Neurorehabilitation auf der Intensivstation
Eine intensivmedizinische Behandlung ist erforderlich, wenn vitale Funktionen des Patienten ausgefallen sind oder der Patient wegen eines abnorm erhöhten Sympathikotonus als Folge der zerebralen Läsion analgosediert werden muss. In der Regel ist der Patient also sediert und beatmet (deshalb oral/nasal intubiert oder bei längerer Beatmungspflichtigkeit tracheotomiert), bedarf häufig einer intravenösen medikamentösen Therapie und Ernährung häufig über zentralvenöse Katheter und wird kontinuierlich überwacht bezüglich Hämodynamik, Diurese und z. T. Hirndruck. Durch die Verbindung zu Beatmungs- und Überwachungsgeräten und die Sedierung ist der Patient immobil und kommunikationsunfähig.
Die rehabilitativen Therapiemaßnahmen müssen auf die dadurch bedingten Einschränkungen zugeschnitten werden, gleichzeitig führen diese Einschränkungen zu Sekundärschäden, die zu vermindern oder zu vermeiden Ziel der Therapie ist. So geht längere Bettlägerigkeit mit Muskelabbau,
Osteoporose, Dekubitusgefahr, Fehladaptation der Blutdruckregulation an die ausschließlich horizontale Körperlage einher. Der bei zerebralen Läsionen erhöhte Sympathikotonus führt zu einem erhöhten Kalorienverbrauch und dementsprechend zur Gefahr der Mangelernährung. Die bei zerebralen und spinalen Läsionen häufige Erhöhung des Muskeltonus (Spastik) kann zu Muskel- und Sehnenverkürzungen, Schrumpfungen der Gelenkkapsel und dadurch zu (auch passiv) verminderter Gelenkbeweglichkeit, Kontrakturen und (partiell) fixierten Fehlstellungen der Extremitäten führen, die die spätere Mobilisierung des Patienten erschweren und einschränken können. Besonders häufig sind Kontrakturen am Sprunggelenk (mit Ausbildung eines Spitzfußes – verhindert den Sohlenkontakt beim Stehen) und am Schultergelenk.
Dementsprechend müssen die rehabilitativen Therapiemaßnahmen auf der Intensivstation die mangelnde vegetative Stabilität, die Folgen der neurologischen Schädigung und die drohenden oder schon vorhandenen Sekundärschäden berücksichtigen:
Motorische Rehabilitation
Die Rehabilitation der Motorik fällt in das Aufgabengebiet von Physiotherapie, Ergotherapie und insbesondere in Hinblick auf Selbsthilfetraining zur Pflege des eigenen Körpers (Aufstehen, Waschen, Zähneputzen, Essen und Trinken sowie Toilettengang, auch bezeichnet als Aktivitäten des täglichen Lebens, ADL) in den Bereich der rehabilitativen Krankenpflege. Die Umsetzung der erlernten Funktionen über die Zeiten der üblichen Anwesenheit von Physio- und Ergotherapeuten hinaus in Form eines 24-Stunden-Behandlungskonzeptes sollten von den Mitarbeitern des Pflegedienstes durchgeführt werden, sodass sie speziell in den rehabilitativen Behandlungsverfahren weitergebildet sein müssen.
Dysphagie/Schluckstörung
Bei der willkürlichen Kontrolle des Schluckens werden weitgehend gleiche anatomische Strukturen wie beim Sprechen benutzt (50 Muskelpaare und 6 Hirnnerven), sodass die Behandlung meist durch die Sprachtherapie, also Logopäden oder Sprachheilpädagogen durchgeführt wird.
Schluckstörungen sind von besonderer Relevanz, weil Aspiration mit häufig folgender
Pneumonie den Patienten gefährdet. Insofern besteht eine enge Beziehung auch zur Frage der Sicherung der Atemwege durch Intubation,
Beatmung, Tracheotomie, weiterhin eine enge Beziehung natürlich zur ausreichenden Nahrungs- und Flüssigkeitszufuhr.
Schluckstörungen
treten relativ häufig auf, bei akutem
Schlaganfall in ca. 40–50 % der Fälle, bei Hirnstammläsionen bei genauerer Untersuchung in ca. 80 %.
Der Schluckvorgang gliedert sich in vier Phasen. Die orale Vorbereitungsphase besteht aus Kauen und Einspeicheln und anschließend der Formung eines Speiseklumpens (Bolus). Dieser wird in der jetzt folgenden oralen Transportphase nach hinten in Richtung Rachen bewegt. Diese beiden Phasen sind willkürlich gesteuert. Der Schluckreflex wird dadurch ausgelöst, dass der Bolus mit dem Gaumensegel und Zungengrund Kontakt macht. Dies ist der Beginn der pharyngealen Phase. Um ein Eindringen der Nahrung in die Nase zu verhindern, kommt es zu einer Hebung des Gaumensegels mit Abdichtung des Nasenrachens und einer Kontraktion der oberen Schlundmuskeln. Anschließend hebt sich der Kehlkopf, verbunden mit einer Senkung der Epiglottis, um den Bolus über dem Eingang zum Kehlkopf nach hinten Richtung Ösophagus zu transportieren. Als weitere Sicherungen gegen Eindringen von Flüssigkeit und Nahrung in die Trachea kommt es zu einem Verschluss von Taschenfalten und Stimmlippen. Durch Öffnung des oberen Ösophagussphinkters tritt der Bolus in den Ösophagus ein. Dieser Übertritt wird durch Schieben der Zunge, pharyngeale Konstriktionen, das Eigengewicht des Bolus und zusätzlich durch einen Unterdruck im Hypopharynx, der durch die Hebung und Vorverlagerung des Kehlkopfes entsteht, hervorgerufen. In der sog. ösophagealen Phase wird der Bolus durch die Peristaltik in Richtung Magen transportiert. Der distale Ösophagus und der untere Ösophagussphinkter bestehen aus glatter Muskulatur, sind vegetativ innerviert und daher funktionellen Behandlungsmethoden nicht zugänglich.
Kompensatorische Maßnahmen
Kompensatorische Verfahren umfassen spezielle Schluckmanöver, Haltungsänderungen des Kopfes beim Schlucken und Anpassung der Kost an das Schluckvermögen. Auch die schon erwähnten Maßnahmen zur Steigerung des sensorischen Inputs werden z. T. dazugezählt.
Bei reduzierter Larynxbewegung nach oben und dadurch bedingter Öffnungsstörung des oberen Ösophagussphinkters ist das Mendelsohn-Manöver indiziert. Dabei soll der Patient willkürlich durch Anspannung der Rachen- und Zungengrundmuskulatur den Kehlkopf mehrere Sekunden in hoher Position halten lernen. Dies kann durch Bewusstmachung der Kehlkopfbewegungen durch Ertasten der Kehlkopfverschiebung am Hals von außen und durch Drücken der hinteren Zungenanteile gegen den Gaumen bei geschlossenem Kiefer gelingen.
Bei prädeglutitiver Aspirationsgefahr wird das sog. supraglottische Schlucken durchgeführt, indem durch willkürliches Atemanhalten ein frühzeitiger Stimmlippenverschluss herbeigeführt wird. Durch sehr kräftiges Atemanhalten kann auch ein Verschluss des Kehlkopfeingangs (Taschenfaltenverschluss) durch Kippen der Aryknorpel und damit die Verhinderung einer intradeglutitiven Aspiration erreicht werden (sog. supra-supraglottisches Schlucken). Postdeglutitive Retentionen können bei Bedarf abgehustet werden.
Durch Haltungsänderungen des Kopfes kann man durch die Schwerkraft die Bewegungsrichtung des Bolus beeinflussen. Durch eine Kopfneigung nach vorn kann man bei gestörter oraler Phase eine prädeglutitive Aspiration verhindern, indem die Nahrung nicht vor der Reflexauslösung in den Rachen gleitet. Bei halbseitiger Lähmung kann durch Rotation des Kopfes zur betroffenen Seite eine Verkleinerung des Rachens auf dieser Seite und durch Kopfneigung zur gesunden Seite ein Abschlucken über die nichtparetische Seite erreicht werden.
Bei degenerativen Erkrankungen (z. B.
amyotrophe Lateralsklerose mit bulbärer Beteiligung) kommt es durch die Atrophie der Zunge zur Verminderung des Druckes zwischen Gaumen und Zunge, mit der der Bolus rachenwärts transportiert wird. Dann kann eine individuell angepasste Gaumensegelprothese den Raum zwischen Zunge und Gaumen vermindern und den oralen Transport erleichtern.
Im Einzelfall kann auch der Einsatz von Ess- und Trinkhilfen (Schiebelöffel bei gestörtem oralen Transport, Trinkbecher mit Dosierfunktion, Trinken mit Strohhalm) indiziert sein.
Nahrungsadaptationen richten sich nach der Art der Schluckstörung. Bei verminderter Öffnung des oberen Ösophagussphinkters werden Flüssigkeiten leichter eingeschluckt als feste Konsistenzen. Bei Sensibilitätsstörungen werden feste Konsistenzen besser wahrgenommen als flüssige, Temperaturunterschiede erleichtern ebenfalls die Wahrnehmung. Die Fließgeschwindigkeit von Flüssigkeiten lässt sich durch Andicken verlangsamen. Bei gestörter Kau- und oraler Transportfunktion erleichtern breiige Konsistenzen das Schlucken. Krümelige, klebrige und gemischte Konsistenzen sind am schwierigsten zu kontrollieren.
Bei neurogenen Dysphagien ist häufig die Kombination von kausalen, kompensatorischen und adaptiven Verfahren nötig, um zum Erfolg zu kommen.
Sprachtherapie
Fall 1
Die 57 Jahre alte Patientin erlitt eine schwere Ischämie im Stromgebiet der A. cerebri media links.
Ätiologie: Kardiogen embolisch bei persistierendem Foramen ovale und mit Vorhofseptumaneurysma.
Klinik: Globale Aphasie, Anarthrie, Dysphagie, Fazialisparese und zunächst schlaffe, hochgradige Hemiparese rechts.
Wegen einer unklaren Latenz zwischen Beginn der klinischen Symptomatik und Klinikaufnahme wurde keine Lyse durchgeführt. Wegen progredienter Hirnschwellung und zunehmender Vigilanzminderung wurde am Folgetag eine Dekompressionskraniektomie in der Abteilung für Neurochirurgie durchgeführt. Bei Wiederaufnahme war die Patientin intensivpflichtig und beatmet. Auf der Intensivstation stand das
Weaning der Patientin (Entwöhnung von der
Beatmung) im Vordergrund. Begleitend wurde die Patienten physiotherapeutisch vorsichtig (wegen der Schädellücke, die zu einer Verlagerung des Gehirns beim Aufrichten führen kann) mobilisiert. 10 Tage nach Beginn der Symptomatik war das Weaning abgeschlossen und die Patientin konnte hausintern auf die Frührehabilitationsstation verlegt werden. Hier konnte die Therapie mit Physio-, Ergo-, Schluck- und Sprachtherapie intensiviert werden. In der endoskopischen Schluckuntersuchung wurde eine mittelschwere Dysphagie festgestellt mit prädeglutitiver Aspirationsgefahr bei breiigen Konsistenzen und postdeglutitiver Aspirationsgefahr bei festen Konsistenzen. Kein Hinweis auf eine Stimmlippenparese, klinisch reduzierter Hustenstoß und pharyngolaryngeale Hypästhesie, Kraft von Zunge und Pharynx reduziert. Die Therapieinhalte bestanden in thermaler Stimulation und in pharyngealer Elektrostimulation nach Hamdy zur Verbesserung der Wahrnehmung im Bereich des Pharynx, in Austestung der Konsistenzen, oralem Kostaufbau und schlucktherapeutischer Essensbegleitung. Die zunächst erforderliche Magensonde konnte entfernt werden.
Wegen der globalen Aphasie war eine verbale Kommunikation zunächst nicht möglich. Die Sprachverständnisstörung bildete sich aber zurück, sodass für kurze Sätze auf Alltagsebene bald ein relativ gutes Sprachverständnis vorhanden war. Gesten konnten erkannt und nachgeahmt werden. Spontansprache war zunächst nicht möglich.
In der Physiotherapie wurde zunächst die Rumpfkontrolle im Sitz und Stand verbessert. Stehen war dann mit Hilfe eines Therapeuten, erste Gangversuche mit Hilfe von 2 Therapeuten möglich. Insbesondere wurde an der Funktion des rechten Beines in der Schwung- und Standbeinphase gearbeitet. Lagewechsel im Bett gelangen mit wenig Hilfe, der Transfer vom Bett in den Rollstuhl und auf die Toilette war nicht selbstständig, erforderte aber zunehmend weniger Hilfe. Der rechte Arm blieb zunächst weiterhin trotz Ergotherapie plegisch. Der Blasendauerkatheter konnte komplikationslos gezogen werden, Harn- und Stuhlkontinenz waren gegen Ende der Frührehabilitationsphase gegeben.
Knapp 2 Monate nach der Ischämie erfolgte die Rückverlegung der Patientin in die Abteilung für Neurochirurgie zur Knochendeckelreimplantation, die komplikationslos verlief. 6 Tage später wurde die Patientin zur Rehabilitation wieder aufgenommen, die 3 ½ Monate dauerte. Wegen einer depressiven Stimmungslage wurde mit Reboxetin und Mirtazapin behandelt, was die Stimmung gut stabilisierte.
Physiotherapeutisch waren die Fortschritte bezüglich des Transfers, der Stand- und Gangfunktion erfreulich, sodass die Patientin gegen Ende der Rehabilitation mit Peroneusschiene und Gehstock selbstständig mobil war. Wie bei der Läsionslokalisation erwartet, waren die Fortschritte in der Ergotherapie bei der Rehabilitation des Armes sehr viel geringer. Es konnte nur eine geringe proximale Reinnervation erreicht werden, die einen Alltagseinsatz des rechten Armes nicht erlaubte. Im Rahmen der Schlucktherapie gelang ein Kostaufbau bis hin zur Vollkost und allen Flüssigkeiten.
Hinsichtlich der Aphasie konnte jetzt erstmals eine sprachsystematische Diagnostik mit dem Aachener Aphasie-Test erfolgen, was eine schwere bis mittelschwere globale Aphasie bestätigte. Zusätzlich wurden eine schwere laryngeale Apraxie, eine leichte bukkofaziale Apraxie diagnostiziert und der Verdacht auf eine Sprechapraxie geäußert.
Schwerpunkt der Therapie war zunächst das Sprachverständnis, wobei mit semantisch und phonematisch unrelationiertem Material auf Wort- und Satzebene gearbeitet wurde. Die semantischen Kontraste konnten zunehmend verringert werden und die Auswahlmengen von Objekt- und Handlungsabbildungen gesteigert werden.
Hinsichtlich des Sprachverständnisses konnte also ein langsamer, aber kontinuierlicher Fortschritt verzeichnet werden. Hinsichtlich der Sprachproduktion war dies nicht der Fall. Ein spontaner Wortabruf gelang nur selten, sodass Spontansprache kaum möglich war. Am Ende dieses Behandlungsabschnittes konnte die Patientin ein PC-Selbsttraining von Sprachverständnisleistungen durchführen und an Gruppentherapien teilnehmen. Zusätzlich erfolgte ein PACE-Training zur Förderung der Kommunikation über nichtsprachliche Kanäle (Gesten, Zeichnen) und ein Training mit den Angehörigen zur Verbesserung der Kommunikation zwischen Patientin und Familie.
Zur Intervallrehabilitation wurde die Patientin 1 ½ Jahre nach dem Ereignis für 6 Wochen nochmals aufgenommen. Ziel war insbesondere die Verbesserung der inzwischen leicht- bis mittelgradigen globalen Aphasie mit leichter Sprechapraxie. Eine Verbesserung der Flüssigkeit der Sprachproduktion durch Verbesserung des Zugriffs auf das phonologische Outputlexikon für alltagsrelevante Verben und Nomina sowie die Verbindung von Objekt und Verb waren Therapiegegenstand. Zunächst wurde die Sprachproduktion mit alltagsrelevanten phonologisch einfachen Nomina und Verben geübt und dann die Phrasenebene erarbeitet, wobei zuerst bei gleichem Verb das Objekt, später bei fixem Objekt das Verb variiert wurde. Obwohl hochfrequent alltagsrelevante Situationen mit der Objekt-Verb-Verbindung geübt wurden, gelang ein Transfer in den Alltag nur ansatzweise. Eine Kommunikation über alltagsrelevante oder persönliche Themen gelang schließlich mit Unterstützung, z. B. durch das Kommunikationsbuch oder durch Nachfragen des Gesprächspartners. Eine eigene mündliche Darstellung einfacher Sachverhalte gelang durch Ein- bis Zweiwortphrasen. Aufgrund der weiter deutlichen Wortabrufproblematik gelang die Vermittlung des Sachverhaltes nicht immer, regelmäßig war die mündliche Kommunikation deutlich verlangsamt. Im Rahmen eines alltagsorientierten Trainings setzte die Patientin neben der Sprache alternative Kommunikationsmöglichkeiten ein, was meist eine Erfüllung der Aufgabe erlaubte.
Hinsichtlich der Physiotherapie wurde Gehen über 100 m ohne Hilfsmittel erreicht, wobei der Gang über eine leichte Zirkumduktion erfolgte und weiterhin noch eine leichte Fußheberschwäche sowie eine Schwäche der Becken- und Beinmuskulatur bestand. Der Einbeinstand für kurze Zeitintervalle war möglich. Die Armlähmung ließ sich schließlich soweit bessern, dass die rechte Hand für leichtere Aufgaben als Haltehand eingesetzt werden konnte.
Fall 2
Beim Golfspielen bemerkte der 75-jährige Patient plötzliche
Schmerzen im Kiefer mit Ausstrahlung ins Sternum und Abdomen, als deren Ursache sich eine akute
Aortendissektion mit Ausriss der rechten A. coronaria und akutem transmuralem
Myokardinfarkt herausstellte. Es erfolgte der Aortenklappenersatz mit Perimount-Perikard-Bioprothese, ein Ersatz der Aorta ascendens und des Aortenbogens mit Dacron-Prothese, eine Reimplantation der rechten Koronararterie und eine Revaskularisation dieser Arterie mit einem Venenbypass. Dies war gefolgt von einem komplikationsreichen Verlauf mit u. a.
heparininduzierter Thrombozytopenie Typ II, Leberversagen,
Aszites,
Pneumonie,
Sepsis, Phlebitis mit
Candida albicans, rezidivierenden Harnwegsinfekten mit ESBL. Nach herzchirurgischer und intensivmedizinischer Behandlung über 10 Wochen erfolgte die Aufnahme auf die Frührehabilitation, wobei eine
Critical-Illness-Polyneuropathie mit schlaffer Tetraparese und Dysphagie mit aspirationsgefährdender Schluckstörung und deshalb Versorgung mit geblockter Trachealkanüle sowie eine Critical-Illness-Enzephalopathie diagnostiziert wurden. Eine Laryngo- und
Bronchoskopie zeigte pharyngeale Speichelretention mit Aspiration von Flüssigkeit, sodass der Patient nicht dekanüliert werden konnte und eine PEG-Sonde zur enteralen Ernährung angelegt wurde. Die Ernährung des Patienten war kompliziert durch Refluxepisoden und Durchfälle, sodass die Sondenkost mehrfach gewechselt werden musste, bis eine verträgliche Ernährung gefunden war, unter der der Patient sein Gewicht halten konnte. Wegen hoher Speichelsekretion erfolgte unter sonografischer Kontrolle eine Botulinumtoxininjektion in die 4 Speicheldrüsen. Eine Videolaryngoskopie nach 2 ½ Monaten zeigte noch eine ausgeprägte Speichelretention, Retention von Götterspeise und uneingedickter Flüssigkeit in den Valleculae und Sinus piriformis. Bei permanenter Speichelaspiration lag ein guter Hustenstoß vor.
Eine Störung des Kurzzeitgedächtnisses wurde als Enzephalopathie infolge der wiederholten Infektionen interpretiert. Unter vollkalorischer Ernährung, Nachlassen der infektiologischen Komplikationen und unter Physio-, Ergo- und Schlucktherapie machte der Patient zunehmend Fortschritte. War zunächst nur eine Mobilisation in den Rollstuhl je nach Tagesform möglich, konnte der Patient dann frei sitzen, den Transfer in den Rollstuhl aktiv unterstützen, mit 2 Therapeuten am Unterarmgehwagen gehen und mit einer Person kurzfristig stehen.
Bei der Selbsthilfe in den Aktivitäten des täglichen Lebens brauchte er zunehmend weniger Unterstützung, war aber wegen der neuropsychologischen Defizite noch eingeschränkt.
Auch die Schluckfunktion besserte sich zunehmend, sodass die Trachealkanüle schließlich nach 4 ¼ Monaten entfernt werden konnte. Das dilatative Tracheostoma verschloss sich spontan, Hustenstoß und Stimmqualität waren damit verbessert.
Nach Abschluss der Frührehabilitation wurde in der Rehabilitation mit den gleichen Schwerpunkten weitergeübt, ergänzt durch
neuropsychologische Therapie. Der Verlauf war durch eine länger anhaltende rotavirusbedingte Enterokolitis mit Durchfall und Erbrechen und Isolationsnotwendigkeit verkompliziert. Trotzdem erreichte der Patient schließlich eine Gehstrecke von 400 m, Treppensteigen mit Festhalten am Geländer, eine vollständige Selbstständigkeit in den Aktivitäten des täglichen Lebens. Die Schluckfunktion war schließlich ungestört, sodass die PEG entfernt werden konnte.
Neuropsychologisch zeigte sich eine Verbesserung der kognitiven Verarbeitungsgeschwindigkeit auf ein gut durchschnittliches Niveau mit kontinuierlich stabiler Aufmerksamkeitszuwendung. Bei der zeitlichen Orientierung und bei der alltagsnahen Prüfung der Gedächtnisleistungen ergaben sich jedoch noch Beeinträchtigungen bei relativ ungestörtem Altgedächtnis. Der Patient konnte schließlich unter Betreuung durch die Ehefrau nach Hause entlassen werden und wurde ambulant zunächst noch weiterbehandelt.
Neuropsychologische Rehabilitation
Ziel der neuropsychologischen Behandlung sind die sog. höheren Hirnfunktionen mit Ausnahme der Sprache. Basale neuropsychologische Funktionen wie Wahrnehmung (Kognition), deren Fokussierung (Aufmerksamkeit), Antrieb, Stimmungslage (Affekt) und Gedächtnis sind Voraussetzungen dafür, dass Leistungen wie Planen, Problemlösen, die Koordination motorischer Leistungen, emotionale Kontrolle, Lernen und Entscheidungsprozesse gelingen können. Aphasien mit ihrer Einschränkung des Sprachverständnisses und des sprachlichen Ausdrucks können die neuropsychologische Behandlung erheblich erschweren.