Skip to main content
Klinische Neurologie
Info
Publiziert am: 03.02.2018

Syringomyelie

Verfasst von: Henning Henningsen
Die Syringomyelie ist gekennzeichnet durch röhrenförmige, flüssigkeitsgefüllte Aushöhlungen im Rückenmark. Es kommt zu einem charakteristischen zentralen Rückenmarksyndrom, dessen Leitsymptom die dissoziierte Sensibilitätsstörung ist. Fehlbildungen des kraniozervikalen Übergangs sind oft assoziiert; der untere Hirnstamm kann einbezogen sein (Syringobulbie). Die Behandlung ist nach Möglichkeit operativ und zielt auf die Normalisierung der zerebrospinalen Liquorzirkulation ab. In Fällen, wo keine kausale Operationsmaßnahme (z. B. Beseitigung von Fehlbildungen oder Raumforderungen) zur Verfügung steht, kann die operative Drainage der intrakavitären Flüssigkeit die Symptomatik bessern oder zum Stillstand bringen. Voraussetzung für die Entscheidung über das geeignete Operationsverfahren ist die Aufklärung der Ätiologie im Individualfall und die genaue anatomische Darstellung der Höhlenbildung mittels MRT. Unbehandelt ist der Verlauf häufig chronisch-progredient und kann zur schweren Behinderung führen.
Die Syringomyelie ist gekennzeichnet durch röhrenförmige, flüssigkeitsgefüllte Aushöhlungen im Rückenmark. Es kommt zu einem charakteristischen zentralen Rückenmarksyndrom, dessen Leitsymptom die dissoziierte Sensibilitätsstörung ist. Fehlbildungen des kraniozervikalen Übergangs sind oft assoziiert; der untere Hirnstamm kann einbezogen sein (Syringobulbie). Die Behandlung ist nach Möglichkeit operativ und zielt auf die Normalisierung der zerebrospinalen Liquorzirkulation ab. In Fällen, wo keine kausale Operationsmaßnahme (z. B. Beseitigung von Fehlbildungen oder Raumforderungen) zur Verfügung steht, kann die operative Drainage der intrakavitären Flüssigkeit die Symptomatik bessern oder zum Stillstand bringen. Voraussetzung für die Entscheidung über das geeignete Operationsverfahren ist die Aufklärung der Ätiologie im Individualfall und die genaue anatomische Darstellung der Höhlenbildung mittels MRT. Unbehandelt ist der Verlauf häufig chronisch-progredient und kann zur schweren Behinderung führen.
Begriffsbestimmung
Der Begriff Syringomyelie wurde 1827 von d’Angers geprägt, abgeleitet von „syrinx‟ (Rohrflöte, Röhre). Er bezeichnet eine flüssigkeitsgefüllte, röhrenförmige Höhlenbildung innerhalb des Rückenmarks; je nach Ausdehnung des Prozesses in den Hirnstamm kann von Syringobulbie oder Syringomesenzephalie gesprochen werden. Eine reine Dilatation des spinalen Zentralkanals, bei intakter Ependymauskleidung und ohne Gliaproliferation, also ohne Eindringen der Aushöhlung in die graue oder weiße Substanz, wird als Hydromyelie bezeichnet. Auch die reine Dilatation des Zentralkanals kann, je nach Druckverhältnissen, eine neurologische Symptomatik hervorrufen. Die Unterscheidung zwischen Hydromyelie und Syringomyelie ist daher von geringer klinischer Bedeutung (Saker et al. 2016).
Gelegentlich werden auch zystische intramedulläre Tumoren unter dem Begriff Syringomyelie subsumiert, was pathologisch-anatomisch nicht exakt ist, da hierbei die Symptomatik von dem Tumor herrührt und nicht von der Aushöhlung. Davon zu unterscheiden sind die Situationen, bei denen ein Tumor durch Beeinflussung der Liquordruckverhältnisse die Ursache für die Entstehung einer Syringomyelie ist.
Häufigkeit und Vorkommen
Der Erkrankungsgipfel liegt im 2.–4. Lebensjahrzehnt. Kindliche Formen sind bekannt, besonders in Kombination mit Fehlbildungen des kraniozervikalen Übergangs. Innerhalb des neurologischen Patientenguts liegt die Prävalenz bei mindestens 0,5 %. Die Prävalenz in der Bevölkerung beträgt in westlichen Ländern ca. 8/100.000. Durch die Entwicklung der MRT-Diagnostik hat die Häufigkeit der Diagnosestellung in den letzten 15 Jahren zugenommen.
Pathogenese und Ätiologie
Für das Zustandekommen der intraspinalen Flüssigkeitsansammlung sind – je nach Ätiologie – unterschiedliche pathophysiologische Mechanismen verantwortlich. Gemeinsam ist ihnen, dass sie den Liquorfluss und die Druckverhältnisse zwischen intrakraniellem Ventrikelsystem, Zisternen und Spinalkanal so verändern, dass sich Flüssigkeit im Inneren des Rückenmarks sammelt. Die Syrinxflüssigkeit besteht in der Regel aus Liquor. Es kann auch extrazelluläre Flüssigkeit hinzutreten, die über das Zwischenstadium eines spinalen Ödems in den Zentralkanal diffundiert.
Die Ätiologie der Syringomyelie ist sehr vielfältig. Symptomatische Formen müssen von kongenital-idiopathischen Formen unterschieden werden. Eine genaue Aufklärung der Ursachen und pathophysiologischen Mechanismen ist im Einzelfall unerlässlich für die Entscheidung über die am besten geeignete therapeutische Intervention. Einen Überblick gibt die folgende Übersicht.
Ätiologie der Syringomyelie
  • Kongenital-idiopathisch
    • Größter Anteil des Krankenguts (50–80 %)
    • In über 50 % der Fälle assoziiert mit Fehlbildungen der hinteren Schädelgrube und/oder des kraniozervikalen Übergangs (Arnold-Chiari-Malformationen Typ I und Typ II, Platybasie, basiläre Impression, Klippel-Feil-Syndrom)
    • Überdurchschnittlich häufig assoziiert mit weiteren Fehlentwicklungen der Neuralachse (Spina bifida, Meningo-/Myelozelen, Meningo-/Myelodysplasien, Hydrozephalus)
  • Durch Raumforderungen bedingt
    • Intramedulläre Tumoren
      • Veränderung der Liquorzirkulationsverhältnisse durch Raumforderung
      • Zystenbildung innerhalb des Tumors
    • Tumoren der hinteren Schädelgrube, Arachnoidalzysten
      • Obstruktion der Cisterna magna und des Foramen magnum
    • Meningeosis carcinomatosa
      • Obstruktion der Foramina Luschkae, des Foramen Magendii oder des Foramen magnum
    • Spinale arteriovenöse Malformationen
      • Veränderungen der venösen Druckverhältnisse
    • Sonstige Raumforderungen im Spinalkanal (z. B. ausgedehnte zervikale oder thorakale Bandscheibenvorfälle, zervikale Spinalkanalstenose, chronisch subdurale spinale Hämatome)
  • Posttraumatisch
    • In bis zu 20 % der Fälle nach schwerem spinalem Trauma
    • Manifestation häufig erst nach langem Intervall (Jahre bis Jahrzehnte)
    • Angenommene Mechanismen der Höhlenbildung
      • Intramedulläre Nekrosen- und Zystenbildungen
      • Hämorrhagien in den Zentralkanal und das zentrale Rückenmarkgewebe
      • Zug-, Saug- und Druckmechanismen nach frakturbedingten Deformationen der Wirbelsäulenachse, Rückenmark unter Spannung (Tethered Cord)
  • Postinflammatorisch
    • Nach septischen und aseptischen Entzündungen der spinalen und basalen Leptomeningen und des Rückenmarks
    • Angenommene Mechanismen der Höhlenbildung
      • Einengung kleiner intraspinaler Arterien durch Narbengewebe, Ischämie und Atrophie des betroffenen Gewebes
      • Verklebung der Liquorzirkulationswege in der Umgebung des 4. Ventrikels und Veränderung der Liquordruckverhältnisse
      • Veränderungen der Blut-Liquor-Schranke mit interstitieller Ödembildung und Diffusion extrazellulärer Flüssigkeit in den Zentralkanal
Kongenital-idiopathisch
Diese Gruppe umfasst den weitaus größten Anteil des Krankenguts (50–80 %). Familiäre Formen mit autosomal-dominantem und autosomal-rezessivem Erbgang sind beschrieben worden. Die familiär gehäufte idiopathische Skoliose kann mit einer Syringomyelie assoziiert sein (Singhal et al. 2013). Es wird angenommen, dass die Syringomyelie in Bezug zu anderen Entwicklungsstörungen der Neuralachse steht und dass bereits intrauterin unausgeglichene Liquordruckverhältnisse, insbesondere im Bereich der hinteren Schädelgrube und des 4. Ventrikels (z. B. verzögerte Öffnung der Foramina Luschkae), die Entstehung der Syrinx begünstigen.
Bei etwa der Hälfte dieser Patientengruppe besteht eine Arnold-Chiari-Malformation (überwiegend vom Typ I, seltener vom Typ II), oft auch andere Anomalien des kraniozervikalen Übergangs (Platybasie, basiläre Impression, Klippel-Feil-Syndrom). Diese dem Foramen magnum benachbarten Fehlbildungen tragen zu der Entstehung der Syrinx bei, indem sie den Platz in der Cisterna magna verkleinern, den Druck auf die kranialen Anteile des Rückenmarks vergrößern und so intraspinal einen Aufstau von Flüssigkeit begünstigen. Diese Formen von Syringomyelie sind überdurchschnittlich häufig mit weiteren Fehlentwicklungen des Neuralrohrs (Spina bifida, Meningo-/Myelozelen, Meningo-/Myelodysplasien) assoziiert.
Durch Raumforderungen bedingt
Intramedulläre Tumoren (insbesondere Gliome, Ependymome und Hämangioblastome) können durch ihre raumfordernde Wirkung die Liquordruck- und -flussverhältnisse so verändern, dass die Entstehung einer Syrinx begünstigt wird. Weitere Mechanismen sind intramedulläre Flüssigkeitssekretion durch den Tumor oder Zystenbildung innerhalb eines intramedullären Tumors (streng genommen keine echte Syringomyelie). Die Entstehung einer Syrinx ist umso wahrscheinlicher, je weiter kranial im Rückenmark der Tumor lokalisiert ist. Tumoren der hinteren Schädelgrube können durch Obstruktion der Cisterna magna und des Foramen magnum zur Syringomyelie führen. In seltenen Fällen kann eine Meningeosis carcinomatosa durch Obstruktion der Foramina Luschkae, Magendii oder magnum eine Syringomyelie bedingen. Eine ebenfalls seltene Ursache sind spinale arteriovenöse Malformationen, die durch Veränderungen der venösen Druckverhältnisse eine Flüssigkeitsansammlung im Zentralkanal herbeiführen können (Srivatanakul et al. 2009). In sehr seltenen Fällen kann ein ausgedehnter zervikaler oder thorakaler Bandscheibenvorfall mit spinaler Kompression zur Syrinxbildung führen (Kramer et al. 2009).
Posttraumatisch
Angaben zur Inzidenz von intramedullären Höhlenbildungen nach spinalen Traumen bewegen sich im Bereich von 4,5–20 %. Nach kompletten Querschnittsläsionen ist das Risiko besonders hoch (Krebs et al. 2016). Die Syringomyelie manifestiert sich häufig erst Jahre bis Jahrzehnte nach dem Trauma. Zug-, Saug- und Druckmechanismen auf der Höhe des erlittenen Traumas spielen eine Rolle, wenn frakturbedingte oder paresebedingte Deformationen der Wirbelsäulenachse bestehen und das Rückenmark unter Spannung steht (Tethered Cord). In manchen Fällen kann durch operative Aufrichtung der Wirbelsäule oder durch dekompressive Resektionen die mechanische Spannung auf dem Rückenmark entlastet und die Syrinx zum Kollaps gebracht werden. Weitere Mechanismen sind traumabedingte intramedulläre Nekrosen- und Zystenbildungen sowie traumatische Hämorrhagien in den Zentralkanal und das zentrale Rückenmarkgewebe.
Die Syringomyelie ist eine typische Spätkomplikation nach einem schweren spinalen Trauma – ein sorgfältiges klinisches Monitoring („daran denken‟) noch Jahre nach dem Trauma ist erforderlich.
Postinflammatorisch
Entzündliche Veränderungen der spinalen Leptomeningen und des Rückenmarkgewebes sind eine weitere Ursache für die Entstehung von Höhlenbildungen innerhalb des spinalen Gewebes. Entzündungen der Arachnoidea mit chronisch-protrahiertem Verlauf – wie die tuberkulöse Meningitis – kommen in Frage, aber auch aseptische Entzündungsprozesse, wie sie nach Blutungen, spinalen Traumata oder operativen spinalen Eingriffen gesehen werden (Klekamp 2013). Entzündungsbedingte Narben können eine Einengung der kleinen intraspinalen Arterien bedingen, die die weichen Hirnhäute durchdringen. Die hieraus resultierende chronische Ischämie kann zur Atrophie des betroffenen Gewebes und zur progressiven Höhlenbildung führen. Myelitiden können bei starker Ödembildung eine Flüssigkeitsansammlung im Zentralkanal zur Folge haben.
In seltenen Fällen kann eine basale Arachnitis, die die hintere Schädelgrube und das Foramen magnum einbezieht, die Liquorzirkulationswege in Umgebung des 4. Ventrikels verkleben und aufgrund veränderter Druckverhältnisse zu einer Syringomyelie führen. Auch intraspinale arachnoidale Verklebungen, die längs oder quer zum Rückenmark verlaufen, können den Liquorfluss behindern und eine Syrinxbildung verursachen (Zhang und Papavassilio 2017).
Pathologie
Klinisch bedeutsam ist die Unterscheidung zwischen einer kommunizierenden und einer nichtkommunizierenden Syringomyelie, weil sie für die Wahl des operativen Dekompressionsverfahrens eine Rolle spielt. Bei der kommunizierenden Form besteht eine Verbindung der Syrinx zu den übrigen Liquorräumen. Die Höhlenbildung geht vom Zentralkanal aus und ist fast immer assoziiert mit Veränderungen in der Umgebung des Foramen magnum. Dies ist die übliche Variante bei den kongenital-idiopathischen Syringomyelieformen. Bei der nichtkommunizierenden Form besteht eine spinale Höhle, die keine Verbindung zum Zentralkanal und den übrigen Liquorräumen hat.
Häufig ist das Rückenmark makroskopisch in Umgebung der Syrinx aufgetrieben. Der Syrinxinhalt ist meist flüssig; bei tumorbedingten Formen kann er proteinreich und gelb gefärbt sein. An den Wänden der Syrinx kommt es zu reaktiver Gliabildung. In seltenen Fällen ist fast die ganze Höhle solide von Gliagewebe ausgefüllt (sog. Stiftgliose).
Entsprechend der Ausformung der Syrinx innerhalb des Rückenmarkquerschnitts unterteilt man in
  • zentrale symmetrische Syrinx (Dilatation des Zentralkanals),
  • zentrale Syrinx mit exzentrischen Ausziehungen,
  • exzentrisch lokalisierte Syrinx.
Klinik
Das klinische Bild ist gekennzeichnet durch eine sehr typische spinale Befundkonstellation, jedoch mit hoher Variabilität in Ausprägung, Schweregrad und Verlauf.
Spinale Symptomatik
Klassischerweise kommt es zu einem zentralen spinalen Syndrom. Schmerzen, die sehr quälend, schwer lokalisierbar und nur ungenau beschreibbar sein können, sind ein typisches Frühsymptom. Eine dissoziierte Sensibilitätsstörung mit Beeinträchtigung des Temperatur- und Schmerzempfindens resultiert aus der Zerstörung von Schmerz- und Temperaturfasern, die innerhalb des Rückenmarkgraus unmittelbar vor dem Zentralkanal kreuzen. Typischerweise ist die dissoziierte Sensibilitätsstörung in den oberen Extremitäten und umhangförmig über Schultern und Nacken lokalisiert. Hat die Syrinx einen sehr großen Querschnitt, so kann durch Zerstörung von Anteilen des Tractus spinothalamicus anterior und lateralis eine dissoziierte Empfindungsstörung auch unterhalb der Syrinxhöhe resultieren.
Durch Destruktion von Vorderhorngewebe kommt es zu nukleären atrophischen Paresen in den von der Syrinx betroffenen Segmenten, typischerweise in den Armen und Händen. Die entsprechenden Muskeleigenreflexe fallen aus. Eine Skoliose durch nukleäre Paresen der kleinen paravertebralen Muskeln ist bei etwa der Hälfte aller Patienten ein Frühsymptom und kann der Manifestation anderer neurologischer Symptome um Jahre vorausgehen. Andererseits kann eine Skoliose jedoch auch zuerst vorhanden sein und durch Ausübung von Spannung auf das Rückenmark die Bildung der Syrinx verursachen – dies gilt besonders für stark ausgeprägte, idiopathische Skoliosen.
Die Zerstörung vegetativer Fasern bedingt neurogene trophische Störungen an Haut, Knochen und Gelenken der entsprechenden Segmente. Da die Patienten aufgrund ihres gestörten Schmerzempfindens dazu neigen, sich häufiger zu verletzen, können schlecht heilende Hautläsionen und schwere neurogene Arthropathien resultieren.
In fortgeschrittenen Stadien treten mit zunehmender Kompression bzw. Zerstörung von weißer Rückenmarksubstanz Symptome seitens der langen Bahnen auf: Eine Beteiligung der Hinterstränge kann die Sensibilitätsstörungen komplettieren. Eine spastische Tonuserhöhung, gesteigerte Reflexe und spastische Paresen finden sich bevorzugt an den unteren Extremitäten. Blasen- und Mastdarmfunktionsstörungen können hinzutreten. Die Zerstörung sympathischer Fasern in den Seitenhörnern kann ein Horner-Syndrom bewirken.
Weitere neurologische Symptomatik
Dehnt sich die Höhlenbildung in die Medulla oblongata aus (Syringobulbie), so kommt es zu Ausfällen in den Versorgungsgebieten kaudaler Hirnnerven. Typisch sind ein- oder beidseitige dissoziierte Sensibilitätsstörungen im Gesicht, Zungenatrophie, Dysarthrie, Akzessoriusparese und Schluckschwierigkeiten mit Ausfall des Würgereflexes. Gelegentlich kann eine intrathorakale oder intraabdominale Druckerhöhung (Hustenanfall, Niesen, Pressen) auch bei rein zervikaler Syrinx passagere Hirnstammsymptome auslösen.
Begleitsymptome
Begleitsymptome finden sich in erster Linie bei den kongenital-idiopathischen Formen der Syringomyelie. Sie umfassen verschiedene Formen von Fehlbildungen des kraniozervikalen Übergangs und der übrigen Neuralachse.
Am häufigsten (bei etwa 50 % der Patienten) sind Arnold-Chiari-Malformationen, insbesondere vom Typ I, mit zipfliger Ausziehung der Kleinhirntonsillen nach kaudal bis hin zur Herniation durch das Foramen magnum. Ein Klippel-Feil-Syndrom (Fusion von mindestens 2 zervikalen Wirbelkörpern), eine Platybasie oder eine basiläre Impression kommen in unterschiedlichen Kombinationen vor. Die gesamte hintere Schädelgrube kann in ihren knöchernen Dimensionen zu klein angelegt sein. Neuralrohrfehlbildungen wie Spina bifida, spinale Meningozelen oder Meningomyelozelen finden sich bei Syringomyeliepatienten gehäuft. Ein Hydrozephalus kann bestehen.
Verlauf
Der individuelle Verlauf variiert beträchtlich und hängt stark ab vom jeweiligen ätiologischen Hintergrund der Erkrankung. Seltene Fälle mit spontaner Rückbildung einer idiopathischen Syringomyelie sind beschrieben (Tortora et al. 2012). Ein längeres, bis zu mehrjähriges latentes Stadium geht in den meisten Fällen den ersten klinischen Symptomen voraus.
Nach dem Manifestwerden klinischer Symptome ist der Verlauf bei der Hälfte der Patienten chronisch-progredient und führt unbehandelt zur schweren Behinderung. Etwa ein Viertel der Patienten zeigt einen fluktuierenden Verlauf, bei dem Stadien der Progredienz mit Stadien des Stillstands abwechseln. Bei den übrigen Patienten bleibt die Symptomatik stationär.
Neben den neurologischen Ausfallerscheinungen wird die Lebensqualität häufig durch das quälende neuropathische Schmerzsyndrom stark beeinträchtigt. Komplikationen ergeben sich in fortgeschrittenen Stadien durch interkurrente Lungen- und Blaseninfekte und durch Wundheilungsstörungen im Bereich der atrophischen Hautpartien.
Diagnostik
Die detaillierte Anamnese und gründliche neurologische Untersuchung mit differenzierter motorischer und sensibler Prüfung erlaubt die fundierte Verdachtsdiagnose „Syringomyelie‟. Informationen über Ausdehnung und Verlauf der Syrinx, über ihre Verbindung zu den übrigen Liquorräumen und über den wahrscheinlichen pathogenetischen Mechanismus liefert die MRT. Durch Anwendung unterschiedlicher Relaxationszeiten und von Gadolinium als Kontrastmittel ist die differenzialdiagnostische Abgrenzung gegenüber spinalen Tumoren und anderen spinalen Erkrankungen möglich und lässt in den meisten Fällen Klarheit darüber gewinnen, ob eine kommunizierende oder nichtkommunizierende Syringomyelie besteht. Die Syrinx muss in ihrer gesamten kraniokaudalen Ausdehnung sagittal und in Transversalschnitten dargestellt werden, ergänzt durch MRT-Aufnahmen des Gehirns (Abb. 1). Feinste arachnoidale Adhäsionen können durch besonders hochauflösende CISS („Constructive Interference in Steady State‟)-Sequenzen entdeckt werden. Mithilfe EKG-gesteuerter 4D-Kernspintechniken, die den räumlichen Dimensionen eine zeitliche Dimension hinzufügen, ist die Liquorflussdynamik darstellbar (Yamada et al. 2015).
Myelografie und Myelo-CT sind durch die MRT weitgehend abgelöst worden und haben höchstens noch einen untergeordneten Stellenwert.
Die Diagnostik wird ergänzt durch Nativröntgenaufnahmen der knöchernen Strukturen des kraniozervikalen Übergangs, um Fehlbildungen in diesem Abschnitt zu erfassen. Funktionelle elektrodiagnostische Verfahren wie Elektromyografie (EMG), motorisch evozierte Potenziale (MEP) und somatosensibel evozierte Potenziale (SEP) dienen der Einstufung des Schweregrades der neurologischen Symptomatik und ihrer Verlaufskontrolle. Als sensitiver elektrophysiologischer Parameter gelten die kortikal evozierten und medianus-evozierten „Silent Periods‟ (CoSP und MNSP), welche die Funktion der schwach myelinisierten, direkt vor dem Zentralkanal kreuzenden spinothalamischen Fasern abbilden. Eine Schädigung dieser Fasern führt zur Unterdrückung der Silent Periods (Roser et al. 2008). Nach einer operativen Behandlung kann ein regelmäßiges elektrodiagnostisches Monitoring geeignet sein, den Operationserfolg zu belegen und Rezidive frühzeitig aufzudecken.
Differenzialdiagnose
Die wichtigste Differenzialdiagnose sind spinale und bulbäre Tumoren und Metastasen, insbesondere intramedullär lokalisierte. Syringomyelie-Fälle mit motorischer Betonung müssen wegen der Kombination von atrophischen Paresen und spastischen Symptomen von Vorderhornerkrankungen wie der amyotrophen Lateralsklerose abgegrenzt werden. Eine zervikale Myelopathie mit Schmerzen, segmentalen atrophischen Paresen, sensiblen Ausfällen und Spastik kann das Bild einer Syringomyelie imitieren – hier hilft besonders das sorgfältige Ausschließen oder Aufdecken einer dissoziierten Sensibilitätsstörung weiter. Bei der Abgrenzung gegenüber der multiplen Sklerose ist die gezielte Suche nach nukleären Muskelatrophien hilfreich.
Therapie
Wegen der chronisch-progredienten Natur der Erkrankung ist eine frühzeitige Entscheidung über die geeignete Therapiemethode wichtig. Die Behandlung wird in der Regel operativ sein, mit dem Minimalziel, den Krankheitsprozess zum Stillstand zu bringen.
Operative Therapieverfahren
Die Operationsindikation lässt sich mühelos bei denjenigen Patienten stellen, die jung sind, bei denen die Syringomyelie in einem frühen Stadium erkannt wird und die Progredienz rasch ist. Schwieriger ist die Entscheidung bei sehr langsamen Verläufen oder bei klinischem Stillstand, bei älteren Patienten und bei Patienten mit bereits sehr schwerwiegenden neurologischen Defiziten – hier kommt ggf. auch eine konservative Vorgehensweise in Frage.
Die Wahl der Operationsmethode hängt ab von einer genauen Klärung der ätiologischen und anatomischen Verhältnisse. Insbesondere ist die Aussage wichtig, ob es sich um eine kommunizierende oder eine nichtkommunizierende Syringomyelie handelt. Alle operativen Verfahren zielen darauf, die Liquorzirkulation zu normalisieren und eine Entlastung des Binnendrucks der flüssigkeitsgefüllten Syrinx zu erzielen. Die Rezidivrate ist trotz initialer guter Besserung hoch – 10 Jahre post operationem hat sich bei 50–60 % der operierten Patienten die neurologische Symptomatik wieder verschlechtert.
Syringopleurale, syringoperitoneale und syringosubarachnoidale Shuntverfahren sind möglich. Ihre Anwendung ist in Erwägung zu ziehen, wenn die Syrinx keine Verbindung zu den übrigen Liquorräumen hat und keine Option einer kausalen chirurgischen Behandlung besteht.
Alle operativen Vorgehensweisen, die – sofern möglich – auf eine Beseitigung der Ursachen der Syrinxentstehung abzielen, sind einem reinen Shunting überlegen. Spielt arachnoidales Narbengewebe eine Rolle, so lässt sich die langfristige Erfolgsrate eines Shunteingriffs deutlich verbessern, wenn das arachnoidale Narbengewebe mikrochirurgisch reseziert wird. Im Fall der kommunizierenden Syringomyelien, bei denen in der Regel pathologische Druck- und Flussverhältnisse in der Umgebung des kraniozervikalen Übergangs bestehen, sind kausal ausgerichtete Operationsverfahren dem reinen Shunting deutlich überlegen. Unter den Oberbegriff Foramen-magnum-Dekompression fallen hier alle Methoden, die durch Herstellung einer großen, künstlichen Cisterna magna mehr Platz und damit eine Druckentlastung in der Umgebung des Foramen magnum schaffen. Je nach den gegebenen Verhältnissen kann dies durch subokzipitale Kraniektomie, durch eine dorsale zeltförmige Duraplastik und/oder durch Resektionen im Bereich der oberen Halswirbelbögen erreicht werden, selten auch durch die Resektion eines Tumors in der hinteren Schädelgrube. Insgesamt scheint die Dekompression mit Duraplastik der rein knöchernen Dekompression überlegen zu sein (Förander et al. 2014). Prognostisch entscheidend ist die Schaffung klarer Liquorzirkulationswege zwischen den zerebellopontinen Zisternen, dem IV. Ventrikel und dem Spinalkanal. Ein begleitender Hydrozephalus erfordert ggf. den Einbau eines ventrikuloatrialen oder ventrikuloperitonealen Shunts.
Handelt es sich um posttraumatische Syringomyelien, bei denen frakturbedingte Fehlstellungen der Wirbelsäulenachse bestehen, kann manchmal allein eine operative Aufrichtung der Wirbelsäule oder eine dekompressive Wirbelbogenteilresektion mit Rekonstruktion des Subarachnoidalraums die Syrinx zum Kollaps bringen.
Da bei jeder Syringomyelie mit einer irreversiblen Schädigung kleiner paravertebraler Muskeln gerechnet werden muss, ist bei allen wirbelsäulenchirurgischen Eingriffen besonderes Augenmerk auf eine größtmögliche knöcherne Stabilität zu richten. Hemilaminektomien ist – sofern möglich – der Vorzug gegenüber Laminektomien zu geben, instrumentelle Stabilisation ist ggf. angebracht. Aufgabe des Neurologen ist es, durch sorgfältige klinisch-neurologische und elektromyografische Abklärung präoperativ das Ausmaß der motorischen Ausfälle zu erheben und detailliert mitzuteilen.
Ist die Syringomyelie durch einen spinalen Tumor entstanden, so ist dessen Resektion die Methode der Wahl. Ist dies nicht möglich, so kann ein Shunt versucht werden. Wegen des hohen Proteingehalts der Syrinxflüssigkeit bei Tumoren sind jedoch Shuntverklebungen häufig. Als Palliativverfahren kommt die Nadelaspiration des Syrinxinhalts in Betracht.
Wenn das Rückenmark unter starker Spannung steht (Tethered Cord) – also bei Skoliosen, bei Arnold-Chiari-Malformationen oder posttraumatisch, kann die Durchtrennung des Filum terminale in manchen Fällen Entlastung schaffen und zu einem Kollaps der Syrinxhöhle führen (Kulwin et al. 2013).
Konservative Behandlungsmaßnahmen
Konservative Behandlungsmaßnahmen haben einen wichtigen Stellenwert bei Patienten, die für eine Operation nicht in Frage kommen, sowie bei postoperativen Residualsymptomen. Die konservative Therapie umfasst krankengymnastische Übungsbehandlung und Hilfsmittelversorgung sowie ggf. eine antispastische Medikation. Eine adäquate Schmerztherapie ist oft entscheidend für die Verbesserung der Lebensqualität, da die dysästhetischen Schmerzen trotz operativer Entlastung der Syrinx in bis zu 40 % der Fälle persistieren. Medikamentös kommen verschiedene Analgetika, Antiepileptika, Antiphlogistika oder Psychopharmaka in Frage. Eine Stellatumblockade kann zuweilen hilfreich sein. Die psychische Stützung und Begleitung des Patienten und seiner Angehörigen ist für den gesamten Verlauf dieses chronischen Krankheitsbildes von großer Wichtigkeit.
Fallbeispiel
28-jähriger Patient, der vor 10 Jahren wegen einer Skoliose vom Wehrdienst befreit wurde. Seit 2 Jahren leidet er unter ziehenden Schmerzen in beiden Oberarmen. Er stellt sich vor, weil er seit etwa 3 Monaten eine zunehmende Verminderung der Kraft und Geschicklichkeit beider Hände bemerkt hat und eine Steifigkeit in beiden Beinen verspürt. Der Patient ist von Beruf Koch. Bei seinen Kollegen ist er seit längerer Zeit dafür bekannt, dass es ihm nichts ausmacht, heiße Sachen mit bloßen Händen anzufassen.
Bei der körperlich-neurologischen Untersuchung fällt ein kurzer Hals mit niedrigem Haaransatz auf. Es besteht eine dissoziierte Sensibilitätsstörung beider Hände, Arme und Schultern. Es zeigen sich atrophische Paresen beidseits am Handrücken und Daumenballen, im Bereich beider Unterarme, des rechten Bizeps und des rechten M. deltoideus. Die Beineigenreflexe sind gesteigert, das Babinski-Zeichen ist beidseits positiv. Der Muskeltonus an den Beinen ist erhöht, das Gangbild leicht spastisch.
Nativaufnahmen der HWS zeigen ein Klippel-Feil-Syndrom mit Fusion des 3. und 4. Halswirbelkörpers. Auf Kernspinaufnahmen des kraniozervikalen Übergangs und des Rückenmarks ist eine Verlagerung der Kleinhirntonsillen nach kaudal sichtbar sowie eine Erweiterung des Zentralkanals im Halsmark und oberen Brustmark bis Th3.

Facharztfragen

1.
Weshalb ist zur diagnostischen Abklärung einer Syringomyelie eine kraniale Bildgebung erforderlich?
 
2.
Weshalb ist es wichtig, vor einem operativen Eingriff zur Behandlung einer Syringomyelie ein EMG der paravertebralen Rückenmuskulatur durchzuführen?
 
3.
Ein junger Mann erleidet im Alter von 22 Jahren einen Motorradunfall mit mehreren Wirbelfrakturen und einem kompletten Querschnitt in Höhe Th6. Rehabilitationsmaßnahmen sind so weit erfolgreich, dass er beruflich Fuß fassen und regelmäßigen Rollstuhlsport betreiben kann. Mit Anfang 30 entwickelt er erhebliche und zunehmende Schulter-Arm-Schmerzen beidseits, die kaum zu lindern sind. Einige Monate später klagt er über Parästhesien in beiden Händen. Woran müssen Sie denken?
 
Literatur
Zitierte Literatur
Förander P, Sjavik K, Solheim O, Riphagen I, Gulati S, Salvesen O, Jakola AS (2014) The case for duraplasty in adults undergoing posterior fossa decompression for Chiari I malformation: a systematic review and meta-analysis of observational studies. Clin Neurol Neurosurg 125:58–64CrossRefPubMed
Klekamp J (2013) Treatment of syringomyelia related to nontraumatic pathologies of the spinal canal. Neurosurgery 72:367–389CrossRef
Kramer JL, Dvorak M, Curt A (2009) Thoracic disc herniation in a patient with tethered cord and lumbar syringomyelia and diastematomyelia: magnetic resonance imaging and neurophysiological findings. Spine 34:E484–E487CrossRefPubMed
Krebs J, Koch HG, Hartmann K, Frotzler A (2016) The characteristics of posttraumatic syringomyelia. Spinal Cord 54:463–466CrossRefPubMed
Kulwin CG, Patel NB, Ackerman LL, Smith JL, Boaz JC, Fulkerson DH (2013) Radiographic and clinical outcome of syringomyelia in patients treated for tethered cord syndrome without other significant imaging abnormalities. J Neruosurg Pediatr 11:307–312CrossRef
Roser F, Ebner FH, Liebsch M, Dietz K, Tatagiba M (2008) A new concept in the electrophysiological evaluation of syringomyelia. J Neurosurg Spine 8:517–523CrossRefPubMed
Saker E, Henry BM, Tomaszewski KA, Loukas M, Ianaga J, Oskouian RJ, Tubbs RS (2016) The human central canal of the spinal cord: a comprehensive review of its anatomy, embryology, molecular development, variants, and pathology. Cureus 8:e927PubMedPubMedCentral
Singhal R, Perry DC, Prasad S, Davidson NT, Bruce CE (2013) The use of routine preoperative magnetic resonance imaging in identifying intraspinal anomalies in patients with idiopathich scoliosis: a 10-year review. Eur Spine J 22:355–359CrossRefPubMed
Srivatanakul K, Songsaeng D, Ozanne A, Toulgoat F, Lasjaunias P (2009) Spinal arteriovenous malformation associated with syringomyelia. J Neurosurg Spine 10:436–442CrossRefPubMed
Tortora F, Napoli M, Caranci F, Cirillo M, Pepe D, Cirillo S, Briganti F (2012) Spontaneous regression of syringomyelia in a young patient with Chiari type I malformation. Neuroradiol J 25:593–597CrossRefPubMed
Yamada S, Tsuchiya K, Bradley WG, Law M, Winkler ML, Borzage MT, Miyazaki M, Kelly EJ, McComb JG (2015) Current and emerging MR imaging techniques for the diagnosis and management of CSF flow disorders: a review of phase-contrast and time-spatial labeling inversion pulse. AJNR Am J Neuroradiol 36:632–630
Zhang D, Papavassilio E (2017) Spinal intradural arachnoid webs causing spinal cord copression with inconclusive peroperative imaging: a report of 3 cases and an review of the literature. World Neurosurg 99:251–258CrossRefPubMed
Weiterführende Literatur
Ghobrial GM, Dalyai RT, Maltenfort MG, Prasad SK, Harrop JS, Sharan AD (2015) Arachnolysis or cerebrospinal fluid diversion for adult-onset syringomyelia? A systematic review of the literature. World Neurosurg 83:829–835CrossRefPubMed
Haughton V, Mardal KA (2014) Spinal fluid biomechanics and imaging: an update for neuroradiologists. AJNR Am J Neuroradiol 35:1864–1869CrossRefPubMedPubMedCentral