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Das Tumorerschöpfungssyndrom

Verfasst von: Jens Ulrich Rüffer, Markus Horneber und Reinhold Schwarz
Müdigkeit und Erschöpfung sind universelle Erfahrungen des täglichen Lebens. Sie stellen typische Empfindung nach körperlichen oder geistigen Anstrengungen dar. Müdigkeit und Erschöpfung können aber auch Ausdruck verschiedener somatischer oder psychiatrischer Erkrankungen sein. Bei Krebspatienten zählen sie zusammen mit Kraftlosigkeit und verminderter Leistungsfähigkeit zu den häufigsten Beschwerden. Für diesen Symptomenkomplex hat sich im internationalen Sprachgebrauch der Begriff tumorassoziierte Fatigue etabliert. Tumorassoziierte Fatigue ist ein unangenehmes, andauerndes Gefühl der Erschöpfung, Müdigkeit und mangelnder Energiereserven, das in Zusammenhang mit einer Krebserkrankung auftreten kann. Die Beschwerden stehen in keinem Verhältnis zum Ausmaß der körperlichen Belastungen und bilden sich durch Ruhe und Schlaf nicht oder nur teilweise zurück. Sie interferieren mit allen Lebensbereichen und beeinträchtigen das Alltagsleben der Betroffenen sehr. Bei jüngeren Patienten verhindert am häufigsten die tumorassoziierte Fatigue eine erfolgreiche berufliche Wiedereingliederung. Erkennen, Behandeln und Unterstützen sind die wesentlichen Eckpunkte für eine gute Betreuung von Fatiguebetroffenen.

Einleitung

Eine Fatigue-Belastung, eine übermäßige Erschöpfung, kann Ausdruck verschiedener somatischer oder psychiatrischer Erkrankungen sein. Unter physiologischen Bedingungen wird Erschöpfung nach extremer körperlicher oder geistiger Anstrengung als normal und angenehm empfunden. Tritt eine Erschöpfung auf, die durch die vorausgegangene Anstrengung nicht erklärt werden kann und auch nach angemessener Erholungszeit nicht vergeht, handelt es sich um eine Fatigue. Im Zusammenhang mit Tumorerkrankungen hat diese Fatigue in letzter Zeit an Bedeutung gewonnen (Roila et al. 2018). Fatigue drückt sich als körperliche, emotionale oder geistige Müdigkeit oder als Kombination dieser verschiedenen Formen aus. Fatigue interferiert mit allen wichtigen Aspekten des täglichen Lebens und kann somit einen stark negativen Einfluss auf die Lebensqualität der Betroffenen haben.

Fatigue in der Normalbevölkerung

Um die Fatigue-Belastung eines Patienten einschätzen zu können, ist es wichtig zu wissen, wie ausgeprägt die Erschöpfung in der Normalbevölkerung ist. In frühen vergleichenden Arbeiten wird die Prävalenz von Fatigue in der Normalbevölkerung mit 11–45 % angegeben (Cella et al. 2002; Loge et al. 1999). Die unterschiedlichen Angaben beruhen auf der Art der Erhebungsmethode und verschiedener zugrunde liegender Definitionen von Zeitspannen, ab denen vom Vorliegen einer pathologischen Fatigue gesprochen wird. Der Anteil der betroffenen Bevölkerung nimmt mit dem Alter zu, Frauen sind geringfügig häufiger betroffen. Damit ist verständlich, dass nur Studien mit einer entsprechenden Kontrollgruppe verlässliche Aussagen über das Ausmaß der Erschöpfung machen können.

Diagnose einer Fatigue-Erkrankung

Fatigue kann in seiner Ausprägung bisher nur über die subjektive Wahrnehmung des Patienten selbst erfasst werden. Wie in der Lebensqualitätsforschung zuvor, mangelte es zunächst an Erhebungsinstrumenten, die zuverlässig die verschiedenen Aspekte von Fatigue im subjektiven Urteil der Patienten reproduzierbar messen konnten. Mittlerweile liegen nun Erhebungsinstrumente zur Erfassung von Fatigue vor, die vor allem in Studien eingesetzt werden können (Cella 1997; Hann et al. 1998; Mendoza et al. 1999; Okuyama et al. 2000; Smets et al. 1995; Weis et al. 2017). Bevor die Diagnose Fatigue gestellt werden kann, müssen mögliche organische Ursachen, wie Stoffwechselstörungen, Anämie und ein Tumorrezidiv, aber auch nicht organische, wie eine Depression, ausgeschlossen werden. Nach Ausschluss dieser Möglichkeiten kann anhand der Symptomcheckliste der Fatigue Coalition die Wahrscheinlichkeit des Vorliegens eines Fatigue-Syndroms geprüft werden (Curt 2000):
Diagnosekriterien eines Fatigue-Syndroms
Mindestens 6 der folgenden 11 A-Symptome müssen zutreffen:
1.
Müdigkeit, Energiemangel oder inadäquat gesteigertes Ruhebedürfnis
 
2.
Gefühl der generalisierten Schwäche oder Gliederschwere
 
3.
Konzentrationsstörungen
 
4.
Mangel an Motivation oder Interesse, den normalen Altersaktivitäten nachzugehen
 
5.
Gestörtes Schlafmuster (Schlaflosigkeit oder übermäßiges Schlafbedürfnis)
 
6.
Erleben des Schlafs als wenig erholsam
 
7.
Gefühl, sich zu jeder Aktivität zwingen zu müssen
 
8.
Ausgeprägte emotionale Reaktion auf die empfundene Erschöpfung (z. B. Niedergeschlagenheit, Frustration, Reizbarkeit)
 
9.
Schwierigkeiten bei der Bewältigung des Alltags
 
10.
Störungen des Kurzzeitgedächtnisses
 
11.
Nach körperlicher Anstrengung mehrere Stunden andauerndes Unwohlsein
A
Die Symptome verursachen in klinisch bedeutsamer Weise Leiden oder Beeinträchtigung in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen.
 
B
Aus Anamnese, körperlichen Untersuchungen oder Laborbefunden geht eindeutig hervor, dass die Symptome Konsequenzen einer Tumorerkrankung oder ihrer Behandlung sind.
 
C
Die Symptome sind nicht primäre Konsequenzen einer komorbiden psychischen Störung wie Major-Depression, somatoformer Störung oder Delir.
 
 
Ergänzt wird diese Diagnostik durch die Eigeneinschätzung der Patienten anhand von standardisierten Fragebögen, die auch der Verlaufskontrolle dienen können. Dabei ist zu unterscheiden zwischen Fragebögen, die sich speziell der Fragestellung Fatigue widmen, und den Fragebögen, die Fatigue als Aspekt einer allgemeinen Lebensqualitätsuntersuchung berücksichtigen (Aaronson et al. 1993; Weis et al. 2017). Aber selbst die speziell auf Fatigue ausgerichteten Instrumente gewichten die Dimensionalität der Fatigue-Erkrankung unterschiedlich. Tab. 1 gibt 5 dieser Instrumente und die darin enthaltenen Dimensionen wieder. Einerseits wird deutlich, dass die Diskussion über die genaue Definition bzw. der Dimensionalität von tumorbedingter Fatigue noch nicht abgeschlossen ist. Andererseits geht man heute von der Vorstellung aus, dass mit den verschiedenen Instrumenten eben auch verschiedene Facetten dieses Krankheitsbilds erfasst werden können.
Tab. 1
Übersicht über die verschiedene Dimensionalität der Fatigue-Instrumente
Fragebogen
Dimensionen
 
Anzahl
Qualität
MFI – Multidimensional Fatigue Inventory (Smets)
5
Allgemein, physisch, kognitiv, Aktivitätslevel, Motivationslevel
EORTC-QLQ- FA 12 (Weis)
3
Physisch, emotional, kognitiv
Cancer Fatigue Scale (Okuyama)
3
Physisch, affektiv, kognitiv
FACT-F – Functional Assessment of Cancer Therapy: Fatigue Scale (Cella 1997)
1
Physisch

Klinische Implikationen von Fatigue

In allen Abschnitten der Tumorbehandlung kommt der Fatigue eine zum Teil bekannte Rolle zu. In Tab. 2 sind die verschiedenen Abschnitte und die bekannten und möglichen Ursachen aufgeführt.
Tab. 2
Einfluss von Fatigue auf den Verlauf einer Tumorerkrankung
Phase
Symptomatik
Problemstellung
Ursache
Diagnostik
Leistungsknick
Tumor
Therapie
Therapieerfolg
Tumor/Therapie (z. B. Anämie)
Follow-up subakut
Abgeschlagenheit
Berufliche Reintegration
Therapiefolgen (z. B. Anämie)
Follow-up Langzeit
Rezidivangst
Berentung
?, Krankheitsverarbeitung
Palliation
Tumor
In der Diagnostik kommt der Fatigue als Kennzeichen des sogenannten Leistungsknicks eine große Bedeutung zu und ist bei vielen Patienten das hervorstechende Leitsymptom. Unter der Therapie tritt die Erschöpfung recht häufig auf. Es wird geschätzt, dass etwa 80 % aller Therapiepatienten unter Fatigue leiden. Die Tumorerkrankung, die Therapie und die damit verbundenen Komplikationen sind neben dem Diagnoseschock als auslösende Ursache zu nennen. Mangelernährung, bedingt durch Übelkeit und Erbrechen, Stoffwechselveränderungen und die Anämie, tumor- und therapiebedingt, sind wichtige, leicht zu behebende auslösende Ursachen. Auch nach Abschluss der Therapie kann der Patient weiter unter Fatigue leiden. In der Phase unmittelbar nach der Behandlung ist die Tumorerschöpfung häufig noch den oben angeführten Ursachen zuzuordnen. Aber im weiteren Verlauf müssen dann andere Momente als Auslöser für Fatigue angenommen werden, denn auch Jahre nach Therapie leiden bis zu 40 % der Patienten bestimmter Tumorentitäten unter Tumorerschöpfung. In der Phase der Palliation ist Fatigue ein wichtiger Risikofaktor, der mit entscheidend für die verbleibende Lebensspanne ist.
Über die Erfolge somatischer Behandlungsmaßnahmen droht der Einfluss von Fatigue auf den Krankheitsverlauf, auf die posttherapeutische Rehabilitation und die Lebensqualität insgesamt übersehen zu werden. Dabei kommt Fatigue eine wichtige Rolle im Hinblick auf die Compliance der Patienten zu. Bei Patienten, die stark unter Fatigue leiden, findet sich eine reduzierte Bereitschaft oder Fähigkeit, sich den notwendigen Behandlungs- und Nachsorgemaßnahen zu unterziehen. Trotz vielversprechender therapeutischer Möglichkeiten wird Fatigue oft fatalerweise als unbeeinflussbares Begleitphänomen der Erkrankung oder der Tumortherapie hingenommen.
Studien zu Fatigue bei geheilten Patienten mit Morbus Hodgkin konnten zeigen, dass auch noch längere Zeit nach Therapieende erhebliche Langzeitbeeinträchtigungen der Lebensqualität bis hin zur Frühinvalidität zu verzeichnen sind (Knobel et al. 2001; Kreissl et al. 2016; Rüffer et al. (2003)).

Therapieansätze bei Tumorfatigue

Die Behandlung der Fatigue wird in den meisten Fällen ohne eindeutig feststehende Ursache, aber mit Blick auf mögliche Einflussfaktoren geplant und sollte frühzeitig beginnen. Dadurch könnte möglicherweise einer möglichen Chronifizierung vorgebeugt werden.
Die Therapie verknüpft verschiedene Behandlungsansätze miteinander und orientiert sich an der individuellen Ausprägung der körperlichen, psychischen und kognitiven Beschwerden sowie dem Ausmaß der funktionellen Beeinträchtigungen.
Nach den Empfehlungen aktueller Leitlinien bilden nicht medikamentöse Therapieansätze das Zentrum der Behandlung und können in begründeten Einzelfällen durch Medikamente ergänzt werden ((National Comprehensive Cancer Network (NCCN) 2018).
Die Therapieansätze haben zum Ziel,
  • verstärkende Faktoren zu mindern,
  • Schutzfaktoren sowie vorhandene Kräfte und Ressourcen zu aktivieren und
  • individuelle Hilfen für den Umgang mit den Beschwerden und Belastungen zu geben.

Psychische Einflussfaktoren

Das Fatigue-Syndrom ist in seiner Komplexität hinsichtlich Entstehung und Verlauf noch wenig untersucht. Allerdings zeigen die vorliegenden Studien, dass psychologische Einflussmerkmale bei der Fatigue eine wichtige Rolle spielen. Insbesondere der Krankheitsverarbeitung kommt hier eine zentrale Rolle zu. Neben der Schwerpunktsetzung im Bereich des körperlichen oder neuropsychologischen Trainings können psychoedukative Methoden zur Verbesserung der Krankheitsverarbeitung eine wichtige Rolle spielen. Hinsichtlich der Symptomatik zeigen sich zahlreiche Überschneidungen zu bestimmten Formen der depressiven Verarbeitung, wenngleich davon auszugehen ist, dass die tumorbedingte Fatigue sich von einer depressiven Reaktion differenzialdiagnostisch unterscheidet. In den vorliegenden Studien wurde mehrfach gezeigt, dass Antidepressiva zur Behandlung der tumorassoziierten Erschöpfung nicht wirksam sind (Bruera et al. 2007). Insgesamt wird deutlich, dass die komplexen Probleme nur in der interdisziplinären Zusammenarbeit von verschiedenen Berufsgruppen zu lösen sind. Detaillierte Hinweise zu psychoonkologischem Assessment und Interventionen sind dem Abschn. 6 zu entnehmen.

Körperliches Training

Es gibt vielfältige Hinweise, dass durch körperliches Training sowohl die Lebensqualität als auch die Fatigue-Belastung der Patienten gebessert werden kann. In einer der ersten bahnbrechenden Untersuchung von Dimeo et al. konnte gezeigt werden, dass Patienten, die eine Knochenmarktransplantation durchlaufen, durch regelmäßiges körperliches Training profitieren. Nicht nur die Befindlichkeit der Patienten konnte gebessert werden, sondern auch die Behandlungszeit verkürzt und Therapiekomplikationen verringert werden (Curt 2000). Diese Ergebnisse konnten in Metaanalysen bestätigt werden und trugen zu einem grundsätzlichen Umdenken in der Behandlung unter anderem von onkologischen Patienten bei, dass bei geeigneten Patienten und entsprechenden Therapien eine frühzeitige Mobilisierung und Mitarbeit der Patienten wünschenswert ist (Mustian et al. 2017). Detaillierte Hinweise zu körperlichem Assessment und bewegungstherapeutischen Interventionsstrategien sind dem Abschn. 6 zu entnehmen.

Medikamentöse Behandlungsmöglichkeiten

Aktuelle Leitlinien geben keine Empfehlungen für medikamentöse Behandlungen, sehen aber Einsatzmöglichkeiten bei ausgesuchten Patientengruppen (Bower et al. 2014; Howell et al. 2015; (National Comprehensive Cancer Network (NCCN) 2018). Antidepressiva stellen nur dann eine Behandlungsmöglichkeit dar, wenn gleichzeitig eine depressive Störung besteht. Hämatopoetische Wachstumsfaktoren (ESA) können Fatigue-Symptome bei anämischen Patienten zwar mindern, allerdings hat die Mehrzahl der Betroffenen mit Tumorfatigue keine Anämie. Außerdem erhöhen ESA das Risiko für thromboembolische Ereignisse, und es gibt Hinweise, dass sich die Sterblichkeit erhöht, wenn ESA während der Chemotherapie gegeben werden (Bohlius et al. 2009).
Methylphenidat kann die Symptome der Tumorfatigue durch stimulierende, dopaminerge und noradrenerge Wirkungen vermindern. Dies trat in klinischen Studien allerdings nur bei Patienten mit fortgeschrittenen Erkrankungen, schwerer Fatigue und hoher Belastung durch weitere Symptome, insbesondere Schmerzen und Depressivität, auf. Da Methylphenidat unerwünschte Wirkungen wie Nervosität, Schlaflosigkeit, Kopfschmerzen, Mundtrockenheit und Übelkeit hat, sollte es nur in begründeten Einzelfällen eingesetzt werden. Kortikosteroide können in palliativmedizinischen Behandlungssituationen kurzfristig fatiguemindernde und aktivitätssteigernde Wirkungen haben. Daher können sie für eine begrenzte Zeit eingesetzt werden. Einer längerdauernden Gabe stehen unerwünschte Wirkungen wie Myopathien, Depression und hyperglykämische Stoffwechselentgleisungen entgegen.

Fatigue und Rehabilitation

Während die akuten Nebenwirkungen der Tumortherapie in der Regel nach 6 Monaten überwunden sind, kann chronische Fatigue ein Problem bei Krebspatienten in Remission auch mehrere Jahre nach Abschluss der Behandlung sein. Dabei ist das Muster der Fatigue-Symptomatik ähnlich der chronischen Fatigue bei nicht tumorkranken Patienten (Servaes et al. 2001). Die erheblichen Beeinträchtigungen der Lebensqualität werden häufiger nach Hochdosischemotherapie, nach Stammzelltransplantation oder bei malignen Lymphomen beobachtet. Die chronische Fatigue kann zu deutlicher Verminderung der beruflichen Leistungsfähigkeit mit langfristiger Einschränkung der Belastbarkeit bis hin zur Erwerbsunfähigkeit führen. Bei Patienten mit Leistungseinschränkungen in der Nachsorge und Rehabilitation muss ein Fatigue-Syndrom differenzialdiagnostisch abgeklärt werden und gemeinsam mit dem Patienten ein Therapieprogramm entwickelt werden. Hierfür hat sich besonders der komplexe Therapieansatz in der stationären onkologischen Rehabilitation bewährt. Neben psychoedukativen Gruppen kann je nach Ausprägung der Fatigue-Anteile ein kognitives Trainingsprogramm, abgestufte Bewegungstherapie oder psychosoziale Unterstützung in Form von Einzel- oder Gruppengesprächen und Entspannungsverfahren eingesetzt werden. Erfahrungsgemäß führt alleine die Thematisierung des Fatigue-Problems zu einer Entlastung mit dem Wunsch, Therapieangebote zu nutzten. Erste Längsschnittuntersuchungen haben positive Effekte eines strukturierten Rehabilitationsprogramms auf Fatigue und Lebensqualität zeigen können (Heim et al. 2001).

Fatigue und Arbeits- und Berufsunfähigkeit

Die akute, während der Behandlung auftretende Erschöpfungssymptomatik ist im Wesentlichen auf therapiebedingte Nebenwirkungen der Tumortherapie und auf die psychische Belastung durch den Schock der Krebsdiagnose zurückzuführen. Dass es sich nicht alleine um körperliche Akutfolgen handelt, zeigt sich durch die unterschiedliche Ausprägung im klinischen Alltag. Patienten mit ähnlichen Therapiebelastungen erleben durchaus sehr verschiedene Grade der Belastung während einer Therapie. So kann man auch nicht automatisch von einer Arbeitsunfähigkeit während einer Therapie ausgehen. Allerdings zeigt sich doch, dass der überwiegende Teil der Patienten in dieser Phase nicht arbeitsfähig ist.
Ganz anders stellt sich die Situation der Berufsunfähigkeit bei langandauernder Symptomatik dar. Es steht heute unzweifelhaft fest, dass ein Teil der Patienten durch das tumorassoziierte Fatigue-Syndrom auch langfristig belastet ist und somit auch die Bedingungen der Berufsunfähigkeit erfüllt. Ob die aktuell bestehenden Interventionsmöglichkeiten für einen Teil dieser schwerwiegend betroffenen Patienten einen Weg zurück in den Beruf ermöglichen wird, kann derzeit noch nicht abgeschätzt werden. Durch die aufgrund der mangelnden Kenntnisse noch recht unscharfen Diagnosekriterien kann ein Missbrauch nicht ausgeschlossen werden. Daher empfiehlt es sich, bei dem Verdacht auf das Vorliegen eines Fatigue-Syndroms Experten der Deutschen Fatigue Gesellschaft gutachterlich hinzuzuziehen.

Ausblick

Das Fatigue-Syndrom nach einer Tumorerkrankung stellt eine wichtige, die meisten Patienten betreffende Nebenwirkung da. Über die Ursachen, die klinische Ausprägung und die Behandlungsansätze gibt es mittlerweile viele Erkenntnisse. Auf dem Boden dieser Erkenntnisse müssen Fatigue als Outcome-Parameter in die großen onkologischen Therapieoptimierungsstudien eingebracht und Interventionsstudien in klar definierten Patientengruppen durchgeführt werden. Nur dann werden wir lernen, was die gemessenen Einbußen der Lebensqualität und die Fatigue für das tägliche Leben der Patienten tatsächlich bedeuten und welche Interventionen für welche Patientengruppe besonders effektiv sind. Dies muss für uns Ärzte von besonderem Interesse sein, da die Fatigue bis heute immer noch als die von den Patienten während und nach der Therapie am meisten belastende Nebenwirkung und Folgeerkrankung wahrgenommen wird.
Literatur
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