Erkrankungen der Hirnnerven und des Hirnstamms führen häufig zu einer erheblichen Belastung der Patienten. Umso wichtiger ist eine schnelle und exakte topografische Zuordnung der klinischen Syndrome. Die auf den Befunden der klinisch-neurologischen Untersuchung basierenden Zusatzuntersuchungen helfen bei der ätiologischen Zuordnung und bestimmen das weitere therapeutische Prozedere. Zur kaudalen Gruppe gehören die Hirnnerven IX–XII. Oftmals finden sich kombinierte Läsionen der Hirnnerven IX–XI, nicht selten auch IX–XII.
N. glossopharyngeus und N. vagus
Im klinischen Alltag sind die Hirnnerven IX und X kaum isoliert betroffen, sodass es gerechtfertigt erscheint, diese hier gemeinsam zu besprechen.
N. glossopharyngeus
Glossopharyngeusneuralgie
In Analogie zur
Trigeminusneuralgie, jedoch wesentlich seltener (0,2–1,3 % aller Gesichtsschmerzsyndrome), kann es zum Auftreten einer Glossopharyngeusneuralgie
kommen. Das Krankheitsbild tritt in der 5. und 6. Dekade ohne Geschlechtsbevorzugung auf mit Tage bis wenige Wochen dauernden Phasen serieller Schmerzattacken, gefolgt von monatelangen freien Intervallen. Die
Schmerzen werden einseitig in den Zungengrund oder Rachen lokalisiert, wobei
Husten, Niesen und Schlucken typische Triggermechanismen sind. Die Schmerzattacken lassen sich vorübergehend durch eine Anästhesie mit 10 %igem Lidocain-Spray von Tonsillen und hinterem Pharynx
blockieren. Selten kommt es im Rahmen von Attacken einer Glossopharyngeusneuralgie zu
Synkopen.
Stets gilt es, eine symptomatische Genese auszuschließen: Insbesondere müssen retropharyngeale
Tumoren, ein Zoster segmentalis und Gefäßanomalien von Vertebralarterien oder PICA ausgeschlossen werden. Während die Blockade durch Lidocain-Spray in erster Linie der Diagnose dient, kommt in der Langzeittherapie
Carbamazepin zum Einsatz.
Beim Nachweis eines pathologischen Gefäß-Nerv-Kontaktes ist eine mikrovaskuläre Dekompression in Analogie zur
Trigeminusneuralgie (Operation nach Jannetta) in bis zu 85 % erfolgreich.
Rekurrensparese
Nach
Schilddrüsenoperationen kommt es in knapp 10 % zu Rekurrensparesen, permanent in 2,3 % (Jeannon et al.
2009). Differenzialdiagnostisch problematisch ist die nicht iatrogene isolierte Rekurrensparese. Sofern keine Schilddrüsenoperation vorangegangen ist, müssen Prozesse im Bereich der Lungenspitze ausgeschlossen werden. Da insbesondere der linke N. recurrens weit bis zum Aortenbogen hinabreicht, können
Aortenaneurysmen, ein
vergrößerter linker Vorhof, in diesem Bereich lokalisierte
Lungentumoren oder
Metastasen zu einer isolierten Stimmbandlähmung führen. Stets sollten beim Vorliegen einer scheinbar isolierten Rekurrensparese andere vagale Funktionen überprüft werden (Gaumensegellähmung? Autonome Funktionen?). Bis zu ein Drittel aller Rekurrensparesen bleibt ungeklärt, wobei v. a. Männer vom 20. bis 30. Lebensjahr betroffen sind. In diesen Fällen ist eine parainfektiöse Genese bei Virusinfekt wahrscheinlich. Innerhalb von 1 Jahr bessert sich die Dysphonie in 60 % der Fälle; danach ist die Prognose ungünstig (Sulica
2008). Die Differenzialdiagnose der Rekurrensparese ist in der vorangehenden Übersicht zusammengestellt.
Seltene Krankheitsbilder sind der
Pharynxmyoklonus mit für den Patienten und oft auch für Umstehende hörbarem Klickgeräusch (Ear-click-Syndrom
) und die
Larynxneuralgie mit durch
Husten, Gähnen, Niesen und Sprechen ausgelösten Schmerzattacken in Höhe des Schildknorpels. Während das Ear-click-Syndrom mit Botulinumtoxininjektionen behandelt wird, kommt bei der Neuralgie
Carbamazepin zum Einsatz.
N. accessorius
Während für komplette Akzessoriusparesen
Motoneuronerkrankungen und
Rückenmarkprozesse verantwortlich sind, betrifft die häufigste Läsion ausschließlich den Anteil, der den M. trapezius versorgt. Wichtigste Ursachen sind
operative Eingriffe im seitlichen Halsdreieck, namentlich Lymphknotenbiopsien und HNO-ärztliche Operationen. Vor allem die sekundären Veränderungen durch die Fehlstellung der Schulter nach Trapeziusparese können zu anhaltenden und therapieresistenten
Schmerzsyndromen führen – ggf. kommen Ersatzoperationen in Frage. Der N. accessorius ist im Rahmen des
Foramen-jugulare-Syndroms mitbetroffen (s. Übersicht).
Eine gutartige, auch rezidivierend auftretende und oft mit
Schmerzen einhergehende Form der isolierten Akzessoriusparese wird
idiopathisch in Analogie zur Bell-Parese beschrieben. In diesen Fällen kann ein Behandlungsversuch mit
Kortikosteroiden erfolgen. Zusammenhänge mit der neuralgischen Schulteramyotrophie erscheinen denkbar (Müller-Vahl
1983).
Facharztfragen
1.
Was sind die Leitsymptome einer Läsion der Hirnnerven IX und X?
2.
Nennen Sie typische Ursachen von Gesichts- und Rachenschmerzen.
3.
Welche Hirnnerven sind beim Foramen-jugulare-Syndrom betroffen? Was sind die Ursachen?
4.
Nennen Sie die häufigsten Ursachen einer Accessorius- bzw. einer Hypoglossusparese.
Literatur
Berlit P (2007) Basiswissen Neurologie, 5. Aufl. Springer, Berlin/Heidelberg/New York/Tokio
Dressler D, Conrad B (1989) Geschmacksstörungen nach Tonsillektomie. Nervenarzt 60:572–575
PubMedJeannon JP, Orabi AA, Bruch GA, Abdalsalam HA, Simo R (2009) Diagnosis of recurrent laryngeal nerve palsy after thyroidectomy: a systematic review. Int J Clin Pract 63(4):624–629
CrossRefKeane JR (1996) Twelfth-nerve palsy. Arch Neurol 53:561–566
CrossRefMokri B, Silbert PL, Schievink WI, Piepgras DG (1996) Cranial nerve palsy in spontaneous dissection of the extracranial internal carotid artery. Neurology 46:356–359
CrossRefMüller-Vahl H (1983) Akzessoriuslähmungen. Akt Neurol 10:18–23
CrossRefOrrell RW, Marsden CD (1994) The neck-tongue syndrome. J Neurol Neurosurg Psychiatry 57:348–352
CrossRefSulica L (2008) The natural history of idiopathic unilateral vocal fold paralysis: evidence and problems. Laryngoscope 118:1303–1307
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