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Elektronische Verordnungssysteme in der Hämatologie und Onkologie/CPOE

Verfasst von: Heike Reinhardt, Markus Ruch, Stefanie Ajayi, Martin J. Hug, Amelie Rösner, Hartmut Link und Monika Engelhardt
In Zeiten rascher Entwicklungen von neuen und hochkomplexen Therapiemöglichkeiten ist die Fehlervermeidung für die Arzneimitteltherapiesicherheit insbesondere im Bereich der Hämatologie und Onkologie immanent. Elektronische Verordnungssysteme („computerized physician order entry“, CPOE) stellen einen wichtigen Schritt zur Gewährleistung einer fehlerfreien Chemotherapie dar. CPOEs sollen benutzerfreundlich sein, den bestellenden Arzt bei Therapieentscheidungen unterstützen und Schnittstellen zu bestehenden Zytostatikaherstellungs-, Patientenverwaltungs-, Befund- und Dokumentationssystemen bieten. Um anwendungsbedingte Fehler zu vermeiden, ist die kontinuierliche Anwenderschulung und Systemweiterentwicklung erforderlich, was für Softwareentwickler und Anwender eine Herausforderung darstellt. Die Neueinführung eines elektronischen Bestelltools bringt zudem veränderte Arbeitsabläufe mit sich, u. a. eine Umstrukturierung im Interesse der Patientensicherheit, da durch CPOEs die Fehlerrate von z. B. Chemotherapieverordnungen signifikant reduziert werden kann.

Einleitung

Medikationsfehler treten überwiegend beim Therapieverordnungsprozess auf und damit häufiger als bei der Arzneimittelausgabe oder Therapieapplikation (Ashokkumar et al. 2018). Dabei sind elektronische Verordnungssysteme, insbesondere bei Therapien mit potenzieller Toxizität (Chemotherapeutika) und bei vulnerablen Patienten, essenziell (Routledge 2012; Markert et al. 2009; Reinhardt et al. 2019; Meisenberg et al. 2014). Zu diesen zählen u. a. an Krebs erkrankte Patienten höheren Alters und solche mit Komorbiditäten, wie Nieren- oder Leberinsuffizienz. CPOEs („computerized physician order entry“ ) sowie systematische Kontrollen von Verordnungen (Markert et al. 2009; Reinhardt et al. 2019) haben eine deutlich sicherere Therapiedurchführung und einen verbesserten klinischen Behandlungserfolg gezeigt (Bates et al. 1999; Bates und Gawande 2003; Bates 2000; Dreischulte et al. 2016; Elsaid et al. 2013; Koppel et al. 2005; Markert et al. 2009; Meisenberg et al. 2014; Reinhardt et al. 2019; Routledge 2012; van Doormaal et al. 2009; Voeffray et al. 2006).
CPOE-Datenbanken bieten in der Regel die Möglichkeit, Chemotherapieprotokolle, in denen
  • Therapiedosen,
  • Applikationsart,
  • zeitlicher Therapieablauf und
  • Begleitmedikation
genau definiert sind, im System zu verwalten. Auf diese hinterlegten Standardprotokolle wird bei der ärztlichen Therapiebestellung zurückgegriffen. Weitere wichtige Funktionen sind die automatische Dosisberechnung sowie der direkte Zugriff auf die Organfunktionen des Patienten, u. v. a. m. (Markert et al. 2009; Reinhardt et al. 2019).
Computerunterstützung bei der Chemotherapieverordnung wurde schon 1996 für die Hämatologie/Onkologie beschrieben (Hammond und Sergot 1996) und nimmt seither stetig zu. Sie trägt zur Vermeidung von Therapiefehlern und zur Kosteneffektivitätssteigerung bei, da gerade in diesem Bereich nach sehr komplexen und teilweise kostenintensiven Therapieprotokollen behandelt wird: Hoch toxische Substanzen, patientenindividuelle körperoberflächenbasierte Dosierungen, mit z. T. komplexen Regeln zur Dosismodifikation, erfordern CPOE-basierte Hilfestellungen (z. B. Warnhinweise bei Maximaldosenüberschreitungen) für eine sichere Therapiedurchführung. Zudem werden Tumortherapeutika heute nicht mehr nur in der Hämatologie/Onkologie, sondern auch zunehmend von spezialisierten anderen Fachärzten, wie z. B. Gynäkologen, Gastroenterologen, Pneumologen, Strahlentherapeuten oder Urologen durchgeführt, sodass die Verordnungs- und Verabreichungsraten sowie das Fehlerpotenzial steigen können.
Herkömmliche Medikationsverordnungen, z. B. durch handschriftliche Bestellungen oder mittels Vordrucken, werden weltweit zunehmend durch CPOEs ersetzt (Bates et al. 1999; Bates und Gawande 2003; Bates 2000; Berger und Mertelsmann 2017; Engelhardt et al. 2020; Gandhi et al. 2014; Markert et al. 2009; Meisenberg et al. 2014; Reinhardt et al. 2019; Routledge 2012).

Vor- und Nachteile von CPOE

Vorteile elektronisch kontrollierter Verordnungen sind deren eindeutige Lesbarkeit und Vollständigkeit. Dadurch wird die Therapiesicherheit für Patienten signifikant erhöht und der klinische Behandlungserfolg verbessert (Tab. 1). Systematische Umstellung auf CPOEs resultiert kurz- und vor allem langfristig in einer Zeitersparnis für Ärzte, Pflege und Apotheke, u. a. durch den vereinfachten Bestellprozess (Anwahl hinterlegter Standardprotokolle, Übertragung von Informationen via Schnittstellen) und dem raschen elektronischen Transfer von Therapiebestellungen in die Apotheke. Dadurch kann eine deutliche Erhöhung von korrekten Therapieapplikationen in Krankenhäusern und Praxen erreicht werden, was zudem eine Kosteneffektivitätssteigerung mit sich bringt. Mit zunehmend neuen, innovativen Substanzen auf dem Markt und immer komplexer werdenden Therapieabläufen steigen die Anforderungen an die behandelnden Ärzte, da immer mehr Parameter bei der Bestellung einer patientenindividuellen Therapie zu berücksichtigen sind. CPOEs können über automatisierte Warnhinweise oder abrufbare Zusatzinformationen „Clinical Decision Support“ (CDS) leisten. Beispiele für CDS sind:
  • Dosisanpassung an die Nierenfunktion
  • Protokollkonforme Dosiskappung
  • Integrierte Dosisberechnungen mit idealisiertem bzw. angepasstem idealisierten Körpergewicht (IBW/AIBW) bei Hochdosisprotokollen
  • Wichtige Hinweise zur Therapiedurchführung.
    Tab. 1
    Problem- und Fehlerrate bei unterschiedlichen Arten der Chemotherapieverordnung. (Adaptiert nach Meisenberg et al. 2014)
    Verordnungsmethode (Anzahl analysierter Verordnungen)
    Klärungsbedarf (%)
    Fehlerrate (%)
    Handschriftliche Verordnung (2216)
    30,6
    4,2
    Vordrucke (2480)
    12,6
    1,5
    CPOE (5142)
    2,2
    0,1
Weiter werden durch Implementierung von CPOEs eine Qualitätssicherung und zuverlässige Dokumentation von Chemotherapien erreicht sowie detaillierte Therapieabfragen und -auswertungen ermöglicht. CPOEs können über Schnittstellen mit anderen elektronischen Systemen verknüpft werden (z. B. Zenzy®, Medoc®, Meona®, TOS®, d. h. Apotheken-, Patientenverwaltungs-, Befund-, Tumorboard- und Tumorbasis-Dokumentationssysteme). Zum Beispiel ermöglicht eine Schnittstelle zum Apothekensystem den akkuraten Transfer der bestellten Chemotherapiesubstanzen und zugehörigen Dosen in die Apothekenherstellungssoftware und vermeidet fehleranfällige, manuelle Übertragungsschritte (Bates et al. 1999; Bates und Gawande 2003; Bates 2000; Dreischulte et al. 2016; Markert et al. 2009; Routledge 2012; Reinhardt et al. 2019; Link et al. 2015).
Als potenzielle Nachteile von CPOEs sind entstehende Kosten für Lizenzen, Schulungen und Personal (IT-Support, Datenpflege). Zudem ist die Implementierung relevanter und sinnvoller Schnittstellen mit anderen Kliniksystemen wichtig und benötigt dauerhafte Ressourcen und Aufmerksamkeit für deren Implementierung. Bei
  • Fehlprogrammierung,
  • unsachgemäßer Verwendung oder
  • durch „alleinigen Verlass“ auf die Therapieanpassungen des Systems, gerade von unerfahrenen Ärzten,
können CPOEs auch Fehler induzieren. Insbesondere bei Berufsanfängern ist auch unter Verwendung eines CPOE-Systems eine intensive Auseinandersetzung mit dem Chemotherapieregime als Lerneffekt wichtig. Ein Zuviel an in der Datenbank eingeblendeten Hinweisen und automatisierten Warnungen kann außerdem bei Anwendern ein „Overalerting“ auslösen, sodass Hinweise überlesen bzw. nicht mehr wahrgenommen werden. Diese Fehlerquellen können jedoch durch intensive Schulung und gut durchdachtes Platzieren von Hinweisen vermieden werden. Das Bewusstsein, dass CPOE-Systeme eine kontinuierlich bestehende Investition darstellen und einer dauerhaften Pflege bedürfen, ist somit als essenziell zu erachten (Markert et al. 2009; Reinhardt et al. 2019).
Insbesondere in großen, aber auch zunehmend in kleineren Einrichtungen und Arztpraxen sind CPOE-Systeme wegen ihrer immensen Vorteile, gerade in Bezug auf Therapiesicherheit und Qualitätsmanagement (QM), nicht mehr wegzudenken. Wichtig ist hierbei, dass Arbeitsabläufe der jeweiligen Einrichtung entsprechend auf die CPOE-Integration abgestimmt sind. CPOEs, die in den Verkehr gebracht werden, müssen als Medizinprodukte entsprechend dem Medizinproduktegesetz zertifiziert sein.
Die stetige Weiterentwicklung der Datenbanktechnologie und Software auf Basis der gesammelten Erfahrungen ist selbstverständlich. Sie ermöglicht die Verhinderung schwerwiegender Bestellfehler im Vergleich zur papierbasierten Verordnung. Entscheidend sind dabei immer die Funktionalität und Benutzerfreundlichkeit einer Software (Bates et al. 1999; Bates und Gawande 2003; Bates 2000; Dreischulte et al. 2016; Markert et al. 2009; Routledge 2012; Reinhardt et al. 2019).

Anforderungen an ein CPOE-Tool in der Hämatologie und Onkologie

2016 wurden von der Amerikanischen Gesellschaft für klinische Onkologie (ASCO) aktualisierte Empfehlungen für eine sichere Chemotherapiedurchführung herausgegeben (Neuss et al. 2016). Diese beinhalten umfangreiche Standards
  • zur Notwendigkeit des genauen Studiums der Klinik und des zu behandelnden Patienten,
  • zur richtigen Wahl des Therapieregimes,
  • zur mündlichen und schriftlichen Therapieaufklärung,
  • zur Therapiebestellung, Herstellung und bestmöglich vertragenen Therapiedurchführung.
Die Implementierung von CPOE-Systemen wird dabei ausdrücklich als bevorzugte Methode der Therapiebestellung herausgestellt. Als gute CPOE-Systeme wurden wiederholt solche definiert, die die folgenden wesentlichen Prinzipien gewährleisten (Gandhi et al. 2014; Markert et al. 2009; Reinhardt et al. 2019; https://archive.cancercare.on.ca/ocs/clinicalprogs/systemictreatment/st_cpoe_guidelines/):
  • Präzision
  • Standardisierung
  • Entscheidungshilfen
  • Flexibilität
  • Workflow-Integration
  • Sicherheit über Zweckmäßigkeit
  • Effizienz
  • Zuverlässigkeit
  • Benutzerfreundlichkeit

Analysepotenzial: Impact von CPOEs auf Arzneimitteltherapiesicherheit am Beispiel der Hämatologie und Onkologie

CPOEs werden insbesondere bei Chemotherapeutika eingesetzt, da diese aufgrund ihrer Komplexität anfällig für Medikationsirrtümer sind. Für die Auswertung von Verordnungsfehlern hat sich eine Einteilung in
  • Medikationsfehler (fehlerhafte Dosis, fehlerhafter Zyklusabstand, falsche/verwechselte Medikation, falscher Studienarm) und
  • administrative Fehler (z. B. fehlendes schriftliches Therapieeinverständnis des Patienten, falsche Station/Ort, wohin Chemotherapie gesandt wird)
bewährt. Medikationsfehler bei Arzneimitteltherapien, inkl. Chemotherapien, werden weltweit mit einer Rate von 4 % auftretend beschrieben, wobei diese durch effektive CPOEs auf 1–2 % bzw. durch zusätzliche Maßnahmen, wie ein Pharmakovigilanzteam, auf sogar noch geringere Fehlerraten von <0,1 % (Gandhi et al. 2014; Markert et al. 2009; Reinhardt et al. 2019) reduziert werden können.
Analysetools von CPOEs können auch dazu verwendet werden, den Einfluss elektronischer Therapiebestellungen mit anderen Zentren zu vergleichen: Vielfache Fragen können dadurch einfach beantwortet werden, wie:
  • Welche Fall- und Therapiesteigerungen sind pro Jahr zu verzeichnen?
  • Inwieweit sind Standards, Pathways und publikationskonforme Praktiken im Alltag umsetzbar?
  • Welche Kostenersparnis wird damit induziert?
Bei einer errechneten Kostenersparnis von 34 Euro pro Chemotherapiebestellung durch Fehlerreduktion mittels CPOE-Tool wären bei einem jährlichen Bestellvolumen von 10.000 Bestellungen Einsparungen von 340.000 Euro/Jahr oder 1,7 Mio. Euro/5 Jahre möglich (UKF-Daten und Rottenkolber et al. 2011; ermittelt aus Kosten stationärer/ambulanter Aufenthalte und Arzneimittelkosten potenzieller Fehler bei 17.496 Chemotherapiebestellungen 2017). Bei hohem Chemotherapie- und Patientenaufkommen und insbesondere über längere Zeitverläufe sind durch CPOEs somit enorme Kosteneinsparungen erreichbar (Gandhi et al. 2014; Markert et al. 2009; Nerich et al. 2013; Reinhardt et al. 2019). Auch bei maximaler Software-Optimierung eines CPOE-Tools ist zur effizienten Fehlervermeidung eine zusätzliche Kontrolle durch ein Pharmakovigilanzteam unerlässlich (Abb. 1).

Derzeit in Deutschland verfügbare Arten von CPOE für die Hämatologie und Onkologie

In Tab. 2 ist eine Übersicht gängiger in Deutschland verfügbarer CPOE-Systeme aufgeführt.
Tab. 2
Übersicht: Beispiele im deutschsprachigen Raum verfügbarer CPOE-Datenbanken
CPOE
Beschreibung
Vorteile
Nachteile
BD CatoTM
Software zur onkologischen Therapieplanung, Therapiebegleitung und Zytostatikaherstellung
• Barcode-Scanning-Technologien und Softwareprozess auf Basis von gravimetrischer Analyse, um potenzielle Medikationsfehler und Arzneimittelabfall zu reduzieren und gleichzeitig die Dokumentation des gesamten Herstellungsprozesses zu automatisieren
• GMP-Compliance-zertifiziert
• BD Cato™ Prescribe – für Ärzte und medizinisches Personal, zertifiziertes Medizinprodukt
Schnittstellen zu Krankenhausinformationssytemen vorhanden
• Etablierte Schnittstelle zum Import der Onkopti®-Protokolle (s. unten)
• Schnittstelle mit Apotheke entfällt
• Gravimetrische oder volumetrische Herstellung möglich
• Auch Taxierung möglich
• Kein mitgelieferter Protokollinhalt
Chemo Compile®
• Software zur Chemotherapieplanung und Verordnung
• Zertifiziertes Medizinprodukt
• Protokollinhalt: >600 praxiserprobte Chemotherapieprotokolle des Universitätsklinikums Freiburg integriert und regelmäßig aktualisiert (offizielle Software zum „Blauen Buch“, Springer Verlag, 7. Auflage 2020)
• Explizit auf Chemotherapiebestellung ausgelegt
• Regelmäßige Aktualisierung des integrierten Protokollinhalts
• Schnittstelle zu Krankenhausinformationssystemen, Apothekenherstellungsmodulen und Patientenverwaltungssystemen vorhanden (MeDoc®, Zenzy®, Meona®)
• Kein Herstellungsmodul vorhanden
Cypro®
• Herstellungs- und Verordnungssoftware mit hinterlegten Therapieschemata
• Kassenrezeptmodul zu Taxierung/Rezeptdruck/Rechnungswesen
• Direkter Zugriff auf Patientendaten und Verordnungen über zentrale SQL-Datenbank
• Gravimetrische, volumetrische oder teilvolumetrische Herstellung möglich
 
Onkopti®
• Inhalt: >1100 Protokolle; digitalisierte, relationale Therapieprotokoll-Datenbank im Internet, zentraler Server zum Protokoll-Download; Protokolle als PDF und online verfügbar; Export im XML-, json-Format, Export in MS-Excel-Anwendung „OptiTemplate“ für patientenindividuelle Therapie (zertifiziertes Medizinprodukt)
• Abgestimmte Schnittstelle mit BD Cato® (Therapieplanung und Zytostatikaherstellung, s. oben)
• Pädiatrische Protokolle vorhanden
• Kontinuierliche Ergänzung mit aktuellen Protokollen und Studien; nutzerspezifische Freigaben möglich
• OptiTemplate ohne Herstellungsmodul, noch keine Verbindung zu Krankenhausinformationssystem oder Praxissoftware
ZENZY®
• Apothekenherstellungssoftware, die um ein Bestellmodul erweitert wurde
• Schnittstelle mit Zytostatikaherstellung
• Schnittstelle mit SAP etc. möglich
• Kein mitgelieferter Protokollinhalt
Ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal ist der Schwerpunkt der Software: hier gibt es Software-Systeme, die in erster Linie zur Zytostatikaherstellung (z. B. Zenzy®) konzipiert wurden, und solche, die als Verordnungstool zur sicheren Chemotherapiebestellung ausgelegt sind. Das Vorhandensein von Protokollinhalten und Schnittstellen sowie Lizenzkosten sind weitere wichtige Kriterien, die bei der Anschaffung eines Softwaretools berücksichtigt werden sollten.

Einbindung eines CPOE in die klinische Praxis am Beispiel des Freiburger Chemotherapiemanagement-Systems

Das Freiburger Chemotherapiemanagement-System dient als perfektes Beispiel für die Einbindung eines CPOE in die klinische Praxis (Markert et al. 2009; Reinhardt et al. 2019). Das System besteht aus
  • einer Sammlung von derzeit >600 hämatologischen und onkologischen Standard- und Studienprotokollen (auch veröffentlicht in „Das Blaue Buch“, Engelhardt et al., Springer Verlag, 7. Auflage, 2020),
  • einem elektronischen Verordnungssystem (ChemoCompile®) und
  • Mehrfachkontrollen durch ein interdisziplinäres Team.
Die Entwicklung von ChemoCompile® in Kombination mit der Implementierung eines Pharmakovigilanzteams hat zur sicheren bzw. praktisch fehlerfreien Therapiebestellung und -applikation und damit zur entscheidenden Verbesserung der Qualitätssicherung beigetragen (>99,9 % der bestellten Chemotherapien kommen fehlerfrei beim Patienten an). Nach der vollständigen Aufklärung des Patienten über die geplante Chemotherapie sendet der zuständige Arzt die Chemotherapieanforderung durch ChemoCompile® gleichzeitig an die Apotheke sowie gemeinsam mit der Einverständniserklärung an die CCR-Group (Clinical Cancer Research Group = Pharmakovigilanzteam). Durch beide Instanzen folgt eine ausführliche Kontrolle der ärztlichen Verordnung (Abb. 2). Mit Unterstützung von ChemoCompile® wird die Plausibilität der Chemotherapieanforderung bezüglich Patientendaten, Substanzen, Zyklus, Dosierung und notwendigen Dosisanpassungen überprüft. Bei Unstimmigkeiten wird Rücksprache mit dem bestellenden Arzt, der Apotheke oder auch der Pflege gehalten. Entdeckte Fehler werden verhindert und zur späteren statistischen Auswertung verschlüsselt dokumentiert. Nach der durch die CCR-Group abgeschlossenen Kontrolle, generiert das System einen individuellen, tagesspezifischen Therapieplan („Kurvenblatt) des jeweiligen Patienten, auf dem ggf. Begleitmedikation und Hinweise durch die CCR-Group angepasst werden. Dieser wird auf dem lokalen Drucker der betreffenden Station bereitgestellt. Auf dem Kurvenblatt befinden sich die persönlichen Daten des jeweiligen Patienten (Name, Geburtsdatum, Größe, Gewicht, Serum-Kreatinin-Wert), Diagnose, die einzelnen Chemotherapeutika und Begleitmedikationen inklusive Dosierung und Applikationsart im zeitlichen Ablauf. Eventuelle Dosismodifikationen, therapiespezifische Hinweise und patientenbezogene Anmerkungen sind ebenfalls abgebildet. Kurz vor der Therapieapplikation findet eine finale Kontrolle und Freigabe der Chemotherapie durch den verantwortlichen Arzt statt (Markert et al. 2009; Reinhardt et al. 2019).

BD CatoTM

Dieses Programm besteht aus den folgenden Teilen:
  • BD Cato™ Prescribe – für Ärzte und medizinisches Personal
  • BD Cato™ Pharmacy – für pharmazeutisches Fachpersonal
  • BD Cato™ DataManager – zweckneutrale Datenerfassung, Administration und Auswertung
In BD CatoTM können Chemotherapieprotokolle nach einem vordefinierten Schema eingegeben und für die individuelle Patiententherapie verwendet werden. Mit BD CatoTM ist es möglich, den kompletten Workflow von der Verordnung am Arztarbeitsplatz, über die Apotheke, Abrechnung und zurück zur Station oder Ambulanz elektronisch in einem System darzustellen. BD Cato™ verfügt über Schnittstellen zu verschiedenen Krankenhausinformationssystemen zur Übernahme von Patientendaten. Die Anwendung am Patienten kann über Scanner dokumentiert werden.

Onkopti®

Die Datenbank Onkopti® (www.onkopti.de) bietet Standards für onkologische Therapien, inklusive der Supportivtherapie. Aktuelle Leitlinien der onkologischen Therapie und Supportivtherapie sind in Onkopti®-Protokolle integriert. Über 1100 Protokolle zur Therapie von soliden Tumoren und hämatologischen Neoplasien (z. B. ALL) stehen zur Verfügung (Stand 12/2018). Die Protokolle enthalten Informationen zur Toxizität, Zubereitung, Applikation und zu notwendigen Kontrollen, Empfehlungen von Fachgesellschaften und mit PubMed verlinkte Literaturzitate. Onkopti®-Protokolle werden kontinuierlich ergänzt und aktualisiert. Ein multidisziplinäres Expertenteam erstellt und überprüft die Protokolle.

Analyse der Originalpublikation, Datenbank

Die Grundidee der Protokollgenerierung ist, dass onkologische Protokolle nach einem ähnlichen Prinzip aufgebaut und gegliedert sind. Dementsprechend kann ein standardisiertes Raster vorgegeben werden, nach dem alle Publikationen von Protokollen analysiert und segmentiert werden können. Dies sind ca. 30 verschiedene Segmente (Basistabellen), wie
  • Indikationen,
  • Wirkstoffe,
  • Applikationsarten,
  • Toxizität,
  • Literaturreferenz mit Verlinkung,
  • Supportiv- und Begleittherapien,
  • Empfehlung durch Fachgesellschaft sowie
  • Angaben zur zeitlichen Abfolge und Wiederholung.
Pro Basistabelle bzw. Segment ist die Anzahl der potenziellen Angaben endlich, sodass es möglich ist, diese in einer Datenbank standardisiert zu verwalten. Alle Bereiche der Datenbank können bei Bedarf um neue Definitionen ergänzt werden. Somit sind alle erforderlichen Segmente aller potenziellen Protokolle gespeichert (Tab. 3).
Tab. 3
Segmente von Onkopti®-Protokollen
Applikationsart
Hilfetexte
Literaturreferenzen
Risikoskala
Therapiemodus
Zugangsart
Einheit, Dosierung
Intervalle
Modultyp
Stoffgruppe
Therapieintensität
ICD-Gruppe
Empfehlung
Kontrollen
Protokollgruppe
Substanzen
Therapieintention
ICD-Codes
Empfehlungstyp
Links
Protokollklassifikation
Substanzklasse
Therapiephase
MeSH-Codes
Erkrankung
Linktyp
Risikoklasse
Sonstige Texte
Trägerlösung
ATC-Codes
Die Daten von Wirkstoffen, Erkrankungen, Applikationsarten, Anwendergruppen etc. sind definiert und ggf. auch im Autorenbereich zu weiteren hilfreichen externen Datenbanken verlinkt. Die relevanten Publikationen aus Peer-Review-Journalen werden je nach Protokoll als Internetadresse zu PubMed oder der Originalpublikation verlinkt und vom Volltext als Basis für die Protokollerstellung verwendet. Abstracts von Kongresspublikationen werden nur im Ausnahmefall, z. B. bei aktuellen und wichtigen Neuigkeiten, verwendet. Die Basis von Onkopti® ist eine relationale SQL-Datenbank, die vom Fraunhofer-Institut IESE in Kaiserslautern programmiert wurde und kontinuierlich in Kooperation mit dem klinischen Onkopti®-Team weiterentwickelt wird. Der Prozess der Protokollentwicklung mit der Onkopti®-Datenbank lässt sich somit in mehrere Abschnitte gliedern:
1.
Auswahl der Protokolle aus Originalpublikationen
 
2.
Standardisierte Analyse der Originalpublikation nach der vordefinierten Gliederung von Onkopti®
 
3.
Erstellung des digitalen Protokolls aus den Elementen der Datenbank
 
4.
Abschließende Review-Prozesse und Freigabe
 
5.
Export der digitalisierten Protokolle in Software zur Verordnung und Zytostatikaherstellung, in CPOE, Krankenhausinformations- und andere Systeme
 

Protokollexport

Onkopti® bietet die Möglichkeit, die vorgegebenen Protokolle digitalisiert in andere Systeme im XML-, json-Format oder anderen Formaten zu exportieren.

Export in die MS-Excel Anwendung „OptiTemplate“

Onkopti® stellt die Vorlage „OptiTemplate“ im Microsoft-Excel-Format zur Verfügung. Mit dieser können exportierte Onkopti®-Protokolle für die individuelle Therapie von Patienten verwendet werden, wenn die erforderlichen Daten wie Geburtsdatum, Größe, Gewicht, Termine eingetragen sind. Es werden für den Patienten Übersichten und Tagesprotokolle in MS-Excel für die weitere Verordnung und Therapiedurchführung erstellt.

Export in BD CatoTM

Mit einer Download-Variante können komplette Onkopti®-Protokolle in das Softwareprogramm BD CatoTM (www.cato.eu) exportiert werden. Onkopti® verfügt über eine Schnittstelle, mit der standardisierte Onkopti®-Protokolle einschließlich aller Angaben in BD CatoTM für die weitere Therapieplanung und individuelle Verordnung eingelesen werden können. Über die zwischen BD CatoTM und Onkopti® abgestimmten Schnittstellen können Onkopti®-Protokolle einzeln oder insgesamt in BD CatoTM importiert werden. Somit entfallen für die Anwender zeitaufwendige Protokollrecherche, Analyse und manuelle Anlage von Protokollen.
In Kombination mit Onkopti® können aktuelle Protokollschemata in BD Cato™ genutzt und für die patientenindividuelle Therapie des Patienten verwendet werden. Im Westpfalz-Klinikum Kaiserslautern, der Universitätsmedizin Mainz und anderen Kliniken wird dieses System genutzt.

Ausblick und Fazit

Momentan wird auch unter Verwendung der verfügbaren CPOE-Systeme für Klinik und Praxis (ChemoCompile®, BD CatoTM, ZENZY®, Cypro®, Onkopti® etc.) häufig noch papierbasiert gearbeitet, d. h., es werden Ausdrucke erstellt, auf denen die Therapie durch Pflege und Ärzte handschriftlich dokumentiert wird (Bates et al. 1999; Bates und Gawande 2003; Bates 2000; Dreischulte et al. 2016; Markert et al. 2009; Routledge 2012; Reinhardt et al. 2019).
Zukünftig wird angestrebt, dass CPOEs die gesamte Therapieplanung, -bestellung und -applikation in einem vollelektronischen System, ohne Papierausdrucke, abbilden. Dafür ist es wichtig, bei separaten Apothekenverwaltungs- und -herstellungssoftwarelösungen oder gesonderten Befund- und Medikationsprogrammen (Medoc®, Meona® etc.) zukünftig Schnittstellen zu implementieren, um die reibungslose automatische Übertragung von relevanten digitalisierten Daten in diese Systeme sicherzustellen.
Zudem sind Fehler-Ursachen-Analysen zur kontinuierlichen Systemverbesserung essenziell. Hierzu ist es wichtig, dass die „User“, d. h. Ärzte, Apotheker und Pflege, regelmäßig geschult und das CPOE kontinuierlich weiterentwickelt werden, um die perfekte und sichere Anwendung des elektronischen Bestellsystems zu gewährleisten. Dadurch können Fehler, aber auch „Overalerting“ effektiv verhindert werden.
Insgesamt stellen CPOEs einen bedeutenden Schritt zur erhöhten Arzneimitteltherapiesicherheit dar. Dabei sind verschiedene Systeme auf dem Markt, die je nach Bedarf der Klinik bzw. Einrichtung konzipiert, getestet und verwendet werden. Ein ideales System (benutzerfreundlich, inklusive „Clinical Decision Support“, aber dennoch simpel, papierlos, mit Protokollinhalt und Schnittstellen) bleibt mit kontinuierlichen Verbesserungs- und Adaptationsoptionen eine permanente Herausforderung. Die zusätzliche Kontrolle durch klinische Apotheker und/oder ein Pharmakovigilanzteam, wie am Universitätsklinikum Freiburg/CCCF vorhanden, ist nach wie vor wichtig und effektiv (Markert et al. 2009; Reinhardt et al. 2019).
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