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Klinische Neurologie
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Publiziert am: 11.10.2017

Leukodystrophien des Erwachsenenalters

Verfasst von: Wolfgang Köhler
Leukodystrophien sind genetisch determinierte, in der Regel chronisch fortschreitende Erkrankungen der neuronalen Glia, insbesondere der myelinbildenden Zellen, mit variablem pathogenetischem Hintergrund, klinischem Verlauf und paraklinischem Befundmuster. Grundsätzlich können Leukodystrophien mit oder ohne bekannten Stoffwechseldefekt sowie bislang nicht klassifizierbare Leukodystrophien unterschieden werden. Viele Leukodystrophien weisen angeborene Stoffwechselstörungen auf, die biochemisch exakt definiert und diagnostisch verwertet werden können, andere leukodystrophische Erkrankungen können ausschließlich molekulargenetisch diagnostiziert werden. Die Unterteilung in Leukodystrophien mit oder ohne bekannten Stoffwechseldefekt ist von grundsätzlicher Bedeutung, da die Analyse der Stoffwechselstörung prinzipiell die Möglichkeit eines therapeutischen Ansatzes, z. B. in Form einer Enzymersatztherapie, bietet. Ein weiteres wichtiges Unterscheidungsmerkmal betrifft die primäre Myelinisierungsstörung des ZNS als solches (Hypomyelinisierung) im Gegensatz zu Erkrankungen, die zu einem vorzeitigen Abbau des Myelins führen (Demyelinisierung).
Leukodystrophien sind genetisch determinierte, in der Regel chronisch fortschreitende Erkrankungen der neuronalen Glia, insbesondere der myelinbildenden Zellen, mit variablem pathogenetischem Hintergrund, klinischem Verlauf und paraklinischem Befundmuster.

Allgemeiner Teil

Klassifikation
Grundsätzlich können Leukodystrophien mit oder ohne bekannten Stoffwechseldefekt sowie bislang nicht klassifizierbare Leukodystrophien unterschieden werden (Tab. 1 und 2). Viele Leukodystrophien weisen angeborene Stoffwechselstörungen auf, die biochemisch exakt definiert und diagnostisch verwertet werden können, andere leukodystrophische Erkrankungen können ausschließlich molekulargenetisch diagnostiziert werden. Die Unterteilung in Leukodystrophien mit oder ohne bekannten Stoffwechseldefekt ist von grundsätzlicher Bedeutung, da die Analyse der Stoffwechselstörung prinzipiell die Möglichkeit eines therapeutischen Ansatzes, z. B. in Form einer Enzymersatztherapie, bietet. Ein weiteres wichtiges Unterscheidungsmerkmal betrifft die primäre Myelinisierungsstörung des ZNS als solches (Hypomyelinisierung) im Gegensatz zu Erkrankungen, die zu einem vorzeitigen Abbau des Myelins führen (Demyelinisierung).
Tab. 1
Genetik, Biochemie und Labordiagnostik von Leukodystrophien des Erwachsenenalters. (Mod. nach Weber und Köhler 2010)
Erkrankung
Genetik
(Gen, Locus)
Biochemie, Labor
Leukodystrophien mit bekanntem Stoffwechseldefekt und genetisch determinierte metabolische Erkrankungen mit sekundärer Beteiligung der weißen Substanz
ABCD1, Xq28
Very long chain fatty acids (VLCFA) (S, F)
ARSA, 22q13.31–qter
Arylsulfatase A (E, F)
Sulfatide (U)
Globoidzell-Leukodystrophie
GALC, 14q31
GALA, Xq22.11
α-Galaktosidase A (E, S, F)
β-Mannosidose
MAN2B1, 19p13.2–p13.11
MANBA, 4q22–q25
α/β-Mannosidase (L, F)
GM2-Gangliosidose (adulte Formen der Typen Tay-Sachs und Sandhoff)
GLB1, 3p21.33
HEXA, 15q23–q24; HEXB, 5q13
β-Galaktosidase (E, S, F)
Hexosamidase A,B (E, S, F)
Mukolipidose, Typ IV
MCOLN1, 19p13.3–p13.2
Erhöhte Gastrinspiegel (S), erniedrigtes Eisen (50 %) (S)
Sialurie (Salla Disease)
SLC17A5, 6q14–q15
N-Acetylneuraminsäure (S, F, L)
Sjögren-Larsson-Syndrom
FALDH, 17p11.2
FALDH (F), Leukotrien B4 (U)
CYP27A1, 2q33–qter
C27-Steroid-26-Hydroxylase erniedrigt, Cholestanol erhöht (S)
Organoacidopathien (Glutaracidurie Typ I, L-2-OH-Glutaracidurie, 3-Methylglutacon-Acidurie, 3-HMG-CoA-Lyase-Mangel)
GCDH, 19p13.2
DURANIN, 14q22.1
AUH, 9
HMGCL, 1pter–p33
Organische Säuren (U, S)
CBS, 21q22.3
MTHFR, 1p36.3 u. a.
Homcystein, Methionin, Methylmalonsäure (S, U)
Leukodystrophien ohne bekannten Stoffwechseldefekt
Vanishing white matter disease (VWMD)
EIF2B1–5, 12q24.3, 14q24, 1p34.1, 2p23.3, 3q27
Erhöhte Glycinwerte (L)
Autosomal-dominante Leukodystrophie mit adultem Beginn (ADLD)
LMNB1, 5q23.2-3q31.1
Nicht bekannt
Adulte Leukenzephalopathie mit axonalen Spheroiden und pigmentierter Glia
Gendefekt unbekannt, autosomal-dominante Vererbung
Pathologie: Diffuse Leukodystrophie mit axonalen Spheroiden (HDLS), Gliose und pigmentierte Makrophagen (POLD)
 
Hereditäre diffuse Leukenzephalopathie mit axonalen Spheroiden (HDLS)
 
Familiäre pigmentierte orthochromatische Leukodystrophie (POLD)
Leukenzephalopathie mit Beteiligung von Hirnstamm/Rückenmark und erhöhtem Laktat (LBSL)
DARS2, 1q25.1
Inkonsistent erhöhte Laktatwerte (S, L), mitochondrialer Aspartyl-tRNA-Synthetase-2-Mangel
Megalenzephale zystische Leukenzephalopathie (MLC-1)
MLC1, 22qtel
Nicht bekannt
Sonstige Leukodystrophien
Adulte Polyglucosankörperchenerkrankung (APBD)
GBE, 3p14
Glucogen branching enzyme (E, F)
Nerven: axilläre Hautbiopsie
Zerebral autosomal-dominante Arteriopathie mit subkortikalen Infarkten und Leukenzephalopathie (CADASIL)
NOTCH3, 19p13.2–p13.1
Osmophile Granula in der Basalmembran der Arteriolen (Elektronenmikroskopie)
GFAP, 17q21, 11q13
Nicht bekannt
E EDTA-Blut; S Serum; F Fibroblasten; U Urin, L Liquor cerebrospinalis
Tab. 2
Leitsymptome und radiologische Befunde der Leukodystrophien des Erwachsenenalters. (Mod. nach Weber und Köhler 2010)
Erkrankung
Leitsymptome
Radiologische Befunde
Leukodystrophien mit bekanntem Stoffwechseldefekt und genetisch determinierte metabolische Erkrankungen mit sekundärer Beteiligung der weißen Substanz
X-Chromosomale Adrenoleukodystrophie (X-ALD)
  
 
Adrenomyeloneuropathie (AMN)
Spastische Paraparese, PNP, querschnittartige sensible Störungen, neurogene Blasenstörungen, sexuelle Funktionsstörungen
Initial bei >50 % normales cMRT, bilaterale Pyramidenbahnläsionen, bei 50 % zusätzlich flächig-konfluierende Demyelinisierung bevorzugt parietookzipital
sMRT: thorakal betonte Spinalmarkatrophie
Adulte zerebrale Form (ACER)
Psychose, demenzielles Syndrom, später: neurologische Störungen wie bei AMN, Bulbärsyndrom, Erblindung
Nebennierenunterfunktion (50–70 %)
Demyelinisierung des Splenium corporis callosum und der angrenzenden parietookzipitalen weißen Substanz (80 %) oder des Genu corporis callosum und der angrenzenden frontalen weißen Substanz (20 %), randständiges KM-Enhancement
Metachromatische Leukodystrophie
Psychose, demenzielle Syndrome, spastische Paraparese, Ataxie, PNP
Spät: Epilepsie, bulbäre Symptome
Symmetrische periventrikuläre, parietookzipital betonte T2-Signalanhebung, radiäre Streifung. Basalganglien häufig signalgemindert. Keine Kontrastmittelaufnahme. Später sekundäre Atrophie
Globoidzell-Leukodystrophie
(Morbus Krabbe)
Sehr heterogen, Kombination zentraler Symptome (spastische Paresen, Ataxie, Dystonie) und PNP
Spät: bulbäre Symptome, Epilepsie
Anfangs Normalbefunde möglich. Später T2-Signalanhebung in den Stammganglien, Capsula interna, Corona radiata, Corpus callosum, symmetrisch parietookzipital, symmetrischer Pyramidenbahnbefall, Cerebellum, Nucleus dentatus
Morbus Fabry
Ischämische Hirninfarkte, Demenz, neuropathischer Schmerz, Hypohydrose, Angiokeratome, Cornea verticillata, Kardiomyopathie, Nephropathie
T1-Signalanhebung und T2*-Signalabsenkung im Pulvinar thalami. Multifokale Signalveränderungen konsistent mit lakunär ischämischen Läsionen unterschiedlichen Alters, z. T. hämorrhagisch
Mannosidose (α, β)
Mentale Retardierung, Psychosen, Immunschwäche, Skelettdeformitäten (weniger bei Beginn >10. Lebensjahr), Schwerhörigkeit
Parietookzipital betonte T2-Signalanhebung im zerebralen Marklager, zerebelläre Atrophie, Brachyzephalie, Kalottenverdickung
Gangliosidose (GM1, GM2)
Extrapyramidalmotorische Störungen, besonders faziale Dystonie, Dysarthrie, Demenz
SCA oder ALS-ähnliche Symptomatik bei GM2, selten: Ophthalmoplegie, sensorische PNP
T2-Signalanhebung im Nucleus caudatus und Putamen, T2-Absenkung im Globus pallidus
Bilaterale, flaue T2-Signalanhebung im Marklager, sekundäre Hirnatrophie
Mukolipidose, Typ IV
Langsam progrediente spastische Tetraparese, Demenz. Okuläre Symptome (Hornhauttrübung, Retinadegeneration)
Atrophie des Corpus callosum, T1-Siganlanhebung im Marklager, T2*-Signalabsenkung (Ferritinablagerungen) in den Stammganglien, später: Hirnatrophie, inkl. Cerebellum
Sialurie (Salla Disease)
Demenz, Dysarthrie, progrediente Paraspastik (meist seit Kindheit), Athetose, Nystagmus
Hypomyelinisierung, Atrophie (global, intern betont, Corpus callosum)
MRS: N-Acetylaspartat erhöht
Sjögren-Larsson-Syndrom
Spastische Paraparese, mentale Retardierung, Ichthyose
Periventrikuläre und pyramidale T2-Signalabhebung
MRS: Lipid-Peak bei 1,3 ppm
Zerebrotendinöse Xanthomatose (CTX)
Ataxie, demenzielle Syndrome. Katarakt, Xanthome an der Achillessehne, Durchfälle
T2-Signalanhebungen im Cerebellum und den Pedunculi cerebelli. Kalzifikationen
Organoazidopathien
Wenig spezifisch: Blickparesen, demenzielle Syndrome, Ataxie, Spastik, Epilepsie
Diffuse T2-Signalanhebung der Marklager einschließlich U-Fasern (besonders L-2-OH-Glutaracidurie) und Basalganglien
Hyperhomocysteinämien
Psychosen und passagere hirnorganische Psychosyndrome, demenzielle Syndrome, spastische Paraparese, PNP, Schlaganfall
Periventrikulär flächige T2-Signalanhebung mit posteriorer Betonung. Infarktmuster, auch multifokale Läsionen (DD: MS). Spinale T2-Signalanhebung (Seiten- und Hinterstränge)
Leukodystrophien ohne bekannten Stoffwechseldefekt
Vanishing white matter disease (VWMD)
Häufig Symptombeginn nach Bagatelltrauma: Psychosyndrome, Psychosen, epileptische Anfälle, später: Demenz und zunehmende neurologische Symptome wie Ataxie und Spastik. Ovariendysfunktion
Ausgedehnte T2-Signalanhebungen der zerebralen Marklager beidseits, zystische Degeneration (FLAIR, PD), streifiges Muster in FLAIR-Sequenzen. Geschwollene, später atrophische Gyri. U-Fasern erhalten, Basalganglien, Hirnstamm und Cerebellum sind weniger betroffen
Autosomal-dominante Leukodystrophie mit adultem Beginn (ADLD)
Initial häufig autonome Störungen (Blasen-, Mastdarmstörungen, sexuelle Funktionsstörung, Orthostase, Schweißsekretionsstörungen), Ataxie, extrapyramidal-motorische Bewegungsstörungen, später: kognitive Störungen
Multifokal fleckige „MS-ähnliche“, aber auch flächig konfluierende T2-Signalanhebung der Marklager, Hirnstamm (Bahnen), Kleinhirnstiele und im Spinalmark. Sekundäre spinale Atrophie
Adulte Leukenzephalopathie mit axonalen Spheroiden und pigmentierter Glia
Demenzielle Syndrome, affektive Störungen und Psychosen, später: Gangataxie, Inkontinenz, Spastik, extrapyramidalmotorische Symptome und Epilepsie
Multifokal-konfluierende, frontal und in der Zentralregion betonte Marklagerläsionen, später: T2-Signalanhebung im Bereich der Pyramidenbahnen beidseits (Capsula interna, Hirnstamm). Atrophie des Caput nucleus caudatus und Cerebellums
 
Hereditäre diffuse Leukenzephalopathie mit axonalen Spheroiden (HDLS)
Familiäre pigmentierte orthochromatische Leukodystrophie (POLD)
Leukenzephalopathie mit Beteiligung von Hirnstamm/Rückenmark und erhöhtem Laktat (LBSL)
Langsam progrediente, beinbetonte spastische Tetraparese, Epilepsie, spät: leichte kognitive Störungen. Schubartige Verschlechterungen (bei Bagatelltraumen) möglich. Leichte PNP
Teilweise flächige, teilweise multilokulär fleckige T2-Signalanhebungen der zerebralen und zerebellären Marklager, des Corpus callosum und Hirnstamms. Signalanhebungen in Projektion auf die langen Rückenmarkbahnen (spinale Bildgebung!) wie Hinterstränge und Pyramidenbahnen und Trigeminusfasern im Hirnstamm
Sonstige Leukodystrophien
Adulte Polyglucosankörperchenerkrankung (APBD)
Polyneuropathie. Spastik, Blasenstörungen. Später: kognitive Störungen, Ataxie
T2-Signalanhebungen im periventrikulären Marklager (U-Fasern und Corpus callosum anfangs nicht betroffen), Cerebellum und Hirnstamm. Später: sekundäre spinale und zerebrale Atrophie
Zerebral autosomal-dominante Arteriopathie mit subkortikalen Infarkten und Leukenzephalopathie (CADASIL)
Schlaganfallähnliche Ereignisse, affektive Störungen, subkortikale Demenz. Akute (reversible) Bewusstseinsstörungen. Migräneanamnese
Multifokale, fleckig-konfluierende T2-Signalanhebungen im subkortikalen Marklager mit temporaler Betonung, Basalganglien, Capsula externa und Hirnstamm. Lakunäre Defekte in T1 und FLAIR. Mikroblutungen in T2*, kleinfleckige Diffusionsstörunge.
Morbus Alexander
Progrediente spastische Paresen, Pseudobulbärparalyse, Gaumensegel-Myoklonus
T2-Signalanhebung der Marklager (frontal betont), und im Hirnstamm. Periventrikulärer T2-signalarmer Randsaum. Kontrastmittelanreicherungen periventrikulär ependymal, Basalganglien (fleckig), Nucleus dentatus, Thalamus und Hirnstamm
ALS amyotrophe Lateralsklerose; DD Differenzialdiagnose; MRS Magnetresonanzspektroskopie; MS multiple Sklerose; PNP Polyneuropathie; SCA spinozerebelläre Ataxie
Weiterhin bedeutsam ist die Abgrenzung der „klassischen“ Leukodystrophien von genetisch determinierten metabolischen Erkrankungen mit sekundärer Beteiligung der weißen Substanz wie etwa dem α-Galaktosidase-A-Mangel (Morbus Fabry) sowie anderen, ebenfalls genetisch determinierten Erkrankungen, bei denen die Läsionen der weißen Substanz sekundär durch (mikro-)vaskuläre Veränderungen verursacht worden sind, wie etwa bei der zerebralen, autosomal-dominanten Arteriopathie mit subkortikalen Infarkten und Leukenzephalopathie (CADASIL). Die Abgrenzung primärer Leukodystrophien von diesen beiden eher als Leukenzephalopathien zu bezeichnenden Erkrankungsgruppen ist unscharf, mit fließenden Grenzen zwischen einer primären und sekundären Myelinschädigung.
Häufigkeit und Vorkommen
Die Mehrzahl der Leukodystrophien folgt einem autosomal-rezessiven oder X-chromosomalen, weniger häufig autosomal-dominanten Erbgang (Tab. 1). Die Leukodystrophie-Inzidenz im Erwachsenalter ist unterschiedlich für die einzelnen Erkrankungen und liegt zwischen 1:17.500 für die X-chromosomale Adrenoleukodystrophie und 1:100.000 für die metachromatische Leukodystrophie oder den Morbus Krabbe bzw. deutlich darüber für einzelne sehr seltene Leukodystrophien des Erwachsenenalters wie etwa die Sialurie oder die Mannosidose. Einige Leukodystrophien kommen nahezu ausschließlich in bestimmten ethnischen Gruppen vor wie etwa die Mukolipidose IV bei aschkenasischen Juden.
Klinik
Eines der generellen Merkmale leukodystrophischer Erkrankungen ist deren große phänotypische Variabilität. Zwar beginnt die Mehrzahl der Leukodystrophien bereits in der Kindheit, allerdings finden sich nicht selten, bei identischem Gendefekt, phänotypische Varianten mit Symptombeginn im Erwachsenalter. Andere primär kindliche Leukodystrophien weisen ein sehr langsames Fortschreiten bis zum Erwachsenenalter oder auch einen phasenweisen Stillstand der Krankheitsprogression auf. Leukodystrophien stellen somit keine exklusiven Erkrankungen des Kindesalters dar, sondern können sich in jedem Lebensalter manifestieren. Die klinische Symptomatik und die radiologischen Befunde adulter Leukodystrophieverlaufsformen sind häufig komplett unterschiedlich zu ihren kindlichen Varianten oder sogar weitgehend unbekannt (s. Übersicht). In der Regel ist der klinische Verlauf chronisch-progredient, wenngleich Ausnahmen möglich sind, z. B. kommen schubartige Verschlechterungen nach Bagatelltraumen bei der Vanishing white matter disease vor.
Leitsymptome der Leukodystrophien im Erwachsenenalter
  • Unklare, chronisch-progrediente spastisch-ataktische Syndrome
  • Mitbeteiligung des peripheren Nervensystems und/oder extrazerebraler Organsysteme (Tab. 3)
  • Selten: extrapyramidalmotorische Störungen und Epilepsie
Tab. 3
Klinische Leitsymptome und deren häufigste Differenzialdiagnosen für Leukodystrophien und Leukenzephalopathien des Erwachsenenalters
Polyneuropathie
AMN/ALD, GLD, MLD, CTX, PBD, HyH, Mito, LBSL
Okuläre Symptome
Optikusatrophie: Mito, HyH, MLD, GLD, Organacidurie, Phenylketonurie, Mukolipidose IV
Retinitis pigmentosa: Mito, HyH, PD
Katarakt: CTX, PD, Mito, Morbus Fabry (Cornea verticillata)
Makuladystrophie: Sjögren-Larssen, Mukolipidose IV
Viszerale Organopathie
AMN/ALD (NNR-Insuffizienz, testikuläre Dysfunktion), CTX (Diarrhö, respiratorische und kardiale Insuffizienz), Mito (Diarrhö, Diabetes, Endokrinopathie), VWMD (Amenorrhö), Morbus Fabry (Nephropathie, Kardiomyopathie), Autosomal-dominante Leukodystrophie mit adultem Beginn (Synkopen, Orthostase, Blasen-Mastdarm-Störungen)
Kutane Zeichen
CTX (Xanthome), Sjögren-Larssen (Ichthyose), AMN/ALD (Melanodermie), Morbus Fabry (Angiokeratome)
Makrozephalie
Organoacidopathien (besonders L-2-OH-Glutaracidurie), Morbus Alexander
Verwirrtheitsepisoden, Schlaganfall, Koma
HyH, VWMD, Mito, Morbus Fabry, PBD, CADASIL, HDLS
AMN/ALD Adrenomyeloneuropathie/Adrenoleukodystrophie; CADASIL zerebral autosomal-dominante Arteriopathie mit subkortikalen Infarkten und Leukenzephalopathie; CTX zerebrotendinomatöse Xanthomatose; GLD Globoidzell-Leukodystrophie; HDLS hereditäre diffuse Leukenzephalopathie mit axonalen Spheroiden; HyH Hyperhomocystinämie (Cobalamin-Stoffwechselstörung, Methylentetrahydrofolat-Reduktasemangel); LBSL Leukenzephalopathie mit Beteiligung von Hirnstamm/Rückenmark und erhöhtem Laktat; Mito Mitochondriopathie, Atmungskettendefekte; MLD metachromatische Leukodystrophie; PBD Polyglukosankörperchenerkrankung; PD peroxisomale Defekte; VWMD Vanishing white matter disease
Diagnostik
Ein chronisch-progredienter Krankheitsverlauf mit den charakteristischen klinischen Leitsymptomen in Verbindung mit einer positiven Familienanamnese und dem Nachweis von MRT-Veränderungen in der weißen Substanz sind diagnostisch wegweisend für das Vorliegen einer Leukodystrophie. Häufig fehlen jedoch ein oder mehrere der genannten Merkmale, sodass die Diagnosestellung in Anbetracht der vielfältigen Differenzialdiagnosen schwierig sein kann.
Einige Leukodystrophien zeigen in der MRT wegweisende Befundmuster, die bereits erste Hinweise auf eine spezifische leukodystrophische Erkrankung erlauben („pattern recognition“). Dabei finden fokale Schwerpunkte der Myelinschädigung, generalisierte Befallsmuster, Mitbeteiligung von Strukturen der hinteren Schädelgrube und andere Besonderheiten wie Kalzifizierungen oder Zysten besondere Beachtung (Abb. 1). In einigen Fällen kann die MR-Spektroskopie relevante Informationen erbringen (z. B. erhöhte Laktatkonzentrationen bei der Leukenzephalopathie mit Beteiligung von Hirnstamm/Rückenmark und erhöhtem Laktat [LBSL]).
Weitere Hinweise zur Diagnose und Differenzialdiagnose ergeben sich aus den neurophysiologischen Befunden (Nachweis symmetrischer spinaler oder peripherer Leitungsverzögerungen, generalisierte EEG-Veränderungen), der Liquoranalyse (Laktat- oder Eiweißerhöhung, Abgrenzung zur multiplen Sklerose [MS]), den extrazerebralen Manifestationen (Tab. 3) oder der Familienanamnese und dem klinischen Verlauf.
Bei spezifischen Hinweisen sichern ergänzende biochemische Untersuchungen und molekulargenetische Diagnostik die Verdachtsdiagnose (Tab. 1 und 2). Eine genetische Diagnostik ist für die Mehrzahl der Leukodystrophien verfügbar und kann bei konkretem Verdacht bereits in der primären Diagnostik eingesetzt werden, v. a. wenn keine biochemischen Tests möglich sind wie bei Morbus Alexander (GFAP-Gen), Pelizaeus-Merzbacher-Krankheit (PLP-Gen), Vanishing white matter disease (EIF2B1–5-Gene) und zystischer Leukenzephalopathie mit Megalenzephalus (MLC1-Gen). Darüber hinaus ist die Gendiagnostik bedeutsam für die Bestimmung von Anlageträgern und die genetische Beratung der Familien. Biopsien des N. suralis oder Hirnbiopsie sind nur noch in Einzelfällen bei unklaren Leukodystrophien erforderlich.

Spezieller Teil

Spezielle Leukodystrophien im Erwachsenenalter mit bekanntem Stoffwechseldefekt

X-chromosomale Adrenoleukodystrophie

Die X-chromosomal vererbte Adrenoleukodystrophie (X-ALD) ist mit einer vermuteten Inzidenzrate von 1:40.000 bis 1:17.500 die häufigste Leukodystrophie. Die primär chronisch neurodegenerative Erkrankung ist charakterisiert durch eine peroxisomale Störung im Stoffwechsel überlangkettiger, gesättigter Fettsäuren C24:0–C26:0 („Very long chain fatty acids“, VLCFA). Neben den chronisch neurodegenerativen Aspekten, die vor allem die langen Rückenmarkbahnen und die peripheren Nerven betreffen, kommt es bei einem Teil der Patienten zu akuten entzündlichen Demyelinisierungen der zerebralen Marklager. Mindestens 50 % der Patienten weisen darüber hinaus endokrinologische Störungen auf, insbesondere eine Nebennierenrinden- und/oder testikuläre Insuffizienz.
Pathogenese
Alle X-ALD-Patienten weisen Mutationen im ABCD1-Gen auf, welches für ein Protein (ALDP) kodiert, das für den transmembralen Transport von VLCFA in die Peroxisomen und deren anschließenden β-oxidativen Abbau verantwortlich zeichnet. Die Akkumulation überlangkettiger Fettsäuren in Körperflüssigkeiten und Geweben ist für alle X-ALD-Formen pathognomonisch und diagnostisch verwertbar. Die pathogenetische Bedeutung der VLCFA ist jedoch nicht eindeutig geklärt, wenngleich mittlerweile eine Reihe klinischer und tierexperimenteller Befunde auf eine direkt toxische und proinflammatorische sowie oxidative Stressphänomene auslösende Wirkung der VLCFA auf Gliazellen und Neuronen hinweisen.
Klinik
Die klinische Variabilität der X-ALD reicht von rasch progredienten zerebralen Verlaufsformen mit entzündlichen Demyelinisierungen und schweren neurologisch-psychiatrischen Syndromen mit Beginn im Kindesalter bis zur langsam fortschreitenden Adrenomyeloneuropatie (AMN)-Variante des Erwachsenenalters mit spinalen Symptomen im Sinne einer spastischen Paraparese, distal symmetrischen sensiblen Störungen und Blasendysfunktion oder sogar einer rein endokrinologischen Variante im Sinne eines Morbus Addison (bronzefarbene Haut, allgemeine Schwäche, rasche Ermüdbarkeit, arterielle Hypertonie; Abb. 2) ohne neurologische Auffälligkeiten (Tab. 4). Etwa 20 % der initial gutartig verlaufenden spinalen AMN-Verlaufsformen entwickeln nach etwa 10 Jahren entzündliche Demyelinisierungen, verbunden mit einer deutlichen Verschlechterung der Prognose (s. Fallbeispiel). Besonders beachtenswert ist, dass auch etwa 20–40 % der weiblichen Genträgerinnen AMN-ähnliche Symptome entwickeln, meist jedoch in abgemilderter Form und mit deutlich späterem Erkrankungsbeginn.
Tab. 4
Klinische Phänotypen der X-chromosomalen Adrenoleukodystrophie
X-ALD-Phänotyp
Beschreibung
Präsymptomatische Jungen
oder
Biochemischer und/oder genetischer Diagnosenachweis ohne Hinweise für endokrine oder neurologische Auffälligkeiten. Entwicklung aller klinischen Phänotypen im weiteren Verlauf möglich. Häufig <4. Lebensjahr, selten >40. Lebensjahr
nur Addison-Syndrom
Nebenniereninsuffizienz ohne neurologische Symptome. Regelmäßig spätere Entwicklung klinisch-neurologischer Phänotypen (meist AMN)
Kindlich zerebrale ALD
Beginn 3.–10. Lebensjahr. Verhaltensauffälligkeiten, dann kognitive Defizite und rasch progrediente neurologische Symptome (Tetraparese, HN-Ausfälle, Erblindung, Ertaubung, Dysarthrie, Dysphagie). Lebenserwartung ca. 3 Jahre, arretierte Verläufe möglich (selten)
Adulte zerebrale ALD
Beginn 25.–35. Lebensjahr mit Verhaltensauffälligkeiten; Psychosen, demenzielle Syndrome, später neurologische Defizite, Verlauf wie bei kindlicher ALD
Adrenomyeloneuropathie (AMN)
Beginn 20.–30. Lebensjahr mit langsam progredienter spastischer Paraparese, querschnittartige sensible Störungen mit thorakalem Niveau, Blasenstörungen, sexuelle Funktionsstörungen, polyneuropathische Symptome. Rollstuhlpflichtig durchschnittlich nach 10 Jahren, jahrzehntelanger Verlauf möglich. Etwa 20 % Konversion in adulte zerebrale Form nach 10 Jahren. 50–70 % Nebenniereninsuffizienz
Adrenoleukomyeloneuropathie (ALMN)
Klinischer Beginn und Symptomatik wie bei AMN, zusätzlich progrediente demenzielle Syndrom, Psychosen. Rascherer klinischer Verlauf
Symptomatische heterozygote Genträger
Klinische Symptomatik wie bei AMN, jedoch mit späterem Beginn (35.–40. Lebensjahr) und deutlich langsamerem Verlauf über Jahrzehnte
Innerhalb einer X-ALD-Familie treten verschiedene Phänotypen nebeneinander auf (keine Genotyp-Phänotyp-Korrelation). Ursächlich für die phänotypische Variabilität werden zusätzliche genetische Faktoren („modifier gene“) vermutet.
Diagnostik
Der Nachweis von VLCFA im Serum ist bei allen männlichen Genträgern diagnostisch sicher. Bei heterozygoten weiblichen Genträgerinnen können in 15–20 % der Fälle falsch-negative Befunde auftreten, sodass bei fortbestehendem Verdacht eine molekulargenetische Diagnostik (ABCD1, Chromosom Xq28) erforderlich ist.
50–70 % der männlichen Patienten weisen Zeichen der Nebenniereninsuffizienz auf, die gezielt gesucht und behandelt werden müssen (Kortikotropin [ACTH] i. S., ACTH-Stimulationstest, follikelstimulierendes Hormon [FSH], luteinisierendes Hormon [LH], Testosteron). In der Regel finden sich bei weiblichen Genträgerinnen keine endokrinen Störungen, selbst wenn bereits erhebliche neurologische Symptome vorliegen.
Annähernd 50 % der Patienten mit reiner AMN zeigen anfangs normale zerebrale MRT-Befunde, später häufig nichtkontrastmittelaufnehmende, symmetrische Signalanhebungen in T2-gewichteten Sequenzen im Verlauf der Pyramidenbahnen als Ausdruck der fortschreitenden Bahnendegeneration (Abb. 3) sowie eine Atrophie des Spinalmarks. Zerebrale Verlaufsformen der X-ALD zeigen charakteristische Befundmuster in der MRT mit entzündlichen Demyelinisierungen im Balken und der angrenzenden parietookzipitalen (80 %) oder frontalen (20 %) Marklager sowie mit randständiger Kontrastmittelaufnahme. Seltener finden sich entzündliche Demyelinisierungen im Kleinhirn oder Hirnstamm.
Entsprechend dem chronisch neurodegenerativen Charakter sowohl im zentralen als auch im peripheren Nervensystem finden sich insbesondere bei der AMN-Verlaufsform des Erwachsenalters neurophysiologisch bilateral symmetrische Verzögerungen bei Messung der peripheren Nervenleitgeschwindigkeiten und den evozierten Potenzialen (SEP=MEP>AEP>VEP). Zusammen mit der klinischen Symptomatik sind die paraklinischen Befunde differenzialdiagnostisch wegweisend in Abgrenzung zu anderen paraspastischen Erkrankungen wie etwa der spastischen Spinalparalyse oder chronisch progredienten Formen der multiplen Sklerose.
Therapie
Bei nachgewiesener endokriner Insuffizienz müssen entsprechende Hormone substituiert werden (Gluko- und Mineralokortikoide, Testosteron, Dehydroepiandrosteron [DHEAS]).
Mithilfe einer fettmodifizierten Diät und gleichzeitiger Einnahme einer Mischung spezieller, einfach ungesättigter Fettsäuren (Glycerol-Trioleat und Glycerol-Trierucat, als 4:1-Mischung im Lorenzos Öl) können die pathologisch erhöhten VCLFA-Plasmaspiegel innerhalb von 4–6 Wochen normalisiert werden. Offene Studien mit diesem naheliegenden Therapieansatz bei präsymptomatischen Kindern und nichtentzündlichen Verlaufsformen (AMN, symptomatische Heterozygote) legen eine verlaufsmodifizierende klinische Wirksamkeit nahe, wenngleich kontrollierte Studiendaten bislang fehlen. Die im Lorenzos Öl enthaltenen kürzerkettigen, einfach ungesättigten Fettsäuren führen zu einer kompetitiven Blockade der Fettsäurenkettenverlängerung für gesättigte Fettsäuren im gemeinsamen mikrosomalen Elongationssystem und somit zur Reduktion pathogener VLCFA. Neben der Therapie mit Lorenzos Öl befinden sich momentan weitere Therapieansätze mit dem Ziel der Normalisierung der VLCFA, regenerative Therapiestrategien und Strategien zur Reduktion oxidativer Stressfaktoren in der experimentellen und klinischen Erprobung.
In der Frühphase der bereits entzündlich demyelinisierenden Verlaufsformen der X-ALD besteht eine Indikation zur hämatopoetischen Stammzelltransplantation (HSCT). Bei etwa 50–70 % der ansonsten infausten kindlichen oder adulten zerebralen X-ALD kann durch die HSCT ein Überleben, größtenteils mit gutem klinischem Ergebnis erreicht werden. Eine aktuelle Studie legt darüber hinaus erstmals in einem gentherapeutischen Ansatz ähnlich gute Ergebnisse nach lentiviraler Ex-vivo-Transfektion von gesunden ABCD1-Genen in CD34-positive Zellen bei Kindern mit zerebraler X-ALD nahe.
X-chromosomale Adrenoleukodystrophie
Anamnese
Ein 32-jähriger Bankangestellter bemerkt erstmals im Alter von 22 Jahren leichte Gangstörungen, Gleichgewichtsstörungen und eine erektile Dysfunktion. Die Symptomatik nimmt im Verlauf der folgenden Jahre langsam fortschreitend zu: einseitige Gehhilfe mit 24, beidseitige Gehhilfe und zunehmende Blaseninkontinenz mit 26 Jahren. Trotz wiederholt unauffälliger zerebraler MRTs wird eine chronisch progrediente spinale Verlaufsform der multiplen Sklerose vermutet, zwischenzeitlich erfolgen Behandlungen mit Interferon-β und Kortison, die jedoch keine Wirkung zeigen. Im Alter von 28 Jahren erfolgt erstmals eine umfangreiche stationäre Untersuchung mit folgenden Ergebnissen:
Klinische Befunde etwa 6 Jahre nach Erkrankungsbeginn (28. Lebensjahr)
Ausgeprägte spastische Paraparese (Kraftgrade 2–3 nach JANDA) und distal betonte Muskelatrophie, verbunden mit einer schweren spastisch-ataktischen Gangstörung (Abb. 4a). Gehstrecke mit zwei Gehhilfen ca. 20 m. Muskeleigenreflex (MER) beinbetont kloniform gesteigert, beidseits positive Pyramidenbahnzeichen (PBZ). Obere Extremitäten ohne Kraftminderung, leicht dysmetrische Zeigeversuche. Hirnnerven unauffällig. Distal symmetrische sensible Störungen für alle Qualitäten mit Betonung der Pallästhesie (0/8 bis zum Knie beidseits), querschnittartig ab ca. Th10. Neurogene Blasenstörungen mit ausgeprägter Urge-Symptomatik und gelegentlicher Inkontinenz.
Paraklinische Befunde
  • Zerebrales MRT: T2-gewichtet symmetrische Signalanhebungen in Projektion auf die Pyramidenbahnen im Hirnstammverlauf bis zur Capsula interna (Abb. 4).
  • Spinales MRT: Thorakal betonte Spinalmarkatrophie, keine Signalauffälligkeiten.
  • Neurophysiologie: Normales VEP. Beidseits verzögerte Reizantworten II–V im AEP. SEP: Beidseits grenzwertig latente periphere und spinale Reizantworten, deutlich verzögerte und amplitudengeminderte kortikale Reizantworten. MEP: beinbetont ausgeprägte Verzögerung der zentralen motorischen Leitungszeiten.
  • Labor: Kortisol i.S. basal und nach Stimulation mit ACTH im Normbereich, ACTH i.S. 10-fach erhöht. VLCFA pathologisch (C26:0 5,4 mmol/l, C26:0/C24:0-Ratio stark erhöht).
Weiterer Verlauf
Rasch zunehmende neurologische Symptomatik mit Übergreifen der spastisch-ataktischen Störungen auf die oberen Extremitäten im Sinne einer beinbetonten Tetraspastik. Verlust der Blasen-Mastdarm-Kontrolle. Rollstuhlpflichtig. Später bettlägerig. Zunehmendes hirnorganisches Psychosyndrom, später mit psychotischen Unruhezuständen und Demenz. Entwicklung entzündlich demyelinisierender Marklagerläsionen im MRT (Abb. 4).

Metachromatische Leukodystrophie

Die metachromatische Leukodystrophie (MLD) ist eine autosomal-rezessive Erkrankung mit einer Inzidenz von etwa 1:40.000, verursacht durch Mutationen im Arylsulfatase-A-Gen (ARSA, Chromosom 22q13.31–qter). Die resultierende Stoffwechselstörung führt zur Ablagerung von sulfatierten Lipiden in multiplen Geweben und zur Demyelinisierung des zentralen und peripheren Nervensystems.
Klinik
Die meisten Patienten erkranken bereits im frühen Kindesalter. Bei etwa 20 % der betroffenen Genträger treten die Symptome erstmals im jungen Erwachsenenalter zwischen 16 und 30 Jahren auf, vereinzelt auch deutlich später. Bei erwachsenen Patienten zeigen sich zu Beginn der Erkrankung meist affektive Verhaltensauffälligkeiten, emotionale Labilität oder paranoide Psychosen, sodass die meisten Patienten primär psychiatrisch behandelt werden. Erst im Verlauf von Monaten bis Jahren (!) entwickeln sich neurologische Störungen, meist in Form einer langsam progredienten spastischen Paraparese, Ataxie, dystoner Bewegungsstörungen sowie einer zunehmenden Demenz. In späten Krankheitsstadien finden sich zusätzlich bulbäre Störungen, Sehstörungen und selten epileptische Anfälle.
Diagnostik
Klinische Zeichen der peripheren Neuropathie sind meist nicht vordergründig erkennbar, wenngleich die Polyneuropathie bei der Mehrzahl der Betroffenen bereits früh neurografisch messbar ist. Normale Nervenleitgeschwindigkeiten schließen die Diagnose jedoch keineswegs aus. Das Liquoreiweiß kann deutlich erhöht sein bei ansonsten unauffälligen Befunden. Das MRT zeigt diffuse, symmetrische Demyelinisierungen im periventrikulären Marklager mit frontaler Betonung (Abb. 5). Diagnostisch wegweisend ist eine verminderte Enzymaktivität der Arylsulfatase A in Leukozyten und Fibroblasten, wobei Pseudodefizienzen (5–20 % Restenzymaktivität ohne klinische Symptome) oder Sonderformen (Defizienz des Arylsulfatase-Aktivator-Proteins Saposin B mit normaler Arylsulfatase-A-Aktivität, PSAP-Gen, Chromosom 10q22.1) vorkommen können. Bei klinischem Verdacht sollte daher immer gleichzeitig die erhöhte Sulfatidausscheidung im Urin oder der gestörte Sulfatidabbau in kultivierten Fibroblasten bestimmt werden. Auch eine Gendiagnostik ist möglich (ARSA-Gen).
Therapie
Die Behandlung ist primär symptomatisch. Die Behandlungsergebnisse mit hämatopoetischer Stammzelltransplantation sind nicht einheitlich, wenngleich vereinzelt positive Erfahrungen berichtet werden. Aktuell befinden sich erste Ansätze mit einer Enzymersatztherapie in der klinischen Erprobung, deren Hauptproblem die Überwindung der Blut-Hirn-Schranke darstellt.

Globoidzellige Leukodystrophie (GLD), Morbus Krabbe

Der Morbus Krabbe ist mit einer Inzidenz von 1:100.000 eine sehr seltene, autosomal-rezessiv vererbte Erkrankung, verursacht durch eine Störung der β-Galaktozerebrosidase, ein wichtiges Enzym im Abbau von Zerebrosiden aus dem Myelin. Die resultierende pathologische Speicherung von Zerebrosiden in Oligodendrozyten und Makrophagen verursacht den charakteristischen globoidzelligen Charakter der histologischen Veränderungen. Zusätzlich akkumuliert Psychosin, ein weiteres, äußerst zytotoxisches, proinflammatorisches und letztlich zur Apoptose von Oligodendrozyten führendes Substrat der defizienten β-Galaktozerebrosidase.
Klinik
Etwa 10 % der Betroffenen sind Erwachsene mit langsam progredienter Paraspastik und motorischer, primär demyelinisierender Polyneuropathie, die teilweise asymmetrisch ausgeprägt ist und die kaudalen Hirnnerven mit betreffen kann. Vereinzelt finden sich Patienten mit zerebellärer Ataxie, Hemiparesen, Dystonie, Anfällen oder psychiatrischen Störungen.
Diagnostik
Das zerebrale MRT kann vereinzelt anfangs noch unauffällig sein (!), ist später jedoch diagnostisch wegweisend mit bilateral-symmetrischen Signalveränderungen in Projektion auf die Pyramiden- oder Sehbahnen, Demyelinisierungen zerebellär oder im Splenium des Corpus callosum und der angrenzenden weißen Substanz sowie Hirnatrophie (Abb. 5b). Vereinzelt werden auch verdickte kaudale Hirnnerven und zystische Läsionen angrenzend an die Vorderhörner der Seitenventrikel beschrieben. Der Liquor ist bis auf eine Proteinerhöhung und selten eine leichte lymphozytäre Pleozytose (10 Zellen/ml) unspezifisch. Zunehmend im Krankheitsverlauf finden sich allgemeine und epilepsietypische EEG-Veränderungen sowie verzögerte Nervenleitgeschwindigkeiten. Die verminderte β-Galaktozerebrosidase-Aktivität lässt sich in Leukozyten und Fibroblasten nachweisen und molekulargenetisch bestätigen (GALC-Gen, Chromosom 14q31).
Therapie
Ursächliche Behandlungsmöglichkeiten stehen momentan nicht zur Verfügung. Bei der infantilen Form bestehen begrenzte Erfahrungen mit der hämatopoetischen Stammzelltransplantation, meist im Sinne einer Abschwächung der klinischen Progression.

Weitere seltene Leukodystrophien mit bekanntem Stoffwechseldefekt

Einige der im Kindesalter gelegentlich vorkommenden Leukodystrophien sind bei Adoleszenten oder Erwachsenen extrem selten. Dazu gehören die Mannosidosen (α, β), Gangliosidosen (GM1, GM2), Mukolipidosen (besonders der Typ IV), Sialurie (Salla Disease), Sjögren-Larssen-Syndrom, die zerebrotendinöse Xanthomatose (CTX), Organoacidopathien und Hyperhomocysteinämien. Klinische und radiologische Leitsymptome sowie biochemische und molekulargenetische Charakteristika sind in Tab. 1 und 2 zusammengefasst.

Leukodystrophien des Erwachsenenalters ohne bekannten Stoffwechseldefekt

Vanishing white matter disease (VWMD)

Eine Gruppe bedeutsamer, bislang jedoch nicht vollständig verstandener, autosomal-rezessiver Leukodystrophien mit heterogenem klinischem Phänotyp und Erkrankungsbeginn in allen Lebensaltern ist charakterisiert durch eine fortschreitende zystische Degeneration der weißen Substanz, die in einem engen Zusammenhang zu Mutationen in fünf verschiedenen Genen (EIFB1–5) auf unterschiedlichen Chromosomen, die alle für sog. Translationsinitiationsfaktoren in der Proteinbiosynthese kodieren, steht. Ein Hauptvertreter dieser Gruppe wird als „Vanishing white matter disease“ (VWMD) bezeichnet. Die Prävalenz im Erwachsenenalter ist unklar, vermutlich ist die Erkrankung weit unterdiagnostiziert oder missverstanden als schwere vaskuläre Enzephalopathie, unklare Leukenzephalopathie oder chronisch progrediente MS. Histopathologisch finden sich im Gegensatz zur MS jedoch keine entzündlichen Veränderungen und Hinweise für eine primäre Hypomyelinisierung.
Klinik
Die im Kindesalter dominierenden Symptome wie zerebelläre Ataxie, Spastik, Epilepsie und Visusstörungen können im Erwachsenalter anfangs völlig fehlen. Hier stehen psychopathologische Störungen, insbesondere schizophrenie-ähnliche Bilder, hirnorganische Psychosyndrome und Verhaltensauffälligkeiten im Vordergrund. Sehr auffällig und stark kontrastierend zu den ausgeprägten MRT-Veränderungen sind häufig sehr gut erhaltene kognitive Funktionen. Charakteristischerweise beginnt die klinische Symptomatik in der Folge einer fieberhaften Infektion oder eines Bagatelltraumas mit nachfolgend anhaltenden, unklaren Bewusstseinsstörungen.
Diagnostik und Therapie
Die eindrucksvollen zystisch-leukodystrophischen Marklagerveränderungen, die vor allem in FLAIR-Sequenzen in der zerebralen MRT dargestellt werden können (Abb. 5b) sind häufig diagnostisch wegweisend. Ergänzend findet sich in der MR-Spektroskopie eine ausgeprägte Reduktion von N-Acetylaspartat. Aktuell wurde die Bestimmung einer Asialotransferrin/Transferrin-Ratio im Liquor als hochsensitive und spezifische Nachweismethode bei VWMD vorgeschlagen. Bei entsprechendem Verdacht kann die Diagnose molekulargenetisch gesichert werden.
Spezifische Behandlungsmöglichkeiten stehen nicht zur Verfügung. Quasi präventiv sollten jegliche Schädeltraumata (auch Bagatelltraumata) vermieden werden und Infektionen frühzeitig und konsequent antibiotisch behandelt werden.

Autosomal-dominante Leukodystrophie mit adultem Beginn (ADLD)

Die ADLD ist als chronisch progrediente, teilweise schubförmig verlaufende neurodegenerative Erkrankung eine wichtige Differenzialdiagnose zur sekundär chronisch progredienten multiplen Sklerose. Die Erkrankung beginnt meist jenseits des 40. Lebensjahrs mit autonomen Störungen wie Blasen- und Mastdarminkontinenz oder orthostatischer Dysregulation, die über Jahre die einzigen Symptome der Erkrankung sein können, gefolgt von spastischen Paresen, Hirnnervenstörungen und zerebellär ataktischen Störungen. Verhaltensauffälligkeiten und leichte kognitive Störungen entwickeln sich später. Verläufe über 20 Jahre und mehr sind möglich.
Die zugrunde liegende genetische Ursache der ADLD sind genomische Duplikationen für das Lamin-B1(LMNB1)-Protein auf Chromosom 5q23.3-q31.1.
Die zerebralen MRT-Befunde zeigen bereits in der Frühphase ausgedehnte leukodystrophische Veränderungen mit frontaler Dominanz und häufig fleckig inhomogenem, zystischem Charakter. Im Gegensatz zu Befunden bei MS fehlen regelmäßig kontrastmittelaufnehmende Läsionen. Sehr charakteristisch und konsistent nachweisbar sind auch Signalveränderungen im mittleren Kleinhirnstiel (Abb. 5c). Die leukodystrophischen Marklagerläsionen sind rasch progredient mit Ausbreitung nach posterior unter weitgehender Schonung der U-Fasern. Auch die langen Bahnen im Hirnstamm, Rückenmark und das Kleinhirn sind häufig mitbetroffen. Bereits früh im Krankheitsverlauf findet sich eine deutliche Atrophie des Spinalmarks mit flauen Signalanhebungen in T2-gewichteten (axialen) Sequenzen.
Die Therapie ist symptomatisch, spezifische Behandlungsmöglichkeiten bestehen nicht.

Adulte Leukenzephalopathie mit axonalen Spheroiden und pigmentierter Glia

Leukenzephalopathien mit neuroaxonalen Spheroiden stellen eine pathologisch gut charakterisierte, genetisch jedoch noch nicht weiter differenzierte Gruppe von primär demenziellen Erkrankungen des mittleren Erwachsenenalters dar. Die Erkrankung ist somit eine wichtige Differenzialdiagnose der präsenilen Demenz. Aufgrund histopathologischer Kriterien wird eine hereditäre diffuse Leukenzephalopathie mit axonalen Spheroiden („hereditary diffuse leukoencephalopathy“, HDLD) von einer familiären pigmentierten orthochromatischen Leukodystrophie („pigmentary orthochromatic leukodystrophy“, POLD) unterschieden.
Klinik
Abgesehen von einem vermutlich etwas rascheren Krankheitsverlauf mit prominenteren motorischen Störungen bei der POLD, beginnen beide Varianten ab dem 40.–50. Lebensjahr mit Verhaltensauffälligkeiten (Apathie, Antriebslosigkeit, emotionale Verflachung, Verwirrtheit, Angst), z. T. schweren depressiven Störungen und fortschreitender Demenz, gefolgt von (sekundärem) Parkinsonismus und spastisch-ataktischen Gangstörungen im späteren Verlauf. Die meisten Patienten sind nach 5–10 Jahren gehunfähig und komplett dement. Einige Patienten zeigen auch generalisierte epileptische Anfälle. Die häufig ausgeprägten frontotemporalen Hirnfunktionsstörungen sind sehr gut vereinbar mit histopathologischen und neuroradiologischen Befunden.
Diagnostik und Therapie
Die Befunde der Hirnbiopsie sind diagnostisch wegweisend mit schweren Destruktionen der Myelinscheiden, bevorzugt im Bereich der frontalen Marklager, axonalen Schäden mit zahlreichen Spheroiden, Gliose und Makrophagen, die teilweise PAS-positives, sudanophiles Pigment enthalten. Ultrastrukturelle Untersuchungen zeigen, dass die Spheroide phosphorylierte Neurofilamente, Ubiquitin, Amyloid precursor protein und Mitochondrien enthalten. Die pathophysiologische Bedeutung der Spheroide ist bislang unklar.
Das CCT zeigt eine frontotemporal betonte Hirnatrophie. Im MRT finden sich darüber hinaus symmetrische, teils fleckig-konfluierende, teils diffuse Signalanhebungen in T2-gewichteten Sequenzen (T1-Signalabsenkung) mit frontaler Betonung. Die komplette Labordiagnostik inklusive Liquor ist unauffällig, neurophysiologische Tests sind, abgesehen vom EEG bei Patienten mit Anfällen, nicht wegweisend auffällig.
Die Therapie ist symptomatisch mit mäßigem Erfolg bei der antidementiven oder antidepressiven Therapie sowie der symptomatischen Therapie des Parkinson-Syndroms.

Leukenzephalopathie mit Hirnstamm- und spinaler Mitbeteiligung sowie erhöhtem Laktat (LBSL)

Die LBSL („leukencephalopathy with brain stem and spinal cord involvement and elevated lactate“) ist eine seltene, autosomal-rezessive Erkrankung mit charakteristischem Befundmuster in der spinalen MRT (Abb. 5d) und typischem Laktatnachweis im Liquor cerebrospinalis und der MR-Spektroskopie.
Die Erkrankung beginnt meistens bereits in der Kindheit, jedoch sind mittlerweile auch Fälle mit adultem Beginn beschrieben. Die Patienten zeigen eine spastische Gangstörung, Ataxie, Störungen der Hinterstrangfunktionen der unteren Extremitäten und vereinzelt leichte kognitive Einbußen. Schubförmige Verschlechterungen, häufig in Verbindung mit Bagatelltraumen ähnlich wie bei der VWMD sind möglich. Die Diagnose kann molekulargenetisch gesichert werden (DARS2-Gen, Chromosom 1q25.1). Das defekte Gen kodiert zwar für die mitochondriale Aspartyl-tRNA-Synthetase, allerdings konnten bislang keine Dysfunktionen der Atmungskettenenzyme wie bei den klassischen mitochondrialen Enzephalopathien nachgewiesen werden.

Megalenzephale zystische Leukenzephalopathie (MLC-1)

Die megalenzephale zystische Leukenzephalopathie (MLC, „megalencephalic leukoencephalopathy with subcortical cysts“) wird autosomal-rezessiv vererbt. Sie ist ein klassisches Beispiel einer bereits im frühen Kindesalter beginnenden Leukodystrophie mit sehr langsam progredientem Verlauf, sodass viele Betroffene bis in die 4.–5. Lebensdekade überleben. Einige Patienten mit klassischem Beginn weisen im weiteren Verlauf (vorübergehend?) sogar klinische und neuroradiologische Befundverbesserungen auf. Etwa 80 % der Betroffenen zeigen Mutationen im MLC1-Gen auf. Klinisch finden sich anfangs nur leichte motorische und psychomotorische Entwicklungsverzögerungen, die stark zu den ausgeprägten MRT-Veränderungen kontrastieren (Abb. 5e). Alle Patienten sind makrozephal und entwickeln im Verlauf der Kindheit und Jugend leichte ataktische, spastische, teilweise auch dystone Symptome. Die meisten Patienten sind im späten Jugendalter nicht mehr gehfähig bei allerdings gut erhaltenen kognitiven Funktionen.
Neben den klinischen Charakteristika stützt sich die Diagnose auf MRT-Kriterien wie diffus T2-signalangehobene, geschwollene, später atrophische Marklager, Aussparung der zentralen Hirnstrukturen wie Stammganglien, Corpus callosum und Hirnstamm, fehlende Mitbeteiligung des Kortex und Nachweis subkortikaler und temporaler Zysten. Eine spezifische Therapie ist nicht verfügbar.

Sonstige erbliche Leukenzephalopathien mit Übergängen zur Leukodystrophie

Adulte Polyglucosankörperchenerkrankung

Die adulte Polyglucosankörperchenerkrankung (APBD, „adult polyglucosan body disease“) führt zu langsam fortschreitenden neurologischen Störungen, sowohl im zentralen als auch im peripheren Nervensystem. Es handelt sich um eine autosomal-rezessiv vererbte Synthesestörung für ein Glykogen-Branching-Enzym im Glykogenmetabolismus. Neuropathologisch finden sich runde, PAS-positive intraaxiale Einschlüsse im zentralen und peripheren Nervengewebe, die sehr charakteristisch, aber nicht spezifisch für die APBD sind.
Klinik
Erste klinische Symptome treten meist erst ab dem 40. Lebensjahr auf in Form von spastischen Gangstörungen, Parkinson-Syndromen und neurogenen Blasenstörungen. Bei einigen Patienten steht eine (senso-)motorische, axonal und distal betonte Polyneuropathie mit Atrophie und Muskelfaszikulationen im Vordergrund. Später entwickeln sich über einen Krankheitsverlauf von 5–10 Jahren kognitive Defizite, Ataxie sowie selten epileptische Anfälle.
Diagnostik und Therapie
Aufgrund multipler Isoenzyme ist der Enzymmangel nicht bei allen Patienten nachweisbar, eine Gendiagnostik ist jedoch möglich (GBE-Gen, Chromosom 3p14). Bei Patienten, bei denen die biochemische Diagnostik nicht wegweisend war, kann eine Nerven- oder axilläre Hautbiopsie den Nachweis von Polyglucosankörperchen erbringen und somit die Diagnose stützen. Die MRT zeigt schwere, diffuse, teils fleckig inhomogene periventrikuläre und zerebelläre Signalveränderungen der weißen Substanz (Abb. 6a).
Aufgrund pathogenetischer Überlegungen, dass die Störung im Glykogenabbau zu einem Substratmangel im Citratzyklus und nachfolgendem Energiedefizit führen könnte, wird momentan der Einsatz einer anaplerotischen Therapie mit Triheptanoin (1–2 mg/kg KG) in klinischen Studien geprüft. Ansonsten stehen momentan supportive und symptomatische Therapiemaßnahmen im Vordergrund.

Zerebral autosomal-dominante Arteriopathie mit subkortikalen Infarkten und Leukenzephalopathie

Die autosomal-dominante Arteriopathie mit subkortikalen Infarkten und Leukenzephalopathie (CADASIL) ist ein typisches Beispiel einer genetisch determinierten Multiinfarktdemenz. Der molekulargenetische Defekt ist lokalisiert auf dem Chromosom 19q12 im sog. NOTCH3-Gen. Bei dem Genprodukt handelt es sich um ein heterodimeres Protein bestehend aus einem kleinen transmembranösen und intrazellulären Anteil und einem größeren extrazellulären Anteil, der Epidermal growth factor repeats (EGFR) enthält. Pathogenetisch bedeutsam finden sich granuläre osmophile Ablagerungen in der Media und Adventitia der zerebralen Arteriolen als Ursache von Gefäßwandverdickungen und Stenosen, insbesondere der Marklager und kortexpenetrierenden Gefäße. Dies führt zu einer verminderten Vasoreagibilität hirnversorgender Arterien, diffuser chronisch zerebraler Hypoperfusion und rezidivierenden, lakunären Hirninfarkten.
Klinik
Das klinische Bild beginnt im 3. Lebensjahrzehnt bei bis zu 40 % der Betroffenen mit einer Migräne, die bei der Hälfte der Betroffenen kompliziert verlaufen kann. Etwa ein Jahrzehnt später kommt es zu wiederholten transienten ischämischen Attacken, denen im weiteren Verlauf eine progressive Demenz mit Gangstörungen, Harninkontinenz und Pseudobulbärparese folgt. Andere initiale Symptome sind bei etwa einem Drittel psychiatrische Erkrankungen, überwiegend als Depressionen und Anpassungsstörungen klassifiziert, sowie bei 10 % epileptische Anfälle. Die Prognose ist variabel zwischen 10 und 30 Jahren.
Diagnostik
Der Liquor cerebrospinalis ist nicht auffällig, insbesondere findet sich im Gegensatz zur Demenz vom Alzheimer-Typ kein erhöhtes Tau-Protein. Der elektronenmikroskopische Nachweis von granulärem osmophilem Material (GOM) in Arteriolen der Haut ist zwar hochspezifisch, jedoch nur in etwa 50 % der Fälle erfolgreich. Gesichert wird die Diagnose durch den Nachweis von Mutationen im NOTCH3-Gen.
Die klinische Verdachtsdiagnose einer CADASIL-Krankheit erhärtet sich durch den Nachweis multifokaler T2-signalintensiver Marklagerläsionen, besonders im Bereich des anterioren Pols des Temporallappens sowie im Bereich der Capsula externa. Im Gegensatz zu anderen Erkrankungen mit multifokalen Läsionsmustern wie beispielsweise der MS sind auch Läsionen in den Basalganglien und dem Thalamus sowie multifokale Mikroblutungen, besonders in den Stammganglien, nachweisbar in blutungssensitiven MR-Sequenzen.
Therapie
Die Behandlung ist symptomorientiert in Hinblick auf die Migräne, Schlaganfälle, Demenz und Epilepsie. Gute Erfahrungen gibt es für die Therapie der CADASIL-bedingten Migräne mit Azatazolamid. Der prophylaktische Einsatz gerinnungsbeeinflussender Medikamente ist vor dem Hintergrund der spezifischen CADASIL-Pathogenese und der relativ häufig vorkommenden zerebralen Mikroblutungen eher fraglich. Erhöhte Blutdruckwerte können gesenkt werden, wobei zu niedrige Blutdruckwerte auf Grund der eingeschränkten zerebralen Reservekapazität zu einer kritischen Reduktion des zerebralen Blutflusses führen können. Prophylaktische Behandlungen mit Statinen oder Methionin sind nicht wirksam. In einer multizentrischen Studie mit dem Antidementivum Donezepil konnte zunächst keine klinische Wirksamkeit belegt werden, allerdings ergaben sich eine Reihe relevanter methodischer Probleme, sodass weiterhin offen bleibt, welche Patienten von einer Therapie mit Donezepil profitieren könnten.

Morbus Alexander

Der Morbus Alexander ist eine seltene, autosomal-dominante, meist sporadisch auftretende Leukodystrophie. Nach der Erstbeschreibung 1949 durch Steward E. Alexander bei einem makrozephalen Kind mit verzögertem Wachstum und fortschreitenden neurologischen Defiziten sowie Anfällen wurden zunächst nur sporadisch weitere kindliche Fälle berichtet. Seit der Entdeckung des Gendefektes 2001 häufen sich jedoch Berichte über adulte Verlaufsformen der Erkrankung bei Patienten mit unterschiedlichsten Symptomen wie pseudobulbären Syndromen (Dysphagie, Dysarthrie, Dysphonie), Gangataxie, spastischen Paresen, okulomotorischen Störungen und vegetativen Symptomen.
Pathogenese
Ursächlich für die Erkrankung finden sich bei den meisten Patienten Mutationen im Gen für saures Gliafaserprotein (GFAP, Glial fibrillary acidic protein). Die fehlende Genotyp-Phänotyp-Korrelation der meisten bekannten Mutationen sowie das Auftreten a-(prä-)symptomatischer Genträger legt die Existenz zusätzlicher prädisponierender Faktoren nahe.
Histopathologisches Merkmal des Morbus Alexander sind zytoplasmatische Einschlüsse (sog. Rosenthal-Fasern) in Astrozyten, vorwiegend aus subependymalen, perivaskulären und subpialen Regionen. Die komplexen Einschlüsse enthalten neben dem mutierten GFAP andere intermediäre Filamente und Proteine wie Vimentin, Plectin, Ubiquitin, HSP27 und α-B-Crystallin. Die pathogenetische Bedeutung der Rosenthal-Fasern ist unklar, möglicherweise handelt es sich um degenerative Abbauprodukte der betroffenen Astrozyten. Der Morbus Alexander ist mithin die bislang einzige Leukodystrophie mit primärem Befall der Astrozyten.
Diagnostik und Therapie
In der häufig diagnostisch wegweisenden cMRT zeigen sich bei erwachsenen Patienten charakteristische, teilweise kontrastmittelaufnehmende multifokale Läsionen im Hirnstamm, Kleinhirn und dem oberen Zervikalmark, subependymal periventrikulär mit frontaler Betonung und Atrophie. Die bei kindlichen und juvenilen Formen häufige frontal betonte Demyelinisierung ist bei Erwachsenen deutlich weniger ausgeprägt sichtbar.
Die Therapie des Morbus Alexander ist symptomorientiert, eine kausale Therapie ist nicht bekannt.

Facharztfragen

1.
Welches sind die wesentlichsten Kriterien für leukodystrophische Erkrankungen?
Nennen Sie Leitsymptome leukodystrophischer Erkrankungen im Erwachsenenalter.
 
2.
Was verstehen Sie unter Mustererkennung („pattern recognition“) in der MRT? Geben Sie charakteristische Beispiele.
 
3.
Welche Leukodystrophien können nur molekulargenetisch sicher diagnostiziert werden?
 
4.
Nennen Sie Beispiele für peroxisomale und lysosomale Leukodystrophien.
 
5.
Welche Leukodystrophien werden X-chromosomal vererbt?
 
6.
Bei welchen Leukodystrophien des Erwachsenenalters finden sich gleichzeitig Zeichen einer Polyneuropathie?
 
7.
Welche Leukodystrophien des Erwachsenenalters müssen differenzialdiagnostisch zu (sekundär) chronisch progredienten Formen der multiplen Sklerose bedacht werden?
 
8.
Beschreiben Sie die phänotypischen Varianten der X-chromosomalen Adrenoleukodystrophie.
 
9.
Wie können Sie eine X-chromosomale Adrenoleukodystrophie diagnostizieren?
 
10.
Gibt es Behandlungsoptionen für die X-chromosomale Adrenoleukodystrophie?
 
11.
Welche Symptome würden Sie bei Verdacht auf eine metachromatische Leukodystrophie (MLD) des Erwachsenenalters erwarten?
 
12.
Wie unterscheidet sich die metachromatische von der globoidzelligen Leukodystrophie (GLD) biochemisch, radiologisch und klinisch?
 
13.
Nennen Sie 5 seltene Leukodystrophien des Erwachsenenalters (außer X-ALD, MLD, GLD) und schildern Sie deren klinische Leitsymptome.
 
14.
Schildern Sie 5 wichtige Charakteristika (klinisch oder diagnostisch) der Vanishing white matter disease.
 
15.
Ihnen wird ein 50-jähriger Patient mit extrapyramidalmotorischen Bewegungsstörungen, leichter Paraspastik und depressiv gefärbtem hirnorganischen Psychosyndrom vorgestellt. Welche Differenzialdiagnosen ziehen Sie in Betracht? Begründen Sie Ihre Ansicht.
 
16.
Sie stellen bei einer 22-jähren Patientin mit Verdacht auf eine chronisch progrediente MS ein erhöhtes Laktat im Liquor cerebrospinalis fest. Welche Differenzialdiagnosen ziehen Sie jetzt in Erwägung und welche weiteren Untersuchungen veranlassen Sie?
 
17.
Ein 70-jähriger Patient mit demenziellem Syndrom und neurogenen Blasenstörungen wird Ihnen wegen distal symmetrischer Missempfindungen der Füße und peroneal betonten atrophischen Paresen vorgestellt. Woran denken Sie und welche weiteren Untersuchungen veranlassen Sie?
 
18.
Was verstehen Sie unter einem CADASIL-Syndrom? Wie lässt sich diese Diagnose sichern?
 
19.
Kennen Sie charakteristische klinische und neuroradiologische Merkmale des Morbus Alexander bei erwachsenen Patienten?
 
Literatur
Zitierte Literatur
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