Flüssigkeitsabsorption und zum Lymphabtrieb beitragen. (Sacchi et al.
1997)
Lymphgefäße fehlen in der Kornea, der Augenlinse und im zentralen Nervensystem. Auch im Knochen fehlen Lymphgefäße, nur in ihrer Hülle, dem Periost lassen sich diese nachweisen (Edwards et al.
2008). Ähnliches gilt für das zentrale Nervensystem, für das in seinen Hüllen, insbesondere der Dura mater, Lymphgefäße zu finden sind (Aspelund et al.
2015; Bucchieri et al.
2015; Louveau et al.
2015).
In der Haut liegt das
Rete cutaneum superficiale bzw.
subpapillare an der Grenze zwischen Stratum papillare und reticulare des Koriums (Kubik
1999b), nahe dem subpapillären arteriellen Netzwerk (Skobe und Detmar
2000). Es umfasst relativ dünne Lymphgefäße (10–30 μm) ohne Klappen (Kubik
1999b; Skobe und Detmar
2000), welche ein zweidimensionales Maschensystem mit einem Maschendurchmesser von 400–500 μm bilden (Kubik
1999b). Das subpapilläre Netz ist in Regionen mit dicker Haut dicht und kleinkalibrig, in Regionen mit dünnerer Haut ist es dünner und großkalibrig (Kubik
1999b). Das
Rete cutaneum profundum liegt dreidimensional im gesamten Stratum reticulare des Koriums (Koriumnetz) (Kubik
1999b), jedoch unter dem zweiten, tiefen arteriellen Netzwerk (Skobe und Detmar
2000). Die Lymphgefäße nehmen mit zunehmender Tiefe an Dicke zu (Kubik
1999b) und enthalten Klappen (Skobe und Detmar
2000). Das Koriumnetz ist mit dem oberflächlichen Netzwerk durch senkrechte, segmental angeordnete Präkollektoren verbunden. Es ist in der Leistenhaut wesentlich dichter als in der Felderhaut (Kubik
1999b).
In der Haut liegen die großen Kollektoren zumeist der Hüllfaszie des Körpers auf; einzelne kleinere Kollektoren können auch die Faszie direkt durchbrechen und in den tiefen Kollektoren münden. Diese tiefen Kollektoren sind zumeist in der Nähe der Arterien verortet und verlaufen dementsprechend gegenläufig.
Die Kollektoren
sind aus einzelnen Lymphangien (Einzahl: Lymphangion
) aufgebaut, die voneinander durch ein System parietaler Klappen, ähnlich der Venenklappen, getrennt werden (Rysch
1699). Die Wand eines Lymphangions enthält gegenläufig spiralig angeordnete glatte Muskelfasern (Horstmann
1952), die eine Kontraktion sowohl in der Weite als auch in der Länge erlauben. Die zehn bis zwölf Kontraktionen pro Minute erfolgen initial im einzelnen Lymphangion selbst und werden vor allem durch den Füllungszustand getriggert; durch den Weitertransport der
Lymphe in das nächste Lymphangion wird dort ebenfalls eine Kontraktion ausgelöst.
Die Lymphgefäße de Haut lassen sich in drei bilateral symmetrische Territorien
einteilen (Kasseroller und Brenner
2015): ein inguinales Territorium, ein axilläres Territorium und ein kraniozervikales Territorium. Jedes dieser Territorien leitet schlussendlich die gesammelte
Lymphe in das tiefe Lymphgefäßsystem.
Die Lymphgefäße aus Bein, Gesäßregion und unterer Bauchregion bilden das inguinale Territorium. Die oberflächlichen Lymphgefäße werden in den oberflächlichen Leistenlymphknoten gesammelt und die
Lymphe gelangt von dort über die tiefen Leistenlymphknoten in das tiefe iliakale System. Eine Ausnahme bilden die Lymphgefäße der dorso-lateralen Ferse und des dorso-lateralen Unterschenkels, die bereits in der Kniekehle in das tiefe System münden.
Aus den iliakalen Lymphgefäßen bilden sich schließlich die Trunci lumbales dexter et sinister
, die sich in der Cisterna chyli
vereinen. Die Cisterna chyli nimmt zudem den Truncus intestinalis
aus den Verdauungsorganen auf. Die Cisterna chyli liegt gewöhnlich rechts der Aorta, zwischen dem rechten Schenkel des
Diaphragma und der ebenfalls rechts der Aorta verlaufenden Vena azygos (Loukas et al.
2007). Aus der Cisterna chyli entsteht letztlich der Ductus thoracicus
. Der Ductus thoracicus tritt durch den Hiatus aorticus, kreuzt üblicherweise die Seite und mündet in den linken Venenwinkel.
Die oberflächlichen Lymphgefäße aus Arm, Brust, Rücken und oberer Bauchregion bilden das axilläre Territorium. Diese Lymphgefäße werden in den axillären Lymphknoten gesammelt und gelangen als Truncus subclavius direkt zu den jeweiligen Venenwinkeln zwischen V. jugularis interna und V. subclavia. Auf der linken Seite vereinigt sich der Truncus subclavius sinister mit dem Ductus thoracicus, dem Truncus jugularis sinister und dem Truncus bronchomediastinalis sinister. Auf der rechten Seite vereinigt sich der Truncus subclavius dexter mit dem Truncus jugularis dexter und dem Truncus bronchomediastinalis dexter zum Ductus lymphaticus dexter.
Die Lymphgefäße aus Kopf und Hals vereinigen sich zum Truncus jugularis und münden dann in den jeweiligen Venenwinkel ein.
Entwicklung
Wie alle vaskulären Strukturen entstehen die Lymphgefäße aus Endothelzellaggregaten und werden durch die koordinierten Prozesse der Lymphvaskulogenese
und Lymphangiogenese
zu einem integralen Bestandteil des Kreislaufs. Über den Ursprung des Lymphsystems wurden verschiedene Theorien aufgestellt, und es ist seit Anfang des 20. Jahrhunderts ein umstrittenes Thema. Es gibt zwei konkurrierende Theorien, das „zentrifugale“ und das „zentripetale“ Modell, und einige Bereiche der Kontroverse bleiben bislang ungelöst. (Lee und Suami
2020)
Das „zentrifugale“ Modell basiert auf der Hypothese, dass das Lymphsystem während seiner frühen Entwicklung aus dem Blutgefäßsystem abgeleitet ist, während das „zentripetale“ Modell besagt, dass mesenchymale zellabgeleitete Lymphangioblasten
zunächst die primitiven Lymphgeflechte bilden, bevor sie die Verbindungen zur embryonalen Vene herstellen. (Lee und Suami
2020)
Im menschlichen Embryo erscheinen die Lymphgefässe nach 6–7 Wochen, wesentlich später als die ersten Blutgefässstrukturen (Witte et al.
2006) und fast ein Monat nach dem Auftreten der ersten Blutgefässe (van der Putte
1975). Die paarigen jugulären Lymphsäcke
, die an den jugulären Abschnitt der Kardinalvene angrenzen, sind die frühesten identifizierbaren Vorläufer der embryonalen Lymphgefässe.
Im Gegensatz dazu erklärt das „zentripetale“ Modell den Prozess unabhängig von den Venen und postuliert, dass sich die Lymphsäcke aus Lymphangioblasten
, den mesenchymalen Vorläuferzellen, entwickeln (Huntington
1908; Huntington und McClure
1910).
Es gibt viele Hinweise, die sowohl die Zentrifugal- als auch die Zentripetal-Theorie unterstützen, aber das Zentrifugalmodell scheint den Prozess bei höheren Säugetieren besser widerzuspiegeln. Die Studien an Prox1-defizienten Mäusen haben Sabins Zentrifugalmodell entscheidend unterstützt (Wigle et al.
2002; Wigle und Oliver
1999) und wurden in der Folge von anderen bestätigt (Srinivasan et al.
2007; Yaniv et al.
2006).
Der enorme Wissenszuwachs über die Lymphgefäßentwicklung auf molekularer Ebene in den letzten zwei Jahrzehnten ermöglichte es, die Lymphgefäßvaskulogenese anhand neu entdeckter Gewebemerkmale neu zu definieren; es können vier unterschiedlich ausgeprägte Stadien unterschieden werden: lymphatische Kompetenz, Engagement, Spezifikation sowie vaskuläre Koaleszenz und Reifung (Rockson
2018).
Die
lymphatische/LEC-Kompetenz, auf die anfänglichen Induktionssignale für die lymphatische Gefäßdifferenzierung zu reagieren (Oliver
2004), wird durch die zelluläre Expression des flt-4-Gens repräsentiert, das für VEGFR-3 kodiert (Cueni und Detmar
2008) zusammen mit dem lymphatischen Gefäßendothel-Hyaluronan-Rezeptor-1 (LYVE1) (Huntington und McClure
1910; Veikkola et al.
2000).
Das
lymphatische Engagement wird durch die Expression von Prox1 repräsentiert, das eine zentrale Rolle bei der Erklärung des Zentrifugalmechanismus spielt und als Hauptregulator der lymphatischen Entwicklung dient. Die Prox1-Expression ist die ausschließliche nukleäre
Transkription in Zellen einer gebundenen lymphatischen Linie (Huntington und McClure
1910).
Die
Spezifikation lymphatischer Endothelzellen beinhaltet die obligatorische Expression der molekularen Marker der LEC-Identität, die zum einzigartigen lymphatischen Endothelphänotyp führen. Dazu gehören Podoplanin und VEGFR-3 sowie Neuropilin 2 (François et al.
2008,
2012; Hägerling et al.
2013; Yang et al.
2012).
Vaskuläre Koaleszenz und Reifung. Das embryonale periphere Lymphgefäßsystem des Embryos durchläuft einen erheblichen Reifungs- und Umbauprozess, einschließlich der Entwicklung eines Klappenapparats. FOXC2, das in erwachsenen Lymphklappen stark exprimiert wird, spezifiziert den Phänotyp der Lymphkollektoren (Norrmen et al.
2009; Petrova et al.
2004). Die Klappenentwicklung ist auch von GATA2 abhängig (Kazenwadel et al.
2015). BMP (Levet et al.
2013), Notch (Murtomaki et al.
2013) und Semaphorin3a-Neuropilin-1 (Jurisic et al.
2012) spielen als zusätzliche Signalwege ebenfalls eine wichtige Rolle bei der Klappenentwicklung. Die Ephrine und die Angiopoietine tragen ebenfalls zur Reifung der Lymphgefäße bei. Eine fehlerhafte Expression von EphrinB2 würde zu einer Hyperplasie der Lymphkollektoren und fehlender Klappenbildung führen (Makinen et al.
2005). EphB4 spielt auch eine Rolle bei der Signalgebung in der Entwicklung der Lymphgefäßklappen (Zhang et al.
2015). Angiopoietin 1 und 2 (Ang1 und Ang2) sind ebenfalls an der Reifung des Lymphgefäßsystems beteiligt (Dellinger et al.
2008; Gale et al.
2002; Shimoda et al.
2007).