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Klinische Angiologie
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Publiziert am: 25.05.2022

Physiologie des Gerinnungssystems

Verfasst von: Robert Klamroth
Das Gerinnungssystem ist ein reguliertes System mit dem Ziel, bei Verletzungen einen Blutverlust zu vermeiden und die Gefäßintegrität wiederherzustellen.
Im Fall einer Verletzung kommt es zu einer Vasokonstriktion der Gefäße, zur Aktivierung der primären Hämostase zur Formation eines Thrombozytengerinnsels und des plasmatischen Gerinnungssystems (sekundäre Hämostase) mit der Bildung eines stabilen Fibringerinnsels.
Das Modell der zellbasierten Hämostase vereint primäre und sekundäre Hämostase und beschreibt die Initiation der Gerinnung als Folge einer Gefäßverletzung durch die Freisetzung von Tissue-Factor, die Amplifikation mit der Aktivierung der Gerinnungsfaktoren und der Propagation der Gerinnung, bei der es auf der Oberfläche aktivierter Thrombozyten zu maximalen Thrombingenerierung und konsekutiv zur Bildung eines stabilen Fibringerinnsels kommt. Die Inhibitoren der Gerinnung und das Fibrinoylsesystem kontrollieren die Thrombingenerierung und Gerinnselbildung.

Allgemeine Grundlagen der Gerinnung

Für die Funktion der Blutgerinnung sind drei wesentliche Protagonisten und ihre Interaktion miteinander notwendig: Das Gefäßsystem mit dem Gefäßendothel, die Thrombozyten und das plasmatische Gerinnungssystem mit seinen Gerinnungsfaktoren und Gerinnungsinhibitoren.
Die Blutgerinnung ist ein auf unterschiedlichen Ebenen reguliertes System mit dem Ziel, bei Verletzungen einen Blutverlust zu vermeiden und die Gefäßintegrität wiederherzustellen (Pötzsch und Madlener 2020).
Im Fall einer Verletzung kommt es zu einer Reihe von Reaktionen, die initial mit einer Vasokonstriktion der Gefäße beginnt, um den Blutverlust zu reduzieren. Am Ort der Verletzung kommt es im Rahmen der primären Hämostase zur Formation eines Thrombozytengerinnsels und zur Aktivierung des plasmatischen Gerinnungssystems, so dass sich in der sekundären Hämostase ein stabiles Fibringerinnsel bildet und der Thrombus im Bereich der Verletzung des Gefäßes verankert wird.
Das Modell der zellbasierten Hämostase vereint primäre und sekundäre Hämostase und beschreibt die Initiation der Gerinnung als Folge einer Gefäßverletzung mit der Freisetzung von Tissue-Factor, die Amplifikation mit der Aktivierung der Gerinnungsfaktoren und der Propagation der Gerinnung, bei der es auf der Oberfläche aktivierter Thrombozyten zu Thrombingenerierung und konsekutiv zur Bildung eines stabilen Fibringerinnsels kommt (Hoffman und Monroe 2001).
Um eine überschießende Thrombingenerierung und Gerinnselbildung zu verhindern gibt es die Inhibitoren der Gerinnung, die über verschiedene Mechanismen die Thrombinbildung kontrollieren, und die Fibrinolyse. Nach Abschluss der Gerinnselbildung und Wiederherstellung der Gefäßintegrität, kommt es über die Fibrinolyse zu einer Elimination des überschüssigen Fibrins (Lane et al. 2005).
In der Regel besteht ein Gleichgewicht zwischen den gerinnungsfördernden und gerinnungshemmenden Komponenten. Dieses Gleichgewicht wird häufig durch eine Waage illustriert. Kommt es zu einem Anstieg der Prokoagulatoren und/oder einem Abfall der Gerinnungsinhibitoren führt das zu einer Thrombose. Umgekehrt führt eine Verminderung der Gerinnungsfaktoren zu einer Blutungsneigung. Unser heutiges Verständnis der Gerinnung wird am besten durch das Modell der zellbasierten Hämostase abgebildet, das erstmalig im Jahr 1998 publiziert wurde. Zum besseren Verständnis werden die in vivo parallel ablaufenden Interaktionen zunächst in ihren einzelnen Schritten dargestellt.

Primäre Hämostase

Unter der primären Hämostase versteht man die Bildung eines initialen Gerinnsels aus aggregierten Thrombozyten. Bei einer Gefäßverletzung kommen Kollagenfasern mit dem Blutstrom in Kontakt. Über den von Willebrandfaktor werden Thrombozyten am Ort der Verletzung aktiviert. Dabei erfolgt eine Verbindung des von Willebrand-Faktors mit dem GPI/BIX-Rezeptor des Thrombozyten mit dem Kollagen des Subendothels. Die Thrombozytenaktivierung führt dann zu einer Sekretion verschiedener Botenstoffe wie Thromboxan, ADP und Serotonin. Über Rezeptoren auf dem Thrombozyten können diese Botenstoffe weitere Thrombozyten aktivieren. Auch Thrombin ist eine potenter Thrombozytenaktivator. Die Aggregation der Thrombozyten erfolgt über den Glykoprotein IIb/IIIa-Rezeptor, der über Fibrinogenbrücken Thrombozyten miteinander vernetzt. Dieser Prozess ist essenziell für ein stabiles Thrombozytengerinnsel. Bei Erkrankungen, bei denen dieser Rezeptor fehlt (Morbus Glanzmann) besteht eine ausgeprägte Blutungsneigung (Pötzsch und Madlener 2020).

Sekundäre Hämostase

Die sekundäre Hämostase führt dazu, dass Thrombin Fibrinogen in Fibrin umwandelt und ein stabiles Gerinnsel besteht. Dafür sind mehrere Gerinnungsfaktoren und deren Interaktion verantwortlich.
In der Gerinnungskaskade werden Enzyme aktiviert und ein Gerinnungsfaktor aktiviert den nächsten. Dabei spielen Kofaktoren, Regulatoren und die zellulären Oberflächen eine wichtige Rolle. Ein wesentlicher Schritt der Kontrolle des Gerinnungssystems ist dadurch gegeben, dass die Gerinnungsfaktoren nicht in ihrer aktiven Form, sondern als Proenzyme vorliegen, die erst aktiviert werden müssen, in der Regel durch proteolytische Spaltung.
Das klassische Schema der plasmatischen Blutgerinnung beschreibt ein endogenes und ein exogenes System. Die Gerinnungskaskade wurde erstmals 1964 beschrieben und wird in Abb. 1 dargestellt (Davie und Ratnoff 1964).
In dieser Gerinnungskaskade kommt es auf zwei Wegen zur Aktivierung von Thrombin. Der erste Weg wird als der extrinsische Weg bezeichnet. Aus dem zerstörten Endothel wird Tissue-Factor (TF) freigesetzt, der an Faktor VII bindet und in der Kombination von TF und Faktor VIIa sowie den Phospholipiden des verletzten Gefäßes und Calcium wird Faktor X aktiviert. Faktor Xa in Kombination mit Faktor Va und Calcium bilden auf der Thrombozytenoberfläche den Prothrombinasekomplex, so dass es zur Thrombinbildung aus Prothrombin kommt.
Der intrinsische Weg beginnt mit Faktor XII, der in Kontakt mit Oberflächenstrukturen kommt. Diese Aktivierung findet nur in vitro und nicht in vivo statt, so dass der Faktor XII für die funktionierende Gerinnung keine Relevanz hat. In vivo wird der Faktor XI durch Thromin aktiviert. Faktor XIa aktiviert Faktor IX, der zusammen als Faktor IXa mit Faktor VIIIa als Kofaktor den sogannenten Tenasekomplex bildet und Faktor X aktiviert. Aktivierter Faktor X in Kombination mit Phospholipiden und Kofaktor Faktor Va führt zu einer Vermehrung des bereits beschriebenen Prothrombinasekomplexes und damit zu einer Umwandlung von Prothrombin in Thrombin. Die Thrombingenerierung erfolgt über die beiden verschiedenen Wege, die beide im Prothrombinasekomplex münden. Als Resultat wird in kurzer Zeit ein große Menge Thrombin generiert, so dass eine Umwandlung von Fibrinogen in Fibrin möglich ist. Diese Fibringerinnsel wird am Ende durch Faktor XIIIa quervernetzt. Der Faktor XIII wird ebenfalls durch Thrombin aktiviert, so dass Thrombin auch in der klassischen Vorstellung der Gerinnung eine zentrale Rolle für die Regulation der Gerinnung einnimmt.
Das Kaskadenmodell der plasmatischen Gerinnung hat weiterhin ihre Berechtigung, da die Globalteste im Labor das exogene System über die PTT mit den Gerinnungsfaktoren XII, XI, IX, VIII, V, X, II und Fibrinogen und über den Quickwert mit den Faktoren VII, V, X, II und Fibrinogen abbilden (Abb. 2 modifiziert nach Pötzsch und Madlener 2020).
Der Faktor XIII, der eine Quervernetzung des Fibrins in dem Gerinnsel erzeugt, wird im Labor von den Globaltesten Quick und PTT nicht erfasst.

Modell der zellbasierten Hämostase

Das Model der zellbasierten Hämostase vereint die primäre und die sekundäre Hämostase. In diesem Modell wird die Hämostase gegliedert in Initiation, Amplifikation und Propagation. Die Initiationsphase ist die Aktivierung von kleinen Mengen Thrombin. In der Amplifikationsphase aktiviert dann Thrombin die Kofaktoren, so dass auf dem aktivierten Thrombozyten dann in der Propagationsphase so viel Thrombin generiert wird, dass ein stabiles Fibringerinnsel entstehen kann. Die Fibrinstruktur ist in erster Linie abhängig von der Thrombinkonzentration (Hoffman und Monroe 2001).
Im Rahmen der Initiation wird die Gerinnung durch das Freisetzen von Tissue-Factor (TF) ausgelöst. Das führt zu einer Aktivierung von kleinen Mengen Faktor VII und Faktor X, so dass initial geringe Mengen Thrombin generiert werden. Das Thrombin aktiviert sowohl die Thrombozyten und Faktor XI als auch die Kofaktoren der Gerinnung Faktor V und Faktor VIII. Dieser Schritt wird Amplifikation genannt und ermöglicht durch den Tenasekomplex (auf der Thrombozytenoberfläche Faktor IXa, Faktor VIIIa, Calcium) die Aktivierung einer größeren Menge Faktor Xa. In der Propagationsphase bildet der Faktor Xa mit Faktor Va und Calcium auf den aktivierten Thrombozyten den Prothrombinasekomplex. Dadurch werden in kurzer Zeit große Mengen Thrombin generiert (der sogenannte „Thrombin Burst“). Die Thrombingeneration ist entscheidend, um ausreichend Fibrinogen in Fibrin umzuwandeln (Abb. 3 modifiziert nach Hoffman und Monroe 2001). Die Gerinnselfestigkeit ist in hohem Maße abhängig von der Thrombinkonzentration. Fehlen einzelne Gerinnungsfaktoren ist die Thrombingenerierung erheblich verlangsamt. Das kann zu einem instabilen Fibringerinnsel und zu einer Blutungsneigung führen. Als Beispiel sollen hier die Hämophilie A (Fehlen des Faktor VIII) und die Hämophilie B (Fehlen des Gerinnungsfaktors IX) genannt werden. Durch die erheblich verminderte Bereitstellung von Faktor Xa und dem fehlenden „Thrombin Burst“ kommt es zu einer ausgeprägte Blutungsneigung.

Kontrolle der Thrombinbildung

Um eine überschießende Thrombinbildung zu vermeiden, gibt es Sicherungssysteme, die dafür sorgen, dass die Thrombingenerierung auf den Ort der Verletzung beschränkt bleibt und es nicht zu einer ubiquitären Gerinnung im Gefäß kommt. Dazu gehören Antithrombin, das Protein C-System und der Tissue-Factor-Pathway Inhibitor (Lane et al. 2005).
Die plasmatische Gerinnung wird bei Verletzungen durch das Freiwerden von Gewebsthromboplastin (Tissue-factor) initiiert. Um eine überschießende Aktivierung zu vermeiden wird Tissue-Factor (TF) am intakten Gefäßendothel durch den Tissue-Factor–Pathway-Inhibitor (TFPI) inaktiviert. Damit findet eine erste Begrenzung der Gerinnungsaktivierung auf den Bereich der Gefäßverletzung statt.
Eine weitere Kontrolle der Thrombinbildung erfolgt durch das Protein C-System, dass in aktivierter Form mit seinem Cofaktor Protein S sowohl aktivierten Faktor V als auch aktivierten Faktor VIII spaltet und damit die Thrombingenerierung verlangsamt. Die Aktivierung des Protein C erfolgt durch Thrombin, das an Thrombomodulin an der intakten Endothelzelle bindet. Je mehr Thrombin generiert wird desto mehr Protein C wird aktiviert, um die Thrombingenerierung zu verlangsamen.
Antithrombin als Serinprotease inaktiviert alle aktivierten Gerinnungsfaktoren und insbesondere Thrombin. Diese Spaltung des Thrombins kann durch Medikamente wie Heparin verstärkt werden.
Bei einer funktionierenden Gerinnung besteht ein Gleichgewicht zwischen den Prokoagulatoren der Gerinnung und den Gerinnungsinhibitoren, so dass im Fall einer Verletzung eine erfolgreiche Blutgerinnung stattfinden kann, ohne dass es zu einer Thrombose im intakten Gefäß kommt.
Fehlen prokoagulatorische Bestandteile, wie z. B. einzelne Gerinnungsfaktoren, kann es zu einer Blutungsneigung kommen. Kommt es zu einer Erniedrigung von Gerinnungsinhibitoren, wie z. B. Antithrombin, Protein C oder Protein S führt das zu einer erhöhten Thromboseneigung (Pötzsch und Madlener 2020) (Abb. 4).

Das Fibrinolysesystem

Das Fibrinolysesystem ermöglich die Auflösung von Fibringerinnseln und die Wiederherstellung des intravaskulären Blutflusses. Das Fibringerinnsel wird durch Plasmin gespalten. Ein wesentliches Spaltprodukt der Fibrinolyse sind die D-Dimere, die auch als unspezifischer Marker einer Gerinnungsaktivierung und Fibrinolyseaktivierung verwendet werden. Plasmin liegt im Plasma in seiner Vorstufe Plasminogen vor. Plasminogen wird über Gewebsplasminogenaktivator (t-PA) oder über Urokinase(u-PA) zu Plasmin aktiviert. u-PA spielt eine Rolle bei der extravasalen Fibrinolyse während t-PA überwiegend für die intravasale Fibrinolyse verantwortlich ist. t-PA wird über die intakten Endothelzellen freigesetzt (Abb. 5 modifiziert nach Pötzsch und Madlener 2020). Die Hemmung des fibrinolytischen Systems erfolgt durch die direkte Hemmung des Plasmins durch Antiplasmin. Eine weitere Hemmung findet durch den Plasminogenaktivatorinhibitor Typ 1 (PAI-1) statt. Diese beiden Mechanismen sollen gewährleisten, dass eine generalisierte Fibrinolyse verhindert wird.
Literatur
Davie E, Ratnoff O (1964) Waterfall sequence for intrinsic blood clotting. Science. 145:1310–1312CrossRef
Hoffman M, Monroe DM (2001) A cell-based model of hemostasis. Thromb Haemost 85:958–965CrossRef
Lane DA, Philippou H, Huntington JA (2005) Directing thrombin. Blood 106:2605–2612CrossRef
Pötzsch B, Madlener K (Hrsg) (2020) Hämostaseologie – Grundlagen, Diagnostik und Therapie, 2. Aufl. Springer, Berlin/Heidelberg. https://​doi.​org/​10.​1007/​978-3-642-01544-1. eBook ISBN 978-3-642-01544-1CrossRef