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Autoantikörper gegen Glutamat-Rezeptoren Typ NMDA

Verfasst von: W. Stöcker
Autoantikörper gegen Glutamat-Rezeptoren Typ NMDA
Synonym(e)
Anti-NMDA-Rezeptor-Antikörper; NMDA-Rezeptor-Autoantikörper
Englischer Begriff
NMDA receptor autoantibodies; anti-NMDA receptor antibodies
Definition
Autoantikörper gegen N-Methyl-D-Aspartat-(NMDA-)Rezeptoren. N-Methyl-D-Aspartat gehört zu den synthetischen Aminosäuren. Sie kommt in der Natur normalerweise nicht vor, wird aber für neurophysiologische Experimente eingesetzt. Strukturell stellen NMDA-Rezeptoren Heterodimere dar, bestehend aus den Untereinheiten NR1 und NR2; s. a. Autoantikörper gegen neuronale Antigene.
Funktion – Pathophysiologie
NMDA-Rezeptoren gehören zu den ionotropen Glutamat-Rezeptoren. Dies sind Ionenkanäle in der Zellmembran, die durch die Bindung ihres Liganden Glutamat aktiviert werden. In der postsynaptischen Membran lokalisiert, steuern sie den Ionenfluss an der nachgeschalteten Nervenzelle der Synapse, und zwar selektiv nach Art der Ionen. Der Kanal besitzt verschiedene Bindungsstellen für unterschiedliche Liganden, welche die Rezeptorfunktion steuern. Neben der Bindungsstelle für den eigentlichen Botenstoff Glutamat (Agonist) und einer Bindungsstelle für den Koagonisten Glycin zeigt der NMDA-Rezeptor Bindungsstellen für weitere Stoffe, die die Aktivität beeinflussen – erhöhen (Agonisten wie das NMDA) oder vermindern (Antagonisten wie z. B. Amantadin, Dextromethorphan oder Kynurensäure). Vermutlich ist die Funktion des NMDA-Rezeptors eines der wesentlichen Elemente für die Induktion der synaptischen Plastizität und stellt damit einen molekularen Mechanismus für Lernen und Gedächtnis dar.
Analytik
Autoantikörper gegen NMDA-Rezeptoren lassen sich mittels immunhistochemischer Nachweisverfahren bestimmen. Bei positiver Reaktion im indirekten Immunfluoreszenztest (IIFT, Immunfluoreszenz, indirekte) zeigt sich auf dem Substrat Hippocampus eine charakteristische Anfärbung der inneren Molekularschicht (s. Abbildungen), auf dem Substrat Kleinhirn eine Anfärbung der Körnerschicht.
Autoantikörper gegen Glutamat-Rezeptoren Typ NMDA, indirekte Immunfluoreszenz mit Substrat Hippocampus (Maus):
Autoantikörper gegen Glutamat-Rezeptoren Typ NMDA, indirekte Immunfluoreszenz mit Substrat ex vivo kultivierte Mausneuronen des Hippocampus:
Zum monospezifischen Nachweis der Autoantikörper eignen sich transfizierte HEK-Zellen („human embryonic kidney cells“) als IIFT-Substrat.
Untersuchungsmaterial
Serum oder Liquor.
Probenstabilität
Autoantikörper sind bei +4 °C bis zu 2 Wochen lang beständig, bei −20 °C über Monate und Jahre hinweg. Zur Tiefkühlkonservierung des IgM kann man den Proben 80 % gepuffertes Glyzerin beifügen.
Diagnostische Wertigkeit
Die Anti-NMDA-Rezeptor-Enzephalitis (limbische Enzephalitis) ist eine erstmals im Jahr 2007 beschriebene Autoimmunerkrankung. Bei einem Drittel der Fälle ist sie mit einem Teratom der Ovarien assoziiert (selten der Testes; die Tumoren enthalten unter anderem neuronale Strukturen). Die Erkrankung beginnt oft mit einem grippeähnlichen Vorstadium, gefolgt von psychischen Symptomen wie Angst, Erregung, bizarrem Verhalten, Wahn und Halluzinationen. Viele Patienten gelangen zunächst in psychiatrische Behandlung (und verbleiben dort, wenn sie nicht durch eine simple Antikörperuntersuchung gerettet werden!). Erste Anzeichen sind oft epileptische Anfälle und Katatonie-ähnliche Bewusstseinsstörungen. Charakteristisch sind Autoantikörper gegen NMDA-Rezeptoren (NR1-Untereinheit) in Serum und Liquor. Bei einem positiven Befund sind die behandelnden Ärzte unbedingt darauf hinzuweisen, dass bei einigen der betroffenen Frauen die Ovarien von Tumoren befallen sind! Resektion des Tumors und immunsuppressive Therapie über mehrere Monate – akut: Methylprednisolon i.v.; Eskalation: Plasmapherese, Steroide; Langzeit: Azathioprin, Cyclophosphamid, Rituximab. In einer retrospektiven Studie mit 5 Patienten mit schwerer und/oder therapierefraktärer Anti-NMDAR-Enzephalitis konnte eine Wirksamkeit des Proteasominhibitors Bortezomib gezeigt werden. Kognitive Defizite (Sklerose des Hippocampus) und Rezidivrate reduzieren sich durch frühe und aggressive Therapie. Positive Reaktionen in IgA und IgM wurden bisher bei Demenz, deliranten Syndromen (organischen Psychosyndromen) und peripheren Neuropathien beobachtet. Für die Diagnostik der limbischen Enzephalitis sind sie ohne Bedeutung.
Es empfiehlt sich, zusätzlich die wichtigsten anderen Autoantikörper gegen neurale Antigene parallel zu untersuchen, was in vielen Fällen eine schnelle und sichere (ggf. unvermutete) lebenswichtige Diagnose zur Folge hat.
Literatur
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