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Prinzipien der Palliativmedizin in der Onkologie

Verfasst von: Ulrich Wedding und Bernd Alt-Epping
Palliativmedizin ist ein Ansatz zur Verbesserung der Lebensqualität von Patienten und ihren Familien, die mit Problemen konfrontiert sind, welche mit einer lebensbedrohlichen Erkrankung einhergehen (WHO-Definition). Wie dies bei Patienten mit einer nicht heilbaren Krebserkrankung umgesetzt werden kann, ist im Rahmen des Leitlinienprogramms Onkologie in der S3-Leitlinie Palliativmedizin konkretisiert worden. Zahlreiche Studien zeigen die Verbesserung von relevanten Endpunkten durch die frühzeitige Einbindung palliativer Betreuung in die onkologische Versorgung. Zunächst ist im Rahmen der allgemeinen Palliativversorgung der palliativmedizinische Versorgungsbedarf zu erfassen und bei Bedarf (schwere Symptome, komplexe Versorgung, instabile Erkrankungssituation, unklare Therapiezielfindung, komplexe Angehörigenkonstellation) spezialisierte Palliativversorgung einzubinden. Diese findet im stationären Setting durch palliativmedizinische Dienste oder Palliativstationen statt, im ambulanten Setting durch spezialisierte ambulante Palliativversorgung (SAPV).

Einleitung

Palliativmedizin ist ein Ansatz zur Verbesserung der Lebensqualität von Patienten und ihren Familien, die mit Problemen konfrontiert sind, welche mit einer lebensbedrohlichen Erkrankung einhergehen (WHO-Definition). Wie dies bei Patienten mit einer nicht heilbaren Krebserkrankung umgesetzt werden kann, ist im Rahmen des Leitlinienprogramms Onkologie in der S3-Leitlinie Palliativmedizin konkretisiert worden. Zahlreiche Studien zeigen die Verbesserung von relevanten Endpunkten durch die frühzeitige Einbindung palliativer Betreuung in die onkologische Versorgung. Zunächst ist im Rahmen der allgemeinen Palliativversorgung der palliativmedizinische Versorgungsbedarf zu erfassen und bei Bedarf (schwere Symptome, komplexe Versorgung, instabile Erkrankungssituation, unklare Therapiezielfindung, komplexe Angehörigenkonstellation) spezialisierte Palliativversorgung einzubinden. Diese findet im stationären Setting durch palliativmedizinische Dienste oder Palliativstationen statt, im ambulanten Setting durch spezialisierte ambulante Palliativversorgung (SAPV).

Definition

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) definiert Palliativmedizin wie folgt:
Palliativmedizin/Palliative Care ist ein Ansatz zur Verbesserung der Lebensqualität von Patienten und ihren Familien, die mit Problemen konfrontiert sind, welche mit einer lebensbedrohlichen Erkrankung einhergehen. Dies geschieht durch Vorbeugen und Lindern von Leiden durch frühzeitige Erkennung, sorgfältige Einschätzung und Behandlung von Schmerzen sowie anderen Problemen körperlicher, psychosozialer und spiritueller Art.
Palliativmedizin …
  • ermöglicht Linderung von Schmerzen und anderen belastenden Symptomen,
  • bejaht das Leben und erkennt Sterben als normalen Prozess an,
  • beabsichtigt weder die Beschleunigung noch Verzögerung des Todes,
  • integriert psychologische und spirituelle Aspekte der Betreuung,
  • bietet Unterstützung, um Patienten zu helfen, ihr Leben so aktiv wie möglich bis zum Tod zu gestalten,
  • bietet Angehörigen Unterstützung während der Erkrankung des Patienten und in der Trauerzeit,
  • beruht auf einem Teamansatz, um den Bedürfnissen der Patienten und ihrer Familien zu begegnen, auch durch Beratung in der Trauerzeit, falls notwendig,
  • fördert Lebensqualität und kann möglicherweise auch den Verlauf der Erkrankung positiv beeinflussen,
  • kommt frühzeitig im Krankheitsverlauf zur Anwendung, auch in Verbindung mit anderen Therapien, die eine Lebensverlängerung zum Ziel haben, wie zum Beispiel Chemotherapie oder Bestrahlung, und schließt Untersuchungen ein, die notwendig sind, um belastende Komplikationen besser zu verstehen und zu behandeln (WHO 2002).
Ziel qualifizierter onkologischer Versorgung ist es, Patienten mit Krebserkrankungen und ihren Angehörigen diese palliativmedizinischen Behandlungsmöglichkeiten zukommen zu lassen. Palliativmedizinische Versorgung ist daher eine wesentliche Aufgabe für onkologisch tätige Ärzte (Wedding 2019). Diese sehen nach einer Umfrage der European Society of Medical Oncology palliativmedizinische Mitbehandlung auch als eine wesentliche Aufgabe an (Cherny et al. 2003; Cherny 2010).

Hintergrund

Im Rahmen des Leitlinienprogramms Onkologie der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e. V. (AWMF), Deutschen Krebsgesellschaft e. V. (DKG) und Deutschen Krebshilfe (DKH) wurden neben den zahlreichen Leitlinien, die sich mit Krebserkrankungen unterschiedlicher Organe beschäftigen, Querschnittsleitlinien zu den Themen Palliativmedizin, supportive Therapie und Psychoonkologie erstellt. Federführende Fachgesellschaft für die S3-Leitlinie „Palliativmedizin für Patienten mit einer nicht heilbaren Krebserkrankung“ (kurz: Leitlinie Palliativmedizin) ist die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP). Die Langversion ist verfügbar unter anderem über die AWMF unter www.leitlinien.net.
Die Leitlinie Palliativmedizin soll für alle Versorgungsbereiche Gültigkeit haben. Das schließt den stationären und ambulanten Versorgungsbereich ein sowie die allgemeine und spezialisierte Palliativversorgung.
Die S3-Leitlinie Palliativmedizin (Leitlinienprogramm Onkologie 2020) ist wesentliche Grundlage für die weiteren Darstellungen in diesem Kapitel. Weitere Grundlagen einer flächendeckenden Etablierung der Hospiz- und Palliativversorgung in Deutschland ist die Charta zur Betreuung Schwerstkranker und Sterbender (www.charta-zur-betreuung-sterbender.de). Zwischen supportiver Therapie, Psychoonkologie und Palliativmedizin bei onkologischen Patienten gibt es breite Überschneidungen (Wedding 2014). Letztlich ist innerhalb der jeweiligen Versorgungsstruktur zu organisieren, welcher Part der Versorgung durch wen übernommen wird.

Historische Entwicklung

Die Entwicklung der Palliativmedizin in der Neuzeit hat wesentliche Wurzeln in England und in Kanada. Der Aufbau entsprechender Strukturen in Deutschland begann verzögert, aber hat insbesondere in den 2010er-Jahren deutlich zugenommen. Ein wesentliches Element beim Aufbau der Hospiz- und Palliativversorgung war und ist das bürgerschaftliche bzw. ehrenamtliche, auch pflegerisch-begleitend orientierte Engagement – der sog. Hospizbewegung. 1967 wurde das St. Christopher´s Hospice als erste spezialisierte Einrichtung für schwerst- und sterbenskranke Patienten in London von Dame Dr. Cicely Saunders eröffnet.
Der Begriff „Palliative Care“ wurde von dem kanadischen Arzt geprägt, um die Haltung und Grundsätze der Hospizbewegung im Kontext eines Krankenhaues umzusetzen.
In Deutschland eröffnet die erste Palliativstation im Jahr 1983 in Köln an der Chirurgischen Universitätsklinik. Das erste stationäre Hospiz in Deutschland wurde 1986 Haus Hörn in Aachen und das Hospiz zum Hl. Franziskus in Recklinghausen. Mittlerweile gibt es über 300 Palliativstationen, 200 stationäre Hospize, 1400 ambulante Hospizdienste, 300 SAPV-Teams und 50 multiprofessionelle Palliativdienste für stationäre Patienten. Eine aktuelle Übersicht bietet der Wegweiser Hospiz- und Palliativversorgung der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin (www.wegweiser-hospiz-palliativmedizin.de/).

Grundsätze der Palliativversorgung

Die S3-Leitlinie formuliert zunächst Grundsätze der Palliativversorgung, bevor sie auf einzelne Symptome, wie zum Beispiel Atemnot, Schmerzen, Übelkeit und Erbrechen, oder Behandlungssituationen, wie zum Beispiel Betreuung in der Sterbephase, eingeht. Als Grundsätze sind benannt:
  • „Palliativversorgung stellt die Lebensqualität der Patienten, die von einer nicht heilbaren Krebserkrankung betroffen sind, und ihrer Angehörigen in das Zentrum aller Bemühungen.
  • Die Palliativversorgung ist durch einen multiprofessionellen und interdisziplinären Ansatz gekennzeichnet.
  • Die in der Palliativversorgung Tätigen sollen sich durch eine Haltung auszeichnen, die den Patienten als Person in seiner physischen, psychischen, sozialen und spirituellen Dimension wahrnehmen und seine Angehörigen mit einbeziehen, wahrhaftig im Umgang mit den Betroffenen sind und Sterben und Tod als einen Teil des Lebens akzeptieren.
  • Die folgenden Grundsätze sollen bei der Palliativversorgung von Patienten mit einer nicht heilbaren Krebserkrankung Anwendung finden:
    1.
    die Berücksichtigung der und das Eingehen auf die Bedürfnisse des Patienten in allen vier Dimensionen (physisch, psychisch, sozial, spirituell);
     
    2.
    die Berücksichtigung von Patientenpräferenzen;
     
    3.
    die Bestimmung realistischer Therapieziele;
     
    4.
    die Kenntnis über Organisationsformen von Palliativversorgung;
     
    5.
    das Schaffen von Rahmenbedingungen, die die Intimität des Patienten respektieren.
     
  • Die folgenden Grundsätze sollen bei der palliativmedizinischen Symptomkontrolle bei Patienten mit einer nicht heilbaren Krebserkrankung Anwendung finden:
    1.
    die Durchführung einer angemessenen differenzialdiagnostischen Ursachenklärung des Symptoms zur zielgerichteten Therapie und Erfassung potenziell reversibler Ursachen;
     
    2.
    die Behandlung reversibler Ursachen, wenn möglich und angemessen;
     
    3.
    die Durchführung einer symptomatischen Therapie – alleine oder parallel zu einer ursächlichen Therapie;
     
    4.
    die Abwägung tumorspezifischer Maßnahmen (zum Beispiel Strahlentherapie, operative Verfahren, medikamentöse Tumortherapien) mit dem primären oder alleinigen Therapieziel der Symptomlinderung. Voraussetzung ist eine interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen den jeweiligen Fachbereichen und der Palliativmedizin;
     
    5.
    die Abwägung von Nutzen und Belastung der oben benannten Maßnahmen im offenen und ehrlichen Austausch mit dem Patienten und ggf. seinen Angehörigen.
     
  • Die folgenden Grundsätze sollen bei der Palliativversorgung von Angehörigen von Patienten mit einer nicht heilbaren Krebserkrankung Anwendung finden:
    1.
    die Berücksichtigung der und das Eingehen auf die Bedürfnisse und die Belastung der Angehörigen;
     
    2.
    die Bestimmung realistischer Ziele;
     
    3.
    die Kenntnis und Information über spezifische Unterstützungsangebote für Angehörige.
     
  • Die folgenden Grundsätze sollen für die in der Palliativversorgung von Patienten mit einer nicht heilbaren Krebserkrankung handelnden Personen Anwendung finden:
    1.
    die Bereitschaft, sich mit den eigenen Möglichkeiten und Grenzen in Bezug auf die Themen Sterben, Tod und Trauer auseinanderzusetzen und die eigene Endlichkeit bewusst zu reflektieren;
     
    2.
    die Nutzung eigener und angebotener Möglichkeiten der Salutogenese und Selbstfürsorge;
     
    3.
    die Bereitschaft, sich fachlich zu qualifizieren;
     
    4.
    das Schaffen von geeigneten Rahmenbedingungen durch Menschen in Leitungsfunktionen.“
     

Patienten in der Palliativsituation

Die WHO definiert Palliativmedizin als Versorgungsform für Patienten mit „lebensbedrohlicher“ Erkrankung. Im Kontext onkologischer Erkrankungen kann diese Versorgungsform auch für Patienten hilfreich sein, deren Erkrankung heilbar ist, bei denen aber ein krankheitsbedingt deutlich erhöhtes Sterberisiko vorliegt. In der Onkologie wird das Therapieziel der Heilung (= kuratives Therapieziel) als eine dauerhafte Erkrankungsfreiheit definiert. In Abgrenzung dazu stehen palliative Therapieziele als Ziele, die bei nicht heilbarer Erkrankung noch realisierbar sind. Allerdings sind kurative und palliative Behandlungssituationen nicht immer scharf abgrenzbar. Auch eine nicht heilbare, persistierende Krebserkrankung muss nicht lebenslimitierend sein (zum Beispiel die chronisch myeloische Leukämie [CML] oder das metastasierte Prostatakarzinom, wenn keine Komorbiditäten vorliegen), während manche heilbaren Krebserkrankungen ein hohes Mortalitätsrisiko aufweisen (zum Beispiel die akute myeloische Leukämie [AML]).
Die S3-Leitlinie Palliativmedizin führt aus: „Die Durchführung palliativer Tumortherapien bei Patienten mit einer nicht heilbaren Erkrankung mit dem primären Ziel der Lebensverlängerung und Verbesserung der Lebensqualität/Symptomkontrolle schließt eine zeitgleiche palliativmedizinische Versorgung nicht aus. Im Gegenteil sollten palliative Tumortherapien und Palliativversorgung parallel erfolgen“. Bei allen Patienten mit nicht heilbarer Krebserkrankung soll daher strukturiert und wiederholt erfasst werden, welchen palliativmedizinischen Betreuungsbedarf sie haben und welche Form der palliativen Versorgung (allgemein oder spezialisiert) sie benötigen (Abb. 1).

Surprise Question

Bei welchem Patienten sollten jedoch palliativmedizinische Belastungen erfasst und Aspekte des Lebensendes mit bedacht und angesprochen werden? Aus dem allgemeinärztlichen Kontext entstammt die sog. „surprise question“ (Hudson et al. 2018). Beantwortet der behandelnde Arzt die Frage „Würde es Sie überraschen, wenn dieser Patient innerhalb des nächsten Jahres sterben würde“ mit Nein, so sollte er auch palliativmedizinische Aspekte mit einbeziehen, mit allgemeiner oder bei Bedarf spezialisierter Unterstützung. Eine Metaanalyse bestätigt den prädiktiven Effekt der „surprise question“ (White et al. 2017). Auch innerhalb palliativmedizinischer Prognosescores ist die Arzteinschätzung der verbleibenden Lebenszeit der aussagekräftigste Bestandteil (Maltoni et al. 1999), allerdings ist hier der Zeithorizont nicht das letzte Lebensjahr, sondern die letzten Wochen bis Monate.

SPICT

Ein Instrument mit dem Bedarf für supportive bzw palliative Versorgung erfasst werden kann ist das Supportive and Palliative Care Indicators Tool (SPICTTM). SPICT ist ein Leitfaden zur Identifikation von Patienten, die von einer Palliativversorgung oder – allgemeiner – von mehr Unterstützung/Support profitieren können und bei denen ein palliativmedizinisches Basisassessment sowie eine palliativmedizinische Versorgungsplanung angezeigt sind. Es steht eine validierte deutschsprachige Übersetzung zur Verfügung (Afshar et al. 2018). Das Instrument ist nicht spezifisch für Patienten mit Krebserkrankungen, sondern führt allgemeine Indikatoren, die auf eine Verschlechterung des Gesundheitszustands hindeuten können, und spezielle Indikatoren auf, wenn Erkrankungen im fortgeschrittenen Stadium vorliegen. Für Krebserkrankungen sind genannt: „Progredienz mit zunehmender Symptomlast und funktionalen Einschränkungen“ sowie „Patient ist zu schwach für eine Tumortherapie bzw. primäres Ziel ist die Symptomkontrolle“.

Aufgaben der Palliativmedizin

Wesentliche Aufgaben der palliativmedizinischen Versorgung onkologischer Patienten sind:
  • Erfassen und Behandeln von Symptomen und Belastungen der Patienten
  • Unterstützen im Umgang mit der malignen Erkrankung
  • Festlegen von Therapiezielen
  • Vorausschauend Versorgung planen
  • Einbezug von Angehörigen
  • Unterstützung in der Trauerphase

Erfassen und Behandeln von Symptomen und Belastungen

Zu den Aufgaben der allgemeinen und der spezialisierten Palliativversorgung gehört die regelmäßige Erfassung von physischen Symptomen und psychosozialen Belastungen des Patienten.

Erfassen

Wo immer möglich soll dies im direkten Gespräch mit dem Patienten erfolgen. Es stehen verschiedene strukturierte und validierte Fragebögen zur Verfügung. Beschwerden können grunderkrankungs-, therapie- oder komorbiditätsbedingt sein. Eine diesbezügliche Differenzierung ist sinnvoll, wobei Überschneidungen möglich sind. Sie variieren zudem in Abhängigkeit der Krankheitsphase. Das heißt, zum Zeitpunkt der lokal oder regional begrenzten Erkrankung stehen andere Symptome im Vordergrund als in fortgeschrittener Erkrankungssituation oder in der Sterbephase.
MIDOS
Im deutschsprachigen Raum wird meist der MIDOS-Fragebogen genutzt (Radbruch et al. 2000; Stiel et al. 2010). Er enthält 10 spezielle Symptome (Schmerzen, Übelkeit, Erbrechen, Luftnot, Verstopfung, Schwäche, Appetitmangel, Müdigkeit, Depressivität und Angst), 2 individuell zu benennende Symptome, die jeweils in einer vierstufigen Skala erfasst werden, erfragt das aktuelle Befinden in einer fünfstufigen Skala und enthält ein Freitextfeld für Bemerkungen (https://www.hope-clara.de/download/HOPE2015Midos.pdf).
ESAS
International ist das Edmonton Symptom Assessment System (ESAS) der gebräuchlichste Fragebogen zur strukturierten Erfassung von Symptomen und Bedürfnissen (Hui und Bruera 2017). Er ist in über 20 Sprachen übersetzt, validiert für onkologische und palliativmedizinische Patienten, im ambulanten und stationären Setting, geeignet für einmalige Erhebungen und für Verlaufserhebungen. Klinisch relevante Unterschiede sind beschrieben. Damit ist er als ein „patient reported outcome measurement“ (PROM) nutzbar.
POS und IPOS
Die Palliative Outcome Scale (POS) wurde 1999 für den Einsatz bei Patienten mit fortgeschrittener Erkrankung entwickelt, um Ergebnisse der palliativmedizinischen Versorgung messbar zu machen. Eine Fortentwicklung stellt der integrierte POS (IPOS) dar. Die Instrumente stehen für die nicht kommerzielle Nutzung nach Anmeldung zur Verfügung (https://pos-pal.org/maix).
MIDOS, ESAS, POS/IPOS sind Instrumente zum Screening auf palliativmedizinisch relevante Symptome und psychosoziale Belastungen und können auch Teil eines umfassenden Basisassessments im Rahmen der spezialisierten Palliativversorgung sein.
Durch neue Techniken und Übertragungswege können Symptome durch den Patienten selbst strukturiert und wiederholt im Verlauf und unabhängig vom Setting erfasst werden. Auf diese Art gewonnene Selbsteinschätzungsdaten sind für die Arzt-Patienten-Kommunikation deutlich leichter verfügbar. In einer Studie von Basch et al. zeigte sich sogar eine substanzielle Verbesserung der Überlebenszeit onkologischer Patienten durch strukturierte elektronische Erfassung typischer Symptome der Erkrankung und der Therapie (Basch et al. 2017).
Palliativmedizinisches Basisassessment
Um den spezifischen Arbeitsaufwand, der für die umfassende Ersteinschätzung mit Anamnese, Umfeldanalyse und Erfassung der komplexen individuellen Lebenssituation im Rahmen einer qualifizierten palliativen Erhebung und Behandlungsplanung benötigt wird, angemessen beschreiben und abbilden zu können, ist der OPS-Code 1-774 definiert worden. Er setzt die Untersuchung in mindestens 5 Bereichen der Palliativversorgung, zum Beispiel Schmerzanamnese, Symptomintensität, Lebensqualität, Mobilität, Selbsthilfefähigkeit, Stimmung, Ernährung, soziale Situation, psychosoziale Belastetheit oder Alltagskompetenz voraus, die mit standardisierten Messverfahren untersucht werden. Details finden sich unter https://www.dgpalliativmedizin.de/category/3-pba-dokumentationshilfen.html.

Behandeln

Häufig werden besonders dann Symptome erkannt, wenn für diese definierte Behandlungskonzepte existieren. Patienten profitieren jedoch, wenn ihre Symptome erfasst werden, selbst wenn keine spezifische Behandlung dieser Symptome erfolgt (Velikova et al. 2004).
Die S3-Leitlinie hat für die Behandlung von Symptomen die folgenden allgemeinen Grundsätze formuliert:
1.
„die Durchführung einer angemessenen differenzialdiagnostischen Ursachenklärung des Symptoms zur zielgerichteten Therapie und Erfassung potenziell reversibler Ursachen;
 
2.
die Behandlung reversibler Ursachen, wenn möglich und angemessen;
 
3.
die Durchführung einer symptomatischen Therapie – alleine oder parallel zu einer ursächlichen Therapie;
 
4.
die Abwägung tumorspezifischer Maßnahmen (zum Beispiel Strahlentherapie, operative Verfahren, medikamentöse Tumortherapien) mit dem primären oder alleinigen Therapieziel der Symptomlinderung. Voraussetzung ist eine interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen den jeweiligen Fachbereichen und der Palliativmedizin;
 
5.
die Abwägung von Nutzen und Belastung der oben benannten Maßnahmen im offenen und ehrlichen Austausch mit dem Patienten und ggf. seinen Angehörigen.“
 
Darüber hinaus sollen im folgenden Abschnitt Hinweise auf die Behandlung einiger typischer Symptome gegeben werden, deren eigentliche Therapie ist aber der jeweiligen Fachliteratur oder den angegebenen Referenzen zu entnehmen. Insbesondere wird auf Empfehlungen der S3-Leitlinie Palliativmedizin und von Standard Operating Procedures (SOPs), die durch die Arbeitsgemeinschaft Palliativmedizin der von der Deutschen Krebshilfe (DKH) geförderten Comprehensive Cancer Centres (CCC) erstellt wurden, verwiesen. Im klinischen Alltag ist die Einbindung von spezialisierter Palliativversorgung möglichst frühzeitig im Verlauf einer fortgeschrittenen Krebserkrankung zu empfehlen.
Beispiel: Schmerzen
Innerhalb des Kompendium internistische Onkologie gibt es ein eigenes Kapitel zum Thema Behandlung von Tumorschmerzen (s. Kap. „Schmerztherapie“). Zudem ist die Behandlung von Schmerzen in der S3-Leitlinie Palliativmedizin und in SOPs dargestellt (Viehrig et al. 2018). Es wird hier daher auf eine nähere Darstellung verzichtet.
Beispiel: Dyspnoe
Die S3-Leitlinie Palliativmedizin und die SOPs stellen die symptomorientierte Behandlung der Dyspnoe dar (Rosenbruch et al. 2018). Es sollen daher nur wesentliche Grundzüge erwähnt werden.
Atemnot ist ein häufiges und belastendes Symptom. Sie ist ein subjektives Gefühl und korreliert nur schwach mit dem Sauerstoffpartialdruck. Als refraktär wird sie bezeichnet, wenn sie sich auf die Therapie der Grunderkrankung hin nicht bessert. Grundsätzlich wird eine kontinuierliche Atemnot von sog. Atemnotattacken unterschieden, die Sekunden bis Stunden dauern und unabhängig von der kontinuierlichen Atemnot auftreten können. Anamnestisch sollte nach typisches Auslösern gefragt werden, wie zum Beispiel körperliche Belastungen, oder wiederkehrende emotionale Situationen. Die Häufigkeit von Atemnotepisoden schwankt in Abhängigkeit von der Grunderkrankung, zum Beispiel häufiger bei Patienten mit Bronchialkarzinom, und der Krankheitsphase, zum Beispiel häufiger in fortgeschrittener Krankheitsphase. Nicht selten ist Atemnot sehr angstbesetzt und nicht selten ein Teufelskreis aus Dyspnoe und Angst, die wiederum Dyspnoe verstärkt. Zudem ist Atemnot ebenfalls belastend für Angehörige und Behandler. Entsprechend der S3-Leitlinie Palliativmedizin sollte die ausführliche Beurteilung der Atemnot in 3 Dimensionen erfolgen:
  • Sensorisches Erleben: Intensität/Schweregrad der Atemnot
  • Emotionale Belastung: unangenehmes Gefühl durch Atemnot
  • Beeinträchtigung im Alltag durch die Atemnot
Im Rahmen der medikamentösen symptomatischen Therapie der Atemnot sind Opioide Mittel der Wahl. Wichtig war den Autoren der Leitlinie der Hinweis, dass eine lege artis durchgeführte Therapie der Atemnot mit Opioiden nicht zu einer klinisch relevanten Atemdepression führt. Die Gabe von Morphin ist durch entsprechende randomisierte Studien und systematische Reviews auf Cochrane Niveau abgesichert (Jennings et al. 2001; Abernethy et al. 2003). Der Wirkmechanismus der Opioide ist nicht vollständig geklärt. Im Vergleich zur Schmerztherapie sind in der Regel niedrigere Dosen erforderlich. Die Wirkung anderer Opioide als Morphin in der Behandlung der Atemnot ist nur wenig untersucht; dennoch dürfte ein Substanzgruppeneffekt vorhanden sein. Der Effekt von Benzodiazepinen ist deutlich geringer. Sie können bei Versagen von Opioiden oder bei gleichzeitiger Angst und Panik eingesetzt werden. Die Behandlung mit Steroiden wird lediglich bei Patienten mit Lymphangiosis carcinomatosa und bei Patienten mit obstruktiver Ventilationsstörung als sinnvoll erachtet. Als nicht medikamentöse Maßnahmen wird unter anderem der Einsatz von Handventilatoren empfohlen, deren auf das Gesicht gerichteter Luftzug zu einer subjektiven Beschwerdebesserung führen kann (Bausewein et al. 2010). Sauerstoff führte in einer randomisierten Studie bei normoxämischen Patienten nicht zu einer relevanten Besserung der Atemnot im Vergleich zu Raumluft (Abernethy et al. 2010). Der Einsatz von Sauerstoff bei normoxämischen Patienten wird daher zurückhaltend gesehen.
Beispiel: Übelkeit und Erbrechen
Die S3-Leitlinie Palliativmedizin gibt umfassende Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie von Übelkeit und Erbrechen, soweit diese Symptome nicht auf die tumorspezifische Therapie zurückzuführen sind (vgl. auch Thuss-Patience et al. 2018). Einige wenige wesentliche Empfehlungen seien hier zusammenfassend dargestellt:
  • Obwohl Übelkeit und Erbrechen zwei eigenständige Symptome sind, werden sie häufig nicht getrennt voneinander erfasst. Die Angaben zur Häufigkeit in palliativer Behandlungssituation schwanken sehr. Die subjektive Belastung ist sehr unterschiedlich, so kann Übelkeit auch als belastender als Erbrechen wahrgenommen werden. Ebenso kann sich die die Wahrnehmung der Belastung durch Dritte unterscheiden. Die Ursachen von Übelkeit sind insgesamt vielfältig: Medikamente (zum Beispiel Opioide vor allem in der Einstellungsphase) oder andere toxische Substanzen, metabolische, gastrointestinale und zentrale Störungen sowie eine psychische Genese können zur Entstehung von Übelkeit beitragen. Die multifaktorielle Genese ist eher Regel als Ausnahme, eine eindeutige Zuordnung oft nicht möglich. Pathophysiologisch können vielfältige Strukturen und Transmitter involviert sein.
  • Sowohl nicht medikamentöse als auch medikamentöse Maßnahmen sind therapeutisch sinnvoll und kombinierbar. Medikamentös sollte eine Therapie erfolgen, die sich an der wahrscheinlichen Ätiologie der Übelkeit und des Erbrechens ausrichtet. Zur unterschiedlichen Rezeptoraffinität der Substanzen wird an dieser Stelle auf die S3-Leitlinie verwiesen.
Beispiel: Inappetenz und Kachexie
Fragen der Ernährung, der ungewollten Gewichtsabnahme, des Stellenwerts von Diäten etc. sind Themen, die Patienten mit Krebserkrankungen und ihre Angehörigen häufig beschäftigen. Ein Screening zur Ernährungssituation sollte daher regelhaft Bestandteil onkologischer Konsultationen sein. Es stehen unterschiedliche Instrumente zu Verfügung. Fearon et al. unterscheiden 3 Stadien der Kachexie: die Präkachexie, die Kachexie und die refraktäre Kachexie. Therapeutische Interventionen sollten stadienabhängig erfolgen (Fearon et al. 2011). Ernährungstherapeutische Ansätze sind an andere Stelle im Kompendium internistische Onkologie detailliert dargestellt (vgl. auch Arends et al. 2017; Eschbach et al. 2018).
Beispiel: Maligne intestinale Obstruktion (MIO)
Die S3-Leitlinie Palliativmedizin gibt umfassende Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie der malignen intestinalen Obstruktion (MIO; vgl. auch Ettrich et al. 2018). MIO ist das Vorliegen eines gastrointestinalen Verschlusses aufgrund eines intraabdominalen Tumors oder einer intraperitonealen Metastasierung. Die maligne gastrointestinale Obstruktion kann komplett oder inkomplett sein. Alternativ werden die Termini Ileus oder Subileus verwendet. Es wird zwischen einer mechanischen und nicht mechanischen Obstruktion und bei der mechanischen Obstruktion zwischen einer kompletten oder inkompletten und einer uni- und multilokulären MIO unterschieden.
Ursachen und pathogenetische Faktoren der gastrointestinalen Obstruktion sind:
  • Druck auf das Darmlumen von außen: Primärtumor, Metastasen, Adhäsionen, radiogene Fibrose
  • Intraluminaler Verschluss des Darms
  • Tumorinfiltration der intestinalen Muskulatur und dadurch Starre der Darmwand
  • Motilitätsstörungen des Darms, hervorgerufen durch Tumorinfiltration in das Mesenterium, den Plexus coeliacus oder andere Nervenstrukturen
  • Ausgeprägte Obstipation durch potenziell motilitätshemmende Medikamente: Opioide, Anticholinergika
Häufig liegt eine Kombination verschiedener Ursachen vor. Führende Symptome sind Erbrechen, Schmerzen und Blähungen, die sich je nach führender Höhenlokalisation unterscheiden können. Stuhlgang bis hin zu paradoxen Diarrhoen ist kein Ausschluss einer MIO. Anders als beim ischämiebedingten Ileus entwickelt sich die Symptomatik häufig über Tage bis Wochen. Die S3-Leitlinie führt aus: Eine CT-Untersuchung des Abdomens und Beckens soll zur Abklärung einer möglichen MIO bei Patienten mit einer nicht heilbaren Krebserkrankung durchgeführt werden, wenn operative, systemtherapeutische oder interventionelle Maßnahmen in Erwägung gezogen werden oder wenn die bildgebend zur Diagnosestellung und Entscheidungsfindung mit dem Patienten erforderlich ist. Die therapeutischen Möglichkeiten sind vielfältig. In manchen Fällen kann eine operative Entlassung erfolgen, gelegentlich ist eine Stenteinlage möglich. Eine nasogastrale Sonde oder eine PEG können häufig von belastenden Symptomen entlasten. Die Indikation zu einer parenteralen Ernährung unterscheidet sich hier zum Beispiel von der bei Vorliegen einer tumorbedingten Kachexie ohne MIO.
Beispiel: Fatigue
Die S3-Leitlinie Palliativmedizin gibt umfassende Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie der Fatigue (vgl. auch Cuhls et al. 2018). Innerhalb des Kompendium internistische Onkologie gibt es ein eigenes Kapitel zum Thema Behandlung der Fatigue (s. Kap. „Das Tumorerschöpfungssyndrom“).
Beispiel: Depression und Angst
Die S3-Leitlinie Palliativmedizin gibt umfassende Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie der Depression (vgl. auch Schwartz et al. 2018). Als wichtigste Risikofaktoren für das Entstehen einer Depression bei Patienten mit Krebserkrankungen werden genannt:
  • Depressionen in der Eigen- oder Familienanamnese
  • Gleichzeitige Belastungsfaktoren (wie aktuelle Verlusterlebnisse)
  • Fehlende soziale Unterstützung
  • Jüngeres Alter
  • Fortgeschrittene Erkrankung bei Diagnosestellung
  • Unzureichende Symptomkontrolle
  • Reduzierter körperlicher Funktionsstatus
Die Abgrenzung von Depressionen im psychopathologischen Sinn von depressiven Stimmungen, Trauerreaktionen oder Anpassungsstörungen sind im Kontext fortgeschrittener Krebserkrankungen nicht leicht. Auch die differenzialdiagnostische Abgrenzung zu Fatigue, hypoaktivem Delir, Demenz oder Parkinsonoid kann mitunter schwierig sein.
Um auf das Vorliegen einer Depression zu screenen, kann das sog. 2-Fragen-Screening eingesetzt werden (Whooley et al. 1997):
  • Fühlten Sie sich im letzten Monat häufig niedergeschlagen, traurig bedrückt oder hoffnungslos?
  • Hatten Sie im letzten Monat deutlich weniger Lust und Freude an Dingen, die Sie sonst gerne tun?
Sollten beide Fragen mit Ja beantwortet werden, so sollten weitere Untersuchungen zur Abklärung, ob eine Depression vorliegt (Haupt- und Nebenkriterien), erfolgen.
Die S3-Leitlinie empfiehlt für folgende Situation die Einbindung eines psychiatrischen/psychotherapeutischen Experten:
  • Bei Unsicherheit in der Diagnose sowie in der Behandlungsplanung der Depression
  • Bei einer komplexen psychiatrischen Vorgeschichte bzw. Symptomatik
  • Bei einer schweren depressiven Symptomatik mit psychotischen Symptomen oder depressivem Stupor
  • Bei akuter Suizidalität
  • Bei Fremdgefährdung
  • Bei Nichtansprechen auf die antidepressive Therapie
Beispiel: Palliative Sedierung
Sollte mit konventionellen therapeutischen Maßnahmen eine ausreichende Symptomkontrolle nicht möglich sein oder die akute Situation keine Zeit für andere Maßnahmen lassen, so kann eine palliative Sedierung mit dem Ziel der Symptomverbesserung eingesetzt werden.
Unter einer therapeutischen (oder palliativen) Sedierung wird im palliativmedizinischen Kontext der überwachte Einsatz von Medikamenten mit dem Ziel einer verminderten oder aufgehobenen Bewusstseinslage (Bewusstlosigkeit) verstanden, um die Symptomlast in anderweitig therapierefraktären Situationen in einer für Patienten akzeptablen Weise zu reduzieren (Cherny et al. 2009).
Dabei geht es um sehr verschiedenartige (und auch ethisch divergent zu bewertende) Situationen: Neben kurzfristigen Sedierungsmaßnahmen bei belastenden Interventionen oder zur Erholung von belastenden Zuständen („respite sedation“) werden Sedativa in der Palliativmedizin auch in der Entwöhnung von Beatmung am Lebensende („terminal weaning“), zur Behandlung anderweitig refraktärer Symptome in der Finalphase oder in Notfallsituationen eingesetzt.
In der ethischen Diskussion steht die Sedierung vor allem bei zugrunde liegendem psychischen oder existenziellen Leid, bei refraktärer Symptomatik im früheren (nicht sterbenahen) Erkrankungsverlauf oder bei nicht zustimmungsfähigen Patienten. Angefacht wird die Diskussion zudem durch Praktiken in den Beneluxstaaten, wo auch das Konzept einer rasch eskalierenden, sehr tiefen Sedierung zum Einsatz kommt, sodass der Patient zeitnah verstirbt, und man unterstellen muss, dass die Intention eher in der Beschleunigung des Todes als in der Symptomkontrolle liegt („deep continuous sedation until death“).
Wenn sich ein Patient nicht im Sterbeprozess selbst befindet und zur Symptomlinderung sediert werden soll und will, dann müssen konsequenterweise alle Maßnahmen ergriffen werden, die nötig sind, dass nicht die Sedierung selbst das Leben schneller beendet, als es die Erkrankung getan hätte. Dies betrifft die Überwachung der Vitalfunktionen (Kreislauf, Ventilation, Tiefe der Bewusstlosigkeit), aber letztlich auch die Frage nach (künstlicher) Flüssigkeitszufuhr. Unter den Fachgesellschaften (AEM, DGP, EAPC) gibt es divergente Auffassungen, ob ein Monitoring oder eine Flüssigkeits- und Nahrungssubstitution eines sedierten und vormals noch selbstständig essenden Patienten obligat oder nur fakultativ sein soll (Cherny et al. 2009; Alt-Epping et al. 2010; Neitzke 2010).
Bei der palliativen Sedierung kommen diverse Benzodiazepine verschiedener Applikationsformen zum Einsatz, selten auch Propofol, meist in Kombination mit einem Stufe-III-Opioid im Sinne einer Analgosedierung und meistens als kontinuierliche i. v.-Gabe/Perfusor.
Eine palliative Sedierung sollte gut überdacht sein, im Team, mit dem Patienten und den Angehörigen gut erörtert werden, das Ziel der Symptomkontrolle sollte klargestellt werden und zwischenzeitliches Abstellen des Perfusors mit Aufwachen (intermittierende Sedierung) zumindest initial angestrebt werden. Die Sedierungstiefe und das Vorgehen bei unerwarteten Komplikationen muss im Vorfeld festgelegt werden.
Insofern stellt die palliative Sedierung ein wirksames und wichtiges Vorgehen in der Palliativsituation dar, deren ethische Vertretbarkeit wesentlich von den medizinischen Rahmenbedingungen, von der Art der Durchführung als auch vor allem von der Art der Ausgestaltung abhängt (Alt-Epping und Nauck 2019).

Unterstützen im Umgang mit der malignen Erkrankung

Der behandelnde Arzt und das betreuende Team sind für den Patienten wesentliche Unterstützer im Umgang mit der Erkrankung in fortgeschrittener Situation. Zahlreiche Studien haben gezeigt, dass zum einen Ärzte zurückhaltend sind, ihre Patienten realistisch über die Erkrankungssituation zu informieren, dass sie als einen wichtigen Grund nennen, Hoffnung nicht zerstören zu wollen (Enzinger et al. 2015), dass Patienten aber ehrlich über die Erkrankung informiert werden und gleichzeitig Hoffnung vermittelt bekommen wollen (Hagerty et al. 2005).

Festlegen von Therapiezielen

Die Festlegung eines Therapieziels ist zentraler Bestandteil der Indikationsstellung und geht der Therapie voraus. Das Therapieziel wird zum einen aufgrund der Art der Erkrankung, des Stadiums, der prognostischen Faktoren und der gesamtgesundheitlichen Situation des Patienten festgelegt, zum anderen aufgrund des – nach dem aktuellen Stand des medizinischen Wissens mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit – in dieser Situation durch eine Therapie erreichbaren Ziels. Von einem kurativen Behandlungsziel spricht man, wenn die Erkrankung durch therapeutische Maßnahmen geheilt werden kann, im Sinne einer dauerhaften Erkrankungsfreiheit ohne Therapie. Kann eine Erkrankung nicht geheilt werden, treten andere Therapieziele in den Vordergrund.
Therapieziele in einer inkurablen Erkrankungssituation:
  • Lebensverlängerung
  • Erhalt / Wiederherstellung der Lebensqualität / Verlängerung der symptomfreien Zeit
  • Würdiges Sterben
Die genannten Ziele schließen sich gegenseitig nicht aus. Allerdings sollte das im Vordergrund stehende Therapieziel benannt und im Verlauf einer Therapie regelmäßig bewertet werden, ob das Ziel noch erreicht werden kann oder ob eine Änderung des Therapieziels und der Therapie erforderlich ist. Die Festlegung eines Therapieziels ist eines der Aspekte der Indikationsstellung.

Indikation

Im Rahmen der Indikation ist zu differenzieren zwischen
  • der Indikationsstellung, die durch eine Person, meist den Arzt erfolgt,
  • den Regeln, auf denen sie basiert und die sich auf den Zustand des Patienten beziehen und
  • dem Indikationsgebiet, das sich auf ein medizinisches Gebiet bezieht.
Wiesing schlägt folgende Definition der Indikationsstellung vor (Wiesing 2017): „Eine Indikationsstellung ist ein fachliches Urteil im Einzelfall, initiiert durch den (mutmaßlichen) Willen des Patienten, normiert durch die ethischen Prinzipien „nutzen“ und „nicht schaden“ und basierend auf vergleichenden Prognosen zwischen dem unbehandelten Verlauf eines Leidens und der Wirksamkeit von Interventionen. Sie ist eine Empfehlung an den Patienten und eine professionelle Selbstnormierung des Arztes.“ Die hierfür notwendigen Indikationsregeln und -gebiete werden durch Leitlinien formuliert, wie z. B. im Rahmen des Leitlinienprogramms Onkologie.

Patientenwillen

Neben der Indikation basiert die Therapieentscheidung auf dem Patientenwillen. Besteht die Indikation zur Durchführung einer Therapie, so darf diese nur durchgeführt werden, wenn der Patient dies will.
Indikation – und damit das Therapieziel – und Patientenwillen bedürfen im Verlauf der regelmäßigen Überprüfung. Sowohl eine nicht mehr indizierte Maßnahme als auch eine vom Patientenwillen nicht mehr gedeckte Maßnahme sind zu beenden. Die S3-Leitlinie Palliativmedizin widmet in ihrer 2019 aktualisierten Fassung ein eigenes Kapitel dem Thema Therapiezielfindung und Therapiebegrenzung.

Vorausschauend Versorgung planen

Eine wesentliche Aufgabe palliativmedizinischer Betreuung ist die vorausschauende Versorgungsplanung (Brinkman-Stoppelenburg et al. 2014). Hierzu gibt es einen gesonderten Beitrag von Schildmann in diesem Kompendium (s. Kap. „Advance Care Planning in der Onkologie. Ein Beitrag aus klinisch-ethischer Perspektive“). Darüber hinaus sei auf die Hinweise der Bundesärztekammer zum Umgang mit Patientenverfügungen verwiesen (Bundesärztekammer 2018).

Einbezug von Angehörigen

Die umfassende Unterstützung nicht nur der Patienten, sondern auch ihres sozialen Umfeldes, das heißt ihrer Angehörigen, gehört zum Grundverständnis der Palliativversorgung. Angehörige stellen einerseits als zentrale Bezugspersonen eine wichtige Ressource für das Wohlbefinden und die Lebensqualität von Patienten in inkurablen Erkrankungssituationen dar, gleichzeitig sind Angehörige selbst Betroffene mit zahlreichen psychischen, sozialen, körperlichen und ökonomischen Belastungsfaktoren und eigenem Unterstützungsbedarf in der palliativen Erkrankungssituation (Hudson et al. 2018). Dabei steigt das psychosoziale Belastungsniveau mit zunehmender Verschlechterung des Gesundheitszustands des Patienten; es kann sogar das des Patienten übersteigen (Williams und McCorkle 2011).
Daher werden Angehörige in der WHO-Definition von Palliativmedizin als explizite Adressaten palliativmedizinischer Unterstützung aufgeführt. Patienten und Angehörige sind im Sinne einer „unit of care“ (Borasio 2011), also einem Blick auf das ganze betroffene Familiensystem, zu sehen. Dies betrifft insbesondere die häusliche palliative Versorgungssituation, für die entsprechend der Gemeinsame Bundesausschuss in seiner Richtlinie zur Verordnung von spezialisierter ambulanter Palliativversorgung (SAPV) als zentrale Zielsetzung benennt, dass „die Belange ihrer oder seiner vertrauten Personen im Mittelpunkt der Versorgung stehen“ sollen (Gemeinsamer Bundesausschuss 2010).

Unterstützung in der Trauerphase

Trauer stellt eine wichtige Fähigkeit und Reaktion auf Verluste und schmerzhafte Erfahrungen dar, die bei Patienten und Angehörigen bereits zum Zeitpunkt der Diagnose einer schweren, lebenslimitierenden Erkrankung und in wechselnder Ausprägung im gesamten Krankheitsverlauf immer wieder auftreten kann. Die Ausprägung der Trauerreaktionen ist individuell sehr verschieden und hängt von biografischen Vorerfahrungen, der psychischen Konstellation, Beziehungen, dem kulturellen Kontext der Betroffenen und den Umständen des Verlustes ab. Komplizierte Trauer kann in schweren Fällen die Gesundheit stark beeinträchtigen. Deshalb ist es von besonderer Bedeutung, in den Einrichtungen und Kliniken, in denen sterbende Menschen betreut werden, eine Trauerkultur zu entwickeln, die die Betroffenen im Trauerprozess unterstützt. Angebote zur Trauerberatung und Trauerbegleitung werden nicht selten von (ehrenamtlichen) Hospizdiensten angeboten; sie sollen dabei den Betroffenen einen Rückzugsraum geben, begleiten, erleichtern, aber auch eventuell auftretende komplizierte Trauerreaktionen identifizieren und dann weiterführende therapeutische Maßnahmen vermitteln. Insofern bedarf es in Einrichtungen, die lebenslimitierend erkrankte Patienten betreuen, eine entsprechende hauseigene und kultursensible Abschieds- und Trauerkultur (S3-Leitlinie Palliativmedizin).

Umgang mit Sterbewunsch und Formen der „Sterbehilfe“

Wenn Patienten im palliativmedizinischen Kontext einen Sterbewunsch äußern, gehört es zu den ärztlichen Aufgaben zu ergründen, was dazu führt, dass eine Sterbewunsch existiert und geäußert wird. Meist trifft man auf Aussagen wie: „So wie sich das Leben im Moment anfühlt, möchte ich nicht weiterleben.“ Vorrangiges Ziel ist es daher herauszufinden, was passieren müsste, damit der Patient wieder eine Lebensperspektive hat. Meist lässt sich der Sterbewunsch einem der folgenden Ursachenkomplexe zuordnen:
  • Aktuell vorliegende Symptome
  • Angst für zukünftig zu erwartenden Beschwerden
  • Angehörigen nicht zur Last fallen wollen
  • Fehlende Perspektive für das eigene Leben
Die im Jahr 2019 aktualisierte Fassung der S3-Leitlinie Palliativmedizin geht detailliert auf den Umgang mit Sterbewunsch ein.
In der Diskussion um den zulässigen und unzulässigen Umgang mit Sterbewünschen (die sog. Sterbehilfedebatte) wird deutlich, wie nötig ein differenzierter Blick auf die verschiedenen Vorgehensweisen ist. Dabei hat der Nationale Ethikrat 2006 empfohlen, die traditionellen, aber irreführenden Termini aktive Sterbehilfe, passive Sterbehilfe und indirekte Strebehilfe abzulösen und durch folgende Begriffe zu ersetzen (Nationaler Ethikrat 2006):
  • Sterbebegleitung (statt Sterbehilfe): Sterbebegleitung beschreibt Maßnahmen der palliativen Begleitung am Lebensende, wie zum Beispiel Pflege, medizinische Maßnahmen zur Symptomkontrolle, seelsorgerliche Begleitung.
  • Therapie am Lebensende (statt indirekte Sterbehilfe): Zu Therapien am Lebensende zählen alle medizinischen Maßnahmen, einschließlich palliativmedizinischer Maßnahmen, die in der letzten Phase des Lebens erfolgen mit dem Ziel, Leben zu verlängern und jedenfalls Leiden zu mildern. Dazu gehören auch Maßnahmen, bei denen die Möglichkeit besteht, dass der natürliche Prozess des Sterbens verkürzt wird, ohne die eine Beherrschung belastender Symptome nicht möglich ist.
  • Sterbenlassen (statt passive Sterbehilfe): Von Sterbenlassen wird gesprochen, wenn eine lebensverlängernde medizinische Behandlung unterlassen wird und dadurch der durch den Verlauf der Krankheit bedingte Tod früher eintritt, als dies mit der Behandlung aller Voraussicht nach der Fall wäre. Das Unterlassen kann darin bestehen, dass eine lebensverlängernde Maßnahme erst gar nicht eingeleitet wird; es kann auch darin bestehen, dass eine bereits begonnene Maßnahme nicht fortgeführt oder durch aktives Eingreifen beendet wird.
  • Beihilfe zur Selbsttötung: Verschaffen Dritte einer Person ein todbringendes Mittel oder unterstützen sie sie auf andere Weise bei der Vorbereitung oder Durchführung einer eigenverantwortlichen Selbsttötung, liegt Beihilfe zur Selbsttötung (assistierter Suizid) vor. Wenn dieser Dritte ein Arzt ist, handelt es sich um einen ärztlich assistierten Suizid. Suizid selbst ist nicht strafbar. Der Gesetzgeber hatte 2015 in § 217 StGB allerdings die geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung unter Strafe gestellt; das Bundesverfassungsgericht hat diesen Paragrafen im Februar 2020 jedoch wieder für nichtig erklärt.
  • Tötung auf Verlangen (statt aktive Sterbehilfe): Wenn man jemandem auf dessen ernsthaften Wunsch hin ein tödlich wirkendes Medikament verabreicht oder sonst auf medizinisch nicht angezeigte Weise eingreift, um seinen Tod herbeizuführen, der krankheitsbedingt noch nicht eintreten würde, handelt es sich um Tötung auf Verlangen.

Frühe Palliativversorgung

Hospiz- und Palliativversorgung haben sich wesentlich als Betreuung von Patienten am Lebensende (sog. „end-of-life care“) etabliert – in Situationen, in denen in der Regel kommuniziert wird, dass systemische, radiotherapeutische oder chirurgische Verfahren nicht mehr sinnvoll sind, die Behandlung des Tumors abgeschlossen sei oder „nichts mehr für Sie getan“ werden kann. Zwischenzeitlich haben viele Therapiestudien gezeigt, dass eine frühere, die onkologische Therapie begleitende palliativmedizinische Mitbehandlung zu einer Verbesserung von patientenberichteten Endpunkten führt. Bahnbrechend erwies sich hierbei eine Studie, die von Jennifer Temel et al. 2010 im New England Journal of Medicine publiziert wurde (Temel et al. 2010). Mittlerweile liegen eine Reihe von Studien zu diesem Thema vor. Haun et al. publizierten 2017 einen Cochrane Review (Haun et al. 2017). Daher wird inzwischen die frühzeitige palliativmedizinische Mitbehandlung von internationalen und nationalen Fachgesellschaften empfohlen (Ferrell et al. 2017).
Insgesamt resultiert die frühe Integration palliativer Versorgung in die onkologische Therapie in einer besseren Symptomkontrolle, einer besseren Lebensqualität, einer häufigeren Betreuung am Ort der Präferenz, häufiger in einem Sterben am Ort der Präferenz, geringeren Kosten und zumindest in der Studie von Temel in einem längeren Überleben (wenngleich dieses Ergebnis methodisch kritisiert wurde) sowie auf Angehörigenebene in einer geringeren Belastung und geringerem Arbeitsausfall aufgrund von Erkrankungen.

Sterbephase

Die Wünsche von inkurabel erkrankten Patienten bezüglich der Ausgestaltung der Sterbesituation divergieren auf vielen Ebenen, unter anderem mit Blick auf:
  • Ort des Versterbens
  • Intensität der Begleitung
  • Intensität der therapeutischen Maßnahmen
  • Selbstbestimmtheit des Todeszeitpunkts
  • Grad der „Durchorganisation“
  • Wert von Lebenszeit als explizites Therapieziel
Wenn reversible Ursachen ausgeschlossen wurden, können folgende Kriterien Hinweise auf einen einsetzenden Sterbeprozess geben (S3-Leitlinie Palliativmedizin):
  • Veränderung der Atmung (zum Beispiel Cheyne-Stokes-Atmung, rasselnde Atmung)
  • Veränderung der Emotionen und des Bewusstseins
  • Reduktion der Urinausscheidung unter 100 ml/24 Stunden
  • Pulslosigkeit der Arteria radialis
  • Zunehmende Schwäche und reduzierter Allgemeinzustand
  • Hautveränderungen, Verwirrtheit, Verlust des Interesses an Nahrungs- und Flüssigkeitszufuhr
  • Intuition der an der Behandlung Beteiligten
Wenn (idealerweise im Team) eine Sterbesituation diagnostiziert wurde, sollen alle Maßnahmen, die nicht der bestmöglichen Symptomlinderung in der Situation dienlich sind, abgesetzt werden. Hilfestellung geben dabei auch die Grundsätze der Bundesärztekammer zur Sterbebegleitung (Bundesärztekammer 2011; vgl. auch Ahrens et al. 2018; Montag et al. 2018; Alt-Epping 2016).

Versorgungsstrukturen

Entsprechend der sektoralen Gliederung des Gesundheitswesens in Deutschland wird zwischen ambulanten und stationären Versorgungstrukturen unterschieden. In beiden Versorgungsstrukturen gibt es zudem allgemeine/primäre Versorgungsstrukturen und spezialisierte Versorgungsstrukturen, sodass zwischen allgemeiner ambulanter Palliativversorgung (AAPV), allgemeiner stationärer Palliativversorgung (ASPV), spezialisierter ambulanter Palliativversorgung (SAPV) und spezialisierter stationärer Palliativversorgung (SSPV) zu differenzieren ist.
Die Abgrenzung zwischen allgemeiner und spezialisierter Palliativversorgung ist nicht immer eindeutig. Wichtig sind reibungslose Übergänge zwischen beiden Ausprägungsintensitäten.

Allgemeine Palliativversorgung

In der allgemeinen Palliativversorgung werden palliativmedizinische Leistungen durch Behandelnde erbracht, die ihr Haupttätigkeitsfeld nicht in der Palliativversorgung haben (also Hausärzte, Fachärzte, allgemeine Pflegedienste etc.), da die Erkrankungssituation eher wenig komplex ist und keine spezifischen strukturellen Voraussetzungen erfordert. Eine solche allgemeine Palliativversorgung umfasst zum Beispiel
  • die Behandlung von Symptomen in allen 4 Dimensionen, entsprechende Kommunikation, Gespräche zur Klärung des Therapieziels und die Koordination der gesamten Versorgung.

Spezialisierte Palliativversorgung

Hingegen ist die spezialisierte Palliativversorgung durch folgende Kriterien charakterisiert (S3-Leitlinie Palliativmedizin):
  • Die Patientenbedürfnisse erfordern eine komplexere und aufwendigere Versorgungsleistung als in der allgemeinen Palliativversorgung
  • Die Leistungserbringer haben ihr Tätigkeitsfeld überwiegend oder ausschließlich in der spezialisierten Palliativversorgung
  • Die Leistungserbringer verfügen über spezifische palliativmedizinische Qualifikation und Erfahrung
  • Der Teamansatz und Multiprofessionalität sind konzeptionelle und strukturelle Voraussetzung
  • Eine 24-Stunden-Verfügbarkeitauch vor Ort ist gewährleistet
Kennzeichen spezialisierter Palliativversorgung ist zudem, dass sie in einem multiprofessionellen Team erfolgt. Ein multiprofessionelles Team im Sinne der OPS setzt sich zusammen aus ärztlichen Fachdisziplinen, Pflegekräften und mindestens einer dritten Berufsgruppe, (wie zum Beispiel Sozialdienst, Psychologie oder Physiotherapie, je nach Erfordernissen). Strukturformate, in denen spezialisierte Palliativversorgung stattfindet, sind:
  • Palliativstation
  • Palliativdienst im Krankenhaus
  • Spezialisierte ambulante Palliativversorgung
  • Spezialisierte Palliativambulanz
  • Palliativmedizinische Tagesklinik und Tageshospiz

Ambulante Palliativversorgung (APV)

Die ambulante Palliativversorgung wird durch Ärzte und Pflegekräfte (im Rahmen häuslicher Krankenpflege) und andere Anbieter von Gesundheitsleistungen als allgemeine ambulante Palliativversorgung (AAPV) durchgeführt und kann ergänzt werden um die spezialisierte ambulante Palliativversorgung (SAPV).

Allgemeine ambulante palliativmedizinische Versorgung (AAPV)

Viele Menschen in nicht heilbarer Erkrankungssituation, die nicht stationär behandlungsbedürftig sind, bedürfen nicht (oder noch nicht) eines solch umfassenden, aufsuchenden, multiprofessionellen Unterstützungssystems wie es die SAPV darstellt, zum Beispiel weil die Erkrankungssituation eher wenig komplex oder krisenträchtig erscheint. Hier wird die allgemeine Palliativversorgung durch Hausärzte, Pflegedienste und anderen an der Versorgung beteiligten Diensten geleistet.
Im Kontext des wird die „besonders qualifizierte und koordinierte palliativmedizinische Versorgung“ (BQKPMV) als Zwischenstufe zwischen allgemeiner und spezialisierter ambulanter Palliativversorgung definiert. Die Akzeptanz und Rollenklärung dieser „dritten Ebene“ bleibt abzuwarten.

Spezialisierte ambulante palliativmedizinische Versorgung (SAPV)

Mit dem GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz wurde im Jahr 2007 im Sozialgesetzbuch (SGB) V § 37b der Anspruch gesetzlich Krankenversicherter auf spezialisierte ambulante Palliativversorgung eingeführt, wenn sie dieser bedürfen. Diese beinhaltet die Mitbetreuung durch ein spezialisiertes ambulantes Palliativteam, das in der häuslichen Umgebung des Patienten tätig wird. Dies schließt eine Mitbetreuung in Einrichtungen der stationären Pflege ein.
Dieses umfassende, aufsuchende, multiprofessionelle, rund um die Uhr erreichbare Unterstützungskonzept ist vor allem bei besonders komplexen physischen und psychosozialen Belastungssituationen und/oder in besonders krisenträchtigen Erkrankungsverläufen sinnvoll.
Insgesamt hat sich in den vergangenen 10 Jahren in Deutschland ein weit ausdifferenziertes, palliativmedizinisches Unterstützungskonzept herausgeprägt, das entsprechend den sehr unterschiedlichen Symptomen und Belastungen der betroffenen Palliativpatienten und ihrer Angehörigen angepasst und intensiviert werden kann.
Der vom Gesetzgeber in SGB V § 37b festgelegte Anspruch auf SAPV deckt nicht ab, was unter früher Palliativversorgung verstanden wird. „Frühe“ Palliativversorgung kann jedoch auch „spezialisierte“ Palliativversorgung sein, dies jedoch eher (noch) nicht in der häuslichen Umgebung, sondern in spezialisierten Ambulanzen, zum Beispiel in Tumorambulanzen oder Schwerpunktpraxen.
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