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Kompendium Internistische Onkologie
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Verfasst von:
Volker König und Siegfried Sauter
Publiziert am: 01.01.2022

Der junge Patient in der onkologischen Rehabilitation

Jugendliche und junge Erwachsene (Altersspanne 15–39 Jahre), die wegen einer malignen Erkrankung behandelt werden, unterscheiden sich von älteren Krebspatienten in wichtigen Punkten: meist kuratives Therapieziel mit sehr intensiver multimodaler Therapie; höherer Anteil von Malignomen aus dem pädiatrischen Spektrum mit besonderen Langzeitfolgen (z. B. Hirntumoren, Skeletttumoren); stärkere psychische Belastung durch die Lebenskrise in einer für die Persönlichkeitsentwicklung besonders sensiblen Phase; besonders gravierende, weil langfristige sozialmedizinische Bedeutung schulischer/beruflicher Aspekte bei häufig noch nicht abgeschlossener Ausbildung und beruflicher Etablierung. Spezialisierte Rehabilitationsangebote mit Ausrichtung auf die besonderen Anforderungen dieser Personengruppe stehen zur Verfügung. Wichtige Bestandteile des Rehabilitationskonzeptes sind das Gruppensetting (spezielles psychologisches Unterstützungskonzept mit der festen Gruppe Gleichaltriger und Gleichbetroffener als Co-Therapeut), ein intensiviertes somatisches Rehabilitationsprogramm mit höherer Belastungsanforderung sowie eine intensive psychosoziale Betreuung zur Unterstützung einer erfolgreichen schulischen und beruflichen Reintegration.

Einleitung

Jugendliche und junge Erwachsene befinden sich in einem Prozess vielfältiger körperlicher, psychischer und psychosozialer Veränderungen. Besonders im 2. und 3. Lebensjahrzehnt sind entscheidende Entwicklungsaufgaben zu leisten:
  • Persönlichkeitsentwicklung während Pubertät und Adoleszenz
  • Identitätsbildung
  • Ablösung von primären Bezugspersonen
  • Etablierung eines Wertesystems und ethischen Bewusstseins
  • Entwicklung von Geschlechtsidentität und Sexualität
  • Schulabschluss und Berufsausbildung
  • Berufseinstieg
  • Partnerwahl und Familiengründung
Aus onkologischer Sicht spielen in dieser Altersgruppe die Malignome der pädiatrischen Onkologie noch eine wichtige Rolle, maligne Skeletttumoren haben hier ihren Häufigkeitsgipfel. Meist wird primär ein kuratives Behandlungsziel verfolgt, dementsprechend kommen häufig intensivierte multimodale Therapiekonzepte zum Einsatz, auch in Rezidivsituationen. Eine maligne Erkrankung in dieser sensiblen Lebensphase führt daher nicht selten zu gravierenden somatischen wie auch psychosozialen Folgestörungen. Zur Unterstützung einer erfolgreichen und möglichst raschen beruflichen und sozialen Reintegration benötigt diese Patientengruppe ein spezielles, individualisiertes Betreuungskonzept. Gleichzeitig haben die Betroffenen oft das Bestreben, der mit einer Rehabilitation verbundenen Auseinandersetzung mit der Erkrankung auszuweichen, sodass Jugendliche und junge Erwachsene insgesamt nur unterproportional Rehabilitationsmaßnahmen in Anspruch nehmen.

Häufigkeit maligner Erkrankungen bei jungen Erwachsenen

Jährlich erkranken in der Bundesrepublik Deutschland eine knappe halbe Million Menschen an Krebs (Robert-Koch-Institut 2016), davon entfallen etwa 15.500 Patienten auf die Altersgruppe 15–39 Jahre (ca. 3 % der Neuerkrankungen). Zur Verteilung der Entitäten und Fallzahlen in der Alterskohorte 15–39 Jahre s. Tab. 1.
Tab. 1
Häufigkeitsverteilung maligner Erkrankungen in der Altersgruppe von 15–39 Jahren (mod. nach Kaatsch et al. 2013)
Männlich
%
Fallzahl in Deutschland (geschätzt)
Weiblich
%
Fallzahl in Deutschland (geschätzt)
Hodentumor
33,6
2211
27,9
2478
10,9
717
Melanom
16,0
1420
Zentrales Nervensystem
8,8
580
10,9
970
7,6
498
9,9
881
Non-Hodgkin-Lymphom
6,2
408
Kolorektale Tumoren
4,7
417
Kolorektale Tumoren
5,8
385
Zentrales Nervensystem
4,3
390
Andere (inkl. Leukämien)
27,0
1782
Andere
26,2
2324
Summe
 
6581
Summe
 
8880
Häufig zu beobachtende Folgeschäden nach intensiver Primärbehandlung sind in Tab. 2 zusammengestellt.
Tab. 2
Häufig zu beobachtende Folgestörungen nach Primärbehandlung einer malignen Erkrankung
Erkrankung
Folgestörungen
Alle
• Tumorassoziierte Fatigue
• Psychische Belastung, Verlust von Autonomie, Einschränkung sozialer Kontakte (Peer Group)
• Körperbildveränderungen (Alopezie, Narben etc.)
• Störungen von Kognition, Aufmerksamkeit, Gedächtnis, Konzentration
Lymphom/Leukämie
Z. n. Stammzelltransplantation
• Hormonelle Veränderungen (Unterfunktion von Nebenniere, Schilddrüse, Hoden, Ovar) mit Fatigue, Gewichtsverlust, Störung von Sexualität und Fertilität
Toxische Polyneuropathie (Vincristin)
• Gewichtszunahme und Körperbildveränderungen durch Kortison
• Seltener:
- Skelettveränderungen (Osteopenie, Osteonekrosen)
- Myokardinsuffizienz (Idarubicin, Daunorubicin)
Hodentumor
• Restriktive Ventilationsstörung (Bleomycin)
• Selten: toxische Polyneuropathie (Cisplatin)
• Schultermorbidität, toxische Polyneuropathie (Paclitaxel, Docetaxel)
• Myokardinsuffizienz (Epirubicin, Adriamycin, Herceptin)
• Bei ER+ Tumor Symptome durch antihormonelle Therapie (Depression, Hitzewallungen, Osteoporose); Störungen von Kognition, Aufmerksamkeit und Konzentrationsfähigkeit; zunehmend seltener: Lymphödem der oberen Extremität
Ovarial-, Zervixkarzinom
• Toxische Polyneuropathie (Carboplatin, Paclitaxel, Docetaxel); nach Ovarektomie ggf. Symptome durch Östrogenentzug (Depression, Hitzewallungen, Osteoporose)
• Nicht ganz selten: Lymphödem der unteren Extremität
Magenkarzinom, kolorektale Tumoren
• Energieverwertungsstörung mit Gewichtsverlusten, toxische Polyneuropathie (Cisplatin, Oxaliplatin)
• Störungen der Stimme (Rekurrensparese)
• Bei gewünschter TSH-Suppression Hyperthyreosis factitia mit Tachykardie, Schwitzen, Durchfall, psychischen Veränderungen etc. möglich
Hypokalzämie bei Nebenschilddrüsenunterfunktion mit Krämpfen
• Selten: Bestrahlungsfolgen
ZNS-Tumoren
Bewegungsstörungen, Mobilitätseinschränkungen
• Störungen von Kognition, Aufmerksamkeit, Gedächtnis, Konzentration
• Unterfunktion der Hypophyse (mögliche Unterfunktion von Nebenniere, Schilddrüse, Hoden, Ovar) mit Fatigue, Gewichtsverlust, Störung von Sexualität und Fertilität
• Lymphödem
• Gelegentlich: Bewegungseinschränkung von Arm, Hand, Fingern
• Körperbildveränderungen, Narben
Skeletttumoren
• Endoprothesen, Amputationen, Verlust von Muskelkraft und körperlicher Belastbarkeit
• Körperbildveränderungen
• Sport- und Aktivitätsmöglichkeiten oft stark eingeschränkt
Die Folgeschäden führen zu Beeinträchtigungen körperlicher, psychischer und sozialer Funktionen. Ursache körperlicher Einschränkungen sind einesteils die maligne Erkrankung selbst, zum anderen aber auch die Folgen der Behandlung sowie der körperlichen Inaktivität unter Therapie. Sie führt innerhalb kurzer Zeit (1–4 Wochen) zu
  • einem signifikanten, ca. 20–30 %igen Verlust der Muskelmasse,
  • Abnahme des Herzzeitvolumens um ca. 10–15 %,
  • Reduktion der Sauerstoffaufnahme um ca. 20 %,
  • Erhöhung des Ruhepulses um 20 %,
  • außerdem Schwächung der Immunabwehr;
bei länger dauernder Inaktivität
  • zur Entwicklung einer Osteoporose,
  • zu gesteigertem Thrombose- und Pneumonierisiko sowie
  • zur Verschlechterung von Sensomotorik und Koordination (Hollmann und Strüder 2009).
Als Folge kommt es sehr häufig zu Einschränkungen von Partizipation und Teilhabe.

Rehabilitationskonzept zur Linderung von Folgeschäden nach intensiver Behandlung einer malignen Erkrankung

1.
Körperliche Reaktivierung
 
2.
Psychische Entlastung durch altersadäquate Krankheitsverarbeitung, Abbau von Ängsten
 
3.
Informationen zur Erkrankung sowie den Krankheits- und Therapiefolgen
 
4.
Schulische Unterstützung und sozialmedizinische Beratung zu Ausbildung/Berufstätigkeit (evtl. inkl. Berufsfindungs-/Bewerbungstraining) unter Einbezug sozialrechtlicher und arbeitsmedizinischer Aspekte
 
5.
Besonders bei Jugendlichen und Adoleszenten: Wiedererlangung von Tagesstruktur, Zukunftsorientierung, aber auch Lebensfreude in einer Gruppe mit Gleichaltrigen
 
Für die Rehabilitation Jugendlicher und junger Erwachsener empfiehlt sich in den meisten Fällen die Behandlung im stationären Setting, um die vor allem im jüngeren Altersbereich so wichtigen Gruppenprozesse zu ermöglichen. Ambulante Rehabilitationsangebote, soweit überhaupt verfügbar, sind demgegenüber weniger geeignet, weil sie einerseits vorwiegend auf die somatischen Aspekte fokussiert sind, zum anderen auch nicht eine Strukturierung des Tagesablaufs erlauben, wodurch ein intensiver ganzheitlicher Bewältigungsprozess deutlich erschwert wird.

Besonderheiten junger Menschen

Tritt in diesem Alter eine Lebenskrise, z. B. eine maligne Erkrankung auf, so können mit der Krebserkrankung/-behandlung Veränderungen des Körper- und Selbstbildes und hiermit zusammenhängend auch Veränderungen des Lebenskonzeptes eintreten. Dies ist umso gravierender, als sich junge Menschen besonders stark über ihr Aussehen, Körperbild, körperbezogene Aktivitäten und Sport identifizieren. Der subjektive Verlust an Lebensqualität und Lebensperspektive ist oft immens. Sozialer Rückzug und Isolation mit den entsprechenden Auswirkungen auf Partnerschaft und Sexualität können die Folge sein, vor allem dann, wenn Defizite der Unterstützungsstrukturen im häuslichen Umfeld bestehen. Das Trauma der Erkrankung und der Therapie wird im Vergleich zum älteren Patienten stärker wirksam, sodass insgesamt psychosoziale Entwicklung, Beruf und Partnerschaft beeinträchtigt werden können. In der Konsequenz resultiert eine doppelte Krisensituation, der bei der Rehabilitation junger Menschen durch den Einsatz spezieller, individualisierter Betreuungskonzepte Rechnung getragen werden muss. Gerade für Jugendliche und Adoleszenten bis ins 3. Lebensjahrzehnt ist der Gruppenaspekt dabei von zentraler Bedeutung. Diesbezügliche Angebote existieren in der Bundesrepublik Deutschland seit längerem, sind aber jenseits der pädiatrischen Onkologie bislang wenig bekannt. Junge Erwachsene nutzen soziale Medien und die hiermit verbundenen Möglichkeiten zum Austausch untereinander sehr viel stärker als ältere Erwachsene (Love et al. 2012; Perales et al. 2016). Gleichzeitig aber ist ihre subjektiv empfundene Lebensqualität gegenüber älteren Patienten deutlich vermindert (Quinn et al. 2015).

Rehabilitationskonzept

Konzeptionell differiert die Rehabilitation Jugendlicher und junger Erwachsener zur Rehabilitation älterer Krebspatienten durch die starke Gruppenintegration innerhalb eines geschlossenen Gruppenkonzeptes, die zur intensiven Bearbeitung somatischer und psychosozialer Belastungsfaktoren genutzt wird. Dies setzt eine ausreichende physische und psychische Gruppenfähigkeit voraus, wobei es im Einzelfall auch ein Rehabilitationsziel sein kann, diesbezügliche Widerstände zu überwinden, die in der Regel auch der Krankheitsverarbeitung entgegenstehen. Weitere Kontraindikationen:
  • Aktive Suchterkrankungen (Patienten mit überwundener Suchterkrankung können rehabilitiert werden)
  • Aktive produktive Psychosen (Patienten mit medikamentös kompensierter Psychose können rehabilitiert werden)
  • Geistige Behinderung (Patienten mit leichter Intelligenzminderung bei erhaltener verbaler Kommunikationsfähigkeit können rehabilitiert werden)
  • Patienten ohne ausreichende Kommunikationsfähigkeit
Neben den körperlichen Folgen lassen sich aufgrund der oben geschilderten Zusammenhänge häufig auch psychische Belastungsfaktoren (Ladehoff et al. 2011) identifizieren, die in Rezidivängsten, Depression oder posttraumatischer Belastungsstörung (Schwartz et al. 2012) münden können. Das Selbstwertgefühl ist nach Krebsbehandlung jüngerer Patienten häufig zusätzlich beeinträchtigt durch:
  • Partnerschaftsprobleme (Carpentier und Fortenberry 2010)
  • Fertilitätsstörungen/Sterilität bei nicht abgeschlossener Familienplanung (Gorman et al. 2012; Yeomanson et al. 2013; Murphy et al. 2015)
  • Verändertes Körperbild (Alopezie, Z. n. Alopezie, Ablatio mammae, Verlust einer Extremität, starker Gewichtsverlust oder Adipositas, Striae (Kortison), Operationsnarben, Stomaanlage)
Eine im jugendlichen Alter auftretende Krebserkrankung bedeutet daher besondere Belastungen für diese spezielle Patientengruppe, die bei der psychologischen Unterstützung (Einzel- und Gruppengespräche) entsprechend berücksichtigt werden müssen. Folgende Themen bedürfen einer speziellen Bearbeitung (Zebrack und Isaacson 2012):
  • Identität
  • Abhängigkeit/Unabhängigkeit
  • Körperbild
  • Peer Group
  • Partnerschaft (inkl. Fähigkeit zur Reproduktion)
  • Schule, Studium, Ausbildung, Beruf

Rehabilitationsdiagnostik

Zu Beginn der Rehabilitation steht die Identifizierung von Folgestörungen, funktionellen Einschränkungen und seelischen Belastungen durch entsprechende Rehabilitationsdiagnostik. Zum Einsatz kommen folgende Methoden:
  • Ärztliche Aufnahmeuntersuchung (inkl. labormedizinischer/apparativ-technischer Untersuchungen, soweit erforderlich)
  • Psychologische Basisdiagnostik: psychologisches Erstgespräch, zusätzlich erweiterte Diagnostik durch anerkannte psychologische Testinstrumente
  • Pflegeanamnese: Erfassung von Ressourcen und Selbsthilfekompetenz des Patienten, Ermittlung des Pflegebedarfs; im Zentrum steht die aktivierende Pflege
  • Funktionsdefizite (falls vorhanden): physiotherapeutische und/oder ergotherapeutische Statuserhebung mit Definition der Funktionsdefizite und Festlegung der therapeutischen Strategien
  • Sportmedizinische Basiserfassung: Anamnese hinsichtlich sportlicher Vorerfahrung, Festlegung sporttherapeutischer Zielsetzung und vorhandener Einschränkungen/Risikofaktoren

Rehabilitative Therapie

Die Rehabilitationsdiagnostik innerhalb der ersten 1–2 Tage erlaubt die Definition von Rehabilitationszielen. Häufige Rehabilitationsziele sind:
  • Stabilisierung/Besserung des Gesundheitszustandes, funktionelle Adaptation, Steigerung von körperlicher Leistungsfähigkeit, Kondition, Ausdauer und Muskelkraft, Verbesserung der Beweglichkeit und Körperbewegung, Motivation zur Intensivierung körperlicher Aktivitäten
  • Psychische Stabilisierung, adäquate Krankheitsbewältigung, verbesserte Reflektion des Krankheitsgeschehens, Selbstwertstärkung, Verbesserung von Selbsthilfefähigkeit und Lebensqualität
  • Ernährungstherapie: Informationen zur krankheitsangepassten Ernährung
  • Gesundheitstraining: Verbesserung des Informationsstandes über die Erkrankung, Anleitung zu gesundheitsbewusster Lebensführung
  • Training sozialer Fähigkeiten, Wiedererlangung einer Tagesstruktur: Insbesondere bei jüngeren Patienten muss oftmals „Normalität“ in der Gruppe wieder eingeübt werden
  • Familiäre und soziale Reintegration, Reintegration in Schule, Ausbildung, Studium oder Beruf: Sozialberatung, Berufsfindung, Potenzialanalyse, Bewerbungstraining
  • Bei bleibenden körperlichen oder psychomentalen Defiziten mit erschwerter Rückkehr in Schule, Ausbildung oder Berufsleben Neuplanung der schulischen oder beruflichen Laufbahn
  • Bei Bedarf medizinisch-beruflich orientierte Rehabilitation (MBOR) in Kooperation mit einem Berufsförderungswerk
Arzt, Patient und therapeutisches Team erarbeiten gemeinsam einen Rehabilitationsplan, der die zuvor definierten Rehabilitationsziele unter Einsatz verschiedener Therapiemodalitäten verfolgt.
Zur körperlichen Reaktivierung kommt typischerweise ein (teil-)standardisiertes und kombiniertes Kraftausdauertraining am Gerät (medizinische Trainingstherapie) zum Einsatz; Frequenz:
  • 3× wöchentlich für je 40 Minuten
  • 3× 20–30 Wiederholungen bei 30–60 % der Maximalkraft
Die Auswahl der Geräte und deren Anzahl erfolgt nach dem jeweils vorliegenden körperlichen Zustand zu Beginn der Rehabilitation (maximal 6 Geräte). Bei leistungsschwachen/frisch operierten Patienten Beginn mit niedrigerem Gewicht, damit sich Muskulatur, Sehnen und Bänder langsam an die Belastung adaptieren können. Notwendig ist hier auch eine intensive Anleitung am Gerät, um Verletzungen beim Training zu vermeiden (Prinzip der individuellen Belastung). Die Belastung wird dann im Rehabilitationsverlauf langsam gesteigert (Prinzip der ansteigenden Belastung).
Die Vorteile dieses Vorgehens bestehen in einem sanfteren und gelenkschonenden Krafttraining, das im Vergleich zum Maximaltraining (höheres Gewicht und weniger Wiederholungen) besser zum Wiedereinstieg nach längerer Erkrankungsphase geeignet ist.
Ergänzt wird dieses Training durch ein angeleitetes Ausdauertraining (Ergometerradtraining, Training auf dem Crosstrainer sowie Laufen/Walking/Nordic Walking; Frequenz:
  • 5x pro Woche für je 20 Minuten bei 80 % der maximalen Herzfrequenz
Die Patienten werden ermutigt, selbstständig zu trainieren und ihre Therapiefortschritte zu protokollieren. Zusätzlich kommen zum Training von Gleichgewicht, Koordination und Beweglichkeit u. a. Steppaerobic, Wassergymnastik, Aerofit (Gruppentraining mit Spielelementen), Kletterwand/-parcours sowie Physiomattraining zum Einsatz.
Bei spezifischen Einschränkungen erfolgen gezielte individuelle Therapien, insbesondere Physiotherapie, Ergotherapie, Massagen, Balneotherapie und weitere physikalische Verfahren. Gerade die Physiotherapie steht für Patienten mit starken funktionellen Einschränkungen oftmals im Zentrum der Rehabilitation. Auch eine Optimierung der Hilfsmittelversorgung durch die Orthopädietechnik kann bedeutsam sein.
Beispiele:
  • Intensive Physiotherapie und Gangschule z. B. bei Extremitäten- oder Hirntumoren
  • Bauch-Rücken-Gymnastik bei Schwäche der Rückenmuskulatur
  • Schultergymnastik bei Bewegungseinschränkung im Schultergelenk
  • Entstauungsgymnastik und Lymphdrainage bei Ödemneigung in einem Körperglied
  • Beckenbodengymnastik bei Harninkontinenz
Therapiemodalitäten sind in Tab. 3 zusammengefasst.
Tab. 3
Rehabilitative Therapie junger Erwachsener nach Behandlung einer malignen Erkrankung: Therapiemodalitäten
Bereich
Therapie
Sport-, Physio-, Ergotherapie
• Interaktive Sportangebote (Sport, Schwimmen, Gymnastik), Sport-, Physiotherapie in der Gruppe, zusätzlich bei Bedarf Einzelbehandlungen
• Anleitung zur sportlichen Betätigung in Eigenregie (Ergometerradtraining, Laufen auf dem Laufband, medizinische Trainingstherapie etc.)
• Linderung einer toxischen Polyneuropathie durch ergotherapeutische Übungen: Sensomotoriktraining, Training der Hand-/Fußsensorik, Zwei-/Vierzellenbäder
• Bei Störung von Kognition, Konzentration und Merkfähigkeit: neuropsychologisches Hirnleistungstraining
Ernährungstherapie
• Vermittlung einer krankheitsangepassten Ernährung
• Vermittlung von Prinzipien gesunder Ernährung
Psychologische Betreuung
• Psychologisches Aufnahme- und Folgegespräch (fester Bezugstherapeut)
• Thematische Schwerpunkte: Krankheitsbewältigung, Bearbeitung durch die Erkrankung reaktivierter Probleme, Selbstwertstärkung, Erleben von Solidarität im Austausch mit den anderen Gruppenmitgliedern (Gruppe als Co-Therapeut)
• Bearbeitung spezifischer Folgestörungen wie sexueller Probleme, Fertilitätsstörungen sowie Belastung bei Kinderwunsch
• Bei Belastung durch Fragen zur Partnerschaft, zu verändertem Aussehen, Arbeit oder Tod ggf. ergänzende Einzelintervention (psychologische Einzelgespräche)
• Wichtig ist der niedrigschwellige Zugang zum psychosozialen Angebot
Kreative Therapie
• Angebot von Kunst- oder Tanztherapie zur Unterstützung der Krankheitsverarbeitung
Erlebnispädagogik
• Soziale Interaktion und Austausch unter Gleichaltrigen unter Anleitung
• Erlernen von Rücksichtnahme im sozialen Vergleich
• Mit verändertem Aussehen leben und sich bewegen lernen
• Kennenlernabend, gemeinsame Ausflüge (Städteausflug) und Abendaktivitäten (Disco, Bowling, Cabaret), Spieleabend, gemeinsames Kochen, Billard, Kicker, Tischtennis, gemeinsame Projektarbeit, Mannschaftsspiele (Fußball, Volleyball, Bowling etc.), gemeinsames Schwimmen, Sauna u. v. m.
Gesundheitstraining
• Allgemeine Informationen zu gesunder Lebensführung
• Spezifische Informationen zu der jeweils vorliegenden Erkrankung und den möglichen Sekundärfolgen:
- Zweitmalignome (Printz 2017)
- Kardiotoxizität (Chao et al. 2016)
- Infertilität/Sterilität (Harrison et al. 2017)
Berufliche Reintegration, Sozialberatung
• Spezielle Berufsberatung bzw. Bewerbungstraining zur Planung der beruflichen Reintegration (in Zusammenarbeit mit den Reha-Fachberatern der Deutschen Rentenversicherung)
• Kontaktaufnahme mit Institutionen vor Ort und ggf. Arbeitgeber, um weitergehende Maßnahmen einzuleiten
Medizinisch-beruflich orientierte (MBO-)Rehabilitation
• In Kooperation mit Berufsförderungswerk: Wiederherstellung, Anpassung und Optimierung des individuellen Fähigkeitsprofils in Richtung des beruflichen Anforderungsprofils durch Simulation der Arbeitsplatzsituation und gezieltes Training mittels arbeitsplatzspezifischer therapeutischer Maßnahmen
In wöchentlichen ärztlichen Visiten wird der Genesungsverlauf kontrolliert (bei Notwendigkeit häufiger). Zusätzlich begleitet das therapeutische Team im täglichen Austausch und in regelmäßigen Besprechungen den Rehabilitationsprozess aller Patienten. Eine aktuell laufende antineoplastische Therapie wird ebenso wie eine notwendige Wundversorgung, Stomatherapie, Katheterpflege etc. fortgesetzt.

Sozialmedizinische Leistungsbeurteilung

Am Ende der Rehabilitation erfolgt die ärztliche sozialmedizinische Leistungsbeurteilung hinsichtlich der Möglichkeiten für die weitere Ausbildung bzw. Studium oder berufliche Tätigkeit. Sozialmedizinisch relevant sind jene Einschränkungen, die sich voraussichtlich über einen längeren Zeitraum (mehr als 6 Monate) oder auf Dauer negativ auf Ausbildung/Studium oder Beruf auswirken werden:
  • Kann eine Tätigkeit für 6 Stunden pro Tag oder mehr ausgeführt werden, so besteht vollschichtiges Leistungsvermögen, eine Erwerbsminderung liegt nicht vor.
  • Kann eine Tätigkeit für 3–6 Stunden pro Tag ausgeführt werden, so ist das Leistungsvermögen teilweise aufgehoben (teilweise Erwerbsminderung).
  • Kann eine Tätigkeit für weniger als 3 Stunden pro Tag ausgeführt werden, so ist das Leistungsvermögen aufgehoben (volle Erwerbsminderung).
Die qualitative Beurteilung wird durch Angabe positiver und negativer Leistungsmerkmale präzisiert. Im Einzelfall kann die Beurteilung sehr differenziert sein und erfordert große Sorgfalt im Hinblick auf die weitreichenden Konsequenzen für den Rehabilitanden. Hier sind die Beobachtung und ein enger Patientenkontakt im Rehabilitationsverlauf besonders wichtig. Häufig zu beobachtende Leistungseinschränkungen s. Tab. 4.
Tab. 4
Häufig zu beobachtende berufliche Einschränkungen nach Behandlung einer malignen Erkrankung
Folgestörung
Einschränkungen bei
Anämie, verringerte körperliche Leistungsfähigkeit, Bewegungsstörungen (Paresen, Z. n. Operation am Knochen), Z. n. Stomaanlage
Tätigkeiten mit hoher körperlicher Leistungsanforderung (Bauarbeiter, Pflegeberufe)
Leukopenie (<1000 Leukozyten/μl)
Gehäufte Infektionen: Tätigkeiten mit Exposition gegenüber Kälte, Nässe oder starken Temperaturschwankungen, Arbeiten mit Kindern oder starkem Publikumsverkehr (z. B. Müllfahrer, Kindergärtnerin, Post-/Bankangestellter im Schalterdienst)
Gefahrengeneigte Tätigkeiten oder Tätigkeiten mit erhöhter Verletzungsgefahr (Landwirt, Veterinär oder Forstarbeiter)
Arbeiten mit Anforderungen an die Feinmotorik (Hände), Stand- und Gangsicherheit (Füße) (operativ tätiger Arzt, Goldschmied, Uhrmacher, Dachdecker, Gebäudereiniger)
Ernährungsstörung, Fett-, Energieverwertungsstörung
Tätigkeiten mit Wechsel-, Nacht- und Außendienst (Pflegeberufe, Berufskraftfahrer)
Störungen der Stimme
Sprech-, Singberufe (Tätigkeit im Callcenter, Lehrer, Dozent, Pharmareferent, Sänger)
Störungen von Konzentration, Aufmerksamkeit und Konzentration
Berufe mit Anforderungen an Konzentration, Merkfähigkeit und Kognition (Maschinenführer, Berufskraftfahrer, Lehrer)
Armlymphödem
Tätigkeiten mit körperlicher Leistungsanforderung im Bereich der oberen Extremität (Pflegeberufe, Verkäuferin, Reinemachekraft)

Reintegration in Ausbildung und Beruf

Krebs im jungen Erwachsenenalter führt oftmals zu einer inhaltlichen und/oder zeitlichen Veränderung der Arbeitssituation (ggf. Wechsel von Ausbildung, Studium oder Arbeitsplatz notwendig) (Mentschke et al. 2017). Die nach Abschluss der Behandlung anstehende Reintegration in Ausbildung und Beruf muss neben somatischen auch psychosoziale Aspekte berücksichtigen. Entscheidend ist hierbei, ob der Patient seine bisherige Ausbildung (Studium) bzw. berufliche Tätigkeit unter Berücksichtigung somatischer/psychosozialer Einschränkungen noch fortführen kann.
Hierbei schätzten ca. 75 % der Patienten die Wiederaufnahme einer beruflichen Tätigkeit innerhalb von 2 Jahren nach Abschluss der Primärbehandlung als möglich ein. Ca. 18 % waren sich diesbezüglich unsicher, 6 % hielten eine berufliche Reintegration für sehr unwahrscheinlich/nicht mehr möglich (König und Krauth 2018; Vetsch et al. 2017; Parsons et al. 2012). Haupthinderungsgrund für eine berufliche Reintegration waren eher psychische als somatische Anforderungen der Berufstätigkeit. Die Patienten sahen sich in ihrer künftigen beruflichen Leistungsfähigkeit stärker durch kognitive Dysfunktion, Fatiguesyndrom und körperliche Leistungsminderung beeinträchtigt. Psychische Belastungsfaktoren, Konzentrationsstörungen und Fatiguesyndrom stellen daher ebenso wichtige Barrieren für die berufliche Reintegration wie körperliche Einschränkungen dar.
Ebenfalls nicht unterschätzt werden dürfen finanzielle Probleme, die dadurch auftreten, dass sich junge Erwachsene bereits ein weitgehend selbstständiges Leben aufgebaut haben, nach der Krebsdiagnose dann aber wegen der notwendigen Hilfe und Betreuung ins Elternhaus zurückkehren müssen.
Die Reintegration in Beruf bzw. auch Schule/Ausbildung sollte sich, wenn irgend möglich, direkt an die Rehabilitationsmaßnahme anschließen, damit die erreichte Selbstsicherheit, Motivation und Tagesstruktur nicht wieder verloren gehen. Bei vorhandenem Arbeitsplatz stellt eine stufenweise Wiedereingliederung hierfür ein wertvolles Instrument dar.
Bei Schule, Ausbildung oder Studium kann es wichtig sein, aus ärztlicher Sicht Maßnahmen zum Nachteilsausgleich zu definieren.

Zusammenfassung

Die Behandlung einer malignen Erkrankung sollte bei jungen Erwachsenen nicht mit der Operation, Bestrahlung oder Chemotherapie enden, da die resultierenden psychischen und somatischen Folgeschäden eine rasche Reintegration in Ausbildung, Beruf, Familie und Gesellschaft nach Abschluss der Primärbehandlung oftmals verhindern. Strukturierte, auf die Altersgruppe zugeschnittene Rehabilitationsangebote mit entsprechender erweiterter psychosozialer Beratung (Geue et al. 2016) sollten genutzt werden und haben sich als erfolgreiches Mittel für die Wiederherstellung von sozialer und beruflicher Teilhabe erwiesen.
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