α-Aminoadipinsäuresemialdehyd ist ein Zwischenprodukt im Stoffwechsel der Aminosäure Lysin. Der Semialdehyd steht in einem chemischen Gleichgewicht mit der zyklischen Form Δ1-Piperidin-6-carbonsäure (P6C):
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Struktur
C6H11NO3.
Molmasse
145,16 g.
Synthese – Verteilung – Abbau – Elimination
Die Aminosäure Lysin wird über zwei in unterschiedlichen Kompartimenten ablaufende Wege zu 2-Aminoadipinsäure verstoffwechselt, wobei der sehr instabile α-Aminoadipinsäuresemialdehyd ein gemeinsames Zwischenprodukt darstellt.
Auf dem Saccharopinweg, der in der Leber beschritten wird, bildet Lysin mit α-Ketoglutarsäure zunächst Saccharopin, das im nächsten Schritt zu α-Aminoadipinsäuresemialdehyd umgesetzt wird. Beide Schritte werden durch die α-Aminoadipinsäuresemialdehyd-Synthase, einem mitochondrialen bifunktionalen Enzym, katalysiert.
Im zentralen Nervensystem wird α-Aminoadipinsäuresemialdehyd über den Pipecolinsäureweg gebildet. Dabei wird Lysin oxidativ zu 2-Oxo-6-Aminocapronsäure desaminiert, das spontan zu Δ1-Piperidin-2-carbonsäure (P2C) zyklisiert. Letzteres wird in einer NADPH-abhängigen Reaktion zu Pipecolinsäure reduziert. Diese wird durch eine spezifische FAD-abhängige Pipecolinsäure Oxidase (PIPOX) in Δ1-Piperidin-6-carbonsäure (P6C) überführt, das spontan zum α-Aminoadipinsäuresemialdehyd hydrolysiert.
Im weiteren Verlauf wird α-Aminoadipinsäuresemialdehyd durch die 2-Aminoadipinsäuresemialdehyd-Dehydrogenase zu 2-Aminoadipinsäure oxidiert.
α-Aminoadipinsäuresemialdehyd kann über den Urin ausgeschieden werden.
Funktion – Pathophysiologie
Als Bestandteil der Vierfach-Aminosäure Desmosin, das aus 3 Allysin-Einheiten und der ω-Aminogruppe einer Lysin-Einheit entsteht, ist α-Aminoadipinsäuresemialdehyd (Allysin) durch die Bildung stabilisierender Querverbindungen mit verantwortlich für die Elastizität des Strukturproteins Elastin.
Im Intermediärstoffwechsel ist α-Aminoadipinsäuresemialdehyd ein Zwischenprodukt im Lysin-Abbau ohne weitere bekannte Funktion.
Bei einem Defekt der α-Aminoadipinsäuresemialdehyd-Dehydrogenase, verursacht durch Mutationen im ALDH7A1-Gen (Antiquitin), akkumuliert α-Aminoadipinsäuresemialdehyd und seine zyklische Form Δ1-Piperidin-6-carbonsäure. Letzteres kann mit Pyridoxalphosphat (PLP), einem essenziellen Kofaktor von Aminotransferasen und Decarboxylasen, ein Additionsprodukt bilden. Diese Knoevenagel-Kondensation genannte Reaktion ist im Gegensatz zur physiologischen Aktivierung des Pyridoxalphosphats durch die Bildung einer Schiff-Base mit Lysineinheiten des Apoenzyms irreversibel. Die Folge ist eine Inaktivierung des Pyridoxalphosphats, das als Kofaktor u. a. im Stoffwechsel der Neurotransmitter wie der Bildung von γ-Aminobuttersäure (γ-Aminobuttersäure als Neurotransmitter) aus Glutaminsäure eine wichtige Rolle spielt.
2,0–40,0 mmol/mol Kreatinin (>6 Monate bis 1 Jahr)
2,0–20,0 mmol/mol Kreatinin (>1 Jahr)
Indikation
Therapierefraktäre Epilepsien im Neugeborenen-, Säuglings- und Kleinkindesalter. Verdacht auf Pyridoxin-(Vitamin B6-)abhängige Epilepsien (PDE).
Interpretation
Erhöhungen von α-Aminoadipinsäuresemialdehyd findet man im Urin, Plasma und Liquor von Patienten mit autosomal rezessiv vererbter Vitamin B6-abhängiger Epilepsie (PDE). Ebenfalls erhöht gefunden werden hier auch seine zyklische Form Δ1-Piperidin-6-carbonsäure und Pipecolinsäure.
Die Ergebnisse der biochemischen Analytik müssen durch eine molekulargenetische Untersuchung bestätigt werden.
Diagnostische Wertigkeit
Erhöhte Konzentrationen von α-Aminoadipinsäuresemialdehyd sind hinweisend auf Vitamin-B6-abhängige Epilepsien. Pipecolinsäure wird dagegen nicht nur in Patienten mit Vitamin-B6-abhängige Epilepsien erhöht gefunden, sondern auch bei einer Reihe anderer Krankheitsbilder und kann sich bei einigen PDE-Patienten normalisieren. Die Beurteilung von α-Aminoadipinsäuresemialdehyd/Δ1-Piperidin-6-carbonsäure in Hinblick auf eine mögliche Vitamin-B6-abhängige Epilepsie ist damit der alleinigen Beurteilung der Pipecolinsäure-Konzentrationen vorzuziehen.
Vitamin-B6-abhängige Epilepsien, die auf einem Defekt der Δ1-Pyrrolin-5-carbonsäure-Dehydrogenase (Hyperprolinämie Typ II) beruhen, zeigen dagegen keine α-Aminoadipinsäuresemialdehyd-Erhöhungen.
Sekundär bedingte Erhöhungen von α-Aminoadipinsäuresemialdehyd findet sich auch beim Molybdänkofaktormangel und Sulfitoxidasemangel. Bei diesen beiden Erkrankungen führt eine endogene Anreicherung von Sulfit zu einer Inhibierung der 2-Aminoadipinsäuresemialdehyd-Dehydrogenase mit daraus resultierender Akkumulation von α-AASA/P6C.
Literatur
Blau N, Duran M, Gibson KM, Dionisi-Vici C (Hrsg) (2014) Physician’s guide to the diagnosis, treatment, and follow-up of inherited metabolic diseases. Springer, Berlin/Heidelberg
Struys EA, Bok LA, Houterman S et al (2012) The measurement of urinary Δ1-piperideine-6-carboxylate, the alter ego of α-aminoadipic semialdehyde, in Antiquitin deficiency. J Inherit Metab Dis 35:909–916CrossRefPubMedPubMedCentral