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Klinische Neurologie
Info
Publiziert am: 10.05.2019

Tumoren der Pinealisregion

Verfasst von: Martin Glas, Björn Scheffler und Sied Kebir
Tumoren der Pinealis sind selten und machen knapp 1 % aller primären intrakraniellen Tumoren aus. Von der Pinealis selbst gehen Keimzelltumoren – in zwei Drittel Germinome – und Tumoren des Pinealisparenchyms aus. Keimzelltumoren können spezifische Tumormarker sezernieren (z. B. α-Fetoprotein oder β-hCG).
Die Tumoren der Pinealisregion stellen eine heterogene Gruppe dar, da hierunter nicht nur die Neubildungen des Corpus pineale, sondern alle Raumforderungen dieser Lokalisation subsumiert werden. Daraus ergibt sich ein regionsbezogenes und ein pathologiebezogenes Vorgehen. Außer den eigentlichen Tumoren der Glandula pinealis finden sich Metastasen, Meningeome und Gliome. Hier werden die von der Pinealis selbst ausgehenden Neubildungen (Keimzelltumoren und Tumoren des Pinealisparenchyms) besprochen. Die Keimzelltumoren unterscheidet man in Germinome und nichtgerminomatöse Keimzelltumoren.
Häufigkeit und Vorkommen
Tumoren der Pinealis sind selten und machen knapp 1 % aller primären intrakraniellen Tumoren aus. Aus bisher ungeklärten Gründen ist ihre Inzidenz in Japan deutlich höher. Keimzelltumoren (Germinome und nichtgerminomatöse Keimzelltumoren) betreffen bevorzugt das männliche Geschlecht (etwa 10:1) und treten gehäuft in der Pubertät sowie der 2. und 3. Lebensdekade auf. Etwa zwei Drittel aller Keimzelltumoren sind Germinome.
Diagnostik
Alle Pinealislogentumoren werden mittels Kernspintomografie diagnostiziert. In der Regel veranlasst eine akute, chronische oder intermittierende Hirndrucksymptomatik die Durchführung einer Bildgebung. Wichtig ist, dass eine kontrastmittelverstärktes MRT der Neuroachse durchgeführt wird. Voraussetzung für die Therapieplanung der Tumoren der Pinealis ist eine artdiagnostische Zuordnung, entweder durch direkte Gewebegewinnung oder durch die Untersuchung von Markern. Keimzelltumoren können spezifische Tumormarker sezernieren (z. B. α-Fetoprotein oder β-hCG, s. u.). Einer oder beide dieser Tumorzellmarker sind bei den meisten nichtgerminomatösen Keimzelltumoren erhöht. Aus dem Liquor können diagnostische Hinweise auf die Histologie auf zwei Arten gewonnen werden, entweder durch den direkten Nachweis von Tumorzellen im Liquor und deren zytologischer Einordnung – diese ist allerdings oft unzuverlässig – oder durch den Nachweis von Tumormarkern im Liquor. Die Markerbestimmung lässt sich auch im Serum durchführen (Tab. 1).
Tab. 1
Beziehungen zwischen Tumorart und Marker im Liquor
Tumor
Marker
 
β-HCG
AFP
PLAP
c-Kit
Germinom
(+)/–
+/–
+
Chorionkarzinom
+++
+/–
Embryonales Karzinom
+
Dottersacktumor
+++
+/–
+/–
Gemischter Keimzelltumor
+/–
+/–
+/–
+/–
Reifes Teratom
Unreifes Teratom
+/–
+/–
+/–
AFP α-Fetoprotein; β-hCG humanes β-Choriongonadotropin; PLAP plazentale alkalische Phosphatase; c-Kit Tyrosinkinase KIT (CD117)
Cave
Bei der Liquoruntersuchung ist zunächst zu beachten, dass sich beim Vorliegen eines Verschlusshydrozephalus durch Tumorkompression des Aquäduktes eine Lumbalpunktion wegen der Gefahr einer Einklemmung verbietet.
Zur präoperativen Diagnostik können sich daher ggf. weder die zytologische Untersuchung noch die Markerbestimmung aus dem Liquor eignen, sodass z. B. die Markerbestimmung aus dem Serum erfolgen muss. Beide Verfahren, die Liquorzytologie und besonders die Markerbestimmung, eignen sich auch für postoperative Verlaufskontrollen, um sowohl ein Ansprechen der Therapie zu beobachten als auch ein Rezidiv nachzuweisen. Dabei ist zu beachten, dass der Nachweis von Tumorzellen im Liquor von Pinealoblastomen und malignen Germinomen nicht unbedingt beweisend für eine spinale Absiedlung dieser Tumoren ist. Es gilt aber auch umgekehrt, dass sich bereits Metastasen im Spinalkanal darstellen lassen ohne positiven Zytologiebefund im Liquor.
Die wichtigsten Tumormarker sind das α-Fetoprotein (AFP) und das β-hCG (β-Untereinheit des humanen Choriongonadotropins), welche spezifisch für maligne Keimzelltumoren sind und bei Gesunden bzw. Patienten mit anderen Hirntumoren weder im Liquor noch im Serum nachweisbar sind. Dabei scheint die Höhe der Markerwerte in direkter Beziehung zur Malignität der Prozesse und damit zur Prognose zu stehen. Die plazentale alkalische Phosphatase (PLAP) und c-Kit (Tyrosinkinase-Rezeptor) können zur Abgrenzung von sonstigen Raumforderungen dieser Region dienen, doch sind bisher keine strengen Korrelationen zwischen den Tumorarten gefunden worden, was den Wert der Bestimmung sehr relativiert. Die Beziehungen zwischen Tumorart und Marker gibt Tab. 1 wieder. Vereinfacht formuliert sezernieren embryonale Karzinome überwiegend β-HCG, Dottersacktumoren AFP und Germinome in der Regel weder β-HCG noch AFP. Es kann allerdings vorkommen, dass geringe Konzentrationen von β-HCG auch bei Patienten mit einem Germinom nachweisbar sind (in der Regel <50 IU/l).
Pathologie
Man unterscheidet grundsätzlich Keimzelltumoren (Germinom, Dottersacktumor, Chorionkarzinom, embryonales Karzinom, Teratom, Teratom mit maligner Transformation, gemischter Keimzelltumor) und Tumoren des Pinealisparenchyms (Pineozytom, parenchymatöser Pinealistumor intermediärer Differenzierung, Pineoblastom, papillärer Tumor der Pinealisregion). Die Keimzelltumoren sind die größte Gruppe, unter diesen machen wiederum die Germinome den größten Anteil, etwa zwei Drittel aus.
Klinik
Der Spontanverlauf der Keimzelltumoren ist aggressiv, da sie aufgrund ihrer Lage zu einer Liquorzirkulationsstörung mit einem Verschlusshydrozephalus führen. Darüber hinaus sind viele dieser Tumoren biologisch aggressiv, wachsen rasch und neigen zur Metastasierung in den Liquorraum. Die eigentlichen Germinome können auch suprasellär auftreten und dort durch Irritation des Hypophysenstiels und des Hypothalamus endokrine Störungen im Sinne eines spontanen Diabetes insipidus oder einer Pubertas praecox hervorrufen. Letztere kann auch durch sezernierende, nichtgerminomatöse Keimzelltumoren hervorgerufen werden.
Bei den Keimzelltumoren ist eine Unterteilung in drei prognostisch unterschiedlich zu bewertende Gruppen sinnvoll (Sawamura und de Tribolet 2006):
1.
Tumoren mit günstiger Prognose (unifokale Germinome und reife Teratome),
 
2.
Tumoren mit intermediärer Prognose (multifokale oder disseminierte z. B. in den Spinalkanal metastasierende Germinome, β-hCG produzierende Germinome und unreife Teratome) und
 
3.
Tumoren mit schlechter Prognose (embryonale Karzinome, Dottersacktumoren, Chorionkarzinome, Teratome mit maligner Transformation und andere hoch maligne Tumoren).
 
Mit Therapie haben die Germinome und die differenzierten nichtgerminomatösen Keimzelltumoren eine gute Prognose. Die Prognose bei den undifferenzierten malignen Keimzelltumoren ist trotz intensiver Therapie schlecht.
Die parenchymatösen Tumoren der Pinealis haben eine sehr unterschiedliche Prognose. Die formal gutartigen Tumoren, wie z. B. die Pineozytome (WHO-Grad I) können mit der entsprechenden Therapie (Resektion) geheilt sein. Hochmaligne Pinealistumoren, wie z. B. das Pinealoblastom (WHO-Grad IV), aber auch die Tumoren mit WHO-Grad II–III können trotz adäquater Therapie rezidivieren und auch z. B. leptomeningeal metastasieren (Bruce und Ogden 2004). Die 10-Jahres-Überlebensrate beträgt bei Patienten mit einem Pinealoblastom nur etwa 20 %.
Therapie
Die Therapie der Pinealistumoren ist sehr unterschiedlich. Grundsätzlich ist immer eine histologische Sicherung der Diagnose anzustreben und mit Ausnahme der Germinome auch immer eine möglichst komplette Entfernung des Tumors. Germinome sind sehr strahlentherapieempfindlich. Bei sezernierenden malignen Keimzelltumoren (signifikant erhöhte Tumormarker) kann einer Resektion ggf. auch eine Chemotherapie vorgeschaltet werden. Bei einer Liquorzirkulationsstörung wird primär operiert.
Keimzelltumoren
Die Behandlung der Keimzelltumoren ist komplex und sehr unterschiedlich für die einzelnen Tumorentitäten. Die reinen Germinome werden an besten durch eine Liquoranalyse diagnostiziert. Wenn aufgrund eines Verschlusshydrozephalus mit erhöhtem intrakraniellem Druck keine Lumbalpunktion durchgeführt werden darf, erfolgt eine endoskopische Ventrikulozisternostomie mit Liquorentnahme. Bei bilokulärer Manifestation ist das Germinom fast schon bewiesen. Kann die Diagnose bei hochgradigem Verdacht nicht gestellt werden, erfolgt eine Biopsie. In hochspezialisierten Zentren kann diese stereotaktisch erfolgen, ansonsten offen über einen suprazerebellären Zugang; es darf dann bei positivem Schnellschnittbefund keine radikale Resektion angestrebt werden.
Germinome sind ausgesprochen radio- und chemosensitiv. Es gibt derzeit jedoch keinen eindeutigen Therapiestandard. Früher hat man die gesamte Neuroachse, also kraniospinal bestrahlt. Heute versucht man dies gerade bei den nichtmetastasierten Tumoren, aufgrund der hohen Toxizität bei guter Prognose zu vermeiden. An vielen Zentren wird zunächst eine Carboplatin-haltige Kombinationschemotherapie verabreicht und dann der Tumorbefund reevaluiert. Im Falle eines Ansprechens kann dann eine Bestrahlung des Ventrikelsystems und bei Tumorrest auch zusätzlich noch eine lokale Bestrahlung diskutiert werden. Bei einem Nichtansprechen der Chemotherapie wird meist eine Tumorresektion vorgeschaltet. Im Falle eines multifokalen oder metastasierten Germinoms wird kraniospinal bestrahlt und ggf. die Tumorregion mit einer weiteren Strahlendosis aufgesättigt.
Die nichtgerminomatösen Keimzelltumoren sind deutlich weniger radiosensitiv bis sogar radioresistent. Obwohl diese Tumoren z. T. recht gut auf eine Chemotherapie ansprechen, scheint dies als alleinige Maßnahme nicht auszureichen. Auch für diese Tumoren gibt es keinen eindeutigen Standard. In einigen Zentren besteht die Behandlung ebenfalls zunächst aus einer neoadjuvanten Chemotherapie (hier Cisplatin-haltiges Schema) gefolgt von einer Reevaluation des Tumors. Bei fehlendem Ansprechen wird dann meist vor Beginn einer Strahlentherapie noch eine Resektion empfohlen. Die Bestrahlung beschränkt sich bei lokalisierter Erkrankung auf die Tumorregion und beim Nachweis einer Metastasierung wird die komplette Neuroachse bestrahlt. Einige Studien belegen, dass die Höhe des Markers AFP negativ mit der Prognose korreliert. Im Falle eines Tumorrezidivs ist eine Hochdosischemotherapie mit autologer Stammzelltransplantation eine Option. Die Prognose ist jedoch deutlich schlechter als beim nichtrezidivierten Germinom.
Teratome sind entweder reif (benigne) oder unreif (maligne) oder gemischt mit zusätzlichen Germinomanteilen. Sie stellen sich in der Kernspintomografie heterogen dar und haben ein inkonsistentes Markerprofil. Man sollte diese Tumoren, soweit es geht, möglichst radikal entfernen. Bei unreifen Tumoren folgt Strahlentherapie und Chemotherapie.
Parenchymatöse Tumoren der Pinealis
Wenn möglich, sollte bei parenchymatösen Tumoren der Pinealis eine vollständige Resektion angestrebt werden. Deshalb ist ein offen chirurgischer Zugang einer stereotaktischen Biopsie vorzuziehen. Eine alleinige Strahlentherapie ist nicht zu empfehlen. Bei Pineozytomen wird jedoch bei kleinen Läsionen und inkompletter Resektion auch die Radiochirurgie diskutiert. Für Patienten mit Hinweisen auf eine leptomeningeale Metastasierung ist eine adjuvante kraniospinale Strahlentherapie und ggf. auch eine systemische Chemotherapie zu diskutieren. Patienten mit hochmalignen Läsionen, wie z. B. einem Pinealoblastom, sollten zusätzlich zur Strahlentherapie eine intensive Chemotherapie erhalten. Hierunter ist eine 5-Jahres-Überlebensrate von 50 % beschrieben. Ein papillärer Tumor der Pinealisregion (WHO-Grad II oder III) kann bei fehlender Metastasierung und nach Operation zunächst nur lokal bestrahlt werden. Die Datenlage für die Chemotherapie ist ungenügend.
Nach einer Operation erfolgt die erste postoperative Bildgebung innerhalb von 2 Tagen und – falls noch nicht präoperativ erfolgt – die MRT der gesamten spinalen Achse. Im Rahmen der Staging-Untersuchungen empfehlen wir eine MRT der kompletten Neuroachse jedoch bereits vor Therapiebeginn und z. T. noch vor der histologischen Sicherung der Diagnose und somit auch bei möglichen niedriggradigen Tumoren.

Facharztfragen

1.
Benennen Sie die häufigsten Tumoren der Pinealisregion.
 
2.
Wie werden Germinome behandelt?
 
3.
Welches sind die wichtigsten Tumormarker von Keimzelltumoren?
 
Literatur
Bruce JN, Ogden AT (2004) Surgical strategies for treating patients with pineal region tumors. J Neuro-Oncol 69(1–3):221–236CrossRef
Sawamura Y, Tribolet ND de (2006) Tumors of the pineal region. In: Tonn J-C, Westphal M, Rutka JT (Hrsg) Oncology of CNS tumors. Springer, Berlin Heidelberg New York Tokyo, S 208–215CrossRef