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Klinische Angiologie
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Publiziert am: 02.06.2022

Arteriolosklerose

Verfasst von: Jürg Hafner
Das Ulcus hypertonicum Martorell, die „Calciphylaxis bei normaler Nierenfunktion und Nebenschilddrüsenfunktion“ (synonym „Eutrophication“), die Calciphylaxis mit dem peripheren Befallsmuster (inklusive akralen Nekrosen) und die Calciphylaxis mit zentralem Befallsmuster sind vier Diagnosen, welche Klinik, Histopathologie und Pathophysiologie miteinander teilen. Ischämisierende subkutane Arteriolosklerose, bzw. Arteriosklerose der Arteriae digitorum propriae und Penisarterien, mit Wandverdickung der Muscularis, in den meisten Fällen mit Mediakalzinose, Hypozellularität, subendothelialer Hyalinose und stenotischem oder thrombosiertem Lumen sind das pathologisch-anatomische Korrelat, welches zu äusserst schmerzhaften Hautinfarkten und bei der Calciphylaxis auch zu akralen Nekrosen führt. Das Ulcus hypertonicum Martorell betrifft per Definition Personen, die nicht schwer niereninsuffizient oder nierentransplantiert sind.
Die gemeinsamen Risikofaktoren sind arterielle Hypertonie, Diabetes mellitus (meistens Typ 2), bei schwer niereninsuffizienten oder nierentransplantierten Betroffenen ein pathologischer Knochenmetabolismus mit erhöhtem Serum-Phosphat (CKD-MBD), sowie die Medikation mit Vitamin K-Antagonisten zur Antikoagulation: Fetuin A und Matrix Gla-Protein sind zwei Vitamin K-abhängige kalziprotektive Faktoren. Die systemische Therapie ersetzt allfällige Vitamin K-Antagonisten indikationsgerecht durch andere Antikoagulanzien, und setzt bei ausgedehnten Nekrosen intravenös verabreichtes Natrium-Thiosulfat ein. Rund die Hälfte der Nekrosen infizieren sich mit gram-negativen und gram-positiven Keimen. Bei Sepsis oder vor wundchirurgischen Interventionen sind systemische Antibiotika indiziert. Das Ulcus hypertonicum Martorell darf nicht mit einem Pyoderma gangraenosum verwechselt werden, denn die Therapie ist grundlegend verschieden. Beim Ulcus hypertonicum Martorell sind Debridement, gegebenenfalls Unterdrucktherapie (NPWT) und früh im Verlauf Hautverpflanzungen (Punch Grafts oder Spalthauttransplantation) wichtig, um die Progression der Krankheit und die sehr starken Wundschmerzen unter Kontrolle zu bringen.
Vier Diagnosen teilen eine sehr ähnliche Klinik und Histopathologie, was auf eine gemeinsame Pathophysiologie schliessen lässt:
Ulcus hypertonicum Martorell (keine fortgeschrittene Niereninsuffizienz)
Calciphylaxis bei normaler Nierenfunktion und Nebenschilddrüsenfunktion (synonym: Eutrophication)
Calciphylaxis bei terminaler Niereninsuffizienz, Dialyse oder nach Nierentransplantation, mit peripherer Verteilung der Hautnekrosen und akralen Nekrosen
Calciphylaxis bei terminaler Niereninsuffizienz, Dialyse oder nach Nierentransplantation, mit zentraler Verteilung der Hautnekrosen
Alle vier Diagnosen definieren sich durch Hautinfarkte aufgrund einer stenosierenden Arteriolosklerose der subkutanen Arteriolen und/oder durch akrale Infarkte der Arteriae digitorum propriae, bzw. der Penisarterien. Die Hautinfarkte folgen häufig einem typischen Lokalisationsmuster in peripherer Lokalisation (z. B. laterodorsaler Unterschenkel) oder in zentraler Lokalisation (z. B. Oberschenkel-Innenseiten und abdominale Fettschürze).

Ulcus hypertonicum Martorell

Das Ulcus hypertonicum Martorell wurde praktisch zeitgleich 1945 von Fernandez Martorell am Istituto Policlinico in Barcelona (Martorell 1945) und 1946 und 1947 zweimal von Farber und Hines, zwei Dermatologen an der Mayo Clinic in Rochester MN, USA beschrieben (Farber et al. 1947). Die drei Ärzte hatten zuvor in den USA Kontakt, als Martorell in den frühen 1940er-Jahren als Visiting Physician unter anderem an der Mayo Clinic arbeitete.
DEFINITION
Die Betroffenen entwickeln direkt auf gesunder Haut oder über den Zwischenschritt einer lividen Hautverfärbung innert weniger Wochen und unter auffällig starken Schmerzen einen progredienten Hautinfarkt (Hafner et al. 2010; Vuerstaek et al. 2010). Die Wunden liegen in der Regel etwas höher am Unterschenkel lokalisiert, als venöse, gemischte venös-arterielle oder arterielle Ulzera, das heisst am Übergang von unteren zum mittleren Drittel des Unterschenkels. In 80–90 % sind der laterodorsale Unterschenkel und/oder die Achillessehne betroffen (Abb. 1), in 10–20 % der mediodorsale und in 10 % der prätibiale Unterschenkel, wobei sich die Lokalisationsmuster überlappen können, weshalb die hier genannten Prozentzahlen etwas über 100 % zu liegen kommen (Schnier et al. 1966; Weber et al. 2021). Die Histologie zeigt eine stenosierende Arteriolosklerose in der Subkutis. Die klassische Hypothese von Farber und Hines ging davon aus, dass die Muskularis-Schicht der arteriolären Gefässwand wächst und das Gefässlumen dadurch enger wird, was zur arteriolären Stenose und kutanen Ischämie führt. Sie sprechen vom gesteigerten „Wand-zu-Lumen-Verhältnis“ (Farber et al. 1947). Neuere Arbeiten, welche das Wand-zu-Lumen-Verhältnis bei unterschiedlichen Formen von vaskulär bedingten Hautnekrosen am Unterschenkel und auch bei zufälligen Hautproben vom Unterschenkel untersuchten, konnten jedoch nachweisen, dass bei älteren Menschen ein gesteigertes „Wand-zu-Lumen-Verhältnis“ der subkutanen Arteriolen häufig vorkommt (Monfort et al. 2018), und sich daher als Diagnose-Kriterium für die subkutane Arteriolosklerose, die mit Hautnekrosen einhergeht (Calciphylaxis und Ulcus hypertonicum Martorell) nicht wirklich eignet (Deinsberger et al. 2021a). Hingegen haben neuere Arbeiten gezeigt, dass die subendotheliale Hyalinose, die reduzierte Zellularität der arteriolären Gefässwand und die Mediakalzinose sehr zuverlässige Diagnosekriterien sind (Abb. 2) (Deinsberger et al. 2021a). Bei der Calciphylaxis finden sich in 100 % der histologischen Schnitte verkalkte Arteriolen. Das Verkalkungsmuster ist in 49 % zirkulär, 9 % semizirkulär, 24 % fleckig, und 18 % sind komplett verkalkt. Beim Ulcus hypertonicum Martorell finden sich in 75 % der histologischen Schnitte verkalkte Arteriolen. Das Verkalkungsmuster ist in 35 % zirkulär, 26 % semizirkulär, 9 % fleckig, und 30 % sind komplett verkalkt (Deinsberger et al. 2021b).
Alle Betroffenen haben eine essenzielle Hypertonie, die in der Regel seit vielen Jahren adäquat behandelt wird. Ungefähr 60 % haben zudem einen Diabetes mellitus Typ 2. Beidseitigkeit: Bei jedem Zweiten wird zuerst der eine und später oder gleichzeitig der andere Unterschenkel betroffen. In der Gefäss-Untersuchung liegt bei 50 % gleichzeitig eine relevante periphere arterielle Verschlusskrankheit vor, aber 50 % der Betroffenen haben ausschliesslich das Ulcus hypertonicum Martorell und sonst keine weiteren manifesten oder bekannten arteriellen Pathologien (Hafner et al. 2010). Es ist unbekannt, ob auch andere Körper-Organe gleichzeitig von der ischämischen Arteriolosklerose betroffen sein können (Hafner 2016). Ebenso sind Inzidenz und Prävalenz unbekannt. Es ist schwer zu sagen, ob die Inzidenz in den letzten drei Dekaden anstieg. Möglicherweise wird das Krankheitsbild bloss häufiger erkannt und die Diagnose dadurch häufiger gestellt. Möglicherweise steigt die Inzidenz tatsächlich, und zwar begleitend zur ansteigenden Lebenserwartung. Dank einer flächendeckenden Versorgung mit Antihypertensiva, wenig invasiver kardialen Interventionen und des breiten Einsatz von Antikoagulanzien sind schwere Myokardinfarkte und schwere Schlaganfälle seltener geworden, so dass dafür das Ulcus hypertonicum Martorell als Spätmanifestation von Hypertonie und Diabetes tatsächlich zunehmen könnte (Hafner 2016).
Wenn Betroffene im Alter über 60 Jahren innert kurzer Zeit am laterodorsalen Unterschenkel einen sehr schmerzhaften Hautinfarkt mit einem lividen Randsaum entwickeln und sich anamnestisch herausstellt, dass sie schon länger an einer essenziellen Hypertonie (mit/ohne Diabetes mellitus Typ 2) leiden, liegt mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Ulcus hypertonicum Martorell vor (Schnier et al. 1966; Hafner et al. 2010; Vuerstaek et al. 2010; Senet et al. 2012).
Viele, die das Krankheitsbild des Ulcus hypertonicum Martorell nicht kennen, verwechseln es mit einem Pyoderma gangraenosum (Hafner et al. 2010). Dies hat weitreichende therapeutische Folgen. Auf diesen Punkt gehen wir weiter unten näher ein.
Tipp
Patienten mit einem kleinflächigen Ulcus hypertonicum Martorell kann die Probeexzision erspart werden (Abb. 3). Stattdessen können Punch Grafts verpflanzt werden (= Hauttransplantation nach Reverdin). Diese unaufwändige Methode lindert rasch und wirksam die Schmerzen und hat ein gutes Heilungspotenzial (Lazareth und Priollet 1995; Dagregorio und Guillet 2006; Conde-Montero et al. 2020).
Bei ausgedehnten Hautnekrosen empfiehlt sich eine Nekrosektomie bis auf die Faszie, Konditionierung mit „Negative Pressure Wound Treatment“ (NPWT), gefolgt von einer Spalthautverpflanzung. Ungefähr die Hälfte der Martorell-Ulzera sind kritisch kolonisiert oder gar infiziert, typischerweise mit einer Kombination aus gram-negativen und gram-positiven Stämmen. Solange keine invasiven Prozeduren geplant sind und die Patienten keine klinischen oder Laborzeichen einer Sepsis aufweisen, können debridierende und desinfizierende Lokalmassnahmen ausreichen. Die meisten dieser Patienten benötigen jedoch phasenweise eine resistenzgerechte Antibiotikatherapie, oft intravenös verabreicht.
Manchmal liest man, die Basistherapie des Ulcus hypertonicum Martorell bestehe in der verbesserten antihypertensiven Therapie. Grundsätzlich ist die antihypertensive Therapie selbstverständlich zentral. Die pathologischen Arteriolen beim Ulcus hypertonicum Martorell sind allerdings mehrheitlich irreversibel alteriert und der Nekrose-Prozess der Haut bereits in Gang. Daher kann ein im Entstehen begriffenes Ulcus hypertonicum Martorell allein durch eine Intensivierung der antihypertensiven Therapie nicht mehr zur Abheilung gebracht werden (Hafner 2016). Die meisten Betroffenen waren zudem vor Krankheitsausbruch bereits antihypertensiv eingestellt. Wahrscheinlich stehen die Blutdruckspitzen, die während des Krankheitsausbruchs gesehen werden können, mit den entgleisten Schmerzen in Zusammenhang.
Aufgrund der auffälligen Analogie zwischen Ulcus hypertonicum Martorell und Calciphylaxis werden einige Therapiemassnahmen, die für die Calciphylaxis gut unterlegt sind, auch für das Ulcus hypertonicum Martorell empfohlen, ohne dass für letztere Indikation eine formelle wissenschaftliche Evidenz vorliegen würde (Hafner 2016).
Vitamin K-Antagonisten (orale Antikoagulation) sollten vermieden werden. Die Biosynthese von Fetuin A und Matrix Protein Gla, zwei Proteinen welche den Körper vor ektoper (extraossärer) Verkalkung schützen, ist Vitamin K-abhängig (Schurgers et al. 2013). Bei ausgedehnten Hautnekrosen kann der Kalzium-Phosphat-Binder Natrium-Thiosulfat analog zur Therapie der Calciphylaxis (Brandenburg et al. 2017) auch beim Ulcus hypertonicum Martorell verabreicht werden (Hafner 2016). Die empfohlene Dosis reicht von 10–20 g in 100 ml Trägerlösung (als Kurzinfusion), und wird täglich oder – wie bei Hämodialysepatienten mit Calciphylaxis – dreimal pro Woche verabreicht (Nigwekar et al. 2013).

Calciphylaxis

Erste Beschreibungen von Hautinfarkten und akralen Nekrosen bei terminal niereninsuffizienten Patienten gehen auf die erste Hälfte des 20 Jahrhunderts zurück. 1962 publizierte der Physiologe Hans Selye in Chicago seine These zur Calciphylaxis. Er konditionierte Versuchstiere mit toxischen Dosen Vitamin D3 oder Parathormon und löste darauf durch eine intravenöse oder intraperitoneale Injektion unterschiedlicher Substanzen wie Eisensalzen oder Proteinen Verkalkungen im Peritonealraum und an den inneren Organen aus. Obwohl Selye’s Experimente die ischämischen Infarkte an Haut und Akren bei terminal Niereninsuffizienten nicht erklären, wurde die Terminologie in die Humanmedizin und Nephrologie übernommen (Hafner et al. 1995). Später schlugen namhafte Nephrologen eine Anpassung auf „Calcific Uremic Arteriolopathy“ vor, die aber nach wie vor nicht konsequent angewandt wird (Nigwekar et al. 2018).
DEFINITION
Die Calciphylaxis ist ein Syndrom aus Hautinfarkten und Arterienverschlüssen der Akren (Zehen, Finger, Penis) mit Gangrän, in Zusammenhang mit schwerer Niereninsuffizienz, Dialyse oder nach Nierentransplantation (Hafner et al. 1998). Histologisch findet sich eine obliterierende Arteriolosklerose der subkutanen Arteriolen, mit Mediakalzinose, welche auch die Arteriae digitorum propriae und die Penisarterien erfassen kann. Man unterscheidet ein peripheres Befallsmuster (Unterschenkel, Fuss, Finger, Zehen, Penis) von einem zentralen Befallsmuster (am häufigsten Oberschenkel-Innenseiten und Bauchfettschürze) (Hafner et al. 1995, 1998).
Die „Calciphylaxis bei normaler Nieren- und Nebenschilddrüsenfunktion“ (synonym: „Eutrophication“) imitiert die klassische Calciphylaxis vom proximalen Befallsmuster (Ramsey-Stewart 1992; Kalajian et al. 2009). Diese Diagnose tritt ausschliesslich bei Menschen mit morbider Adipositas auf, die praktisch immer an einer arteriellen Hypertonie und sehr häufig auch an einem Diabetes mellitus Typ 2 erkrankt sind. Pathophysiologisch liegen dieselben kardiovaskulären Risikofaktoren vor, wie beim Ulcus hypertonicum Martorell, bloss mit einem anderen Lokalisationsmuster (Hafner 2016). (Tab. 1).
Tab. 1
Konzeptuelle Gegenüberstellung und Terminologie der 4 Diagnosen, die aus einer ischämisierenden Arteriolosklerose entstehen
 
Terminale Niereninsuffizienz +/− Dialyse
Nierentransplantierte Organempfänger
Normale Nierenfunktion
Normale Nebenschilddrüsenfunktion
Periphere (distale) Hautnekrosen
Calciphylaxis: +/− Akren
Terminologie:
Calciphylaxis, peripherer (distaler) Typ
Lokalisation:
Laterodorsaler Unterschenkel, Achillessehne, prätibial, medialer Unterschenkel
Akren (Gangrän): Zehen, Finger, Penis
Kardiovaskuläre und Kalzfikations-assoziierte Risikofaktoren
Renale (+/− essenzielle) Hypertonie
Diabetes mellitus (Typ 2 oder Typ 1)
2°/3° Hyperparathyroidismus
Orale Antikoagulation mit Vitamin K-Antagonisten
Terminologie:
Ulcus hypertonicum Martorell
Lokalisation:
Laterodorsaler Unterschenkel (typisch), Achillessehne, prätibial, medialer Unterschenkel
Kardiovaskuläre und Kalzfikations-assoziierte Risikofaktoren
essenzielle Hypertonie
Diabetes mellitus Typ 2
orale Antikoagulation mit Vitamin K-Antagonisten
Zentrale (proximale) Hautnekrosen
Oberschenkel, Bauchfettschürze
Terminologie:
Calciphylaxis, zentraler (proximaler) Typ
Lokalisation:
Oberschenkel-Innenseite, Bauchfettschürze, Mammae, oder generalisiert
Kardiovaskuläre und Kalzfikations-assoziierte Risikofaktoren
Renale (+/− essenzielle) Hypertonie
Diabetes mellitus (Typ 2 oder Typ 1)
2°/3° Hyperparathyroidismus
Orale Antikoagulation mit Vitamin K-Antagonisten
Terminologie:
Calciphylaxis bei normaler Nierenfunktion und normaler Nebenschilddrüsenfunktion
Lokalisation:
Oberschenkel, Bauchfettschürze, Mammae, oder generalisiert
Kardiovaskuläre und Kalzfikations-assoziierte Risikofaktoren
Adipositas (BMI >35)
Essenzielle Hypertonie
Diabetes mellitus Typ 2
orale Antikoagulation mit Vitamin K-Antagonisten
Bei Hautinfarkten vom zentralen Befallsmuster, sei es im Rahmen einer klassischen Calciphylaxis oder einer „Calciphylaxis bei normaler Nierenfunktion“, jedoch morbider Adipositas, herrscht Lebensgefahr (Kalajian et al. 2009). Die therapeutischen Eckpunkte werden in Abb. 3 und 4 zusammengefasst (Hafner 2016).
Aufgrund der Pathophysiologie und der Resultate mehrerer klinischer Studien gilt als erwiesen, dass Vitamin K-Antagonisten bei Calciphylaxis schädlich sind. Sie müssen gestoppt und in Abhängigkeit von der Indikation und der Nierenfunktion durch andere Antikoagulanzien ersetzt werden (Schurgers et al. 2013; Brandenburg et al. 2017; Nigwekar et al. 2017).
Tipp
Das klinische Muster einer Calciphylaxis ist charakteristisch (Abb. 4). Eine Biopsie zur histologischen Diagnose-Sicherung kann unter Umständen die Wundsituation verschlechtern und muss daher nicht erzwungen werden (Senet et al. 2012). Wenn Debridements oder eine Amputation anstehen, kann und soll die Diagnose hingegen histologisch bestätigt werden. Auf Röntgenbildern mit schwacher Röhrenspannung (Mammografie-Bedingungen) können die verkalkten subkutanen Arteriolen oder akralen Endarterien nicht-invasiv nachgewiesen werden (Hafner et al. 1998).
Ein erhöhtes Kalzium-Phosphat-Produkt kann mit kalziumfreien Phosphatbindern wie Sevelamer gesenkt werden, und ein sekundärer Hyperparathyreoidismus kann mit dem Kalzimimetikum Cinacalcet korrigiert werden. Beides beeinflusst den Verlauf einer Calciphylaxis positiv (Nigwekar et al. 2018).
Chirurgische Interventionen zur Abräumung von Hautnekrosen und gangränösen Akren werden einerseits eingesetzt, wenn lokale oder systemische Infektionen drohen oder wenn die Nekrosen zum Stillstand gekommen sind und sich zu demarkieren beginnen. Die Abtragung der Hautinfarkte und die Defektdeckung richtet sich dabei nach den gleichen Regeln wie weiter oben bei der Therapie des Ulcus hypertonicum Martorell beschrieben wurde (Nigwekar et al. 2018).

Ulcus hypertonicum Martorell und Calciphylaxis

Gleiches klinisches Muster – gemeinsame Pathophysiologie?
Das Ulcus hypertonicum Martorell und die Calciphylaxis in ihren drei Varianten haben sowohl klinisch (Abb. 5) als auch histologisch augenfällige Analogien (Abb. 6), was die Frage aufwirft, ob die beiden Krankheitsbilder auch pathophysiologische Analogien aufweisen (Hafner 2016). Arterielle Hypertonie findet sich bei allen Betroffenen. Gewöhnlich ist die Hypertonie – essenzielle Hypertonie, respektive renale Hypertonie – gut kontrolliert. Diabetes mellitus ist bei allen vier Diagnosen gehäuft. Die neuere Forschung brachte vermehrten Einblick in die Pathophysiologie des Knochenmetabolismus bei chronischen Nierenkrankheiten, der mit den beobachteten ektopen Verkalkungen in Zusammenhang steht, wovon auch Herz und Blutgefässe nicht ausgenommen sind. Freies Serumphosphat ist vermutlich ein direkter Promotor vaskulärer Verkalkung (Yamada und Giachelli 2017). Vitamin K-Antagonisten blockieren die Biosynthese von Fetuin A und des Matrix Gla-Proteins, zwei physiologisch kalziprotektiven Proteinen aus der gamma-Carboxy-Glutamat-Familie (Shroff et al. 2013; Smith et al. 2013). Nicht nur die Biochemie, sondern auch klinische Studien zur Calciphylaxis legen nahe, dass Vitamin K-Antagonisten bei Hautnekrosen infolge Arteriolosklerose schaden und daher abgesetzt werden sollten (Nigwekar et al. 2017). Aus Gründen der nahen morphologischen und pathophysiologischen Verwandtschaft empfiehlt sich diese Massnahme vorsichtshalber auch beim Ulcus hypertonicum Martorell (Hafner 2016) (Tab. 1).
ÜBERSICHT:
Tab. 1, Abb. 5 und 6

Differenzialdiagnose des Ulcus hypertonicum Martorell

Cave:
Das Ulcus hypertonicum Martorell darf nicht mit einem Pyoderma gangraenosum verwechselt werden
Der klinische Befund eines schmerzhaften, rasch grössenprogredienten Ulcus cruris mit lividem Wundrand ist nicht pathognomonisch für eine Diagnose (Weenig et al. 2002). Die wichtigsten differenzialdiagnostischen Erwägungen (Tab. 2) umfassen:
Tab. 2
Differenzialdiagnose des Ulcus hypertonicum Martorell. Phänotypisch: Progrediente und schmerzhafte Hautnekrosen und Ulzerationen mit entzündlichem, unterminiertem Rand
Ulcus hypertonicum Martorell
Lokalisation: Laterodorsaler Unterschenkel und über der Achillessehne, seltener prätibial oder medialer Unterschenkel
Histologie: Arteriolosklerose in der oberen und mittleren Subkutis, in 75 % Mediakalzinose
Anamnese: Essenzielle Hypertonie Diabetes mellitus Typ 2 (60 %), orale Antikoagulation mit Vitamin K-Antagonisten
Therapie: Kleine Flächen: oberflächliches Debridement und Punch Grafts. Grosse Flächen: Nekrosektomie, Unterdrucktherapie (NPWT), Antibiotika erwägen, Spalthaut. Wenn nötig Wundchirurgie wiederholen
Pyoderma gangraenosum
Lokalisation: Überall, gehäuft untere Extremitäten
Histologie: Dichte granulozytäre Infiltrate, sterile Entzündung
Anamnese: Entzündliche Darmkrankheiten, myeloische Leukämie, Myelom, Rheumatoide Arthritis, 50 % ohne erkennbaren Auslöser
Pathergie-Phänomen
Organbeteiligung möglich
Therapie: Immunsuppression, primär keine Chirurgie, (bei stabilen Wunden sekundäre Deckung möglich)
Vaskulitis mit Hautbeteiligung
Kutane leukozytoklastische Vask.
Henoch-Schönlein-Pupura
ANCA-positive Vaskulitis
Elastase-positive Vaskulitis
Lokalisation: Überall, gehäuft untere Extremitäten, teils mit Purpura
Histologie: Leukozytoklastische Vaskulitis oder Panarteritis
Anamnese: Kann grundsätzlich alle Organe betreffen. Spezielles Augenmerk auf Nierenbeteiligung.
Therapie: Immunsuppression/Immunmodulation, wenn möglich Trigger ausschalten, danach gegebenenfalls Nekrosektomie und Deckung
Ecthyma gangraenosum
Lokalisation: Überall, gehäuft untere Extremitäten
Histologie: Neutrophilen-Infiltrate und Bakterienrasen
Anamnese: Gehäuft unter system. Immunsuppression. Manchmal nach Bad in „heissem Zuber“ (Pseudomonas), manchmal nach Tropen-Aufenthalt
Mikrobiologie: Gehäuft Streptokokken Gruppe A und/oder gram-negative Stämme
Therapie: Resistenzgerechte Antibiotikatherapie, danach gegebenenfalls Nekrosektomie und Deckung
Ulcus hypertonicum Martorell (Abb. 1)
Pyoderma gangraenosum (Abb. 7)
Vaskulitis mit Hautnekrosen (Abb. 8)
Ecthyma bzw. Ecthyma gangraenosum (Abb. 9)
Livedo Vaskulopathie bietet differenzialdiagnostisch weniger Schwierigkeiten (eigenes Kapitel in diesem Buch)
Bei differenzialdiagnostischen Betrachtungen zu einem atypischen Ulcus cruris muss immer das ganze klinische Muster (Anamnese, Lokalisation, Morphologie der Wunde, etc.) mit einbezogen und im Zweifel eine Biopsie ausgeführt werden (Isoherranen et al. 2019). Die 4–5 mm schmale spindelförmige Biopsie darf durchaus mehrere Zentimeter lang sein und in vertikaler Richtung (Richtung der Achse der Unterschenkelknochen) ausgehend von der gesunden Haut in der Umgebung über den Wundrand bis in die Mitte der Wunde reichen. Dieser Haut- und Wundstreifen muss in ganzer Länge zur Histologie eingeschickt und dort der ganzen Länge nach und nicht in mehreren kurzen Stücken verarbeitet werden. Durch die Länge der Biopsie entsteht ein repräsentatives Profil durch Haut, Unterhaut und Wunde, welche es erlaubt, zuverlässige Rückschlüsse zu ziehen. Mit kleinen Stanzbiopsien besteht hingegen ein hohes Risiko eines „sampling errors“, wodurch die pathologischen Arteriolen und somit die massgebliche Diagnose verpasst werden (Hafner 2016).
Besonders wichtig ist die Abgrenzung des Ulcus hypertonicum Martorell vom Pyoderma gangraenosum (Hafner et al. 2010). Rein von der Wundmorphologie aus betrachtet können die beiden Diagnosen manchmal verwechselt werden. Wenn sie klassisch ausgeprägt sind, unterscheiden sich auch die Wundtypen bereits klinisch relativ klar (siehe unten). Eingebettet in die Anamnese und das Lokalisationsmuster können die beiden Diagnosen noch besser gegeneinander abgegrenzt werden. Im Zweifelsfall führt eine korrekt ausgeführte Biopsie (siehe oben) weiter. Die Unterscheidung zwischen den beiden Krankheiten ist auch deswegen so wichtig, weil die Behandlung diametral verschieden abläuft. Während Patienten mit einem Pyoderma gangraenosum wegen des gefürchteten Pathergie-Phänomens zu Beginn der Diagnosestellung grundsätzlich nicht operiert werden, sondern eine systemische Immunsuppression erhalten, werden Patienten mit einem Ulcus hypertonicum Martorell früh im Verlauf chirurgisch behandelt und erhalten keine Immunsuppression. Eine nicht indizierte Immunsuppression vermehrt unnötigerweise das Risiko einer mit Wundinfektion assoziierten Sepsis, schlimmstenfalls mit tödlichen Folgen (Hafner et al. 2010).
Das Ulcus hypertonicum Martorell hat die Morphologie eines progredienten Hautinfarktes, der alle drei Hautschichten (Epidermis, Dermis, Subkutis) erfasst. Auf Immunsuppression verringert sich einzig die livide Entzündung entlang des nekrobiotischen Randsaums. Beim Pyoderma gangraenosum „schmilzt“ die Haut – bildhaft ausgedrückt – unter dem toxischen Einfluss der depletierten Neutrophilen-Granula in den oberflächlichen Schichten (Epidermis, Dermis) „ein“. Sie bildet progrediente Pusteln, Blasen und Erosionen. Auf systemische Immunsuppression rekonstituiert sich die Haut innert 1–2 Wochen rasch und weitgehend (Isoherranen et al. 2019).
ÜBERSICHT:
Tab. 2, Abb. 178 und 9
Literatur
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