Klinische Angiologie
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Verfasst von:
Iris Baumgartner und Corinne Kohler
Publiziert am: 06.04.2022

Management der akuten Ischämie der unteren Extremitäten

Die Behandlung der akuten Extremitätenischämie (ALI) sollte in Zentren mit umfassender Expertise in endovaskulärer wie chirurgischer Behandlung erfolgen und stellt immer eine Notfallsituation dar. Die Initialbehandlung umfasst eine Analgesie, ausreichende intravenöse Flüssigkeitszufuhr, Sauerstoffgabe, Anti-Trendelenburg-Position und intravenöse Gabe von unfraktioniertem Heparin (UFH). Das Management richtet sich nach dem Schweregrad der (ALI) entsprechend Rutherford Stadium. Die klassische chirurgische Behandlung ist die Thrombembolektomie nach Fogarty mit oder ohne Patchplastik. Die endovaskulären Therapieoptionen stehen aufgrund vergleichbarer Ergebnisse bei geringerer Mortalitätsrate zunehmend im Vordergrund. Technisch sind die Beherrschung der perkutanen loko-regionalen Katheterthrombolyse (catheter-directed thrombolysis, CDT), der perkutanen mechanischen Katheter-Thrombusaspiration (PMT, mit oder ohne Thrombolyse), und die Möglichkeit endovaskulär-chirurgische Hybridverfahren Grundvoraussetzungen zur Behandlung der (ALI).

Initiale Notfallversorgung

Die Behandlung der akuten Extremitätenischämie (ALI) sollte in Zentren mit umfassender Expertise in endovaskulärer wie chirurgischer Behandlung erfolgen. Die Dringlichkeit richtet sich nach dem Schweregrad der Ischämie entsprechend Rutherford Klassifikation. Die initiale Notfallbehandlung umfasst eine ausreichende Analgesie mit Morphinderivaten und die grosszügige intravenöse Flüssigkeitszufuhr, die bei klinisch relevanter Herzinsuffizienz (Auswurffraktion < 30 %) angepasst werden muss. Die Blutverdünnung sollte in der Akutsituation aufgrund der in der Regel zeitnah zu planenden Revaskularisation mit unfraktioniertem Heparin (UFH) erfolgen. Das Dosisschema umfasst einen unverzüglichen initialen Bolus von 5000 Internationale Einheiten (IE) oder 70–100 IE/kg UHF, gefolgt von einer aktivierten partiellen Thromboplastinzeit (aPTT) gesteuerten intravenösen Gabe. Weitere supportive Massnahmen sind die zusätzliche Sauerstoffgabe via Nasensonde, Nasenbrille oder Sauerstoffmaske und das Absenken des Fussendes am Bett (Anti-Trendelenburg Position) (Björck et al. 2020).
Bei der Strategie der Revaskularisation müssen die Komorbiditäten der Patienten, die Ursachen der (ALI) und der Behandlungswunsch des Patienten unbedingt berücksichtigt werden (Wang et al. 2018). Für die Revaskularisation der (ALI) kommen die klassische chirurgische Fogarty-Thrombembolektomie, die Bypasschirurgie, minimal-invasive Verfahren wie die perkutane loko-regionale Katheterthrombolyse (catheter-directed thrombolysis, CDT), die perkutane mechanische Katheter-Thrombusaspiration (PMT, mit oder ohne Thrombolyse) und eine Kombination der Verfahren bei Vorhandensein eines mit integrierter Angiografieanlage ausgestatteten Operationssaals (Hybrid-Operationssaal, Hybridverfahren) in Frage. Um die Option einer zeitnahen Revaskularisation zu ermöglichen sollten Patienten für eine potenzielle Vollnarkose in jedem Fall nüchtern bleiben. Der Algorithmus für das notfallmässige Management ist tabellarisch in Abb. 1 zusammengefasst.
Die akute Extremitätenischämie (ALI) ist eine vaskuläre Notfallsituation

Chirurgische Therapieoptionen

Die Reihenfolge der Revaskularisationsverfahren hat primär historische Gründe. Für embolische Arterienverschlüsse ist die klassische Embolektomie mittels Fogarty-Ballon ein wenig invasives chirurgisches Standardverfahren. Meistens wird hierfür ein femoraler Zugang benötigt. Dieser kann in Lokalanästhesie erfolgen, wenn dies der Schmerzzustand des Patienten erlaubt. Bei nicht-atherosklerotisch veränderten Arterien erfolgt die Arteriotomie quer zur Arterie, der Verschluss wird mit Einzelknopfnähten durchgeführt. Bei arteriosklerotisch veränderten Arterien erfolgt die Arteriotomie über eine Längsinzision, damit zusätzlich zur Thrombektomie potenziell auch eine zusätzliche Endarterektomie durchgeführt werden kann. Um eine postoperative Stenosierung der Arterie zu vermeiden (Sanduhreffekt) wird häufig zur Endarterektomie eine zusätzliche Patchplastik mit autologer Vene oder biologischem Material eingenäht (Abb. 2a-c). Die vollständige chirurgische Entfernung von Thromben bei arteriosklerotisch veränderten Gefässen über den alleinigen Leistenzugang kann schwierig sein und erfordert gelegentlich eine zusätzliche direkte Exploration der Arteria (A.) poplitea unterhalb des Knies sowie die selektive Embolektomie der Unterschenkelarterien (Abb. 3). Zudem wird bei komplexeren Fällen mit Annahme einer distalen Thrombusfragmentierung häufig ein intraarterieller Bolus eines Thrombolytikums verabreicht (Alteplase; recombinant tissue type plasminogen activator (rtPA) 5–10 mg, Urokinase 50.000–100.000 IE), dessen distaler Wirkungseffekt durch die intraoperative Gefässausklemmung im Gegensatz zur loko-regionalen Katheterthrombolyse (s. u.) verstärkt wird und aufgrund der nur geringen Dosis keine relevante Erhöhung des postoperativen Blutungsrisikos verursacht (Witz et al. 2002). Gelingt die chirurgische Embolektomie nicht, kann der Eingriff in eine Bypassanlage konvertiert werden. Autologe Venen werden als Bypassmaterial bevorzugt (Aboyans et al. 2018). Eine abschliessende Kontrollangiografie gehört zum Standard der chirurgischen Behandlung, daher wird die operative Behandlung vorzugsweise in sogenannten Hybrid-Operationssälen mit integrierter Angiografieanlage durchgeführt. Die Nutzung fahrbarer C-Bogen Angiografieanlagen ist ausreichend, wenn dadurch aufgrund der oft dichten Belegungszeiten in modernen Hybrid-Operationssälen eine zeitnahere Revaskularisation in einem konventionell ausgestatteten Operationssaal möglich ist. Eine komplette (ALI) mit sensiblem und motorischem Ausfall von mehr als 6 Stunden Dauer bleibt der chirurgischen Revaskularisation mit extrakorporaler Kälteperfusion in entsprechend spezialisierten Gefässzentren vorbehalten. In einer randomisierten Studie (ILAILL) bei Patienten, die wegen (ALI) chirurgisch revaskularisiert wurden, konnte gezeigt werden, dass die postoperative intravenöse Gabe von Iloprost zu einer Reduktion von Mortalität und Amputation im Verlauf nach 3 Monaten führt (19,9 % Placebo vs. 14,1 % Iloprost; De Donato et al. 2006), so dass sich die Gabe inzwischen als Standard etabliert hat.

Endovaskuläre Therapieoptionen

Obwohl die klassische Thrombembolektomie nach Fogarty und die Bypasschirurgie bei der offenen Therapie der (ALI) noch immer eine bedeutende Rolle spielen, ist die kathetergestützte Thrombolysebehandlung (CDT) mit oder ohne Thrombusaspiration eine gleichwertige Alternativmethode und hat sich auch aufgrund der inzwischen flächendeckenden Verfügbarkeit durchgesetzt. Schmerzbedingte Unruhe und Unmöglichkeit zur Ruhigstellung der Extremität erfordern bei der (ALI) gelegentlich auch für minimal invasive Eingriffe eine Narkose in stand-by oder eine Vollnarkose, d. h. der oben genannte Grundsatz Patienten mit (ALI) nüchtern zu behalten gilt generell.
Bei der kathetergestützten Thrombolysebehandlung (CDT) wird via Leiste oder Arm perkutan ein Katheter entweder vor den thrombotischen Verschluss (regional intraarteriell) oder direkt in den Thrombus (loko-regional intrathrombotisch) gelegt, und eine Thrombolyse über den platzierten Katheter in der Regel mit rtPA oder gelegentlich noch mit Urokinase durchgeführt (Abb. 4). Die Dosis der Thrombolyse richtet sich nach Verschlusslänge, der Verschlussgenese und den Blutungsrisiken (Tab. 1).
Tab. 1
Dosierungsschema Actilyse®
Dosierungsschema Actilyse® i.a.erste 5 h
Dosierungsschema Actilyse® i.a.> 5 h, max. 24 h Lysezeit
2 mg/h (10 ml/h)
1 mg/h (5 ml/h)
0,5 mg/h (2,5 ml/h)
0,5 mg/h (2,5 ml/h)
1 mg/h (5 ml/h)
1 mg/h (5 ml/h)
Vorbereitend sind Kontraindikationen einer Thrombolyse zu evaluieren und entsprechend zu beachten (Working party on thrombolysis in the management of limb ischemia 2003; Tab. 2). Die kathetergestützte Thrombolysebehandlung (CDT) wird je nach Situation mit einer perkutanen mechanischen Thrombusaspiration (PMT) kombiniert, um die Thrombusbelastung zu reduzieren. Die kathetergestützte Thrombolysebehandlung (CDT) sollte aufgrund der nach 24 Stunden ansteigenden Komplikationsraten von Blutung und Thrombusgeneration durch den liegenden Thrombolysekatheter sowie die Zugangsschleuse nach Möglichkeit auf 48 Stunden begrenzt bleiben. Eine gleichzeitige Vollheparinisierung mit UFH erhöht das Blutungsrisiko erheblich und wird während der Thrombolysebehandlung nicht empfohlen (Björck et al. 2020). Patienten mit kathetergestützter Thrombolysebehandlung (CDT) müssen auf einer Intermediate Care Station (IMC) oder entsprechend eingerichteten Einheit mit Überwachung von intraarteriellen Zugängen hinsichtlich Vitalzeichen, Komplikationen an der Zugangsstelle, Blutungen und Extremitätenzustand überwacht werden.
Tab. 2
Kontraindikationen für eine Thrombolyse (Working party on thrombolysis in the management of limb ischemia 2003)
Thrombolyse Kontraindikationen
Absolute Kontraindikationen
 - Cerebrovaskuläres Ereignis in den letzten 2 Monaten
 - Aktive Blutung
 - Gastrointestinale Blutung in den letzten 10 Tagen
 - Neurochirurgische Operation oder intrakranielles Trauma in den letzten 3 Monaten
Relative Major Kontraindikationen
 - Reanimation in den letzten 10 Tagen
 - Nicht gefässchirurgischer Eingriff oder Trauma in den letzten 10 Tagen
 - Unkontrollierte hypertensive Entgleisung (BD syst. >180 mmHg oder BD diast. >110 mmHg)
 - Ungeeignete Zugangswege (inkompressible Arterie)
 - Intrakranieller Tumor
 - Kürzliche Augenoperation
Relative Minor Kontraindikationen
 - Leberfunktionsstörung mit Begleitkoagulopathie
 - Bakterielle Endokarditis
 - Schwangerschaft
 - Diabetische hemorraghische Retinopathie
Die häufigste Komplikation stellen Blutungen (8–10 %), vor allem im Bereich des Punktionszuganges, dar (Björck et al. 2020). Es wird empfohlen, den arteriellen Zugang zur Thrombolysetherapie sonografisch gesteuert zu legen, um Fehlpunktionen zu vermeiden. Wie bei den chirurgischen Verfahren ist das Behandlungsresultat nach Abschluss durch eine Kontrollangiografie zu dokumentieren. Die kathetergestützte Thrombolysebehandlung (CDT) ist der Chirurgie bezüglich Amputationsraten und Extremitätenerhalt ebenbürtig. Die endovaskuläre Therapie geht mit einer geringeren periinterventionellen Mortalität aber einer höheren Blutungsrate einher (Grip et al. 2018).

Reperfusionsschäden und Massnahmen nach Revaskularisation

Sowohl nach offen-chirurgischer wie kathetergestützter Revaskularisation ist die Entwicklung eines Kompartmentsyndroms durch das sich sehr rasch entwickelnde Reperfusionsödem eine ernsthafte Komplikation. Davon zu differenzieren ist die Blutung unter laufendender Thrombolyse oder im Operationsbereich. Eine engmaschige Überwachung des Beinumfangs am Ober- und Unterschenkel sowie die Zunahme von sensiblen Ausfällen gehört daher zur Routineverordnung für die Nachbetreuung auf der Bettenstation. Der Entscheid zur Druckentlastung durch chirurgische Fasziotomie muss unverzüglich und rasch erfolgen.
Die Kreatinkinase, Lactatdehydrogenase (LDH) und Myoglobin können daher nicht nur als Marker für die Schwere der akuten Ischämie, sondern auch für Reperfusionsschäden mit Gefahr zur Entwicklung eines Kompartmentsyndroms herangezogen werden. Systemisch sind vor allem die Niere und die Lunge auf Reperfusionsschäden nach Revaskularisation zu monitorisieren. Eine schwere Komplikation ist das akute Nierenversagen durch aus dem Muskelabbau stammendes zirkulierendes Myoglobin, das sich durch Abnahme der Urinmenge bis hin zur Anurie zeigt. Vor allem vermehrt anfallendes Myoglobin kann in der Niere zu einer Verlegung der Tubuli führen. In der Reperfusionsphase ist auf eine forcierte Diurese (intravenöse Gabe von grossen Flüssigkeitsmengen, d. h. 6 Liter und mehr pro 24 Stunden), in Kombination mit Schleifendiuretika unter genauer Flüssigkeits- und Elektrolytbilanzierung sowie die Alkalisierung des Urins zu achten. Die Lunge kann durch die sich auch systemisch auswirkende Entzündung der schweren (ALI) mit erhöhter Gefässpermeabilität reagieren. Funktionell zeigt sich ein gestörter Gasaustausch und eine verminderte Lungencompliance bei beatmeten Patienten (Williams et al. 2021).
Bei Patienten, die wegen (ALI) embolischen Ursprungs revaskularisiert wurden, muss eine Emboliequellensuche und Behandlung erfolgen, um ein erneutes Ereignis zu verhindern. Nach Revaskularisation bei akuter Extremitätenischämie, die durch eine Embolie infolge von Vorhofflimmern oder intrakardialen Thrombus verursacht wird, wird eine Langzeitantikoagulation empfohlen. Die Behandlung mit Statinen ist zur Verhinderung von kardiovaskulären Ereignissen sowie zur Verhinderung einer erneuten (ALI) bei allen Patienten mit nicht traumatischer Genese (Evidenz unklar) indiziert.
Die Behandlung der akuten Extremitätenischämie (ALI) sollte in Zentren mit umfassender Expertise in endovaskulärer wie chirurgischer Behandlung erfolgen
Literatur
Aboyans V, Ricco JB, Bartelink MEL, Björck M, Brodmann M, Cohnert T et al (2018) Editor’s Choice – 2017 ESC Guidelines on the diagnosis and treatment of peripheral arterial diseases, in collaboration with the European Society for Vascular Surgery (ESVS). Eur J Vasc Endovasc Surg 55(3):305–368CrossRef
Björck M, Earnshaw JJ, Acosta S, Bastos Gonçalves F, Cochennec F, Debus ES et al (2020) Editor’s Choice – European Society for Vascular Surgery (ESVS) 2020 clinical practice guidelines on the management of acute limb ischaemia. Eur J Vasc Endovasc Surg 59(2):173–218CrossRef
De Donato G, Gussoni G, de Donato G, Andreozzi GM, Bonizzoni E, Mazzone A et al (2006) The ILAILL study: iloprost as adjuvant to surgery for acute ischemia of lower limbs: a randomized, placebo-controlled, double-blind study by the italian society for vascular and endovascular surgery. Ann Surg 244(2):185–193CrossRef
Grip O, Wanhainen A, Michaëlsson K, Lindhagen L, Björck M (2018) Open or endovascular revascularization in the treatment of acute lower limb ischaemia. Br J Surg 105(12):1598–1606CrossRef
Wang SK, Murphy MP, Gutwein AR, Drucker NA, Dalsing MC, Motaganahalli RL et al (2018) Perioperative outcomes are adversely affected by poor pretransfer adherence to acute limb ischemia practice guidelines. Ann Vasc Surg 50:46–51CrossRef
Williams GW, Berg NK, Reskallah A, Yuan X, Eltzschig HK (2021) Acute respiratory distress syndrome. Anesthesiology 134(2):270–282CrossRef
Witz M, Korzets Z, Ellis M, Shnaker A, Lehmann J (2002) Intraoperative intra-arterial urokinase therapy after failed embolectomy in acute lower limb ischemia. J Cardiovasc Surg 43(6):877–880
Working party on thrombolysis in the management of limb ischemia (2003) Thrombolysis in the management of lower limb peripheral arterial occlusion- a consensus document. J Vasc Interv Radiol 14(9 Pt 2):337–349