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Akanthozyten im Urin

Verfasst von: W. G. Guder
Akanthozyten im Urin
Synonym(e)
Dysmorphe Erythrozyten
Englischer Begriff
acanthocytes
Definition
Bezeichnung für eine Erythrozytenform mit zapfenförmigen Ausstülpungen (s. Abbildung), die für renale Hämaturie typischste Form des dysmorphen Erythrozyten im Urin (Dysmorphe Erythrozyten im Urin).
Die Abbildung zeigt Akanthozyten im Harnsediment (Pfeile), a rasterelektronenmikroskopisch, b Phasenkontrastmikroskopie (mit freundlicher Genehmigung von Prof. Dr. W. Hofmann, München):
Funktion – Pathophysiologie
Akanthozyten (griech. akantha: Dorn; kythos: Höhlung, Zelle) entstehen bei der tubulären Passage von Erythrozyten durch die Niere. Durch Auflagerung von Tamm-Horsfall-Protein in den dicken aufsteigenden Schenkeln der Henle-Schleife werden die Ladung und damit die Form der Erythrozytenmembran in Abhängigkeit von der Osmolalität verändert. So bilden sich bei der Passage durch das Sammelrohr während der Konzentrierung des Urins die typischen Formen mit einzelnen oder mehrfachen Ausstülpungen aus. Gegen die Vorstellung, dass diese Form der Dysmorphie während der Passage von Erythrozyten durch die Glomeruli entsteht, spricht die Beobachtung, dass die Dysmorphie bei der Anwendung von Schleifendiuretika verschwindet.
Untersuchungsmaterial – Entnahmebedingungen
Spontanurin am Vormittag, der als Mittelstrahlurin gewonnen wird.
Probenstabilität
Akanthozyten sind entgegen allgemeiner Lehrmeinung bei hypertonen Urinen über 24 Stunden bei Raumtemperatur und gekühlt, aber nicht eingefroren, stabil.
Präanalytik
10 mL Mittelstrahlurin werden bei 400 g für 5 Minuten zentrifugiert, 95 % des Überstandes dekantiert und der Rest nach Aufschütteln zur Untersuchung verwendet.
Analytik
Akanthozyten werden im Harnsediment mit Phasenkontrastmikroskopie bei 400-facher Vergrößerung gesucht und in % von 100 Erythrozyten (10–20 Gesichtsfelder) quantifiziert.
Die Analyse von dysmorphen Erythrozyten mit durchflusszytometrischen (z. B. UF 50 und UF 100 der Fa. Sysmex) und mechanisierter digitaler Bilderfassung (z. B. iQ 10, 100 und 200 der Fa. Iris) bieten die Möglichkeit, die Anwesenheit dysmorpher Erythrozyten qualitativ zu erfassen. Bei den Geräten von Iris (iQ 200) besteht die Möglichkeit, diese Zellen im Bildschirm zu sehen und zu quantifizieren. Bei den Geräten von Sysmex kann die Meldung mit der UD-Fassung quantifiziert werden.
Konventionelle Einheit
Die Zahl der im Harnsediment gefundenen Akanthozyten wird halbquantitativ oder in % der Erythrozyten angegeben.
Referenzbereich – Erwachsene
Auch bei Normaler Erythrozyturie werden bis zu 50 % dysmorphe Erythrozyten gefunden. Bei vermehrter Zahl von Erythrozyten spricht ein Anteil von >10 % Akanthozyten für eine renale Ursache der Hämaturie.
Indikation
Abklärung der Ursache einer teststreifenpositiven Hämaturie, falls diese nicht durch andere Symptome oder Verfahren klärbar ist.
Interpretation
Ein Anteil über 10 % Akanthozyten spricht bei erhöhter Erythrozytenzahl im Urin für eine renale Ursache der Hämaturie.
Diagnostische Wertigkeit
Die diagnostische Wertigkeit wird von den Autoren verschiedener Studien unterschiedlich beurteilt. Während erfahrene nephrologische Anwender den Wert hoch schätzen (diagnostische Spezifität 99 %, Spezifität, diagnostische; diagnostische Sensitivität 43 %, Sensitivität, diagnostische), wird in urologischen Kreisen wegen des Überwiegens postrenaler Ursachen der Hämaturie von einer niedrigen Wertigkeit gesprochen. Dies mag mit der für die Diagnostik notwendigen Erfahrung und dem hohen Zeitaufwand für die mikroskopische Quantifizierung zusammenhängen, die mit einer hohen Streuung belastet ist.
Literatur
Köhler H, Wandel E, Brunck B (1991) Acanthocyturia – a characteristic marker of glomerular bleeding. Kidney Int 40:115–120CrossRefPubMed
Schütz E, Schaefer RM, Heidbreder E et al (1985) Effect of diuresis on urinary erythrocyte morphology in glomerulonephritis. Klin Wochenschr 63:575–577CrossRef