Lexikon der Medizinischen Laboratoriumsdiagnostik
Info
Verfasst von:
A. M. Gressner und O. A. Gressner
Publiziert am: 25.08.2017

Amylase, pankreasspezifische

Amylase, pankreasspezifische
Synonym(e)
α-Amylase; Endoamylase; EC 3.2.1.1
Englischer Begriff
α-amylase, diastase; 1,4-α-D-glucanglucanohydrolase; endoamylase
Definition
Vorwiegend von Pankreas und Speicheldrüsen sezernierte Endoglukosidase mit Spezifität für α-1,4-glukosidische Bindungen, die lineare (Amylose) und verzweigte Polyglukane (Amylopektin, Glykogen) zu Oligosacchariden unterschiedlicher Größe (Dextrine, Maltotetraose, -triose, Maltose) abbaut und überwiegend in der Diagnostik der Pankreatitis klinisch eingesetzt wird.
Molmasse
55–60 kDa.
Synthese – Verteilung – Abbau – Elimination
Amylase ist ein Calcium-haltiges Metalloenzym mit pH-Optimum 7,0, dessen SH-Gruppe im aktiven Zentrum Calcium-geschützt ist, Aktivatoren sind Chlorid und Bromid. Zwei Isoenzyme mit ca. 97 %iger Sequenzhomologie, die von zwei eng benachbarten Loci auf Chromosom 1 kodiert werden, sind bekannt:
  • Speicheltyp (S-Typ): Serumanteil 65 %, Urinanteil 35 %; glykosyliert und deglykosyliert, Molmassendifferenz 3000, 3 Subtypen mit mehreren Isoformen
  • Pankreastyp (P-Typ): Serumanteil 35 %, Urinanteil 65 %; nicht glykosyliert, 3 Subtypen mit mehreren Isoformen
Mehrere Isoformen entstehen durch posttranslationale Modifikationen wie Deamidierung, Glykosylierung und Deglykosylierung, die zu veränderten isoelektrischen Punkten mit bis zu 17 Banden in der isoelektrischen Fokussierung (Isoelektrische Fokussierung) führen.
Mit höchsten Konzentrationen tritt das Enzym in den Azinuszellen des exokrinen Pankreas und in Speicheldrüsen, mit geringeren Aktivitäten in Tränendrüsen, Schweißdrüsen, Testes, Ovar, quergestreifter Muskulatur, Lungen, Fettgewebe, Leukozyten, Thrombozyten, Kolostrum, Milch und einigen Lungen- und Ovarialtumoren auf. Als einziges Serumenzym physiologisches Auftreten im Urin aufgrund uneingeschränkter glomerulärer Filtration und nur etwa 50 %iger tubulärer Rückresorption (Amylase-Clearance 2,8–4,6 mL/min, Amylase/Kreatinin-Clearance-Quotient 2–5 %). Die Halbwertszeit im Blut beträgt 9–18 Stunden. Das als Proform in den Azinuszellen synthetisierte, als aktive Amylase zu etwa 99 % sezernierte Enzym wird im Intestinum überwiegend tryptisch abgebaut. Eine geringe Fraktion erscheint im Faeces.
Die Funktion besteht in der spezifischen hydrolytischen Spaltung α-1,4-glukosidischer Bindungen linearer (Amylose) und verzweigter (Amylopektin, Glykogen) Polysaccharide zu Dextrinen, Maltotetraose, -triose, Maltose, die durch Glukosidasen weiter zu Glukose abgebaut werden. α-1,6-glukosidische Bindungen werden nicht gespalten.
Im Gegensatz zu der nur in Pflanzen und Bakterien vorkommenden Exoamylase (β-Amylase) ist α-Amylase eine Endoamylase.
Makroamylase: Sie stellt einen Komplex mit einer Molmasse 400 kDa aus Amylase mit IgA (70 %) oder IgG (30 %) in An- oder Abwesenheit von Serumproteinen (Albumin, α-1-Antitrypsin) dar, an dem überwiegend S-Typ-Amylase beteiligt ist und zu maximal 4-facher Erhöhung der Serumaktivität führt. Prävalenz etwa 0,1 %, keine Krankheitsrelevanz.
Funktion – Pathophysiologie
Entzündungsbedingte Nekrosen des exokrinen Pankreas (Azinuszellen) und/oder Speicheldrüsen (Parotitis) führen zur Freisetzung der Amylase über die Lymph- und Blutkapillaren in den Kreislauf (ähnlich der Lipase). Abflussstörungen des Pankreas oder der Speicheldrüsen (Tumoren, Steine, Ödeme) erzeugen ebenfalls über eine starke Zunahme des Sekretionsdruckes einen Übertritt in den Blutkreislauf. Bei abnehmender renaler Clearance und einigen Tumoren (Lunge, Ovar) treten Erhöhungen der Serumaktivität auf.
Untersuchungsmaterial – Entnahmebedingungen
Serum, Heparinplasma (kein Citrat-, EDTA- oder Oxalat-Plasma, da divalente Kationen [Calcium, Magnesium] für die Enzymaktivität notwendig sind). Urin (Spontan- oder Sammelurin), Aszites, Pleura- und Drainageflüssigkeit.
Probenstabilität
Im Serum: bei Raumtemperatur 7 Tage, bei 4 °C 1 Monat.
Im Urin: sehr instabil in saurem Milieu, Alkalisierung (pH ca. 7,0) notwendig, Materialkonservierung bei Raumtemperatur 2 Tage, bei 2–8 °C 10 Tage.
Analytik
Insgesamt sind etwa 200 Methoden und Varianten beschrieben.
Amyloklastische Endpunktmethode
Der innerhalb einer definierten Zeit (30 Minuten) erfolgende Abbau der als Substrat verwendeten Stärke (Gemisch aus Amylose und Amylopektin) oder reinen Amylose wird kolorimetrisch durch die Iod-Stärke-Reaktion (blaue Einschlussverbindung) turbidimetrisch, nephelometrisch oder viskosimetrisch gemessen. Heute obsolet.
Saccharogene Endpunktmethode
Es wird die durch Stärkeabbau erfolgende Zunahme reduzierender Oligosaccharidbruchstücke gemessen. Heute obsolet.
Kinetische kolorimetrische Methode
Aktuell erfolgt die Bestimmung mit definierten synthetischen Oligosacchariden (Maltotriosid, Maltopentaosid, Maltoheptaosid), die einen (modifizierten) 4-Nitrophenolrest am ersten Glukosemolekül tragen. Dieses Chromophor wird durch Amylase entweder direkt freigesetzt oder bei Substraten mit höherer Kettenlänge erst durch den Zusatz verschiedener Glukosidasen abgespalten. Auf diesem Prinzip beruht die Aktivitätsbestimmung der Pankreasamylase nach einer IFCC-Methode bei 37 °C, die im Folgenden dargestellt ist (Junge et al. 2001).
I. Messreaktion:
II. Indikatorreaktion:
(PNP = 4-Nitrophenol = p-Nitrophenol; G = Glukose).
In einem initialen Inkubationsschritt erfolgt die Hemmung der Aktivität der Humanspeichel-α-Amylase mit zwei verschiedenen monoklonalen Antikörpern, ohne die Aktivität der Pankreas-α-Amylase zu beeinflussen. In der Messreaktion werden definierte Oligosaccharide wie 4,6-Ethyliden-G7(Maltoheptaosid)-4-Nitrophenol (PNP) unter der katalytischen Einwirkung von α-Amylase bei 37 °C und pH 7,15 gespalten. Die gebildeten, PNP enthaltenden Fragmente werden in einer Indikatorreaktion durch α-Glukosidase vollständig zu 4-Nitrophenol und Glukose hydrolisiert. Die Bildungsgeschwindigkeit des 4-Nitrophenols wird kontinuierlich bei 405 nm gemessen und ist der Aktivität der Pankreas-α-Amylase direkt proportional.
Die Gesamtamylase wird mit der identischen Mess- und Indikatorreaktion gemessen, jedoch entfällt der initiale Inkubationsschritt mit inhibierenden monoklonalen Antikörpern. Die durchschnittliche Präzision der Bestimmung liegt bei einem VK von ca. 1,5 %.
Isoenzym-Bestimmungen
Elektrophorese, Ionenaustauschchromatographie, isoelektrische Fokussierung, selektive Hemmung der S-Typ-Amylase durch Weizenkeimlektin-Inhibitor Triticum aestivum oder inhibierenden monoklonalen Anti-S-Typ-Antikörpern.
Berechnung des Amylase/Kreatinin-Clearance-Quotienten:
$$ \frac{{\mathrm{C}}_{\mathrm{AMY}}}{{\mathrm{C}}_{\mathrm{KREA}}}=\frac{\mathrm{Urin}-\mathrm{Amylase}\ \left[\mathrm{U}/\mathrm{L}\right]\times \mathrm{Serum}-\mathrm{Kreatinin}\ \left[\mathrm{mg}/\mathrm{dL}\right]}{\mathrm{Serum}-\mathrm{Amylase}\ \left[\mathrm{U}/\mathrm{L}\right]\times \mathrm{Urin}-\mathrm{Kreatinin}\ \left[\mathrm{mg}/\mathrm{dL}\right]} $$
Berechnung der Amylase-Clearance:
$$ {\mathrm{C}}_{\mathrm{AMY}}=\frac{\mathrm{Urin}-\mathrm{Amylase}\ \left[\mathrm{U}/\mathrm{L}\right]\times \mathrm{Urinvolumen}\ \left[\mathrm{mL}\right]}{\mathrm{Serum}-\mathrm{Amylase}\ \left[\mathrm{U}/\mathrm{L}\right]} $$
Makroamylasebestimmung
Gelchromatographie (Chromatographie; Methode der Wahl), Elektrophorese, Ultrazentrifugation, Polyethylenglycol-Präzipitation.
Referenzbereich – Erwachsene
Für Pankreasamylase methodenabhängig verschieden.
Für die beschriebene IFCC-Methode:
Fraktionelle Isoenzymverteilung:
  • Serum: 65 % S-Typ, 35 % P-Typ
  • Urin: 35 % S-Typ, 65 % P-Typ
Referenzbereich – Kinder
Neugeborene und Säuglinge haben ein vom Erwachsenenprofil abweichendes S-Typ-/P-Typ-Verhältnis.
Indikation
  • Diagnostik der akuten und chronisch rezidivierenden Pankreatitis
  • Differenzialdiagnostik akuter Oberbauchbeschwerden
  • Adjuvante Diagnostik der Parotitis epidemica (Mumps) und alkoholischer Parotitiden
  • Kontrolle der Pankreastransplantatfunktion
Interpretation
Die Serumaktivität steigt bei akuter Pankreatitis innerhalb von 2–12 Stunden an, erreicht ihr Maximum (3- bis 40-Faches der Normalaktivität) nach 12–72 Stunden und den Referenzbereich innerhalb von 3–5 Tagen. Der Aktivitätsanstieg ist nicht mit dem Schweregrad der Pankreasnekrose korreliert. Neben pankreatogenen Amylaseerhöhungen sind bei Erhöhung der Gesamtamylase differenzialdiagnostisch eine Vielzahl nicht pankreatischer Ursachen zu berücksichtigen. In der folgenden Tabelle sind die Ursachen der Hyperamylasämie und -urie zusammengefasst:
Pankreaserkrankungen
Extrapankreatische Erkrankungen
Akut (P-Typ), chronisch (P-Typ)
Abszess (P-Typ)
Pseudozysten (P-Typ)
Karzinom (P-Typ)
Trauma (P-Typ)
ERCP (P-Typ)
Niereninsuffizienz (P- und S-Typ)
Speicheldrüsen (S-Typ)
Mumps
• Sialolithiasis
• Trauma
Makroamylase (S-Typ)
Hirntrauma (S-Typ)
Tumoren (S-Typ)
Opiate (P-Typ)
Akuter Alkoholismus (S- und P-Typ)
Cholecystitis
Mesenterialinfarkt (P-Typ)
Eine bei etwa 0,1 % der Bevölkerung auftretende Makroamylasämie ist zu erwägen bei persistierender, bis maximal 4-facher Erhöhung der Enzymaktivität, bei extrem niedriger Amylase-Clearance (fehlende Hyperamylasurie), bei fehlender klinischer Symptomatik und Krankheitswertigkeit, bei permanent normaler Lipaseaktivität. Makroamylase kann therapeutisch durch Infusion von Amylase-bindender Hydroxyethylstärke induziert werden.
Die Urinamylase weist im Vergleich zur Serumamylase höhere Anstiege, ein verzögertes Maximum (6–12 Stunden nach Serumgipfel), längere Persistenz (Normalisierung erst nach 5–8 Tagen) und häufigere Erhöhungen auf. Flüchtige akute Schübe einer chronischen Pankreatitis werden im Urin empfindlicher als im Serum erfasst. Bei akuter Pankreatitis, diabetischer Ketoacidose und starker Proteinurie ist die Amylase-Clearance deutlich erhöht. Bei ausgeprägter chronischer Pankreatitis sind sowohl die Serum- als auch die Urin-Amylaseaktivitäten subnormal.
Diagnostische Wertigkeit
Generell ist die Amylase, auch das Pankreasisoenzym (P-Typ), der Triglyzeridlipase bei akuter Pankreatitis unterlegen. Sensitivität (Sensitivität, diagnostische) ca. 87 % (67–100 %), Spezifität (Spezifität, diagnostische) ca. 92 % (85–98 %), positiver prädiktiver Wert 32 %, negativer prädiktiver Wert 99 % (Alle Angaben für akute Pankreatitis und P-Isoenzym). Im Vergleich zur Lipase ist die P-Amylaseerhöhung geringer und von kürzerer Dauer.
Literatur
Clavé P, Guillaumes S, Blanco I et al (1995) Amylase, lipase, pancreatic isoamylase, and phospholipase A in diagnosis of acute pancreatitis. Clin Chem 41:1129–1134PubMed
Junge W, Wortmann W, Wilke B et al (2001) Development and evaluation of assays for the determination of total and pancreatic amylase at 37 °C according to the principle recommended by the IFCC. Clin Biochem 34:607–615CrossRefPubMed