Skip to main content
Klinische Neurologie
Info
Verfasst von:
Rolf R. Diehl
Publiziert am: 23.09.2017

Synkopen und andere nichtepileptische Anfälle

Anfallartige Ereignisse bei Patienten gehören zu den häufigsten Gründen für die Konsultation von Notärzten oder die Vorstellung in Kliniknotaufnahmen oder sonstigen Notfallambulanzen. Oft ist dann in der Untersuchungssituation der Anfall bereits abgeklungen, sodass der Arzt für eine erste Einschätzung des Ereignisses auf die Schilderung des Patienten angewiesen ist oder im glücklichen Falle auch auf eine Fremdanamnese zurückgreifen kann. Bei vielen Attackenformen ermöglichen die anamnestischen Angaben dem Notarzt bereits eine Verdachtsdiagnose oder zumindest eine Zuordnung zu einer bestimmten klinischen Disziplin. So verweist etwa bei Anfällen, bei denen das Symptom „Schmerz“ im Vordergrund steht, die Angabe der Schmerzlokalisation bzw. des Schmerzcharakters (z. B. stechende Schmerzen im linken Brustraum bei akutem Koronarsyndrom) oft schon auf die Ursache. Weitere zügig verfügbare medizinische Informationen (körperlicher Befund, Notfalllabor, EKG, Vitalparameter) können dann die Diagnose sichern und zur raschen Therapieeinleitung und Zuweisung zur zuständigen Fachdisziplin führen. Häufig aber fällt es dem Notarzt schwer, aus der Anamnese eine Krankheitsentität zu erkennen, insbesondere wenn die Angaben diffus und unpräzise sind oder wenn zu bestimmten Merkmalen der Attacke (z. B. Dauer einer Ohnmacht) keine Informationen vorliegen. Dies betrifft z. B. Schwindelanfälle, die vom Patienten oft schwer verbalisierbar sind und deren anamnestische Abklärung durch gezielte Fragen bereits eine besondere Expertise des Diagnostikers erfordert. Vor allem solche Anfallssymptome, die sich als Veränderungen neurologischer oder psychischer Funktionen manifestieren, können oft vom Notarzt nicht adäquat eingeschätzt werden oder führen zu einer der beiden großen „Schubladen“ von Verdachtsdiagnosen „TIA“ (transitorisch ischämische Attacke) oder „Krampfanfall“. Immerhin wird der Patient mit diesen Verdachtsdiagnosen, auch wenn diese später nicht bestätigt werden, an den Neurologen übergeben. Auch wenn nicht jeder Anfall mit neurologischer Symptomatik auch neurologische Ursachen hat (man denke etwa an die Hypoglykämie, die nahezu jedes fokal-neurologische Defizit hervorrufen kann), ist doch der Neurologe in der Regel derjenige ärztliche Kollege im Notaufnahmeteam, der die breitesten differenzialdiagnostischen Kenntnisse in Bezug auf Schwindel, Ohnmachtsanfälle, attackenartige Seh- oder Sensibilitätsstörungen oder paroxysmale psychische Veränderungen mitbringt. Der Neurologe als traditionell interdisziplinär orientierter Arzt sollte sich insbesondere auch mit solchen Differenzialdiagnosen auskennen, die schon grenzüberschreitend im Gebiet von Nachbardisziplinen liegen (z. B. der Morbus Menière als Schwindelursache in der HNO-Heilkunde oder die Panikattacke als Ursache von thorakalen Beklemmungen in der Psychiatrie). Der Neurologe ist damit dazu prädestiniert, bei unklaren Anfällen frühzeitig in die Abklärung involviert zu werden oder diese selber federführend zu übernehmen. Der Fokus des vorliegenden Kapitels soll dementsprechend in der Differenzialdiagnose unterschiedlicher Anfallsleiden liegen und nicht in der umfassenden Abhandlung dieser Krankheitsbilder, die zum Teil ja in anderen Kapiteln dieses Buches erfolgt. Ausgeklammert werden hier solche Attackenformen, mit denen der Neurologe selten konfrontiert wird (etwa das akute Koronarsyndrom) oder Schmerzanfälle (z. B. Kopfschmerzen), die unter differenzialdiagnostischem Blickwinkel andernorts in diesem Buch abgehandelt werden.
Anfallartige Ereignisse bei Patienten gehören zu den häufigsten Gründen für die Konsultation von Notärzten oder die Vorstellung in Kliniknotaufnahmen oder sonstigen Notfallambulanzen. Oft ist dann in der Untersuchungssituation der Anfall bereits abgeklungen, sodass der Arzt für eine erste Einschätzung des Ereignisses auf die Schilderung des Patienten angewiesen ist oder im glücklichen Falle auch auf eine Fremdanamnese zurückgreifen kann.
Bei vielen Attackenformen ermöglichen die anamnestischen Angaben dem Notarzt bereits eine Verdachtsdiagnose oder zumindest eine Zuordnung zu einer bestimmten klinischen Disziplin. So verweist etwa bei Anfällen, bei denen das Symptom „Schmerz“ im Vordergrund steht, die Angabe der Schmerzlokalisation bzw. des Schmerzcharakters (z. B. stechende Schmerzen im linken Brustraum bei akutem Koronarsyndrom) oft schon auf die Ursache. Weitere zügig verfügbare medizinische Informationen (körperlicher Befund, Notfalllabor, EKG, Vitalparameter) können dann die Diagnose sichern und zur raschen Therapieeinleitung und Zuweisung zur zuständigen Fachdisziplin führen.
Häufig aber fällt es dem Notarzt schwer, aus der Anamnese eine Krankheitsentität zu erkennen, insbesondere wenn die Angaben diffus und unpräzise sind oder wenn zu bestimmten Merkmalen der Attacke (z. B. Dauer einer Ohnmacht) keine Informationen vorliegen. Dies betrifft z. B. Schwindelanfälle, die vom Patienten oft schwer verbalisierbar sind und deren anamnestische Abklärung durch gezielte Fragen bereits eine besondere Expertise des Diagnostikers erfordert. Vor allem solche Anfallssymptome, die sich als Veränderungen neurologischer oder psychischer Funktionen manifestieren, können oft vom Notarzt nicht adäquat eingeschätzt werden oder führen zu einer der beiden großen „Schubladen“ von Verdachtsdiagnosen „TIA“ (transitorisch ischämische Attacke) oder „Krampfanfall“. Immerhin wird der Patient mit diesen Verdachtsdiagnosen, auch wenn diese später nicht bestätigt werden, an den Neurologen übergeben.
Auch wenn nicht jeder Anfall mit neurologischer Symptomatik auch neurologische Ursachen hat (man denke etwa an die Hypoglykämie, die nahezu jedes fokal-neurologische Defizit hervorrufen kann), ist doch der Neurologe in der Regel derjenige ärztliche Kollege im Notaufnahmeteam, der die breitesten differenzialdiagnostischen Kenntnisse in Bezug auf Schwindel, Ohnmachtsanfälle, attackenartige Seh- oder Sensibilitätsstörungen oder paroxysmale psychische Veränderungen mitbringt. Der Neurologe als traditionell interdisziplinär orientierter Arzt sollte sich insbesondere auch mit solchen Differenzialdiagnosen auskennen, die schon grenzüberschreitend im Gebiet von Nachbardisziplinen liegen (z. B. der Morbus Menière als Schwindelursache in der HNO-Heilkunde oder die Panikattacke als Ursache von thorakalen Beklemmungen in der Psychiatrie). Der Neurologe ist damit dazu prädestiniert, bei unklaren Anfällen frühzeitig in die Abklärung involviert zu werden oder diese selber federführend zu übernehmen.
Der Fokus des vorliegenden Kapitels soll dementsprechend in der Differenzialdiagnose unterschiedlicher Anfallsleiden liegen und nicht in der umfassenden Abhandlung dieser Krankheitsbilder, die zum Teil ja in anderen Kapiteln dieses Buches erfolgt. Ausgeklammert werden hier solche Attackenformen, mit denen der Neurologe selten konfrontiert wird (etwa das akute Koronarsyndrom) oder Schmerzanfälle (z. B. Kopfschmerzen), die unter differenzialdiagnostischem Blickwinkel schon andernorts in diesem Buch abgehandelt werden.

Grundlagen

Definition
Ein Anfall soll hier definiert werden als das zeitlich relativ umschriebene unwillkürliche Auftreten von abnormen Veränderungen neurologischer oder psychischer Funktionen.
Mit „relativ umschrieben“ ist gemeint, dass weder der Beginn noch das Ende des Anfalls abrupt erscheinen müssen, sondern dass Aufbau und Abklingen der Symptomatik auch graduell erfolgen können. „Abnorm“ bedeutet, dass die Symptomatik nicht als normale (physiologische) Reaktion auf bestimmte Umweltbedingungen oder interne Signale verstanden werden kann (z. B. kurzzeitiges Erstarren bei ausgelöster Angst; Einnicken bei starker Müdigkeit). Das zeitliche Fenster kann für verschiedene Anfallsformen stark differieren und im Bereich von einer bis wenigen Sekunden (z. B. Kataplexie, Absence), von Sekunden bis Minuten (z. B. Synkope, generalisierter Anfall) und von Minuten und Stunden (z. B. Panikattacke, dissoziativer Anfall) liegen. Der Begriff Attacke soll hier synonym mit Anfall verwendet werden. Noch länger anhaltende, aber umschriebene Ereignisse sollten nicht mehr als Anfälle bezeichnet werden, sondern z. B. als Schub wie bei der multiplen Sklerose oder als Episode wie bei der bis zu 24 h anhaltenden transitorischen globalen Amnesie („amnestische Episode“) oder der oft Monate dauernden Major Depression („depressive Episode“).
Beschreibung von Anfällen
Der erste Schritt zur Identifizierung der Anfallsentität ist die genaue und mehrdimensionale Beschreibung des Anfalls. Für die Charakterisierung eines Anfalls bieten sich die folgenden Dimensionen an:
  • Semiologie
  • Phasenabgrenzung
  • Dauer des Ereignisses
  • Anfallsfrequenz
  • Situativer Kontext und Provokationsfaktoren
  • Anfallsfolgen
Die Semiologie beschreibt das Muster der aufgetretenen Symptome in den verschiedenen neurologischen oder psychischen Funktionsbereichen. Dabei ist es zweckdienlich, Veränderungen des Bewusstseins, des Verhaltens, der Kognition, der Wahrnehmung, der Motorik, des Affektes und im Vegetativum getrennt zu beschreiben (s. folgende Übersicht).
Beschreibung der Semiologie von Anfällen
1.
Bewusstsein
  • Wach
  • Getrübt
  • Schlaf
  • Bewusstlos
  • Hyperalert
 
2.
Verhalten
  • Adäquat
  • Passiv
  • Fehlende Reaktionen
  • Hyperaktiv
  • Verhaltensschablonen
 
3.
Kognition
 
4.
Wahrnehmung
  • Ungestört
  • Ausfälle (z. B. Gesichtsfeldausfall)
  • Reizerscheinungen (z. B. Parästhesien, Flimmerskotom)
  • Illusionen oder Halluzinationen
 
5.
Motorik
  • Ungestört
  • Körperliche Schwäche oder Lähmung
  • Verminderte Kontrolle (z. B. Ataxie, Steh- und Gehunfähigkeit)
  • Automatismen (z. B. Konvulsionen, Nystagmus, Tremor)
  • Lidschluss
  • Verdrehung der Bulbi
 
6.
Affekt
  • Adäquat
  • Angst, Wut, Erregung
  • Affektleere
  • Lustbetonte Gefühle
 
7.
Vegetativum
  • Ungestört
  • Kontrollverlust (z. B. Stuhl-, Urinabgang)
  • Zeichen sympathischer Erregung (z. B. Blässe, Schwitzen, Tachykardie)
  • Übelkeit und Erbrechen
 
Für den Diagnostiker ist es nicht immer möglich, aus der Eigen- oder Fremdanamnese alle erforderlichen Informationen für die Rekonstruktion der Semiologie zu bekommen. Insbesondere, wenn für das Ereignis eine Amnesie besteht, wird man kaum etwas über die „Innenansicht“ des Anfalls erfahren. Das 7-Punkte-Schema in der obigen Übersicht leidet auch darunter, dass manche Angaben von Patienten hier nur mühsam untergebracht werden können. So ist auch bei gezielter Exploration von angegebenem „Schwindel“ manchmal schwer zu entscheiden, ob hier eine kurze Bewusstseinstrübung, eine Gleichgewichtsstörung (Wahrnehmung) oder ein Kontrollverlust der Steh- und Gehfähigkeit (Motorik) vorgelegen hat.
Zur Anfallsemiologie gehört auch die Beschreibung des zeitlichen Ablaufs und der zeitlichen Abfolge der einzelnen in Erscheinung tretenden Symptome.
Bei der Phasenabgrenzung geht es einerseits darum, zu erfassen, ob bereits vor dem eigentlichen Anfall typische Veränderungen eingetreten sind, die ggf. auf die Anfallsursache hindeuten (präiktale Phase, z. B. Präsynkope oder sensorische Aura vor einem epileptischen Anfall). Andererseits sollen Auffälligkeiten oder Symptome, die sich nach dem Anfall einstellen, beschrieben werden (postiktale Phase, z. B. verzögerte Reorientierung nach einem generalisierten Krampfanfall). Betont werden muss, dass eine solche Phaseneinteilung nur beschreibenden Charakter hat und nicht impliziert, dass das pathophysiologische Korrelat des Anfalls nicht auch phasenübergreifend aktiv ist. So ist die sensorische Aura vor einem generalisierten Krampfanfall im Sinne einer fokalen Einleitung natürlich bereits Teil des epileptischen Geschehens.
Die Beschreibung der Dauer des Ereignisses sollte nicht nur auf den eigentlichen Anfall, sondern auch auf die prä- und postiktale Phase abheben. Bei der Angabe der Anfallsfrequenz kann es ggf. wichtig sein, auch zu vermerken, ob diese zu bestimmten Zeiten gehäuft im Sinne von Clustern auftreten. Von besonderer Bedeutung für die artdiagnostische Einordnung von Anfällen ist schließlich der situative Kontext ihres Auftretens (aus dem Schlaf heraus? Konfliktsituation?) oder ob gar Provokationsfaktoren (z. B. Schlafentzug, Blutsehen) auszumachen sind. Anfallsfolgen können Verletzungen etwa durch einen Sturz oder einen Zungenbiss sein oder auch prolongierte neurologische Defizite wie die Todd’sche Parese.
Einteilung der Anfallsformen
Aus neurologischer Sicht macht es zunächst Sinn, zwischen epileptischen und nichtepileptischen Anfällen zu differenzieren. Die zahlreichen semiologischen Varianten epileptischer Anfälle können Ähnlichkeiten zumindest mit Teilaspekten der meisten nichtepileptischen Anfallsformen aufweisen, sodass die Formulierung der Verdachtsdiagnose einer nichtepileptischen Anfallsform immer eine begründete Abgrenzung von phänomenologisch ähnlichen epileptischen Anfallsformen implizieren sollte.
Unter dem differenzialdiagnostischen Fokus dieses Kapitels würde es sich anbieten, die nichtepileptischen Anfälle nach ihren jeweiligen Leitsymptomen zu gruppieren (z. B. Ohnmachten, Schwindelformen, plötzliche Stürze usw.). Viele Anfallsformen können jedoch mehrere oder wechselnde Leitsymptome aufweisen, sodass diese Anfallsleiden gleich an mehreren Stellen des Kapitels abgehandelt werden müssten. Bei der Abklärung von Anfällen hat sich darüber hinaus ein hypothesenprüfendes Vorgehen bewährt: danach ist es zumeist möglich, aus den vorliegenden anamnestischen und klinischen Informationen eine Verdachtsdiagnose zu stellen, von der ausgehend dann sowohl weitere stützende Diagnostik als auch solche zum Ausschluss von Differenzialdiagnosen hergeleitet werden kann. Hier wird deshalb eine Einteilung der nichtepileptischen Anfälle nach pathogenetischen oder ätiologischen Gesichtspunkten bevorzugt, also nach Krankheitsentitäten, wobei differenzialdiagnostische Aspekte getrennt für die einzelnen Krankheitsbilder diskutiert werden sollen.
Anamnese und klinische Untersuchung
Die Anamnese zielt zunächst einmal darauf ab, eine möglichst genaue Beschreibung des aktuellen Anfalls und ggf. auch früher stattgehabter Anfälle entsprechend der oben aufgeführten Dimensionen zu bekommen. Der Patient und mögliche Anfallszeugen sollten dafür nacheinander interviewt werden. Dabei sollte der Patient (oder der Zeuge) erst einmal ausreichend Gelegenheit bekommen, seine Erinnerungen an das Anfallsgeschehen mit seinen eigenen Worten zu schildern, ohne dass der Untersucher schon gezielt nach bestimmten Kontextmerkmalen oder Symptomen fragt. So kann verhindert werden, dass wichtige Umstände, die der Patient vielleicht spontan berichtet hätte, im Rahmen eines zu früh begonnenen hypothesengeleiteten Vorgehens gar nicht erst zur Sprache kommen. Bei unpräzise erscheinenden oder mehrdeutigen Angaben darf natürlich nachgefragt werden („Sie konnten also nicht mehr richtig sehen. Können Sie mir das noch genauer beschreiben?“). Auch wenn die spontanen Schilderungen die Phasen vor oder nach dem Anfall unberücksichtigt lassen, dürfen diese „eingefordert“ werden.
Der zweite Durchgang der Eigen- oder Fremdanamnese sollte dann durch die gezielten Fragen des Untersuchers geprägt sein. Hier geht es jetzt darum, ein möglichst vollständiges und präzises Bild von der Semiologie und den anderen Anfallsbeschreibungsdimensionen sowie auch der prä- und postiktalen Phase zu erhalten. Es bietet sich hier an, in einer möglichst patientennahen Sprache systematisch die einzelnen neurologischen und psychischen Funktionsbereiche (s. Übersicht oben) abzuarbeiten. Weiterhin ist noch Zurückhaltung in Bezug auf Fokussierung auf eine Verdachtsdiagnose geboten.
Die im zweiten Durchgang gewonnenen Informationen ermöglichen oft schon einen begründeten Verdacht. Aus der Perspektive dieser Verdachtsdiagnose können dann in einem dritten Durchgang noch ergänzende Angaben erfragt werden, sei es zur Stützung der Diagnose oder zum Ausschluss von Differenzialdiagnosen (z. B. beim Verdacht auf Panikattacken Fragen nach assoziiertem phobischem Vermeidungsverhalten). Die Anamnese wird komplettiert durch die Erfragung der Vorerkrankungen, der Sozialanamnese und der Medikamentenanamnese.
Zur obligatorischen Basisdiagnostik von Anfällen gehören neben der Anamnese die körperliche und die zumindest orientierende neurologische Untersuchung sowie ein 12-Kanal-EKG. Bei Ohnmachtsanfällen wird auch ein Stehtest (kurzer Schellong-Test mit 5-minütiger Liege- und 3-minütiger Stehphase mit minütlicher Puls- und Blutdruckmessung) empfohlen, um frühzeitig eine orthostatische Hypotension zu erkennen (Diehl et al. 2012). Alle weitere Diagnostik richtet sich nach der Verdachtsdiagnose sowie den verbliebenen Differenzialdiagnosen.

Synkopen

Bei Synkopen handelt es sich um kurzzeitige Ohnmachten (Sekunden bis wenige Minuten), die durch eine globale Drosselung der Hirndurchblutung verursacht werden. Letztere stellt pathogenetisch den gemeinsamen Nenner aller Synkopenformen dar. In ätiologischer Hinsicht bilden die Synkopen jedoch eine sehr heterogene Krankheitsgruppe, wobei eine erste Orientierung die Zuordnung zu einer der beiden großen Subgruppen, der neurogenen und der kardialen Synkopen, bietet. Die oben genannte Definition impliziert, dass die Begriffe „kurze Ohnmacht“ und „Synkope“ nicht synonym gebraucht werden sollten. So sind epileptische Anfälle kein primär zerebrovaskuläres Phänomen und fallen damit nicht unter den Oberbegriff „Synkope“.
Epidemiologie
Synkopen sind ein häufiges Phänomen; ca. ein Drittel aller Menschen erleidet mindestens eine Synkope während seines Lebens. Synkopen führen zu etwa 3 % der Notarztkonsultationen und zu 1–6 % der Krankenhausaufnahmen. Die Prävalenz in Abhängigkeit vom Lebensalter zeigt einen frühen Gipfel im Jugendalter, danach einen sukzessiven Abfall und wieder einen progredienten Anstieg etwa ab dem 60. Lebensjahr. Die beiden Geschlechter sind ungefähr gleich betroffen.
Ursachen
In der Regel liegen Synkopen ausgeprägte systemische Blutdruckabfälle zugrunde. Diese können durch einen vorübergehenden Verlust der Pumpleistung des Herzens hervorgerufen werden (kardiale Synkopen), durch ein Versagen der autonomen Kreislaufregulationsmechanismen (neurogene Synkopen), durch systemische Faktoren (z. B. Fieber, Exsikkose), durch Valsalva-ähnliche Manöver oder durch Medikamente bzw. Drogen.
Die folgende Übersicht zeigt die Herzrhythmusstörungen und strukturellen Herzerkrankungen als kardiale Synkopenursachen. Diese sind mit einem Anteil von 10–20 % an der Gesamtheit aller Synkopen zwar eher selten, gehen jedoch unbehandelt mit einem deutlich erhöhten Sterberisiko von etwa 50 % in 5 Jahren („plötzlicher Herztod“) einher und dürfen deshalb nicht unerkannt bleiben.
Kardiale Synkopenursachen (nach Seidl et al. 2005)
Bei den neurogenen Synkopen gilt es zwei grundlegend verschiedene Mechanismen zu differenzieren. Bei den relativ häufigen vasovagalen Synkopen (Anteil unter den Synkopen: 60–70 %; synonym: Reflexsynkopen, „neurally mediated syncopes“) wird von speziellen medullären Zentren aktiv eine Vagusaktivierung und eine Sympathikushemmung ausgelöst mit der Folge einer Bradykardie oder Asystolie sowie einer peripheren Vasodilatation mit konsekutivem Blutdruckabfall. Auslösend wirken verschiedene Reize oder Situationen (z. B. Senkung des zentralen Blutvolumens nach langem Stehen, Reizung viszeraler Afferenzen), deren Nachweis die Zuordnung zu einer Unterform der vasovagalen Synkopen begründet (Tab. 2). Betroffen sind meist ansonsten gesunde Personen. Bei der selteneren neurogenen orthostatischen Hypotension (Anteil an den Synkopen: <10 %) besteht dagegen eine Insuffizienz des Gefäßsympathikus: aufgrund von prä- oder postganglionären Läsionen oder auch von zentralen Läsionen des medullären Baroreflexzentrums (Nucl. tractus solitarii) kann der Sympathikus angesichts einer orthostatischen Blutvolumenverschiebung in die Beine keine ausreichende kompensatorische Vasokonstriktion mehr leisten. Zahlreiche autonome Störungen betreffen zudem die Steuerung der Herzrate durch den Vagus, sodass beim Blutdruckabfall eine angemessene kompensatorische Tachykardie ausbleibt.
Klinik
Unabhängig von der eigentlichen Ursache der Kreislaufdepression lassen sich zunächst einmal auf der Ebene der Hirnperfusion drei Phasen des synkopalen Prozesses unterscheiden: diejenige des Perfusionsabfalls bis zur Schwelle des Bewusstseinsverlustes (in Aufzeichnungen durch transkranielle Dopplersonografie liegt diese bei ca. 40 % der Ausgangshirndurchblutung; Diehl et al. 1996), die Phase der Minderung der Durchblutung unter diese Schwelle und die Reperfusionsphase. Diese Einteilung läuft im Wesentlichen auf der klinischen Ebene parallel mit den Phasen der Präsynkope, der Synkope und der Bewusstseinsaufklarung.
Erstes Symptom in der präsynkopalen Phase ist oft ein Erleben, das als Unwohlsein, Benommenheit, „ein flaues Gefühl im Kopf“ oder als ungerichteter Schwindel beschrieben wird. Es entwickelt sich dann eine zunehmende körperliche Schwäche und ein Verlust des Realitätsempfindens. Kurz vor der Ohnmacht finden sich häufig auditive Symptome wie Ohrensausen oder Entfernthören oder visuelle Symptome wie Verschwommensehen oder Schwarzwerden vor den Augen. Die Präsynkope, vor allem mit der Benommenheitssymptomatik, kann sich über Minuten erstrecken, sie kann aber auch ganz fehlen. Die Patienten berichten dann, dass sie „aus heiterem Himmel“ in Ohnmacht gefallen seien.
Die synkopale Phase führt beim stehenden Patienten unweigerlich zum Sturz; das Spektrum reicht hier vom schlaffen Zusammensacken bis zum „Umfallen wie ein Baum“ (Lempert et al. 1994). Die Augenlider sind während der Ohnmacht typischerweise geöffnet, die Bulbi nach oben verdreht. Motorische Phänomene („konvulsive Synkopen“) sind häufig (etwa bei 70 % der Synkopen) zu beobachten. Die Bandbreite reicht hierbei von diskreten Zuckungen einzelner Gesichtsmuskeln über prägnantere Myoklonien der größeren Muskeln bis hin zu heftig ausschlagenden Bewegungen aller Extremitäten. Letztere sind charakteristischerweise im Unterschied zur tonisch-klonischen Phase des Grand Mal asynchron. Mitunter kommen sogar Verhaltensschablonen wie Aufstehen oder scheinbar zielgerichtete Bewegungen vor. Die Ohnmacht dauert oft nur Sekunden, kann sich aber auch bis zu wenigen Minuten erstrecken. Nach Erwachen aus der Ohnmacht reagieren die Patienten rasch wieder adäquat und zeigen volle Orientierung. Allenfalls ein körperliches Schwächegefühl kann noch für eine Weile persistieren.
Entsprechend der Natur des Sturzes können aus der Synkope Platzwunden, Prellungen, Knochenfrakturen oder Gebissschäden resultieren. Selten kann es zu Schädel-Hirn-Traumata kommen. Im Rahmen der synkopalen Konvulsionen kommt es mitunter zu Zungenbissen, die aber nicht zu lateralen, wie beim Grand Mal, sondern zu medialen Zungenverletzungen führen.
Diagnostik und Differenzialdiagnostik
Erläutert wird die Einordnung als Epilepsie, orthostatische Hypotension, vasovagale oder kardiale Synkope.
Epilepsie
Auf die Differenzialdiagnostik bei Verdacht auf eine spezielle Synkopengenese wird in den folgenden Abschnitten eingegangen. Hier soll nur die Abgrenzung von Synkope allgemein gegen epileptische Anfälle mit Bewusstseinsverlust besprochen werden. Um bereits aus der Anamnese eine zuverlässige Verdachtsdiagnose stellen zu können, ist der Einsatz des Sheldon-Scores I (Sheldon et al. 2002; ein weiterer Sheldon-Score wird weiter unten vorgestellt) hilfreich (Tab. 1). Damit konnten in der Untersuchungsstichprobe von 671 Patienten jeweils 94 % der Synkopen-Patienten und 94 % der Epileptiker richtig zugeordnet werden.
Tab. 1
Der Sheldon-Score I zur Differenzierung von Epilepsie und Synkope. (Nach Sheldon et al. 2002)
Frage
Punkte
(falls „ja“)
Bemerken Sie nach einem Anfall manchmal einen Zungenbiss?
2
Haben Sie manchmal ein Déjà-vu- oder ein Jamais-vu-Erlebnis vor Ihren Anfällen?
1
Ist manchmal emotionaler Stress mit einem Anfall assoziiert?
1
Hat schon einmal jemand eine Kopfdrehung während eines Anfalls beobachtet?
1
Wurde schon einmal beobachtet,
- dass keinerlei Reaktionen während des Anfalls auslösbar waren oder
- dass eine ungewöhnliche Körperhaltung während des Anfalls vorlag oder
- dass Arme oder Beine während einer Ohnmacht gezuckt haben oder
- dass hinterher keine Erinnerung an den Anfall bestand?
1
Gab es schon einmal Verwirrtheit nach dem Anfall?
1
Gab es schon einmal Attacken mit flauem Gefühl im Kopf?
−2
Kommt es manchmal zu Schwitzen vor dem Anfall?
−2
Kommt es manchmal nach längerem Sitzen oder Stehen zu Anfällen?
−2
Synkopen liegen bei einem Summenscore <1 vor, sonst epileptische Anfälle.
Orthostatische Hypotension (OH)
Eine OH als Synkopenursache kann oft schon durch die Basisdiagnostik identifiziert werden. Die Anfallsanamnese zeigt dabei eine Ohnmachtsneigung rasch nach dem Hinstellen. Bei medikamenteninduzierten Formen der OH sind oft Diuretika, andere Antihypertensiva oder trizyklische Antidepressiva anzuschuldigen. An körperlichen Befunden finden sich bei akuten Formen der OH Zeichen der Dehydration oder fieberhafte Infekte. Im Stehtest ist ein über 3 min anhaltender Blutdruckabfall um mindestens 20/10 mmHg (systolisch/diastolisch) verbunden mit präsynkopalen Symptomen beweisend für eine OH als Synkopenmechanismus. Der Kipptischtest (Kap. „Erkrankungen des autonomen Nervensystems“) mit kurzer Stehdauer (5 min) kann als zusatzdiagnostisches Verfahren ggf. eine OH aufdecken, wenn der Stehtest keine klaren Ergebnisse liefert.
Bei einer diagnostizierten OH sollte eine weitergehende Abklärung erfolgen, wenn die Medikamentenanamnese und körperliche Befunde keine ausreichende Erklärung bieten. Es ist dann insbesondere nach einer neurogenen OH (NOH) zu fahnden, also einer Erkrankung des autonomen Nervensystems, bei der das Versagen der sympathisch vermittelten Gefäßregulation ein Teilsymptom darstellt. Hier liegt ein wichtiges Einsatzgebiet der autonomen Testung (Kap. „Erkrankungen des autonomen Nervensystems“), durch die man autonome Störungen auch in anderen Organsystemen (z. B. Schweißsekretion, autonome Steuerung der Herzrate) nachweisen kann. Ziel muss es dann sein, aus der Gesamtkonstellation aller Befunde zu einer Artdiagnose der autonomen Störung zu kommen (z. B. diabetische autonome Neuropathie, Multisystematrophie, „pure autonomic failure“, Kap. „Erkrankungen des autonomen Nervensystems“).
Differenzialdiagnostisch muss die OH von den beiden anderen orthostatischen Syndromen, der neurokardiogenen Synkope (NKS) und dem posturalen Tachykardiesyndrom (POTS) abgegrenzt werden. Die NKS tritt gewöhnlich erst nach längerem Stehen auf, kann eine bis in die Kindheit zurückgehende Anamnese aufweisen, vor oder nach der Synkope finden sich Anzeichen heftiger autonomer Aktivität (Hitzegefühl, Übelkeit, Schwitzen). Körperlich zeigen sich Normalbefunde. Beim POTS können sich wie bei der OH schon rasch nach dem Aufrichten orthostatische Beschwerden einstellen; der Stehtest zeigt dabei aber einen stabilen Blutdruck verbunden mit überschießender Tachykardie (>30 Schläge/Minute über Ausgangsniveau). Auf die Therapie der OH wird im Kap. „Erkrankungen des autonomen Nervensystems“ eingegangen.
Vasovagale Synkopen (VVS)
Insbesondere für die Diagnose von VVS ist die Anamnese in Verbindung mit unauffälligen körperlichen und EKG-Befunden wegweisend und weitere Zusatzdiagnostik (obwohl gerne ausführlich eingesetzt) meist entbehrlich. Die Anamnese ist zu durchforsten nach typischen Randbedingungen oder Auslösern, die dann ggf. die Zuordnung zu einer der vier Unterformen der VVS, neurokardiogene Synkope (NKS), blut-/verletzungsassoziierte Synkope, Synkope durch viszerale Reizung und hypersensitiver Karotissinus (Tab. 2), ermöglichen. Für eine sichere Diagnose von VVS ist ferner die Angabe oder Fremdbeobachtung typischer vegetativer Begleitsymptome wie Hitzegefühl oder Blässe erforderlich (Diehl et al. 2012).
Tab. 2
Unterformen vasovagaler Synkopen nach Auslösern. (Nach Diehl et al. 2008)
Vasovagale Synkope
Auslöser
Neurokardiogene Synkope
Langes ruhiges Stehen
Blut-/verletzungsassoziierte Synkope
Blutsehen, Schmerz, Verletzungen
Synkopen durch viszerale Reizung
Schlucken, Miktion
Hypersensitiver Karotissinus
Druck auf den Sinus caroticus
Neben den ganz typischen Auslösefaktoren aus Tab. 2 sind noch weitere Randbedingungen von VVS zu erwähnen, die zwar den Verdacht auf VVS stützen, ohne jedoch beweisend zu sein. Hierzu zählen Synkopen während oder nach dem Essen, nach körperlicher Arbeit, in engen, stickigen Räumen oder in Menschenmengen. Sind die Synkopen selten und verlaufen ohne ernsthafte Verletzungsfolge, reicht der Verdacht ohne weitere Zusatzdiagnostik für die Diagnose von VVS aus. Andernfalls, insbesondere wenn es zu schweren Stürzen ohne Prodromalphase kommt, ist eine weitere Abklärung wünschenswert. Gerade in solchen Fällen haben zusatzdiagnostische Verfahren wie der Kipptischtest (Kap. „Erkrankungen des autonomen Nervensystems“) oder die Karotissinusmassage zum Nachweis einer induzierbaren (Prä-)Synkope mit Hypotension und Bradykardie/Asystolie ihren klinischen Stellenwert. Bei weiterhin unklarer Befundlage sollte dann sogar die Anlage eines Ereignisrekorders (sei es extern bis zu 4 Wochen oder implantierbar bis zu 18 Monaten) erwogen werden. Damit hat man die Chance, bei der nächsten spontan auftretenden Synkope ggf. eine rhythmogene Ursache zu finden oder als Korrelat einer VVS eine die Synkope begleitende progrediente Bradykardie oder Asystolie (Pause >3 s). Nach neueren Erkenntnissen profitieren Patienten mit spontanen vasovagal induzierten Asystolien vom Zweikammer-Schrittmacher (Brignole et al. 2006).
In der Differenzialdiagnostik der VVS ist an die OH (s. oben), an kardiale Synkopen, an epileptische Anfälle und an dissoziative Anfälle zu denken. Fehlende Hinweise für eine Herzkrankheit im EKG, im körperlichen Befund und in der Familienanamnese machen eine kardiale Synkopenursache unwahrscheinlich. Sheldon et al. (2006) haben zur Differenzierung von VVS und von kardialen Synkopen einen Score (Sheldon-Score II) entwickelt, der mit guter Trennschärfe (Sensitivität = 90 %, Spezifität = 93 %) eine Entscheidung zwischen den Konditionen erlaubt (Tab. 3).
Tab. 3
Sheldon-Score II: Fragebogen zur Abklärung, ob Synkopen vasovagalen oder kardialen Ursprungs sind. (Nach Sheldon et al. 2006)
Frage
Punkte
(falls „ja“)
Gibt es eine Anamnese mit bifaszikulärem Block, Asystolie, supraventrikulärer Tachykardie oder Diabetes mellitus?
−5
Haben Zeugen manchmal eine Zyanose während einer Ohnmacht beobachtet?
−4
Haben die Ohnmachten nach dem 35. Lebensjahr begonnen?
−3
Besteht Erinnerung an Ereignisse während der Ohnmacht?
−2
Gibt es Ohnmachten oder ein flaues Gefühl im Kopf nach langem Sitzen oder Stehen?
1
Kommt es vor der Ohnmacht zu Schwitzen oder einem Wärmegefühl?
2
Gibt es Ohnmachten oder ein flaues Gefühl im Kopf bei Schmerz oder bei einer medizinischen Behandlung?
3
Bei einem Summenscore ≥−2 liegen vasovagale Synkopen vor, sonst kardiale Synkopen.
Für die Abgrenzung der VVS von epileptisch bedingten Ohnmachten gelten die allgemeinen Regeln für die Unterscheidung von Synkopen vs. Epilepsie (s. oben) und der entsprechende Sheldon-Score I.
Die wahrscheinlich relevanteste – wenn auch zu selten erwogene – Differenzialdiagnose zur VVS stellen die dissoziativen Anfälle dar. Wie bei den VVS fehlen dabei häufig organpathologische Befunde. Die Dauer der Ohnmacht (bzw. der fehlenden Reaktion auf Ansprache) dauert oft sehr lange (5 min und mehr, was jede Form der Synkope ausschließt). Selten kommt es (trotz zum Teil dramatisch anmutender Stürze) zu Verletzungen. Die Augen sind nicht wie bei Synkopen offen und nach oben verdreht, sondern typischerweise fest geschlossen. Weitere Unterscheidungsmerkmale finden sich weiter unten in Tab. 4.
Tab. 4
Diagnostisch wertvolle Unterschiede zwischen dissoziativen Anfällen, epileptischen Anfällen und Synkopen. (Mod. nach Schmitz 2005; Buchner 2007; Steinhoff 2008)
 
Dissoziative Anfälle
Synkope
Auslöser
Variabel
Unvermittelt, selten Emotionen
Schmerz, Blut, langes Stehen
Aura-Schilderung
Nüchtern
Schwer in Worte zu fassen
Präsynkopale Symptome
Scenario
Oft vor Publikum
Oft allein
Oft allein
Augen
Geschlossen (zugekniffen)
Offen, Blick starr oder zur Seite
Offen, nach oben verdreht
Zyanose
Extrem selten
Typisch beim Grand Mal
Meist Blässe oder Erröten
Zungenbiss
Selten, dann apikal
Häufig lateral
Untypisch
Urinabgang
Gelegentlich
Häufig
Häufig
Erhalten, ggf. unregelmäßiges Muster
Apnoe beim Grand Mal
Flach
Konvulsionen
Variabel, mitunter Verwechslung mit tonisch-klonischen Krämpfen möglich
Beim Grand Mal rhythmische und synchrone tonisch-klonische Krämpfe
Häufig, gelegentlich heftig, arrhythmisch, fokal oder asynchron multifokal
Sturz
Oft Auffangbewegungen
Oft heftig
Zusammensacken oder steifes Umfallen
Auftreten im Schlaf
Nie
Mitunter
Selten
Beeinflussbarkeit
Oft Abwehr oder aber Suggestibilität
Nicht reagibel
Oft durch Beineanheben terminierbar
Dauer
Oft >5 min
Meist <30 s
<2 min
Reorientierungsphase
Variable Dauer, oft Erstauntsein
Somnolenz, Verwirrtheit, Dauer Minuten bis Stunden
Allenfalls Sekunden
CK- und Prolaktinanstieg postiktal
Sehr selten
Häufig, aber nicht obligatorisch
Gelegentlich
Ansprechen auf Antikonvulsiva
Selten (Placebo)
Häufig
Selten (Placebo)
Zahlreiche frustrane Abklärungen
Häufig
Selten
Selten
Kardiale Synkopen
Rhythmogene Synkopenursachen wie ein AV-Block 2. Grades können häufig schon im initialen 12-Kanal-EKG erkannt werden. Der körperliche Untersuchungsbefund kann schon auf zahlreiche mechanische Synkopenursachen wie die Aortenstenose verweisen. Schließlich sollten Hinweise aus der Anamnese den Verdacht auf kardiale Synkopen lenken (z. B. früher Herztod bei nahen Verwandten, Synkopen während körperlicher Anstrengung, Zyanose während der Ohnmacht).
Fehlende Hinweise für mechanische oder rhythmogene Synkopenursachen in der Basisdiagnostik oder auch im Sheldon-Score II (Tab. 3) machen kardiale Synkopen unwahrscheinlich und sprechen eher für neurogene Synkopen. Wenn bei rezidivierenden Synkopen aber durch die entsprechende Zusatzdiagnostik (s. oben) auch neurogene Synkopen nicht ausreichend begründet werden können, ist aufgrund der hohen Mortalität unbehandelter kardialer Synkopen eine ausführliche weitere kardiologische Abklärung unausweichlich.

Schlafbezogene Anfälle

Unter normalen physiologischen Bedingungen bestehen beim Menschen klare Grenzen zwischen dem Wachzustand und dem Schlafen und innerhalb des Schlafzustandes zwischen den verschiedenen Schlafstadien, die sich zudem in einer geordneten Abfolge in eine komplexe Schlafarchitektur einfügen. Die Abgrenzung dieser verschiedenen Bewusstseinszustände und die Steuerung der spezifischen physiologischen Abläufe innerhalb der Schlafstadien erfolgt durch das Zusammenspiel bestimmter hypothalamischer und Hirnstammkerngebiete. Fehlfunktionen in diesem Konzert der Kerngebiete können dazu führen, dass Merkmale einzelner Schlafstadien abrupt in den Wachzustand einbrechen können wie bei der Narkolepsie oder dass die physiologische Hemmung von Motorik und Verhaltensabläufen im Schlaf ausfällt, was zu attackenartigen motorischen Phänomenen oder Verhaltensweisen im Schlaf wie bei den Parasomnien führt.

Narkolepsie

Die Narkolepsie stellt eine syndromale Erkrankung dar, die durch Tagesschläfrigkeit oft assoziiert mit Verhaltensautomatismen, attackenartigem Einschießen von Schlafphänomenen in den Wachzustand sowie gestörten Nachtschlaf gekennzeichnet ist (s. auch Kap. „Schlafstörungen“). Die Tagesschläfrigkeit mit imperativen Einschlafattacken stellt das Kernmerkmal der Narkolepsie dar. Andere Symptome können fehlen. Die International Classification of Sleep Disorders, 2. Auflage (ICSD-2; American Academy of Sleep Disorders 2005), unterscheidet als Unterformen die Narkolepsie mit und ohne Kataplexie.
Epidemiologisch ist die Narkolepsie bei einer Prävalenz von 26–50/100.000 relativ selten; sie manifestiert sich zumeist schon im Jugendalter. Ätiologisch liegt in der Regel die idiopathische Variante vor; nur selten – etwa bei Hirnstammprozessen – treten narkoleptische Symptome symptomatisch auf. Pathophysiologisch bestehen Dysfunktionen in mehreren Transmittersystemen wie dem cholinergen und dem noradrenergen System; die meisten Erkenntnisse liegen zu dem Neuropeptid Hypokretin (auch Orexin genannt) vor. Ein wesentliches Korrelat der Narkolepsie stellt offenbar eine Verminderung der hypokretinsezernierenden Neuronen im dorsolateralen Hypothalamus dar, und der Nachweis eines deutlich verminderten Hypokretinspiegels im Liquor ist derzeit der wichtigste Biomarker für das Vorliegen einer Narkolepsie.
Klinik
Folgende Attackenformen können auftreten:
Tagesschläfrigkeit und Schlafattacken
Der Wachzustand ist durch gesteigerte Müdigkeit (Tagesschläfrigkeit) gekennzeichnet, die in abgegrenzten Phasen oder auch durchgehend vorhanden sein kann. In diesen Zustand der Tagesschläfrigkeit können im Sinne von Anfällen wiederholt Schlafattacken einbrechen. In der präiktalen oder prodromalen Phase dieser Schlafattacken empfindet der Patient progredient einen nicht mehr beherrschbaren („imperativen“) Schlafdrang, das Denken verläuft zunehmend erschwert und verlangsamt. Die Augen werden nur noch mühevoll und oft unvollständig offen gelassen, und die quergestreifte Muskulatur wird immer mehr paralysiert. Schließlich sackt der Patient zusammen und ist eingeschlafen. Dies kann prinzipiell in fast allen Situationen geschehen, also nicht nur in monotoner Umgebung (etwa während eines langweiligen Vortrages), sondern auch z. B. während eines Gespräches, sogar am Steuer eines Fahrzeuges. Die Schlafattacken können also durchaus eine sozial oder physisch gefährliche Dimension annehmen. Spontan dauern die Schlafattacken etwa 15 min. Nach dem Erwachen, also „postiktal“, fühlen sich die Patienten zumeist deutlich erholt.
Pathophysiologisch liegt den Schlafattacken das unvermittelte Eindringen von Schlafaktivität in den Wachzustand zugrunde. Bereits in der Prodromalphase, also noch während des Wachzustandes, zeigen sich in Gestalt der Muskelschwäche und der Bewusstseinstrübung Merkmale der Einschlafphase, die physiologisch zum Nicht-REM-Schlaf (NREM-Schlaf; REM = „rapid eye movement“) gehört. Polysomnografische Aufzeichnungen zeigen dabei ebenso wie Berichte der Patienten über lebhafte Träume während des kurzen Schlafes, dass sich während der Schlafattacken extrem rasch REM-Schlaf einstellt.
Kataplexien
Bei einem kataplektischen Anfall handelt es sich um einen abrupt einsetzenden Tonusverlust der Skelettmuskulatur. Die Bandbreite dieses Phänomens reicht von einer isolierten Schwäche der Gesichts- und Kiefermuskeln bis hin zu einer Ganzkörperlähmung, die zum Sturz führt. Nicht selten werden begleitend auch vegetative Symptome geschildert. Auslösend wirken intensive Affekte wie Belustigung oder Erschrecken. Das Bewusstsein bleibt dabei erhalten und hinterher wird die Attacke vom Patienten erinnert. Der Zustand dauert Sekunden bis höchstens 2 min an, und die Paralyse verschwindet dann ebenso rasch, wie sie gekommen ist. Postiktale Beschwerden wie Benommenheit oder Unwohlsein werden nicht angegeben.
Pathophysiologisch handelt es sich bei der Kataplexie um die Aktivierung der REM-Schlafparalyse (und zwar als isoliertes REM-Phänomen) im Wachzustand. Kataplexien treten als weiteres Symptom der Narkolepsie neben der Tagesschläfrigkeit oft erst im weiteren Verlauf hinzu oder können auch ganz ausbleiben („Narkolepsie ohne Kataplexien“).
Schlafparalyse und hypnagoge Halluzinationen
Auch die Schlafparalyse gehört zu den fakultativen Phänomenen der Narkolepsie. Nach dem Aufwachen aus dem Nachtschlaf besteht oft für Sekunden bis Minuten eine völlige Bewegungsunfähigkeit bei sonst klarem Wachbewusstsein. Dahinter steckt das Persistieren der REM-Paralyse der REM-Phase, aus der der Patient erwacht ist.
Als vierte, ebenfalls nur fakultativ vorkommende Attackenform der Narkolepsie sind noch die hypnagogen Halluzinationen aufzuführen. Dies können szenische visuelle Trugbilder oder auch akustische Halluzinationen sein, die sich entweder vor dem Einschlafen oder nach dem Aufwachen in das Wachbewusstsein einschleichen. Die Halluzinationen entsprechen der Traumaktivität des REM-Schlafes. Hypnagoge Halluzinationen können isoliert oder gepaart mit Schlafparalyse auftreten.
Diagnostik
Liefert die Anamnese typische Berichte sowohl von Tagesschläfrigkeit und Schlafattacken als auch von Kataplexien, ist die Diagnose einer Narkolepsie mit Kataplexien nahezu sicher. Zur Diagnosesicherung empfiehlt die ICSD-2 die Durchführung des sog. Multiplen Schlaflatenztests (MSLT), bei dem der Patient unter polysomnografischer Ableitung über den Tag verteilt 5-mal absichtlich einschlafen soll. Als pathologisch im Sinne einer Narkolepsie gilt eine durchschnittliche Einschlaflatenz von ≤8 min sowie bei mindestens 2 der 5 aufgezeichneten Tagesschläfe der Nachweis von „Sleep-onset-REM“, also von REM-Schlaf direkt nach dem Einschlafen. Alternativ zum MSLT kann auch der fehlende Nachweis von Hypokretin im Liquor zur Diagnosesicherung herangezogen werden.
Bei Verdacht auf Narkolepsie ohne Kataplexien ist in stärkerem Maße eine differenzialdiagnostische Abgrenzung zu anderen Ursachen anzustreben.
Differenzialdiagnostik
Obwohl die Narkolepsie in aller Regel idiopathischer Natur ist, können sich isoliert auftretende Narkolepsiesymptome, aber auch das Vollbild mit allen 4 Attackenformen („Narkolepsie-Tetrade“), auch als Folge anderer Erkrankungen manifestieren. Symptomatische Formen der Narkolepsie wurden insbesondere bei tumorösen Prozessen im Bereich des Hypothalamus oder des Hirnstamms berichtet (Handwerker 2007). Vor allem bei Spätmanifestationen der Attacken (nach dem 40. Lebensjahr) oder bei begleitenden neurologischen oder endokrinologischen Auffälligkeiten ist eine zerebrale Bildgebung erforderlich.
Tagesschläfrigkeit mit Schlafattacken stellt oft die einzige Symptomatik einer Narkolepsie dar, kann aber auch bei anderen primären oder sekundären Schlafstörungen oder auch als Folge mangelhafter Schlafhygiene oder psychosozialer Belastungen auftreten. Wichtige Hinweise auf entsprechende Differenzialdiagnosen liefern die Anamnese und eine Untersuchung im Schlaflabor. Gestörter Nachtschlaf mit sekundärer Tagesschläfrigkeit ergibt sich häufig bei Depressionen, beruflichem oder privatem Stress, Stimulanzieneinnahme sowie bei organischen oder nichtorganischen Insomnien. Quantitativ spielt dabei das im Schlaflabor verifizierbare Schlafapnoe-Syndrom, das durch häufige Atempausen mit Sauerstoffentsättigungen zu einem wenig erholsamen Nachtschlaf führt, eine besondere Rolle.
Therapie
Unverzichtbar ist vor jeder medikamentösen Behandlung eine verhaltensmedizinische Beratung. Dazu gehört es, dem Patienten ein grundlegendes Verständnis für seine Erkrankung und ein Bewusstsein für eigene Einflussmöglichkeiten auf die Symptome zu vermitteln. Tagesschläfrigkeit und spontanen Schlafattacken kann etwa durch geplante Schlafpausen vorgebeugt werden. Koffeinhaltige Getränke helfen kurzfristig, in Phasen besonderer, z. B. beruflicher Anforderungen die Vigilanz zu steigern. Gegebenenfalls kann der Patient im Rahmen einer systematischen Verhaltenstherapie lernen, durch Emotionskontrolle kataplektische Anfälle zu vermeiden.
In der medikamentösen Therapie der Narkolepsie stellen Stimulanzien (Modafinil 200–400 mg/Tag, Methylphenidat 10–60 mg/Tag) zur Behandlung der Tagesschläfrigkeit die Therapie der ersten Wahl dar (Gerloff et al. 2008).

Parasomnien

Unter Parasomnien versteht man das Auftreten abnormer körperlicher oder psychischer Aktivität während des Schlafes. Dabei wird entsprechend der Assoziation mit bestimmten Schlafphasen zwischen Parasomnien des NREM- und des REM-Schlafes unterschieden. Als bislang noch wenig beachtete Parasomnieform soll hier die REM-Schlaf-Verhaltensstörung näher beleuchtet werden (s. auch Kap. „Schlafstörungen“).

REM-Schlaf-Verhaltensstörung

Die REM-Schlaf-Verhaltensstörung ist selbst in Neurologenkreisen noch wenig bekannt, obwohl sie häufig die Erstmanifestation verschiedener neurodegenerativer Erkrankungen darstellen kann. Diese Parasomnie des REM-Schlafes stellt gewissermaßen das Gegenstück zur Schlafparalyse und Kataplexie der Narkolepsie dar, die durch das Eindringen der REM-Paralyse in den Wachzustand charakterisiert sind. Bei der REM-Schlaf-Verhaltensstörung unterbleibt dagegen physiologische Muskellähmung („REM-Atonie“) da, wo sie physiologisch hingehört, nämlich im REM-Schlaf. Dies wird häufig im Sinne von Ausagieren von Trauminhalten verstanden.
Für das pathophysiologische Verständnis der REM-Schlaf-Verhaltensstörung ist das Wissen um die Anatomie der physiologischen REM-Atonie hilfreich. Diese wird durch eine Aktivierung des medullären Nucl. reticularis magnocellularis ausgelöst, der seinerseits durch andere Hirnstammkerne und indirekt über den Nucl. subthalamicus und den Globus pallidus erregt oder auch gehemmt werden kann (Noachtar und Eisensehr 2000). Degenerative Prozesse oder auch andersartige Läsionen in diesem Netzwerk können die REM-Atonie beeinträchtigen, sodass es zu Bewegungen während des REM-Schlafes kommen kann. Unter den neurodegenerativen Erkrankungen sind es vor allem diejenigen des Parkinson-Spektrums (idiopathisches Parkinson-Syndrom, Multisystematrophie, Lewy-Body-Demenz), die mit einer REM-Schlaf-Verhaltensstörung einhergehen können, wobei diese Parasomnie sich oft Jahre vor Ausbruch der eigentlichen Parkinson-Symptomatik manifestiert. Gehäuft findet sich die REM-Schlaf-Verhaltensstörung auch bei Narkoleptikern.
Genauere Erkenntnisse zur Prävalenz dieser Störung fehlen, sie liegt aber vermutlich unter 1 % (Volk 2007). Überwiegend sind Männer betroffen, der Krankheitsbeginn liegt mit großer Streubreite um das 60. Lebensjahr.
Klinik
Während des Schlafes treten gelegentlich (meist nur im Abstand mehrerer Tage, seltener mehrfach pro Nacht) ausschlagende Bewegungen der Extremitäten, oft kombiniert mit Schreien oder Sprachäußerungen auf. Mitunter kommt es zum Sturz aus dem Bett oder kurzem Herumlaufen. Der Patient, dessen Augen geschlossen sind, wirkt dabei sehr erregt; durch heftige Armbewegungen kann er sich selbst oder den Bettpartner verletzen. Nach dem Aufwecken wird oft von angstbesetzten Trauminhalten berichtet.
Diagnostik und Differenzialdiagnostik
Im Schlaflabor zeigt das EMG, auch wenn in der Ableitenacht keine typischen Symptome auftreten, oft eine intermittierende oder durchgehend reduzierte REM-Atonie. Falls es zu den entsprechenden Verhaltensauffälligkeiten kommt, entstehen diese aus dem REM-Schlaf, was zur Abgrenzung von den in Frage kommenden alternativen Störungen, dem Schlafwandeln und der nächtlichen Frontallappenepilepsie verhilft. Bei bestätigter Diagnose ist gezielt nach einer ätiologischen Zuordnung zu suchen (Hinweise für eine neurodegenerative Erkrankung? Läsion im Hirnstamm?), wobei ggf. auch eine Kernspintomografie hilfreich sein kann.
Therapie
Clonazepam (0,5–2 mg abends) reduziert den pathologischen Muskeltonus im REM-Schlaf und ist in den meisten Fällen hilfreich zur Vermeidung der störenden Bewegungen oder Vokalisationen. Alternativ kann Melatonin eingesetzt werden. Der Acetylcholinesterasehemmer Donezepil wurde ebenfalls erfolgreich in der Therapie der REM-Schlaf-Verhaltensstörung erprobt.

Psychisch verursachte Attacken

Zahlreiche psychische Erkrankungen wie die Schizophrenie, die Angststörungen oder die somatoformen Störungen können mit paroxysmal verlaufenden Veränderungen von Bewusstsein, Motorik, Wahrnehmung und anderen in der Übersicht unter Abschn. 1 aufgeführten Funktionsbereichen einhergehen und erfüllen damit die eingangs vorgeschlagene Definition von Anfällen. Häufig sind bei solchen Attacken dem Untersucher die typischen Auslösefaktoren schnell erkennbar oder aber die psychische Grunderkrankung ist schon bekannt, sodass eine korrekte diagnostische Zuordnung der Attacke leichtfällt (z. B. erlaubt ein massiver Erregungszustand nach Exposition mit einem angstbesetzten Reiz bei einem Phobiker rasch die Diagnose einer Angstattacke). In diesem Abschnitt sollen deshalb solche psychischen Störungen abgehandelt werden, bei denen die Diagnose zumindest dem Untersucher ohne einschlägige Expertise besonders schwerfällt (mitunter wird die korrekte Diagnose sogar erst nach Jahren gestellt) und Fehldiagnosen im Sinne neurologischer oder internistischer Erkrankungen häufig vorkommen. Dabei handelt es sich einerseits um die Panikstörung, andererseits um die dissoziativen Anfälle.

Panikstörung

Diese Störung ist durch das attackenartige Auftreten heftigster Angstzustände mit körperlicher Begleitsymptomatik gekennzeichnet, wobei sich diese im Unterschied zu Angstattacken bei spezifischen Phobien meist „aus heiterem Himmel“, also ohne erkennbaren Auslöser, manifestieren. Die Patienten tragen oft auch primär die somatischen Beschwerden vor, räumen die eigentliche Angst erst nach gezielter Befragung ein, attribuieren diese selber gerne als sekundäre Folge des als bedrohlich erlebten körperlichen Zustandes. So kann der Untersucher rasch dazu verleitet werden, eine rein somatisch orientierte Differenzialdiagnostik zu veranlassen.
Epidemiologie und Pathophysiologie
Bei einer Lebenszeitprävalenz von 3–4 % gehört die Panikstörung zu den häufigeren psychiatrischen Erkrankungen. Frauen sind etwas häufiger als Männer betroffen, die Störung beginnt meist in der 3. Lebensdekade. Eine Panikattacke entsteht „physiologisch“ bei Exposition mit einer lebensbedrohlichen Situation durch eine Aktivierung der Amygdala in Folge einer starken sympathischen Erregung, einer Stimulation des zentralen noradrenergen Systems (Nucl. coeruleus) und einer peripheren Adrenalinausschüttung. Pathologisch ist also nicht das eigentliche somatische Aktivierungsmuster, sondern das Fehlen eines adäquaten Auslösers bei der Panikstörung.
Klinik
Innerhalb von Sekunden bis Minuten baut sich aus völligem Wohlbefinden heraus ein veränderter psychophysischer Zustand auf, der alle in Abschn. 1 aufgeführten Aspekte der Anfallssemiologie umfassen kann. Das Leitsymptom Angst stellt sich häufig als Todesangst oder Angst vor Kontrollverlust mit hyperalertem Bewusstseinszustand dar. Zu den fast immer explorierbaren körperlichen Symptomen gehören Tachykardie oder Palpitationen, Hitzegefühl, Zittern oder Beben und ein thorakales Beklemmungsgefühl. Optional können im Denken Derealisationserlebnisse auftauchen sowie Schwindel, Atemnot, Kribbelmissempfindungen, Brustschmerzen oder abdominelle Beschwerden hinzukommen. Nach dem Höhepunkt baut sich der Erregungszustand langsam wieder ab; eine Dauer von ca. 15 min ist typisch für eine Panikattacke. Vor allem am Beginn der Erkrankung kommt es aber oft vor, dass die Patienten durch die erlittene Angstattacke nachhaltig geschockt sind und ein basaler Angstlevel noch für Stunden aufrechterhalten wird. Panikattacken können auch einmalig auftreten; erst beim Nachweis rezidivierender Panikattacken liegt auch eine Panikstörung vor (s. folgende Übersicht).
Diagnostik
Viele Patienten neigen bei der spontanen Attackenschilderung dazu, eines der aufgetretenen Symptome ganz in den Vordergrund zu stellen und andere nicht zu berichten. Häufige Präsentationssymptome sind „Schwindelanfall“, „schwere Luftnot“, „Kribbeln“ oder „Herzstolpern“. Wenn dann nicht gezielt in Richtung weiterer Paniksymptome exploriert wird, kann die weitere Abklärung rasch auf eine neurologische oder internistische „Schiene“ mit umfangreicher, aber letztlich nicht zielführender organischer Zusatzdiagnostik geraten. Hilfreich ist der Einsatz der operationalen Diagnosekriterien der Panikstörung bzw. Panikattacke aus der ICD-10 (s. folgende Übersicht), die bei allen Anfällen, bei denen wenigstens ein Paniksymptom geschildert wird, katalogartig abgefragt werden sollten. Die Diagnose wird unterstützt, wenn die weitere Anamnese Hinweise für eine Depression oder eine Agoraphobie erbringt, die häufig komorbid mit der Panikstörung vorliegen. Die Agoraphobie ist gekennzeichnet durch Ängste (mit entsprechendem Vermeidungsverhalten) an Orten, wo eine rasche Flucht bei auftretenden peinlichen Symptomen nicht möglich scheint (volle Geschäfte, Warteschlangen, öffentliche Verkehrsmittel, sonstige Menschenansammlungen). Danach ist mit ganz konkreten Fragen zu forschen. Wenn der Verdacht auf eine Panikstörung ausreichend erhärtet erscheint, reichen ein unauffälliger körperlicher und neurologischer Befund, eine unverdächtige Drogen- und Medikamentenanamnese sowie ein normales Labor (insbesondere Schilddrüsenparameter und Transaminasen) und ein normales EKG zum Ausschluss organischer Differenzialdiagnosen aus. Eine eingehende psychiatrische oder psychotherapeutische Abklärung zur Abgrenzung von Panikattacken bei anderen psychiatrischen Erkrankungen (z. B. Schizophrenie, posttraumatische Belastungsstörung) sowie zur Therapieplanung sollte dann durch einen entsprechend spezialisierten Konsiliarius erfolgen.
Operationale Diagnosekriterien der Panikstörung nach ICD-10
  • Kriterium der Panikstörung:
    Wiederholte Panikattacken, die oft spontan auftreten und nicht ausschließlich auf eine spezifische Situation, ein spezifisches Objekt, eine reale Gefahr oder besondere Anstrengung bezogen sind
  • Kriterien der Panikattacke:
    Einzelne Episode intensiver Angst oder Unbehagens. Abrupter Beginn mit Erreichen des Höhepunktes innerhalb weniger Minuten und Dauer von mindestens einigen Minuten. Mindestens 4 Symptome aus der folgenden Liste (eines davon aus der Gruppe der ersten 4 Symptome):
    • Palpitationen, Herzklopfen oder erhöhte Herzfrequenz
    • Schweißausbrüche
    • Fein- oder grobschlägiger Tremor
    • Mundtrockenheit
    • Atembeschwerden
    • Beklemmungsgefühl
    • Thoraxschmerzen und -missempfindungen
    • Nausea oder abdominale Missempfindungen
    • Gefühl von Schwindel, Unsicherheit, Schwäche oder Benommenheit
    • Gefühl, die Objekte sind unwirklich (Derealisation) oder
    • man selbst ist weit entfernt oder nicht wirklich hier (Depersonalisation)
    • Angst vor Kontrollverlust, verrückt zu werden oder „auszuflippen“
    • Angst zu sterben
  • Ausschlusskriterium:
    Panikattacken dürfen nicht Folge einer körperlichen, organischen psychischen Störung oder anderen psychischen Störung sein.
Differenzialdiagnostik
Bei ätiologisch andersartigen Anfallsformen kann eine Panikreaktion sekundär hinzukommen. Insbesondere wenn das präsentierende Anfallssymptom auch aus dem Panikspektrum stammen könnte, besteht die Gefahr der Fehldiagnose einer Panikstörung. Hier sind besonders die folgenden Störungsbilder zu nennen und differenzialdiagnostisch zu berücksichtigen:
  • Akutes Koronarsyndrom (Brustschmerzen)
  • Tachyarrhythmie (Herzrasen)
  • Schwindelattacken verschiedener Ätiologie (vor allem benigner Lagerungsschwindel)
  • Asthmaanfälle (Atemnot)
  • Flüchtige Ischämie (halbseitiges Kribbeln)
  • Phäochromozytom oder Hyperthyreose (vegetative Symptome, Erregung)
Im Rahmen von epileptischen Temporallappenanfällen, vor allem bei Läsionen in Nachbarschaft der Amygdala, können vegetative und Verhaltensschemata aus dem Angstspektrum mit deutlicher Ähnlichkeit zu Panikattacken ausgelöst werden. Solche Attacken verlaufen aber im Unterschied zu Panikattacken sehr stereotyp, sind von kürzerer Dauer und von Bewusstseinsstörung und Verhaltensautomatismen begleitet.
Eine breite Überschneidung besteht zwischen der Symptomatik von Panikattacken und von zwei verwandten Angstsyndromen, nämlich der Hyperventilationsattacken und des phobischen Schwankschwindels. Das Erscheinungsbild der Hyperventilatonsattacke ist geprägt durch das auffällige Atemmuster, schmerzhafte Muskeltetanien, Pfötchenstellung der Hände und Kribbelmissempfindungen an den Fingern und Zehen. Beim phobischen Schwankschwindel dominiert der attackenartig auftretende Schwindel die übrige Angstsymptomatik. Es ist umstritten, ob diese beiden Angststörungen tatsächlich eigenständige nosologische Entitäten darstellen oder ob es sich nicht doch um Spielarten von Panikattacken handelt, zumal auch hierbei wie bei der Panikstörung sich oft sekundär eine Agoraphobie ausbildet und eine Komorbidität mit Depressionen besteht.
Therapie
Eine sorgfältige Aufklärung des Patienten über die psychophysiologischen Mechanismen der Attacken und die überzeugende Vermittlung der Befundlage, dass keine besorgniserregende organische Erkrankung vorliegt, stellt den ersten Schritt zum Weg aus dem Teufelskreis von Panikattacken und Agoraphobie dar. In einer kognitiven Verhaltenstherapie kann der Patient dann in einer überschaubaren Anzahl von Sitzungen (etwa 10–25) lernen, Paniksymptome bewusst zu kontrollieren und schließlich schon im Vorfeld abzuwenden. Außerdem kann durch die Verhaltenstherapie das agoraphobe Vermeidungsverhalten abgebaut werden. Medikamentös steht mit Antidepressiva aus der Gruppe der selektiven Serotoninaufnahmehemmer (vor allem Paroxetin und Citalopram) eine vergleichbar erfolgreiche Therapieoption zur Symptomreduktion bei Panikstörung und Agoraphobie zur Verfügung. Die Kombination von Verhaltenstherapie und Antidepressivum ist wirksamer als jede Therapie allein. Insbesondere im Vorfeld einer Therapie ist es sinnvoll, dem Patienten durch die Bedarfsmedikation eines rasch wirksamen Benzodiazepins (z. B. Lorazepam sublingulal) die Möglichkeit einer zügigen Angstreduktion anzubieten.
Panikstörung
Eine 21-jährige Jurastudentin kam elektiv zur Vorstellung in die Ambulanz eines Epilepsiezentrums. Sie hatte vor 6 Monaten nach dem Essen in einem Restaurant einen Ohnmachtsanfall erlitten. Zunächst war es ihr noch im Sitzen flau geworden; als sie hinausgehen wollte, um frische Luft zu schnappen, war sie kurz nach dem Aufstehen kollabiert und nach hinten gefallen. Die Angehörigen hätten eine „Leichenblässe“ bemerkt, die Augen seien geöffnet und nach oben verdreht gewesen, motorische Entäußerungen fielen nicht auf. Die Ohnmacht dauerte etwa 10 Sekunden. Hinterher sei sie nassgeschwitzt gewesen. Sie habe sofort gewusst, was passiert war. Zu Verletzungen war es nicht gekommen. Man habe sie dann in der Inneren Klinik eines Krankenhauses „durchgecheckt“; bis auf einen schnellen Puls im Stehen auf einem Kipptisch habe man aber nichts festgestellt. Insbesondere habe man eine Epilepsie ausschließen können. Sie sei nach einer Woche mit der Diagnose „posturales Tachykardiesyndrom“ und der Empfehlung, viel zu trinken und reichlich Sport zu treiben, entlassen worden.
In der Folgezeit habe sie unter der Befolgung der Empfehlungen immer wieder „Anflüge“ einer solchen Ohnmacht bemerkt, ohne aber nochmals bewusstlos zu werden. Anfangs sei dies nur im Stehen passiert, später auch im Sitzen (z. B. in der Vorlesung) oder morgens noch im Bett liegend. Solche „Anflüge“ konkretisierte sie als Herzrasen mit Beklemmungsgefühl, Atemnot, Schwitzen, Tremor der Hände und zunehmender innerer Unruhe bis hin zur Angst vor drohender Ohnmacht, wobei diese Zustände Minuten bis zu einer halben Stunde andauern konnten. Erneute ambulante Abklärungen hätten keine neuen Erkenntnisse gebracht.
Aus Angst vor solchen Attacken in unsicherem Umfeld habe sie sich zunehmend nur noch im Hause ihrer Eltern aufgehalten, habe inzwischen auch ihr Studium unterbrochen und sportliche Aktivitäten ganz eingestellt. In dieser Situation habe ihr Hausarzt vermutet, dass wohl doch eine Epilepsie vorliege und die Patientin in die Epilepsieambulanz überwiesen.
Hier fand sich bei Aufnahme eine sehr schlanke junge Frau mit unauffälligem körperlichem und neurologischem Befund. Psychisch wirkte sie sehr besorgt und gedanklich stark auf ihre Attacken eingeengt. Labor, EKG und EEG waren ebenso wie mitgebrachte Schädel-MRT-Aufnahmen unauffällig. Im Schellong-Test zeigte sich bei stabilem Blutdruck um 122/74 mmHg ein Pulsanstieg von 71 auf 112 im Stehen ohne Angabe von Beschwerden.
Basierend auf den anamnestischen Angaben zur Anfallsbeschreibung konnte der initiale Ohnmachtsanfall eindeutig als vasovagale Synkope eingeordnet werden, die bei einmaligem Auftreten ohne Verletzungen weder einer weiteren Abklärung noch einer Therapie bedurfte. Trotz des Pulsanstiegs um 41 Schläge/min im Stehen wurde die Diagnose „posturales Tachykardiesyndrom“ nicht bestätigt, da die dafür erforderliche orthostatische Intoleranz nicht vorlag. Die von der Patientin als Ohnmachtsanflüge beschriebenen Attacken konnten semiologisch als typische Panikattacken diagnostiziert werden, zumal die Zusatzdiagnostik keinen Hinweis auf einen kardiologischen oder epileptologischen Hintergrund erbracht hatte. Aufgrund des Vermeidungsverhaltens wurde eine beginnende Agoraphobie vermutet. Eine stationäre Abklärung war nicht erforderlich. Weitere ambulante Termine mit dem Epilepsiezentrum wurden angeboten.
Im Rahmen der veranlassten ambulanten Verhaltenstherapie stellten sich eine Trennung vom langjährigen Freund vor 9 Monaten sowie die Aufnahme des eigentlich ungeliebten Jurastudiums „dem Vater zuliebe“ als wichtiges Konfliktmaterial heraus. Obwohl die Patientin unter der Therapie lernte, die Paniksymptome günstig zu beeinflussen, verschwanden die Panikattacken in den nächsten 6 Monaten nicht gänzlich. Die Patientin konnte aber wieder ein normales Leben führen, nahm ihre sportlichen Aktivitäten wieder auf und begann im folgenden Semester ein Pädagogikstudium.

Dissoziative Anfälle

Zu den nichtepileptischen Anfällen mit einem besonders hohen Verwechslungsrisiko sowohl zu epileptischen Anfällen als auch zu Synkopen zählen die sog. dissoziativen Anfälle, die auch häufig pseudoepileptische, psychogene oder „hysterische“ Anfälle genannt werden. Nosologisch ordnet die ICD-10 dieses Störungsbild der Gruppe der dissoziativen Störungen zu, wozu u. a. auch die dissoziative Bewegungsstörung (z. B. psychogene Lähmung) gehört. Gemeinsam ist den dissoziativen Störungen, dass es hier zu einer Desintegration von Bewusstsein, psychischen und körperlichen Funktionen kommt, ohne dass eine organische Krankheitsursache vorliegt. Bei den dissoziativen Anfällen können alle semiologischen Ebenen (Abschn. 1) betroffen sein, vorrangig kommt es aber zu paroxysmalen Veränderungen im Bereich der Motorik bzw. des Verhaltens, des Affektes und des Bewusstseins.
Epidemiologie
Die Prävalenzangaben zu dissoziativen Anfällen schwanken sehr stark in der Literatur und liegen zwischen 2 und 33 pro 100.000 (Schmitz 2005). Sie sind damit deutlich seltener als „echte“ epileptische Anfälle. Bei Patienten, die mit kaum zu durchbrechendem Anfallsstatus in Notaufnahmen kommen, liegt aber häufiger eine dissoziative als eine epileptische Genese zu Grunde. Der Altersgipfel liegt im Jugend- und frühen Erwachsenenalter, aber auch noch im fortgeschrittenen Alter können sich dissoziative Anfälle erstmals manifestieren. Das Verhältnis von Frauen zu Männern beträgt etwa 3:1.
Pathophysiologie, Psychopathologie und Komorbidität
Zu den eigentlichen Pathomechanismen der dissoziativen Anfälle auf neurophysiologischer Basis ist recht wenig bekannt. Die Betroffenen haben etwas häufiger als Gesunde auffällige EEG-Befunde, ein Hirntrauma in der Anamnese oder strukturelle Defekte im Hirn-MRT; die Kausalbeziehung dieser Befunde zu dissoziativen Anfällen ist aber unklar. Kaum umstritten ist dagegen die pathogene Bedeutung psychischer Traumata (vor allem sexueller Missbrauch) in der Kindheit oder im Jugendalter für die spätere Entwicklung von dissoziativen Anfällen.
Psychopathologisch wirken die Betroffenen interiktal oft unauffällig. Es besteht eine psychiatrische Komorbidität mit Depressionen, Angststörungen und anderen dissoziativen oder somatoformen Störungen, die jedoch nicht viel höher ist als die psychiatrische Komorbidität bei Epileptikern (Schmitz 2005). Patienten mit besonders dramatisch imponierenden oder im Sinne eines Status prolongierten Anfällen weisen sehr häufig Persönlichkeitsstörungen auf. Obwohl für die dissoziativen Störungen im Allgemeinen die Bewusstseinsferne der Symptome als typisch gilt, mehren sich die Hinweise, dass die Symptome von dissoziativen Anfällen oft auch willentlich erzeugt oder ausgestaltet werden (besonders beim dissoziativen „Status“). Der Übergang vom dissoziativen Anfall zu der definitionsgemäß rein willentlich gesteuerten Symptomproduktion bei artifiziellen Störungen („Münchhausen-Syndrom“) scheint fließend zu sein (Steinhoff 2008).
Von besonderer Relevanz im klinischen Alltag ist die erhebliche Komorbidität von dissoziativen und epileptischen Anfällen. In der Querschnittstudie eines deutschen Epilepsiezentrums kamen bei 5 % der Epileptiker zusätzlich dissoziative Anfälle vor. Umgekehrt litten bei Patienten mit dissoziativen Anfällen (12 % des gesamten Krankenguts) anteilig 42 % auch unter epileptischen Anfällen (Steinhoff und Bach 2005). Die Diagnose dissoziativer Anfälle schließt also keineswegs eine zusätzliche Epilepsie aus.
Klinik
Ein dissoziativer Anfall kann ohne Vorboten einsetzen oder aber auch nach einer (dann oft sehr langen) Prodromalphase mit verändertem Antrieb, Nervosität, Denk- oder Wahrnehmungsveränderungen. Die eigentliche Anfallssymptomatik ist interindividuell (häufig auch intraindividuell) sehr variabel. Ein auf Clusteranalyse von Videoaufzeichnungen dissoziativer Anfälle beruhendes Klassifikationsschema unterscheidet semiologisch hypermotorische, diskret motorische („Zitter“-) und atonische („Ohnmachts“-)Anfälle (Groppel et al. 2000). Bizarre Bewegungen oder Körperverbiegungen, durchaus aber auch repetitive Bewegungen mit Ähnlichkeit zu tonisch-klonischen epileptischen Entäußerungen, oft im Verein mit Treten oder Schlagen oder Vokalisationen wie Schreien oder Stöhnen kennzeichnen hypermotorische Anfälle. Bei den diskret motorischen Anfällen dominiert meist ein Zittern der Extremitäten, des Kopfes oder gar des ganzen Körpers das Bild. Bei atonischen dissoziativen Anfällen fällt der Patient in einen bewegungslosen ohnmachtsartigen Zustand, wobei dieser sowohl durch ein langsames Zu-Boden-Gleiten als auch durch einen abrupten Sturz eingeleitet werden kann. Bei allen Anfallsformen reagieren die Patienten nicht oder nicht adäquat auf Ansprache und halten die Augen fest geschlossenen. Wenn sich einem Arzt die Gelegenheit bietet, den Patienten während eines Anfalls zu untersuchen, fällt oft auf, dass der Patient „gegenarbeitet“, also etwa beim Festhalten der Arme die Kraft der Bewegungen steigert oder die Augen bei Anheben der Lider fest zukneift. Andererseits kann der Patient aber auch auf Suggestionen oder Kommandos in der gewünschten Weise reagieren und z. B. auf die Aufforderung „so, jetzt haben Sie lange genug gekrampft, jetzt können Sie wieder zu sich kommen!“ den Anfall langsam beenden.
Meist dauern dissoziative Anfälle 5 min und mehr, es besteht anschließend eine nicht immer vollständige Amnesie dafür, und die postiktale Phase (oft mit noch leichtem Dämmerzustand oder Angst oder Agitation) kann Minuten bis Stunden andauern. Weitere Merkmale dissoziativer Anfälle werden im folgenden Abschnitt in Abgrenzung zu epileptischen Anfällen und Synkopen besprochen.
Diagnostik und Differenzialdiagnosen
Die Prinzipien der Diagnosestellung dissoziativer Anfälle umfassen einerseits den Nachweis überzeugender positiver Merkmale für die dissoziative Genese der Anfälle, andererseits den Ausschluss von alternativen Diagnosen. Differenzialdiagnostisch sind bei hypermotorischen oder diskret motorischen Anfällen vor allem epileptische Anfälle und konvulsive Synkopen zu erwägen, während atonische dissoziative Anfälle von Synkopen abgegrenzt werden müssen. Tab. 4 stellt wesentliche Kriterien für die Differenzierung dieser verschiedenen Konditionen zusammen. Dabei gilt, dass keines der aufgeführten Merkmale allein eine hundertprozentige Trennschärfe für die Abgrenzung bietet; in der Gesamtbewertung fällt aber oft die Entscheidung für eine Diagnose nicht schwer. Hilfreich ist es natürlich, wenn der Diagnostiker selber einen Anfall beobachten konnte oder zumindest eine Videoaufzeichnung anschauen kann, da Anfallsfremdanamnesen die Semiologie oft nur ungenau abbilden. Hier bietet sich eine sinnvolle Einsatzmöglichkeit für die zunehmend verfügbaren Handykameras, und Angehörige sollten entsprechend zu einer Videodokumentation von Anfällen angehalten werden.
Obwohl der erfahrene Diagnostiker oft sicher ist mit seiner Diagnosestellung, stößt die Diagnose dissoziativer Anfälle bei Patienten, Angehörigen und behandelnden Ärzten, aber auch bei neurologisch wenig erfahrenen Psychotherapeuten, häufig auf Zweifel oder gar Ablehnung. Eine unauffällige EEG-Diagnostik einschließlich Schlafentzugs-EEG und Video-EEG-Monitoring sowie ein normales MRT können dann hilfreich sein, um Zweifel in diesem Personenkreis zu beseitigen. Zu berücksichtigen ist natürlich, dass pathologische EEG- oder MRT-Befunde gehäuft auch bei Patienten mit dissoziativen Anfällen vorkommen (s. oben).
Manchmal treten die abzuklärenden Anfälle scheinbar aus dem Schlaf heraus auf. Wichtige organische Differenzialdiagnosen stellen dabei die REM-Schlaf-Verhaltensstörung und nächtliche Frontallappenanfälle dar. Dabei ist zur Klärung eine polysomnografische Aufzeichnung eines solchen nächtlichen Anfalls anzustreben, wobei gilt, dass dissoziative Anfälle immer aus einem Wachzustand heraus generiert werden.
Therapie und Prognose
Die ärztliche Begleitung von Patienten mit dissoziativen Anfällen zumal durch den Neurologen muss durch ein hohes Ausmaß an Empathie und Hilfsbereitschaft geprägt sein.
Keinesfalls darf der Patient das Gefühl bekommen, dass er „entlarvt“ worden ist und vor dem Arzt als Simulant dasteht. Das gilt auch für Patienten mit vermutetem Münchhausen-Syndrom, wenn also von einer recht bewusstseinsnahen Steuerung der Anfälle auszugehen ist, da auch hier, ebenso wie bei Patienten mit bewusstseinsfernen dissoziativen Anfällen, Mechanismen mit erheblichem psychopathologischem Krankheitswert am Werke sind. Es gilt vielmehr, allen Patienten mit dissoziativen Anfällen eine Brücke zu bauen, deren Überquerung eine Annahme des psychischen Ursprungs der Anfälle ermöglicht und eine Bereitschaft für psychotherapeutische Interventionen schafft. Dazu gehört auch, dass der Neurologe als Behandler weiterhin zur Verfügung steht und seinen Auftrag nicht mit dem Absetzen von Antikonvulsiva und der Überweisung zum Psychotherapeuten als beendet ansieht. Der Neurologe sollte im engen Kontakt zum (oftmals epileptologisch bzw. anfallskundlich unerfahrenen) Psychotherapeuten stehen und eine gemeinsame Marschrichtung mit ihm vereinbaren.
Es gehört zur Pflicht des Neurologen, den Patienten über die Prognose seines dissoziativen Anfallsleidens aufzuklären. Eine Metanalyse zur Prognose dissoziativer Anfälle über 16 Studien zeigte, dass durchschnittlich 3 Jahre nach Diagnosestellung nur 37 % der Patienten anfallsfrei waren (Schmitz 2005). Prognostisch ungünstig waren dabei vor allem folgende Faktoren:
  • lange Anamnesedauer,
  • geringe Intelligenz,
  • ausgeprägter sekundärer Krankheitsgewinn,
  • hypermotorische Anfallssemiologie und
  • fehlende Akzeptanz der Diagnose.
Andererseits kann ein erfolgreiches Aufklärungsgespräch durch den Neurologen bei zahlreichen Fällen bereits zur Anfallsfreiheit führen, ohne dass eine weitergehende Psychotherapie erforderlich ist.
Auch wenn das Ziel kompletter Anfallsfreiheit oft nicht erreicht werden kann, hilft doch die professionelle Begleitung des Patienten durch Neurologen und/oder Psychotherapeuten, die Häufigkeit von Notfalleinweisungen, stationären Aufenthalten oder ambulanten Arztbesuchen mit vielen diagnostischen Tests drastisch zu reduzieren und einen deutlichen Zugewinn an Lebensqualität zu erreichen.

Facharztfragen

1.
Welche Maßnahmen stellen die obligatorische Basisdiagnostik von Anfällen dar?
 
2.
Welche neurologischen und psychischen Funktionsbereiche sind bei der Beschreibung der Anfallssemiologie zu berücksichtigen?
 
3.
Wie unterscheiden Sie Synkopen und epileptische Anfälle?
 
4.
Nennen Sie häufige Ursachen von Synkopen.
 
Literatur
American Academy of Sleep Medicine (2005) International classification of sleep disorders, 2. Aufl., Diagnostic and coding manual. American Academy of Sleep Medicine, Westchester
Brignole M, Sutton R, Menozzi C (2006) Early application of an implantable loop recorder allows effective specific therapie in patients with recurrent suspected neurally-mediated syncope. Eur Heart J 27:1085–1092CrossRefPubMed
Buchner H (2007) Neurologische Leitsymptome und diagnostische Entscheidungen. Thieme, Stuttgart, S 131–132
Diehl RR, Linden D, Chalkiadaki A, Ringelstein EB, Berlit P (1996) Transcranial Doppler during neurocardiogenic syncope. Clin Auton Res 6:71–74CrossRefPubMed
Diehl RR, Hilz MJ, Steinhoff B, Schuchert A (2012) Synkopen. In: Diener HC, Weimar C (Hrsg) Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie. Thieme, Stuttgart, S 58–73
Gerloff C, Bassetti C, Eisensehr I, Hoegl B, Mayer G, Pollmächer T (2008) Narkolepsie. In: Diener HC, Putzki N (Hrsg) Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie. Thieme, Stuttgart, S 50–55
Groppel G, Kapitany T, Baumgartner C (2000) Cluster analysis of clinical seizure semiology of psychogenic nonepileptic seizures. Epilepsia 41:610–614CrossRefPubMed
Handwerker G (2007) Besonderheiten der Narkolepsie bei Kindern und Jugendlichen. In: Mayer G, Pollmächer T (Hrsg) Narkolepsie – Neue Chancen in Diagnostik und Therapie. Thieme, Stuttgart, S 35–46
Lempert T, Bauer M, Schmidt D (1994) Syncope: a videometric analysis of 56 episodes of transient cerebral hypoxia. Ann Neurol 36:233–237CrossRefPubMed
Noachtar S, Eisensehr I (2000) Die REM-Schlaf-Verhaltensstörung. Nervenarzt 71:802–806CrossRefPubMed
Schmitz B (2005) Dissoziative Anfälle. In: Schmitz B, Tettenborn B (Hrsg) Paroxysmale Störungen in der Neurologie. Springer, Berlin/Heidelberg/New York/Tokio, S 224–248CrossRef
Seidl K, Schuchert A, Tebbenjohanns J, Hartung W (2005) Kommentar zu den Leitlinien zur Diagnostik und Therapie von Synkopen der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie 2001 und dem Update 2004. Z Kardiol 94:592–612CrossRefPubMed
Sheldon R, Rose S, Ritchie D et al (2002) Historical criteria that distinguish syncope from seizures. J Am Coll Cardiol 40:142–148CrossRefPubMed
Sheldon R, Rose S, Connolly S, Ritchie D, Koshman ML, Frenneaux M (2006) Diagnostic criteria for vasovagal syncope based on a quantitative history. Eur Heart J 27:344–350CrossRefPubMed
Steinhoff BJ (2008) Dissoziative Anfälle. In: Deuschl G, Gerloff C, Kömpf D, Weiller C, Diener HC, Busch EW (Hrsg) Neurologie 2008. Thieme, Stuttgart, S 569–570
Steinhoff BJ, Bach A (2005) Komorbidität bei Epilepsie – Eine Querschnittsstudie bei stationären Patienten. Z Epileptol 18:114
Volk S (2007) Narkolepsie und andere Störungen. In: Mayer G, Pollmächer T (Hrsg) Narkolepsie – Neue Chancen in Diagnostik und Therapie. Thieme, Stuttgart, S 28–34