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Klinische Neurologie
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Verfasst von:
Markus Krämer und Peter Berlit
Publiziert am: 14.12.2017

Entzündliche Rückenmarkerkrankungen

Myelitiden können idiopathisch, immunologisch vermittelt, nichtinfektiös und infektiös verursacht auftreten. Klinisch gibt es Gemeinsamkeiten, je nach Ätiologie, aber auch bedeutende Unterschiede. Die differenzialdiagnostische Abklärung der Ätiologie hat zentralen Stellenwert zur Therapieentscheidung und Abschätzung der Prognose. Im Folgenden wird im allgemeinen Teil auf gemeinsame epidemiologische, klinische, diagnostische und therapeutische Aspekte eingegangen, bevor im speziellen Teil die verschiedenen Myelitiden je nach Ätiologie dargestellt werden.
Myelitiden können idiopathisch, immunologisch vermittelt, nicht-infektiös und infektiös verursacht auftreten. Klinisch gibt es Gemeinsamkeiten, je nach Ätiologie, aber auch bedeutende Unterschiede. Die differenzialdiagnostische Abklärung der Ätiologie hat zentralen Stellenwert zur Therapieentscheidung und Abschätzung der Prognose. Im Folgenden wird im allgemeinen Teil auf gemeinsame epidemiologische, klinische, diagnostische und therapeutische Aspekte eingegangen, bevor im speziellen Teil die verschiedenen Myelitiden je nach Ätiologie dargestellt werden.

Myelitiden

Häufigkeit und Vorkommen
Zur Häufigkeit der Myelitis liegen wenige Zahlen vor. Angaben über die jährliche Inzidenz der akut verlaufenden Myelitis rangieren zwischen 1 und 5/1 Mio. Einwohner (Berman et al. 1981; Jeffery et al. 1993). Diese Zahlen schließen Patienten aus, bei denen andere Erkrankungen des Nervensystems wie z. B. eine multiple Sklerose (MS), ein systemischer Lupus erythematodes (SLE) oder eine Sarkoidose vorbekannt waren. Nicht inbegriffen sind auch Patienten mit sich langsam entwickelnden Rückenmarkentzündungen wie z. B. einer HTLV-1-assoziierten Myelitis.
Ätiologie und Pathogenese
In der Serie von Jeffery et al. (1993) ließ sich bei 50 % der Patienten mit einer akut verlaufenden Myelitis ein Allgemeininfekt im vorangegangenen Monat ausmachen, sodass diese Fälle als postinfektiös eingestuft wurden. In 20 % der Fälle stellte sich die Myelitis als Primärpräsentation einer MS heraus. In einer anderen Studie, in der man Betroffene nach einer Myelitis weitere 3 Jahre lang beobachtete, wurde schließlich sogar bei 80 % der Patienten eine MS diagnostiziert (Ford et al. 1992). In der Untersuchung von Jeffery konnte bei 20 % der Patienten keine Ursache der Myelitis gefunden werden. Bei weiteren 10 % wurde die Erkrankung letztlich als ischämisch eingestuft und insofern die Diagnose „Myelitis“ nachträglich falsifiziert.
Ätiologie der Myelitiden
Klinik
Die klinische Präsentation einer Myelitis variiert entsprechend dem Schwerpunkt der Entzündung und der Affinität der Erreger zu neuronalen Strukturen. Leitsymptom ist eine (sub-)akute Querschnittssymptomatik mit motorischen, sensiblen und autonomen Ausfällen unterhalb und auf der Höhe des betroffenen Rückenmarksegmentes. In einer Untersuchung akuter Myelitiden fanden sich die Läsionen in 36 % der Fälle auf zervikaler, in 6 % auf der oberen thorakalen und in 52 % auf der unteren thorakalen Höhe (al Deeb et al. 1997).
Motorische Defizite
Die motorischen Defizite manifestieren sich meist in Form einer symmetrischen Para- oder Tetraparese. Diese kann initial und besonders bei fulminanten Entzündungen schlaff sein. Später entwickelt sich unterhalb des betroffenen Segmentes eine spastische Tonuserhöhung. In Höhe der Läsion können aufgrund einer Vorderhornbeteiligung peripher-motorische Ausfälle persistieren.
Sensible Symptomatik
Sensible Ausfälle und Reizerscheinungen tragen wesentlich zur Lokalisation innerhalb des Rückenmarkquerschnitts und zur Bestimmung der segmentalen Höhe bei. Teilweise beschreiben Patienten von distal aufsteigende Kribbelmissempfindungen oder Hypästhesien. Sensibilitätsstörungen können alle Qualitäten betreffen oder dissoziiert sein, sodass Schmerz- und Temperatursinn vermindert oder aufgehoben sind, während der Berührungssinn kaum gestört ist. Nicht selten findet sich eine uni- oder bilaterale dysästhetische Übergangszone in dem Dermatom, unterhalb dessen die Sensibilität vermindert ist.
Autonome Störungen
Autonome Störungen werden anfänglich häufig übersehen, können aber zu erheblichen Sekundärkomplikationen führen. Es können Störungen der Herz-Kreislauf-Regulation und der Temperaturregulation auftreten. Blasen-Mastdarm-Störungen sind für Harn- und Stuhlverhalt verantwortlich. Die anfänglich atone Blase kann sich im Verlauf zur spastischen Reflexblase entwickeln. Daneben können vorübergehende oder dauerhafte Störungen der Sexualfunktion auftreten.
Begleitsymptome
Die Vorgeschichte und Begleitsymptome der Patienten können wichtige differenzialdiagnostische Hinweise liefern (s. unten).
Diagnostik
In der Akutsituation ist eine Differenzierung zwischen immunologischer oder viraler Myelitis und ischämischer Myelopathie häufig nicht möglich. Zur Diagnose dienen neben der Vorgeschichte und der klinischen Präsentation im Wesentlichen MRT, Liquoruntersuchung, Laboruntersuchungen mit Erregersuche und Elektrophysiologie. Zur lokalisatorischen Eingrenzung und Verlaufsuntersuchung tragen fraktionierte somatosensorisch evozierte Potenziale und die Magnetstimulation bei.
Bildgebende Verfahren
Die MRT hilft zur Abgrenzung von nichtmyelitischen Erkrankungen wie Wirbelkörperfrakturen, Bandscheibenvorfällen, Tumoren, epiduralen Blutungen oder Abszessen. Während der perakuten Phase einer Myelitis kann die MRT allerdings in der Hälfte der Fälle unauffällig sein (Holtas et al. 1993). Im positiven Fall können Lokalisation, Ausdehnung und Nachbarschaftsbeziehungen der Entzündung bestimmt werden. Häufige MR-tomografische Befunde bei einer Myelitis sind lokale Signalanhebungen in den T2-gewichteten Sequenzen, eine Kontrastmittelaufnahme und eine Schwellung des Myelons in den T1-gewichteten Sequenzen (Abb. 1). Eine verlässliche Differenzierung einer Entzündung von einer Ischämie ist allerdings meist nicht möglich. In der Differenzialdiagnostik sind Anamnese, Klinik und Liquordiagnostik entscheidend.
MRT: Red Flags bei Myelitis-Mimics
  • Langstreckige Hinterstrangläsion: funikuläre Myelose
  • Intramedulläre Flow Voids bei langstreckiger Läsion: spinale Durafistel
  • Läsion der vorderen zwei Rückenmarkdrittel: Spinalis-anterior-Ischämie
  • Auf Höhe der Läsion auch Knochen-Weichteil-Veränderung: Spondylodiszitis, Strahlenmyelopathie, Tumoren
  • Frisch höhengeminderte Bandscheibe mit T2-Läsion auf selber Höhe: fibrokartilaginäre Embolie
Labordiagnostik
Die Labordiagnostik hat mit der Analyse der Neuromyelitis-optica(NMO)-IgG einen besonderen Stellenwert in der Diagnostik der longitudinalen extensiven Myelitis transversa und der Neuromyelitis-optica-Spektrum-Erkrankung (Weinshenker et al. 2006). Ansonsten sind differenzialdiagnostisch das Differenzialblutbild und die Bestimmung des C-reaktiven Proteins (CRP) sinnvoll. Die Analyse von antinukleären Antikörpern (ANA), ds-DNA-Antikörpern, Antikörpern gegen Borrelien, HIV oder HTLV 1, eine positive Treponema-pallidum-Hämagglutination(TPHA)-Reaktion im Serum kann bei klinischem Verdacht sinnvoll sein. Gemäß den „Choosing-wisely-Empfehlungen“ der US-amerikanischen und kanadischen Rheumatologen sollten ANA jedoch nur analysiert werden, wenn der konkrete Verdacht auf einen Lupus oder eine Kollagenose besteht.
Labordiagnostik im Serum bei Verdacht auf Myelitis
  • Serologie: TPHA, Borrelien, VZV, HIV, EBV, HSV, Hepatitis
  • Bei Immunsuppression: TBC-Elispot, ggf. Parasiten, Pilze
  • Bei entsprechender Reiseanamnese oder Ethnizität: HTLV 1
  • Bei erhöhtem CRP und Fieber: Blutkultur
  • Insbesondere bei extensiver longitudinaler Myelitis über mehr als 3 Wirbelkörperlängen: Aquaporin-4-Antikörper, Myelin-Oligodendrozyten-Glykoprotein (MOG)
  • Bei Hinweisen auf Vaskulitis, SLE oder andere Kollagenose: ANA, ANCA
Liquordiagnostik
Die Liquordiagnostik hat einen zentralen Stellenwert in der Diagnostik der verschiedenen Myelitiden. Auf Näheres wird unten unter den einzelnen Myelitiden eingegangen.
Differenzialdiagnose
Vorgeschichte und Erkrankungsdynamik leisten einen Beitrag zur Differenzialdiagnose (Tab. 1).
Tab. 1
Differenzialdiagnose der Querschnittssymptomatik
Präsentation
Ursache
Charakteristika
Akut
Ischämie
Gefäßrisikofaktoren, Aortenerkrankung
Blutung
Traumatisch oder infolge vorbestehender Gefäßmissbildung
Bandscheibenvorfälle
Hebetraumen in Anamnese
Wirbelkörperfrakturen
Häufig durch Metastasen
Mantelkantensyndrom
Selten, z. B. durch Infarkte der A. cerebri anterior beidseits
Subakut
Entzündungszeichen, vorangehende Infekte
Entzündungszeichen
Diszitis
Entzündungszeichen
Arachnoiditis
Vorangehende spinale Manipulationen
Gefäßmissbildung
Symptomatik häufig fluktuierend
Chronisch
Spinale Enge
Infolge degenerativer Wirbelsäulenerkrankung
Strahlenschäden
Vorangehende Bestrahlung
Vitamin-B12-Mangel
ALS
Beteiligung des 2. Motoneurons
Hereditäre spastische Spinalparalyse
Familienanamnese
Tropische spastische Paraparese
Tropenaufenthalte
Das klinische Bild einer Myelitis kann imitiert werden durch andere Formen der Myelopathie. Insbesondere Kompression durch Knochen oder Bandscheibe mit Querschnittssymptomatik, aber auch spinale Ischämien oder Blutungen sowie Raumforderungen (Meningeome, Neurinome, Lymphome, Metastasen) sind differenzialdiagnostisch zu beachten. Bei einer Spinalis-anterior-Symptomatik sind vaskuläre Myelopathien abzuklären. Bei einer eher wechselnden, stotternden Symptomatik ist an arteriovenöse Fisteln zu denken. Steht die Hinterstrangsymptomatik im Vordergrund, muss an eine durch Vitamin-B12-Mangel (funikuläre Myelose) bedingte Rückenmarkschädigung gedacht werden. Auch der Mangel an Kupfer, z. B. durch zu viel Alimentation von Zink, ist differenzialdiagnostisch mit einzubeziehen. Eine Strahlenmyelopathie, die durchschnittlich 12 Monate nach Abschluss der Bestrahlung auftritt, ist eine seltene Differenzialdiagnose.
Therapie
Die Behandlung einer Myelitis muss ohne Verzug erfolgen. Während der Effekt einer sofortigen ultrahohen Kortikosteroidgabe mit über 2 g Methylprednisolon bei traumatischen Myelopathien gut dokumentiert ist, liegen für die Behandlung entzündlicher Rückenmarkerkrankungen keine kontrollierten Studien vor (Bracken et al. 1997). Gibt es Hinweise auf eine Myelitis infolge einer MS, wird das übliche Schema zur Schubtherapie mit täglich 1000 mg Methylprednisolon i.v. über insgesamt 3–5 Tage angewandt. Die spezifischen Therapieoptionen sind je nach Ätiologie der verschiedenen Myelitiden unterschiedlich (s. unten). In Tab. 2 sind die beschriebenen Therapiemöglichkeiten noch einmal im Überblick dargestellt. Wichtig sind symptomatische Therapien wie Krankengymnastik, Lagerung und Blasentraining.
Tab. 2
Therapie der infektiösen Myelitis
Indikation
Substanz
Dosierung
Bakteriell
Flucloxacillin
6-mal 2 g
Empirisch
3-mal 1 g
und Cefotaxim
3-mal 2 g
und Aminoglykosid
Nach Körpergewicht
oder Metronidazol
3-mal 0,5 g
Nach bakterieller Erregerbestimmung
Entsprechend Antibiogramm
 
Herpesviren
Aciclovir
3-mal 10 mg/kg KG über 10 Tage
ZMV
Ganciclovir
2-mal 5 mg/kg KG über 10 Tage
Foscarnet
3-mal 60 mg/kg KG über 10 Tage
Bei ausgeprägtem Ödem
Dexamethason
3-mal 8 mg über 3–4 Tage
Behandlung und Prophylaxe von Sekundärkomplikationen und Folgezuständen
Neben der ursächlichen Behandlung der Entzündung müssen Sekundärkomplikationen, wenn sie nicht ohnehin vermieden werden können, frühzeitig erkannt und behandelt werden. Zur Thromboseprophylaxe werden analog zur Behandlung bei Querschnittslähmungen niedermolekulare Heparine (Nadroparin, Fraxiparin, gewichtsadaptiert oder Enoxaparin, nicht gewichtsadaptiert) empfohlen (Diener et al. 2008). Blasen- und Niereninfektionen mit der Gefahr der Urosepsis, bedingt durch neurogene Blasenentleerungsstörungen, gehören zu den häufigen Komplikationen. Der Restharn sollte mittels Einmalkatheterisierung oder Ultraschall gemessen und ggf. frühzeitig ein Dauerkatheter gelegt werden. Bei gestörter Defäkation besteht die Gefahr einer Mastdarmüberdehnung oder eines paralytischen Ileus, sodass Stuhlentleerungen regelmäßig, mindestens jeden zweiten Tag, falls erforderlich durch Glycerinsuppositorien, initiiert werden sollten. Eine autonome Dysreflexie tritt auch bei inkompletter Rückenmarkläsion oberhalb von Th6 auf (Schurch 2001a). Es können anfallsweise Symptome einer hypertensiven Krise als Überreaktion des von seiner supraspinalen Kontrolle abgetrennten spinalen sympathischen Nervensystems auftreten. Auslösend ist typischerweise ein Reiz von Blase und Darm, der therapeutisch möglichst ausgeschaltet werden sollte (Diener et al. 2008). Druckulzera und Kontrakturen sollten mittels regelmäßiger En-bloc-Drehung des Körpers (alle 2–3 Stunden) (Leitlinien) und Spezialmatratzen entgegengewirkt werden.
Bei Rückenmarkentzündungen ist bei allen tetra- oder hoch-paraplegischen Patienten eine Atemtherapie zur Vermeidung von pulmonalem Sekretstau (verminderter Hustenstoß) und Atelektasen (Minderbelüftung bei reduzierter Vitalkapazität) notwendig. Bei fehlender Schmerz- und Temperaturwahrnehmung besteht die Gefahr von Verbrennungen, z. B. durch heißes Wasser.
Eine Spastik nach Myelitis kann symptomatisch therapiert werden.
Eine frühzeitige kombinierte Schmerztherapie sowohl bei muskuloskelettalen als auch neuropathischen Schmerzen ist häufig indiziert.
Eventuell verbleibende männliche Sexualfunktionsstörungen sollten leitlinienorientiert behandelt werden (Diener et al. 2008).
Erfahrungsgemäß ist die Prognose entzündlicher Rückenmarkerkrankungen insgesamt sehr viel besser als bei traumatischen Myelopathien. Neben der frühzeitigen Krankengymnastik kann Training auch nach Monaten und teilweise Jahren zu weiterer Funktionsverbesserung führen.

Idiopathische Myelitiden

Trotz einer intensiven ätiologischen Abklärung müssen viele akute Myelitiden als idiopathisch klassifiziert werden. Die „Transverse Myelitis Consortium Working Group“ (TMCWG) schlug 2002 Kriterien zur Diagnose der idiopathischen akuten Myelitis transversa vor, um homogenere Studienpopulationen zu ermöglichen (Pittock and Lucchinetti 2006). Die TMCWG-Kriterien für eine idiopathische akute Myelitis transversa beinhalten das Vorhandensein einer bilateralen sensorischen, motorischen oder autonomen spinalen Dysfunktion, ein sensorisches Niveau, den magnetresonanztomografischen oder liquordiagnostischen Nachweis einer Entzündung im Spinalmark sowie den Verlauf bis zum Nadir innerhalb von 21 Tagen. Außerdem wird der Ausschluss einer Kompression, einer vaskulären oder sonstigen Ätiologie vorausgesetzt. Wichtig zur prognostischen Abschätzung der akuten Myelitis transversa erscheint die Länge der spinalen Läsion. Hierbei ist zwischen der akuten partialen Myelitis transversa („acute partial transverse myelitis“ – APTM) und der longitudinalen extensiven Myelitis transversa („longitudinal extensive transverse myelitis“ – LETM) unterschieden. Die akute partiale Myelitis transversa ist gekennzeichnet durch asymmetrische spinale Läsionen, deren Länge weniger als 2 Wirbelkörper umfasst (Pittock and Lucchinetti 2006). Bei akuter partialer Myelitis transversa ohne zerebrale MRT-Auffälligkeiten wurde eine nur 10%ige Konversionsrate zur klinisch definierten multiplen Sklerose innerhalb einer durchschnittlichen Beobachtungszeit von 61 Monaten ermittelt (Scott et al. 2005). Die longitudinale extensive Myelitis transversa wird über die magnetresonanztomografische Länge der T2-Signalabnormität über mindestens 3 Wirbelkörpersegmente definiert. Patienten mit LETM weisen nur ein sehr geringes Risiko (<2 %) für eine spätere multiple Sklerose auf (Pittock 2008). Allerdings ist ein hoher Prozentsatz der Patienten mit LETM seropositiv für NMO-IgG und weist damit ein hohes Risiko für erneute Myelitiden und die Entwicklung einer Neuromyelitis-optica-Spektrum-Erkrankung auf (Behbehani 2007). Patienten mit LETM sollen auf NMO-IgG getestet werden, bei positivem Resultat muss eine prophylaktische immunsuppressive Therapie erwogen werden (Weinshenker et al. 2006). Bei immunologisch vermittelten Myelopathien ohne Erregernachweis empfiehlt sich eine immunmodulatorische Medikation mit intravenösem Methylprednisolon 500 mg über 5 Tage (Diener et al. 2008).

Myelitiden im Rahmen einer MS oder ADEM

Die multiple Sklerose (MS) und die akute disseminierte Enzephalomyelitis (ADEM) gehört zu den autoimmunen Ursachen einer Myelitis (Abb. 2). Neben der Myelitis als Primärpräsentation kommt es im Verlauf einer MS in bis zu 70 % der Fälle zu einer spinalen Beteiligung (Papadopoulos et al. 1995). Da die MS mit einer Prävalenz von ca. 600/1 Mio. Einwohner in den nördlichen Breiten eine häufige Erkrankung ist, gehört sie zu den führenden Ursachen der Myelitis insgesamt (Kurtzke 1983). Auch hier empfiehlt sich eine immunmodulatorische Medikation mit intravenösem Methylprednisolon 500 mg über 5 Tage (Diener et al. 2008).

Myelitiden im Rahmen einer Neuromyelitis-optica-Spektrum-Erkrankung

Siehe auch Kap. „NMO-Spektrum-Erkrankungen (NMOSE)“.
Die Neuromyelitis-optica-Spektrum-Erkrankung (NMOSE) oder das Devic-Syndrom wurden in ihrer klassischen Form bereits 1894 von Eugène Devic mit einer simultanen bilateralen Neuritis nervi optici und Myelitis beschrieben. Während die NMOSE in der Vergangenheit als Unterform MS eingeordnet wurde, hat die Entdeckung der Antikörper im Serum von Patienten, die zunächst als NMO-Immunglobulin G bezeichnet wurden, zur Abgrenzung der Erkrankung geführt. Terminologisch unterscheidet man zwischen seropositiven und seronegativen NMOSE. Der Begriff der Spektrumerkrankung hat sich insofern etabliert, als auch bei Patienten, die nicht die typische Symptomatik einer Neuromyelitis optica aufweisen (Optikusneuritis oder Myelitis), Antikörper gegen Aquaporin-4-Antikörper nachweisbar waren. Die NMOSE ist eine im Vergleich zur MS viel seltenere Erkrankung, wobei man bei Kaukasiern von einer Prävalenz von 4,4/100.000 (Flanagan et al. 2016; Asgari et al. 2011) ausgeht. Das weibliche Geschlecht ist prädisponiert für das Auftreten einer NMOSE, insbesondere bei den seropositiven Formen sind Frauen 9-mal häufiger als Männer betroffen (Bizzoco et al. 2009). Bei vielen Patienten mit NMOSE sind komorbid andere, zumeist antikörpervermittelte oder assoziierte Autoimmunerkrankungen wie Schilddrüsenautoimmunerkrankung, Sjögren-Syndrom oder Myasthenia gravis zu finden. Pathophysiologisch geht man von einer autoimmun vermittelten Zerstörung von Astrozyten durch das Immunsystem aus. Die Bildung von Autoantikörpern gegen das Wasserkanalprotein Aquaporin 4 (AQP4) stellt einen wichtigen Schritt in der Immunpathogenese dar. Die NMOSE manifestiert sich bevorzugt am N. opticus und Rückenmark, aber auch an der Postrima. Entsprechend den revidierten Diagnosekriterien von 2015 können prinzipiell alle Teile des ZNS betroffen sein. Charakteristisch für die NNMOSE ist die transverse Myelitis mit der langstreckigen Affektion des Myelons, häufig mehr als 3 Wirbelkörpersegmenten entsprechend.
Der Begriff longitudinale extensive transverse Myelitis (LETM, Trebst et al 2011) lässt vor allen Dingen an eine NMOSE denken, jedoch ist es auch hierbei wichtig, differenzialdiagnostisch andere Ursachen auszuschließen. Die wichtigste Neuerung in den Diagnosekriterien 2015 der NMOSE ist, dass klargestellt wurde, dass bis zu 2/3 der Patienten entzündliche Marklagerläsionen aufweisen und dies insofern kein Ausschlusskriterium mehr für die Diagnose darstellt. Dabei sind die NMOSE-assoziierten Läsionen als größer und in der akuten Phase deutlicher ödematös geschwollen beschrieben (Pittock and Lucchinetti 2006). Die Lokalisation dieser zerebralen Läsionen ist nicht senkrecht zum Seitenventrikel wie bei den Dawson-Fingers bei der MS, sondern eher parallel dazu ausgerichtet.
Bei der Diagnosestellung ist zunächst die Affektion einer der 6 typischen Lokalisationen (Neuritis nervi optici, akute Myelitis, Area-postrema-Syndrom, Hirnstammenzephalitis, Zwischenhirnsyndrom und Großhirnsyndrom) zu fordern. Bei den seropositiven Patienten kann dann bereits die Diagnose gestellt werden. Das Kriterium einer zeitlichen Dissemination existiert bei seropositiver NMOSE nicht. Die Diagnose der seronegativen Neuromyelitis NMOSE gestaltet sich weitaus schwieriger. Es wird das Betroffensein von klassischen Befallorten wie Rückenmark, N. opticus und Area postrema gefordert. Zudem sollen die Hirnstammenzephalitis oder das Zwischenhirnsyndrom oder Großhirnsyndrom zusätzlich bestehen. Bei einem Teil der AQP4-Antikörper-negativen Patienten lassen sich Autoantikörper gegen das Myelin, Oligodendrozyten, Glykoprotein (MOG) nachweisen. Bei MOG-positiven Patienten gibt es gewisse Unterschiede zur klassischen Neuromyelitis optica, so sind die Patienten häufiger männlich, jünger und weisen positive oligoklonale Banden auf. Spinale Manifestationen sind seltener. Im Gegensatz dazu verläuft die klassische NMOSE schubförmig zu 90 %. Aufgrund der Schwere der Erkrankung ist eine hohe Behinderungsassoziation mit den Schüben zu befürchten. Schwere Komplikationen der zervikalen longitudinalen Myelitis auch mit Todesfolge sind beschrieben.
Die MRT-Bildgebung des Myelons sollte sagittale T1-Sequenzen vor und nach Kontrastmittelgabe und sagittale T2-Sequenzen enthalten, außerdem sollte axial in der T1- und T2-Wichtung das Rückenmark geschichtet werden. Typischerweise ist der Liquor bei Neuromyelitis optica nur bei 10–20 % der Patienten mit positiven oligoklonalen Banden zu messen. Auch die bei MS typische MRZ-Reaktion ist bei der NMOSE äußerst ungewöhnlich. Differenzialdiagnostisch sollte bei der NMOSE v. a. die MS abgegrenzt werden, da insbesondere andere therapeutische Optionen bestehen. Eine wichtige Differenzialdiagnose zur NMOSE stellt auch die Neurosarkoidose dar.
Fallbeispiel
Eine 49-jährige Patientin stellte sich erneut notfallmäßig vor, nachdem sie einen Bulbusbewegungsschmerz des rechten amaurotischen Auges bemerkt hatte. Zwanzig Jahre vorher war erstmals eine Myelitis diagnostiziert worden, außerdem hatte sie in der Vergangenheit mehrere seitenwechselnde Sehnerventzündungen erlitten. Das rechte Auge war amaurotisch, hier war es zuletzt vor einem halben Jahr zur Sehnerventzündung gekommen. Es bestand eine immunsuppressive Medikation mit Azathioprin bei Verdacht auf Neuromyelitis-optica-Spektrum. Bei der Patientin bestand außerdem ein Morbus Basedow sowie ein Diabetes mellitus. In der Vorgeschichte waren laborchemisch mehrmals auffällige antinukleäre Antikörper, mikrosomale Schilddrüsenantikörper, Antikörper gegen Thyreoperoxidase und TSH-Rezeptoren sowie Acetylcholinrezeptor-Antikörper dokumentiert worden. Klinisch neurologisch ließ sich eine Amaurosis des rechten Auges mit afferenter Pupillenstörung links, ein Skotom nach rechts und unten, beidseits temporal abgeblasste Papillen und darüber hinaus eine linksbetonte spastische Paraparese der Beine mit gesteigertem Reflexstatus und beidseits positiven Pyramidenbahnzeichen feststellen. Magnetresonanztomografisch fanden sich zerebral nur einzelne punktförmige Läsionen angrenzend an das Corpus callosum, spinal eine bandförmige Signalanhebung beginnend auf Höhe BWK 5 nach kaudal bis zu BWK 7. Liquordiagnostisch fanden sich eine minimale Pleozytose und negative oligoklonale Banden. Sonografisch konnte ein verbleibender Restharn nach Miktion von 140 ml nachgewiesen werden. Augenärztlich zeigte sich kein Zusammenhang der aktuellen Problematik mit dem Diabetes mellitus oder der endokrinen Orbitopathie. Laborchemisch waren die NMO-IgG positiv. Es erfolgte eine intravenöse Glukokortikoidtherapie, eine Umstellung der Medikation mit Azathioprin auf Rituximab oder Mycophenolatmofetil war diskutiert worden, wegen Bedenken der Patientin aber nicht erfolgt. Im Verlauf der nächsten 1½ Jahre kam es zu massiven Visusverschlechterungen nun auch des linken Auges. Stets profitierte die Patientin leicht von Plasmaseparationen. Trotzdem kam es immer wieder zu akuten Visusverschlechterungen, sodass die Patientin schließlich funktionell blind wurde. Interessant war, dass die Patientin bei NMOSE in den letzten Jahren kaum spinale Erkrankungsaktivität bei schwerer Optikusbeteiligung zeigte.

Myelitiden im Rahmen einer Meningoenzephalitis

Myelitiden können auch im Rahmen einer Menigoenzephalitis bei ECHO-, FSME, Polio-, Coxsackie-, Mumps-, Herpes-simplex-Virus und Neuroborreliose vorkommen. Diesbezüglich sei auf Kap. „Erregerbedingte Enzephalitiden“ hingewiesen.

Parainfektiöse und postvakzinale Myelitis

Die para- oder postinfektiöse oder postvakzinale Myelitis zählt zu den Rückenmarkentzündungen, die nicht primär durch einen Erreger, sondern durch eine fehlgeleitete Immunabwehr bedingt sind. Es handelt sich hierbei um monophasische Erkrankungen, die 1–3 Wochen nach einem viralen Allgemeininfekt oder einer Impfung auftreten. Die Art des Infektes kann oft retrospektiv nicht mehr ausgemacht werden. Fast sämtliche Arten von Impfungen sind mit der postvakzinalen Myelitis in kausalen Zusammenhang gebracht worden, so Impfungen gegen Masern, Windpocken, Mumps und Röteln, aber auch gegen Tetanus, Poliomyelitis, Tollwut und Hepatitis. Die postinfektiöse oder postvakzinale Myelitis zeigt Ähnlichkeit mit der akuten disseminierten Enzephalomyelitis (ADEM). Wahrscheinlich gibt es erhebliche Überlappungen zwischen diesen Entitäten. Ursächlich wird bei beiden Erkrankungen eine Autoimmunreaktion gegen ein unbekanntes Antigen mit perivenösen zellulären Infiltrationen, Demyelinisierung und Ödembildung diskutiert. Klinisch besteht oft ein Ausfall der langen Bahnen. Im Liquor zeigt die postinfektiöse oder postvakzinale Myelitis eine moderate, vorwiegend lymphozytäre Pleozytose von 10–200 Leukozyten/μl, teilweise mit gering erhöhtem Eiweißgehalt; die Glukosekonzentration ist normal.

Myelitiden bei Vaskulitiden, Kollagenosen und sonstigen Autoimmunerkrankungen

Das Bild einer Myelitis wird selten auch als Manifestation einer Vaskulitis angetroffen. Bei einer Studie mit 101 Patienten mit primärer ZNS-Vaskulitis wurde eine spinale Beteiligung bei 5 % der Patienten gefunden (Salvarani et al. 2008). Die Myelitis war bei diesen Patienten vornehmlich thorakal lokalisiert. Eine akute Myelitis transversa stellt eine der schwersten, aber auch eine seltene neuropsychiatrische Manifestationen eines SLE dar (Lukjanowicz 2009). Beim SLE kann ein normaler Liquorbefund, eine leichte Pleozytose oder eine geringe Eiweißerhöhung vorliegen. Pathoanatomisch zeigt sich das Bild multipler, kleiner spinaler Infarkte, möglicherweise durch Thrombosen infolge einer immunologisch bedingten Vaskulopathie oder einer nekrotisierenden Arteriitis. Teilweise findet sich das Bild einer vakuolären subpialen Leukomyelopathie ähnlich der vakuolären Myelopathie infolge von AIDS (Provenzale und Bouldin 1992). Streng genommen müsste daher von einer immunologisch vermittelten ischämischen Myelopathie gesprochen werden (Kap. „Vaskulitiden, rheumatoide Arthritis und Kollagenosen in der Neurologie“). Eine Myelitis transversa wurde auch beim Antiphospholipid-Syndrom und selten auch beim Sjögren-Syndrom, bei rheumatoider Arthritis, bei Mischkollagenosen, bei der Sarkoidose und beim Morbus Behçet festgestellt (Bhinder 2007). Patienten mit einer wiederkehrenden Myelitis transversa zeigten in einer Studie zu 77 % sog. ENA-Antikörper (Anti-Ro/SSA-Antikörper) verglichen mit Kontrollpersonen mit einer Häufigkeit von 33 %. Häufig finden sich auch ANA-Antikörper. Auch bei der mit Autoimmunerkrankungen assoziierten longitudinalen extensiven Myelitis transversa kommt den NMO-IgG ein hoher Stellenwert mit einer guten Sensitivität zur Identifizierung eines Rückfallrisikos zu. Die ANA und ENA-Antikörper haben dahingegen weniger prognostische Relevanz.
Ob diese festzustellende Autoimmunerkrankung aber wirklich pathogenetisch ursächlich für die Myelitis transversa oder mit dieser eher komorbid vergesellschaftet ist, bleibt vielfach unklar. Therapeutisch werden meistens intravenöse Glukokortikoide (i.v. Methylprednisolon 500 mg über 5 Tage) eingesetzt sowie die assoziierte Erkrankung behandelt.

Paraneoplastische Myelitis

Eine subakut nekrotisierende Myelitis wurde erstmals im Zusammenhang mit Bronchialkarzinomen beschrieben. Mittlerweile ist eine paraneoplastische Myelitis auch bei einer Reihe anderer Tumoren nachgewiesen worden. Wahrscheinlich beruht sie auf einer Kreuzantigenität von Tumorbestandteilen und Myelonstrukturen und stellt insofern eine Autoimmunkrankheit dar (Babikian et al. 1985). Selten mag eine Myelitis die einzige und erste Manifestation eines paraneoplastischen Autoimmungeschehens sein. Der häufigste paraneoplastische Antikörper bei einer Myelitis ist das CRMP-5-IgG (Collapsin response mediator protein 5), der am häufigsten bei kleinzelligen Bronchialkarzinomen auftritt (Pittock and Lucchinetti 2006). Bei für das paraneoplastische Stiff-person-Syndrom typischen Amphiphysin-Antikörpern wurden auch paraneoplastische Myelitiden beschrieben (Pittock and Lucchinetti 2006). Bei der paraneoplastischen Myelitis zeigt der Liquor wenige Lymphozyten und ein gering erhöhtes Eiweiß oder ist normal; Tumorzellen lassen sich nicht nachweisen.

Virale Myelitiden

Zu den Viren, die durch eine direkte Infektion eine Myelitis hervorrufen können, gehören die Entero- und die Herpesviren. Zu den Enteroviren zählen die ECHO-, die Coxsackie- und die Polioviren. Bei den Enteroviren stehen schlaffe Paresen (Vorderhornbefall) im Vordergrund. Zu den Herpesviren, die eine Myelitis hervorrufen können, zählen neben dem Herpes-simplex-Virus 1 und 2 und dem Varicella-Zoster-Virus (VZV) auch das Zytomegalievirus (CMV) und das Epstein-Barr-Virus (EBV). Virale Myelitiden zeigen meist eine lymphozytäre Pleozytose von weniger als 500 Leukozyten/μl. Allerdings kann gelegentlich in einem frühen Stadium auch ein stärker granulozytäres Bild vorkommen. Die Eiweißkonzentration ist ähnlich wie bei den postinfektiösen Myelitiden normal bis gering erhöht (unter 80 mg/dl); die Glukosekonzentration ist normal. Entscheidend ist der Nachweis von ansteigenden spezifischen viralen Antikörpertitern in Serum und Liquor in Kontrolluntersuchungen. Herpes- und Enteroviren lassen sich elektronenmikroskopisch auch direkt darstellen. Vorteilhaft ist es für diese Untersuchungen, wenn der Liquor auf 4 °C gekühlt transportiert wird.
Viele Viren, z. B. HSV und VZV, lassen sich direkt über die Polymerasekettenreaktion (PCR) innerhalb von 24 Stunden nachweisen (Bitter-Sürmann 1993).

Poliomyelitis

Unter den viralen Ursachen einer Myelitis kommt die Poliomyelitis aufgrund der Impfungen heute nur noch sehr selten vor. Selbst eine Infektion mit dem Poliomyelitiswildvirus führt nur in weniger als 2 % der Fälle zu einer apparenten Poliomyelitis oder spinalen Kinderlähmung. Wie andere virale Erkrankungen beginnt auch die durch dieses Enterovirus hervorgerufene Infektion oft mit einem grippalen Bild. Nach wenigen Tagen folgen meningitische, gelegentlich sogar enzephalitische Symptome. Insbesondere bei Patienten mit vorangehenden sportlichen Belastungen oder Traumen, aber auch in der Schwangerschaft kann dann relativ abrupt ein Lähmungsstadium eintreten, teilweise initial mit Krämpfen und Schmerzen der Muskulatur, Faszikulationen oder radikulären Schmerzen. Weil die Patienten am Morgen gelähmt aufwachen, während sie am Vorabend noch relativ gesund wirkten, wird auch von der „Morgenlähmung“ gesprochen. Die Paresen sind meist asymmetrisch mit einem lumbalen Schwerpunkt. Es kann allerdings auch zu einer Beteiligung von Gesichts- und Atemmuskulatur kommen. Begleitende autonome Störungen bergen das Risiko plötzlicher Blutdruckentgleisungen oder Herzrhythmusstörungen. Nach wenigen Tagen beginnt sich die Lähmung zurückzubilden. Dabei ist das Ausmaß der Funktionserholung sehr variabel.
Nach einer Poliomyelitis kann es oft Jahrzehnte später infolge eines alterungsbedingten zunehmenden Verlustes von Vorderhornzellen zum Postpoliosyndrom kommen. Es ist gekennzeichnet durch eine langsame Verschlechterung der vorbestehenden Restlähmung (Stalberg und Grimby 1995). Es können aber auch manifeste Paresen in Muskelgruppen auftreten, die zuvor scheinbar nicht betroffen waren, weil sie während der initialen Infektion nur subklinisch affiziert waren. Polioähnliche Bilder sieht man gelegentlich auch nach Infektionen durch Non-Polio-Enteroviren, so z. B. durch ECHO- oder Coxsackie-Viren.

VZV-Myelitis

Die Primärinfektion mit dem Varicella-Zoster-Virus (VZV) oder deren Reaktivierung (Windpocken bzw. Herpes zoster) kann in seltenen Fällen durch eine Myelitis kompliziert werden. Wie bei anderen viralen Meningitiden kommt es zu einem oft asymmetrischen Transversalsyndrom. Bei der Zoster-Myelitis ist häufiger ein Vorderhornbefall, seltener ein Befall der langen Bahnen charakteristisch. Die Zoster-Myelitis kann mit oder ohne kutanen Befall auftreten. Nach Windpocken beginnt eine Myelitis meist in der 2. Woche nach dem Exanthem; nach einem Zoster tritt sie eher in der 3. Woche nach dem Exanthem auf. Sie findet sich häufiger bei abwehrgeschwächten Patienten. Für beide Verlaufsformen der VZV-Myelitis ist die Prognose insgesamt gut. Bereits bei dem Verdacht auf eine Herpes-zoster-Myelitis ist die rasche probatorische Gabe von Aciclovir (Zovirax 10 mg/kg KG 8-stündlich i.v. über 14 Tage) empfehlenswert (Leitlinien).

HSV-Myelitis

Sowohl das Herpes-simplex-Virus (HSV) Typ 1 als auch Typ 2 und 6 (Mackenzie et al. 1995) können eine Myelitis hervorrufen. Häufiger führt eine genitale Herpesinfektion mit HSV Typ 2 bei Patienten mit Abwehrschwäche infolge eines Diabetes mellitus, einer konsumierenden Erkrankung oder AIDS zu dem Bild einer akuten aszendierenden nekrotisierenden Myelitis. Oft, aber nicht immer, finden sich die genitoanalen Zeichen einer Herpesinfektion oder -reaktivierung. Nach diesen muss gezielt gesucht werden. Sie müssen von der Bläschenbildung durch eine Behçet-Krankheit abgegrenzt werden.
Klinisch müssen eine Kaudaradikulitis (Elsberg-Syndrom) und eine Myelitis im engeren Sinne unterschieden werden. Bei ersterer treten oft Parästhesien im Bereich des „Reithosen-Areals“ und Blasen-Mastdarm-Störungen auf. Bei der Myelitis finden sich querschnittsförmige Sensibilitätsstörungen und zentrale Paresen mit einem Babinski-Zeichen. Als virostatische Therapie bei Hinweis auf einen Infekt mit Herpesviren sollte Aciclovir in einer Dosierung von 3-mal 10 mg/kg KG über 10 Tage als Infusion verabreicht werden. Bei Niereninsuffizienz muss die Dosis angepasst werden.

EBV-Myelitis

Die durch das Epstein-Barr-Virus verursachte infektiöse Mononukleose (Pfeiffer-Drüsenfieber) kann mit einer Latenz von 1–2 Wochen kann sich als Komplikation ein Guillain-Barré-Syndrom (GBS) oder eine meist protrahiert verlaufende Myelitis entwickeln. Diese Rückenmarkbeteiligung zeigt in den meisten Fällen eine gute Rückbildungstendenz.

CMV-Myelitis

Eine Zytomegalieinfektion verläuft bei Immunkompetenten asymptomatisch oder komplikationslos. Bei AIDS-Patienten kann ein GBS oder eine rasch progrediente Myelitis auftreten. Diese ist oft Teil eines subakuten, aszendierenden Polyradikulomyelitissyndroms, das unbehandelt zum Tode führt. Meist beginnt es in Form einer schmerzhaften und asymmetrischen schlaffen Paraparese, begleitet von Blasen-Mastdarm- und Sensibilitätsstörungen. Differenzialdiagnostisch sind in dieser Patientengruppe die seltenen spinalen Manifestationen einer Toxoplasmose, einer Tuberkulose oder eines Lymphoms zu berücksichtigen (Herskovitz et al. 1989). Bei CMV-Infektion werden Ganciclovir (2-mal 5 mg/kg KG i.v.) oder Foscarnet (3-mal 60 mg/kg KG i.v.) gegeben, bei immungeschwächten Patienten ggf. in Kombination mit Immunglobulinen.

HIV-Myelitis und AIDS-assoziierte Myelopathien

Während der HIV-Serokonversion findet sich gelegentlich eine subakut verlaufende, selbstlimitierte Myelitis (Denning et al. 1987). Die klinische Präsentation ähnelt dem Bild anderer viraler Myelitiden. Daneben wird v. a. im fortgeschrittenen AIDS-Stadium bei 10–20 % der Patienten eine vakuoläre Myelopathie beobachtet; autoptisch ist diese in über 50 % der Fälle nachweisbar. Häufigstes morphologisches Korrelat der HIV-1-assoziierten Myelopathie ist die sog. vakuoläre Myelopathie, deren Merkmale eine Vakuolisierung besonders des thorakalen und zervikalen Rückenmarks mit Betonung der Seitenstränge und das Auftreten lipidbeladener Makrophagen sind (DGN). Im immunkompromittierten Zustand ist das Risiko für eine HIV-, VZV-, CMV- oder HSV-1/2-assoziierte nekrotisierende Myelitis erhöht. Dies betrifft v. a. AIDS-Patienten mit einer Lymphozytenzahl von weniger als 50 Zellen/μl. Ferner treten Infekte durch Toxoplasma gondii und durch Pilze auf (Abschn. 1.10). Differenzialdiagnostisch muss an Neurolues, ein Lymphom und eine funikuläre Myelose gedacht werden. Eine spezifische Therapie für die HIV-assoziierte Myelopathie ist nicht durch valide Studien gesichert. Eine hochaktive antiretrovirale Therapie (HAART) sollte eingeleitet respektive intensiviert werden (Diener et al. 2008).

HTLV-1-Myelitis (tropische spastische Paraparese)

Durch das HTLV 1 kann die tropische spastische Paraparese hervorgerufen werden. Sie tritt häufiger bei Frauen auf. Weltweit sollen etwa 15–20 Mio. Menschen infiziert sein (Cooper et al. 2009). Bei Immigranten aus Afrika, den westindischen Inseln oder Südjapan, aber auch nach Reisen in diese Gebiete muss daher an die Möglichkeit einer HTLV-1-Infektion gedacht werden. Wegen der erhöhten Prävalenz dieser Erkrankung in den Tropen, besonders in Afrika, auf den westindischen Inseln und in Südjapan, hat sich der Begriff „tropische spastische Paraparese“ eingebürgert. In Endemiegebieten wie Afrika (z. B. Kamerun, Benin) finden sich Prävalenzen der HTLV-1-Infektion von 5 %, in Südjapan sind bis zu 10 % der Normalbevölkerung als seropositiv beschrieben und in karibischen Staaten wie Jamaika und Trinidad wird eine HTLV-1-Prävalenz von 6 % berichtet (Cooper et al. 2009). Dieses Virus ist in Europa selten. Die Übertragungswege ähneln denen des HIV. Die Infektion wird perinatal, insbesondere bei längerem Stillen, sexuell (v. a. vom Mann zur Frau) und über Blutkontakt übertragen. In Europa besteht eine HTLV-1-Infektion häufiger bei Immigranten aus Endemiegebieten und ihren Sexualpartnern, Prostituierten und intravenös Drogenabhängigen. Die Seroprävelanz unter der europäischen Bevölkerung ohne diese Risikofaktoren liegt bei 0,1 % (Cooper et al. 2009). In nördlichen Breiten muss die MS, v. a. diejenige mit chronisch progredientem Verlauf, abgegrenzt werden. Die Inkubationszeit beträgt im Mittel 15 Jahre. Die Erkrankung verläuft als chronische Meningomyelitis mit axonaler Degeneration bevorzugt im unteren Thorakalmark. Es ist unklar, ob HTLV 1 selbst die Myelitis bewirkt oder ob es sich um einen autoimmunen Mechanismus handelt. Autoantikörper gegen HTLV 1 lassen sich im Serum und Liquor nachweisen.
Die Patienten stellen sich häufig mit Steifigkeit und Schwäche der Beine oder Gangunsicherheit vor. Oft beklagen sie dumpfe, drückende Schmerzen im thorakolumbalen Übergangsbereich. Erst später treten Blasenstörungen auf. Klinisch finden sich eine Paraspastik mit Pyramidenbahnzeichen und eine Minderung des Vibrationsempfindens. Bei einigen Patienten sind auch Schmerz- und Temperaturwahrnehmung gestört. Zu 60 % ist eine Schwäche der Beine das erste Symptom. Die Arme sind meist nicht betroffen. In den allermeisten Fällen schreitet die Erkrankung langsam fort. Laborchemisch und liquordiagnostisch sollte nach dem Autoantikörper gegen HTLV 1 gesucht werden, im Liquor finden sich zumeist eine Pleozytose und oligoklonale Banden. Magnetresonanztomografisch lassen sich in bis zu 50–60 % der Patienten mit HTLV-1-Myelitis periventrikuläre und subkortikale zerebrale Läsionen finden (Cooper et al. 2009). Spinal finden sich Atrophie, aber auch Schwellungen, Hyperintensitäten und Gadoliniumaufnahme, aber auch unauffällige Befunde schließen eine HTLV-1-Myelitis nicht aus. Die einzige mit randomisierten kontrollierten Studien belegte Behandlung ist die Medikation mit Interferon-α sowie die Kombination mit den Nukleosidanaloga Zidovudin und Lamivudin (Cooper et al. 2009).

Bakterielle Myelitiden

Zu den bakteriellen Erregern einer Myelitis zählen die neurotropen Spirochäten Borrelia burgdorferi und Treponema pallidum. Beide können in einem intermediären Infektionsstadium ein polyradikulomyelitisches Bild hervorrufen, im Spätstadium aber ebenso das Bild einer chronischen Myelitis mit langsam progredienter Gangunsicherheit. Weitere wichtige bakterielle Erreger einer Myelitis sind das Mycobacterium tuberculosis und – ähnlich wie bei den spinalen Abszessen – der Staphylococcus aureus. Staphylokokken siedeln sich meist durch septische Embolien an. Eine bakteriell verursachte Myelitis ist wahrscheinlich, wenn sich liquordiagnostisch eine ausgeprägte, vorwiegend granulozytäre oder gemischtzellige Pleozytose mit stark erhöhtem Liquoreiweiß findet. Wurde der Patient allerdings antibiotisch anbehandelt, kann ein vorwiegend lymphozytäres Bild vorliegen.

Myelitis bei Neuroborreliose

Eine Beteiligung des zentralen Nervensystems findet sich sehr selten im Rahmen einer Borreliose und verläuft meistens chronisch. Die häufigste Manifestation ist eine Myelitis mit spastisch-ataktischem Gang und Blasenstörung. Die Symptomatik kann sich über Tage oder mehrere Monate entwickeln. Bei einem Teil der Patienten kommt es zu einer schweren Tetra- oder Paraparese. Bei 60 % der Patienten mit Myelitis finden sich zusätzliche Zeichen einer Enzephalitis und bei 40 % eine Hirnnervenbeteiligung (Diener et al. 2008). In fast der Hälfte der Fälle sind den Patienten ein Zeckenbiss oder ein Erythema migrans nicht erinnerlich. Im frühen Stadium der Borreliose, wenige Wochen nach dem Zeckenbiss, ist die Myelitis häufig Teil einer schmerzhaften Meningomyeloradikulitis mit Schwerpunkt im Gebiet des vorangegangenen Erythema migrans oder Zeckenbisses. In fast der Hälfte der Fälle sind dem Patienten ein Zeckenbiss oder ein Erythema migrans nicht erinnerlich. Borrelia burgdorferi kann ebenfalls über die PCR nachgewiesen werden; allerdings sind die Ergebnisse dieser Untersuchung in unterschiedlichen Laboratorien oft nicht konkordant (Nocton et al. 1994). Die Therapie entspricht der Behandlung der Neuroborreliose.

Myelitis bei Neurolues

Bei der Neurolues findet sich seltener als bei der Neuroborreliose in einem frühen Stadium der Infektion eine Polyradikulomyelitis. Die chronische Myelitis im Spätstadium der Erkrankung ist als Tabes dorsalis bekannt und entspricht einer chronisch progredienten dorsalen Radikuloganglionitis mit pathognomonischer Syndromatik (Reflexverlust an den unteren Extremitäten, Pallanästhesie, Pupillenstörungen, Gangataxie, Überstreckbarkeit der Knie- und Hüftgelenke, Miktionsstörungen i. S. einer deafferenzierten Blase, Optikusschädigung). Die Patienten klagen v. a. über einschießende („lanzinierende“) Schmerzen (Diener et al. 2008). Sehr selten führt die Luesinfektion auch zu einem isolierten Untergang der Vorderhörner, sodass das Bild einer syphilitischen Amyotrophie ähnlich einer amyotrophen Lateralsklerose entsteht. Die Therapie entspricht der Behandlung der Neurolues.

Andere erregerbedingte Myelitiden

Gelegentlich findet sich bei immungeschwächten Patienten eine Infektion durch Toxoplasma gondii oder Pilzinfektionen mit Schwerpunkt im Rückenmark. Bei Immigranten oder Reisenden aus Ostasien, Afrika und Südamerika kann eine Rückenmarkbeteiligung ferner als Folge einer Schistosomiasis (Bilharziose) auftreten.

Spinale Abszesse

Ätiologie und Pathogenese
Spinale Abszesse sind ein seltenes Krankheitsbild. Das aktuelle Wissen über die Erkrankung fußt auf wenigen Fallserien und Fallbeschreibungen.
Spinale Abszesse finden sich in zwei Dritteln der Fälle im Epiduralraum. Der Epiduralraum wird von der Dura mater des Rückenmarks und von der inneren Wand des Wirbelkanals begrenzt und ist mit Fettgewebe und Venenplexus gefüllt. Er ist dorsal des Rückenmarks am ausgedehntesten. Weil hier der Gewebedruck gering ist, können leicht Abszesse entstehen. In den intramedullären und subduralen Kompartimenten sind spinale Abszesse sehr viel seltener als im Epiduralraum. Epiduralabszesse finden sich am häufigsten thorakal und lumbal, zervikal sind sie wegen des engen Epiduralraumes seltener (Vural et al. 2005; Bostrom et al. 2008).
Akute spinale Abszesse entstehen häufig durch hämatogene Streuung nach einer Endokarditis, einer Pneumonie, Haut- oder Zahninfekten oder selten einer gastroenterologischen Entzündung (Payer und Walser 2008; Brown et al. 2008). Eine weitere Ursache ist der intravenöse Drogenmissbrauch (Chuo et al. 2007). Chronische Abszesse nehmen ihren Ausgang meist von Infektionen des umgebenden Gewebes, v. a. von Osteomyelitiden und Spondylodiszitiden der Wirbelsäule. Seltener siedeln sie sich von Abszessen des Nierenlagers, des Psoasmuskels, des Retropharyngealraums, der retromediastinalen oder der retroperitonealen Region ab (Chang et al. 2008). Iatrogene Ursachen umfassen lokale Infektionen durch Operationen der Wirbelsäule, die Anlage von Periduralkathetern (v. a. nach Applikation von Steroiden) oder Hinterhornstimulatoren und die Lumbalpunktion. Vor allem nach paraspinalen Injektionen ist an einen epiduralen Abszess zu denken. Obwohl spinale Abszesse insgesamt selten verbleiben, sieht man sie mit Zunahme der prädisponierenden Faktoren intravenöse Drogenabhängigkeit, chronische Immunsuppression und spinale Chirurgie zunehmend häufiger (Pradilla et al. 2009). Weitere disponierende Faktoren können Diabetes mellitus, Dekubiti, Alkoholismus, Sepsis und Endokarditis sein. Bei jedem 6. Patienten kann keine Ursache gefunden werden (Maslen et al. 1993).
Deutlich mehr als die Hälfte der spinalen Abszesse entstehen durch den Erreger Staphylococcus aureus. Außerdem besteht das Erregerspektrum aus Streptokokken und gramnegativen Enterokokken. Bei intravenöser Drogenabhängigkeit sind neben Staphylococcus aueus v. a. Pseudomonas aeroginosa und Mycobacterium tuberculosis verantwortliche Erreger, nach abdominellen Operationen ist an E. coli zu denken. Spinale Abszesse bei immunkompromittierten Patienten sind gehäuft durch Mycobacterium tuberculosis verursacht (Akalan und Ozgen 2000). Selten sind spezifische Infektionen, z. B. durch Pilze. In etwa einem Zehntel der Fälle werden Mischinfektionen festgestellt.
Klinik
Die Beschwerden bei epiduralen Abszessen durchlaufen häufig verschiedene Stadien mit initialen Rückenschmerzen, gefolgt von radikulären Schmerzen, Paresen und schließlich einer subakuten Paraparese. Nicht selten lässt sich anamnestisch eine Infektion in den 2 Wochen zuvor in einer anderen Körperregion eruieren. Bei der Untersuchung zeigen die Patienten neben allgemeinen Infektzeichen eine zumeist ausgeprägte, umschriebene Schmerzhaftigkeit des Rückens. Letztere ist häufig auf wenige Wirbelsäulensegmente begrenzt und kann durch Klopfen oder auch nur geringe Rumpfbewegungen massiv zunehmen. Ein lokaler Klopfschmerz ist fast immer vorhanden, oft Initialsymptom und kann bei einem nicht unerheblichen Anteil der Patienten auch einziges Symptom sein (Curry et al. 2005). Beim akuten Verlauf treten die radikulären Symptome nach 2–4 Tagen hinzu. Gelegentlich werden die Schmerzen auch in den Bauch- oder Brustraum fehlprojiziert. Im weiteren Verlauf zeigt sich – meist subakut (Stunden bis Tage) – eine Querschnittssymptomatik mit Paresen, Sensibilitäts- und Blasen-Mastdarm-Störungen. Ohne Behandlung kann sich infolge eines spinalen Ödems oder einer Nekrose eine Paraplegie entwickeln. Im ungünstigsten Fall kommt es zu einer Ausdehnung der Infektion mit purulenter Meningitis und Sepsis bis zum septischen Schock.
Diagnostik
MRT
Die MRT ist die Methode der Wahl zum Nachweis eines epiduralen Abszesses (Abb. 3). Sie kann die Darstellung des Abszesses in seiner gesamten Ausdehnung und Beziehung zu anatomischen Strukturen ermöglichen. Zusätzlich gibt sie Auskunft über mögliche lokale Ausgangsherde der Infektion, z. B. eine Osteomyelitis oder Spondylodiszitis. Trotz MRT mit Diffusionswichtung und ADC-Koeffizient kann die Differenzierung zwischen maligen und infektiösen spinalen Prozessen schwer bleiben (Pui et al. 2005). Ist eine MRT nicht verfügbar, kann in Notfallsitutationen als Alternative eine Myelografie durchgeführt werden oder eine spinale CT in der Höhe des klinischen Beschwerdeschwerpunktes.
Liquor
Der Liquor zeigt meist eine Erhöhung der Leukozytenzahl auf bis zu 1000/μl (sowohl Lympho- als auch Mono- und Granulozyten) und eine starke Eiweißerhöhung. Oft ist eine Liquorpunktion zur Diagnostik nicht erforderlich, zudem ist die Gefahr der Erregeraussaat zu beachten. Von einer Lumbalpunktion sollte auch bei Vorliegen eines Liquorblocks abgesehen werden, da eine Liquordränage unterhalb dieses Niveaus den lokalen Druck auf das Myelon verstärken kann.
Laborparameter
Laborchemisch fallen oft eine Leukozytose und stark erhöhtes CRP und auf (Curry et al. 2005). Blutkulturen sind bei etwa 60 % der Patienten positiv (Curry et al. 2005). Allerdings können bei chronischen Abszessen diese Entzündungszeichen fehlen (Akalan und Ozgen 2000).
Zusatzuntersuchungen
Zur Vermeidung von Rezidiven muss intensiv nach dem Ausgangspunkt des Infektes geforscht werden. Neben der detaillierten Anamneseerhebung und gründlichen klinischen Untersuchung müssen ggf. weitere technische Hilfsuntersuchungen durchgeführt werden. Die transösophageale Echokardiografie (Endokarditis?), native Röntgenaufnahmen des Thorax, eine CT des Abdomens (Abszesse der Nieren, des Psoasmuskels o. Ä.), Panoramaaufnahmen der Zähne, eine Knochen- und eine Leukozytenszintigrafie dienen dem Ausschluss von Entzündungsherden.
Differenzialdiagnose
In der Differenzialdiagnose der epiduralen Abszesse müssen Bandscheibenvorfälle bedacht werden, da diese häufig sind. Daneben kommen Myelitiden, epidurale Hämatome, Wirbelkörperfrakturen, spinale Tumoren oder Ischämien in Betracht.
Therapie
Therapeutisch kommen die konservative Therapie mit Antibiose, ggf. mit CT-gesteuerter Nadelaspiration bei nachgewiesenem Erreger und leichtem Defizit in Frage. Bei unergiebiger Erregerdiagnostik und progredienten neurologischen Defiziten <36 Stunden ist eine interlaminärer Zugang mit Eiterentleerung indiziert (Sorensen 2003). Es kommen auch die primäre Mikrochirurgie mit Abszessdränage und die CT-gesteuerte Punktion in Frage (Boström et al. 2008). Die konservative Therapie hat bei selektiertem Kollektiv vergleichbare Ergebnisse wie die Operation (Siddiq et al. 2004). Bereits vor der Erregeridentifikation muss eine empirische intravenöse Therapie gegen Staphylokokken sowie zusätzlich gegen gramnegative Erreger und Anaerobier begonnen werden. So kann folgendes Regime verabreicht werden (Tab. 3): täglich 6-mal 2 g Flucloxacillin oder 3-mal 1 g Vancomycin; dazu 3-mal 2 g Cefotaxim sowie 3-mal 0,5 g Metronidazol oder ein Aminoglykosid in dem Körpergewicht angepasster Dosis. Intraoperativ sollte Material für anaerobe und aerobe Kulturen sowie für mikrobiologische Untersuchungen auf Mykobakterien und Pilze gewonnen werden. Über die notwendige Mindestdauer der Therapie mit Antibiotika liegen keine sicheren Daten vor. Gemeinhin werden sie über 4 Wochen verabreicht. Wenn der Abszess von einer Osteomyelitis ausgegangen ist, verlängert sich die Gabe auf wenigstens 6–8 Wochen. Die Stellung von Kortikosteroiden bei spinalen Abszessen ist nicht geklärt. Zur Vermeidung einer ödembedingten Kompression des Rückenmarks ist eine vorübergehende Gabe möglich (Dexamethason 3-mal 8 mg/Tag über 3–4 Tage). Die Therapie kann mittels CRP-Monitoring überwacht werden.
Tab. 3
Empirische Therapie epiduraler Abszesse
Kombination
Substanz
Dosierung
 
Flucloxacillin
6-mal 2 g
 
oder Vancomycin
3-mal 1 g
und
Cefotaxim
3-mal 2 g
und
Aminoglykosid
nach Körpergewicht
 
oder Metronidazol
3-mal 0,5 g
Daneben müssen in Abhängigkeit vom Ausmaß der neurologischen Schädigung Allgemeinmaßnahmen erfolgen in Form einer Thromboseprophylaxe und einer frühzeitigen Blasenkatheterisierung. Kommt es zu einer Sepsis, müssen geeignete intensivmedizinische Maßnahmen ergriffen werden.
Prognose
Die Prognose ist abhängig vom Allgemeinzustand (Alter, Begleiterkrankungen) und dem Ausmaß des neurologischen Defizits zum Zeitpunkt der therapeutischen Intervention (Akalan and Ozgen 2000). In Fallserien sind Mortalitätsraten von 5,8 % und 6,5 % beschrieben (Akalan et al. 2000; Bostrom et al. 2008). Liegt keine Plegie vor und bestehen die Defizite seit weniger als 36 Stunden, ist die Erholung meist gut (Baker et al. 1975).

Facharztfragen

1.
Erläutern Sie die Diagnostik bei Verdacht auf Neuromyelitis-optica-Spektrum-Erkrankung.
 
2.
Warum sind negative oligoklonale Banden bei der Neuromyelitis optica pathophysiologisch plausibel?
 
3.
Bei welchen Patienten sollten Sie an eine Infektion mit HTLV 1 denken?
 
4.
Welches sind die prädisponierenden Faktoren für einen spinalen Abszess?
 
Literatur
Zitierte Literatur
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