Skip to main content

Autoantikörper gegen Mitochondrien

Verfasst von: W. Stöcker und W. Schlumberger
Autoantikörper gegen Mitochondrien
Synonym(e)
AMA; Mitochondrien-Antikörper; M(1-9)-Antikörper; antimitochondriale Antikörper
Englischer Begriff
anti-mitochondrial antibodies
Definition
Autoantikörper gegen Bestandteile der Mitochondrien.
Funktion – Pathophysiologie
Mitochondrien enthalten viele verschiedene biochemisch definierbare Antigene, von denen einige für Autoimmunerkrankungen von Bedeutung sind und als Mitochondrienantigene M1–M9 bezeichnet werden.
Der wichtigste Vertreter, das M2-Antigen (AMA-M2), ist Bestandteil dreier biochemisch verwandter Multienzymkomplexe der inneren Mitochondrienmembran. Diese katalysieren die oxidative Decarboxylierung des Pyruvats, des α-Ketoglutarats und der verzweigtkettigen α-Ketosäuren. Weitere Antigene sind M4 (Sulfitoxidase) und M9 (Phosphorylase a, eigentlich ein extramitochondriales zytoplasmatisches Enzym, es ist aber mit der Mitochondrienmembran assoziiert).
Bislang wurden 4 von 9 verschiedenen AMA-Typen (Antikörper gegen die Antigene M2, M4, M8 und M9) im Serum von Patienten mit primär biliärer Cholangitis (PBC, chronische nicht eitrige destruierende Cholangitis; früher: primär biliäre Zirrhose) nachgewiesen. Antikörper gegen das M2-Antigen kommen bei bis zu 94 % aller PBC-Patienten vor. Ein positiver serologischer Anti-M2-Antikörperbefund mit hohem Titer ist ein wichtiger Hinweis bei der Diagnose einer PBC und ein äußerst nützlicher Prädiktor in der Früherkennung einer PBC. Antikörper gegen M2 kommen gelegentlich auch bei anderen, gleichzeitig mit PBC auftretenden Krankheiten, wie bei Autoimmunhepatitis (Überlappungssyndrom von PBC und AIH), vor sowie bei Autoimmunerkrankungen, die nicht vorrangig die Leber betreffen, wie z. B. progressive Systemsklerose (6 %) und Sjögren-Syndrom. AMA in niedrigem Titer sind auch bei chronischer Hepatitis C und systemischem Lupus beschrieben worden.
Die molekularen Zielantigene der Autoantikörper gegen M2 sind verschiedene Untereinheiten von Enzymen der mitochondrialen Atmungskette aus der Familie der Ketosäuredehydrogenasekomplexe (2-OADH-Familie). Zu diesen zählen die E2-Untereinheit der verzweigtkettigen Ketosäuredehydrogenase (BCOADH-E2), die E2-Untereinheit der Pyruvatdehydrogenase (PDH-E2), die E2-Untereinheit der 2-Ketoglutaratdehydrogenase (OGDH-E2), die E1t-Untereinheiten von PDH und das E3-Bindungsproteins (Protein X). Unter diesen Enzymkomponenten stellt die E2-Komponente der PDH das Hauptautoantigen dar, mit dem bei PBC die Mehrheit der Serumproben (80–90 %) reagiert. Zusätzlich haben 60 % der PBC-Patienten auch Antikörper gegen BCOADH-E2. Interessanterweise erkennen 4–13 % der Seren von PBC-Patienten nur BCOADH-E2 und nicht PDH-E2. Die E2-Komponente von OGDH-E2 ist in 30–80 % der Seren von PBC-Patienten reaktiv. Die immundominanten Epitope von BCOADH-E2, PDH-E2 und OGDH-E2 sind lipoylbindende Bereiche, wobei gegen diese gerichtete Antikörper nicht kreuzreagieren (Kreuzreaktivität).
Untersuchungsmaterial
Probenstabilität
Autoantikörper sind bei +4 °C bis zu 2 Wochen lang beständig, bei −20 °C über Monate und Jahre hinweg.
Analytik
Standardsubstrat zum AMA-Nachweis durch indirekte Immunfluoreszenz (Immunfluoreszenz, indirekte) ist die Rattenniere. Ausgangsverdünnung des Patientenserums ist 1:100, es werden die Immunglobulinklassen IgA, IgG und IgM untersucht. Das Zytoplasma der proximalen und der distalen Tubuluszellen zeigt mit einem positiven Serum eine granuläre, basal betonte Fluoreszenz (s. Abbildung). Die Glomeruli werden durch AMA nur schwach angefärbt.
Autoantikörper gegen Mitochondrien, indirekte Immunfluoreszenz mit Substrat Rattenniere:
HEp-2-Zellen enthalten die Antigene M2, M3, M5 und M9, hier erzeugen die Antikörper eine grobgranuläre Fluoreszenz des Zytoplasma (s. Abbildung), die den Kern nicht mit erfasst (früher standen die ebenfalls PBC-relevanten mitreagierenden „nuclear dots“ zu Unrecht im Verdacht, es seien verirrte Mitochondrien).
Autoantikörper gegen Mitochondrien, indirekte Immunfluoreszenz mit Substrat HEp-2-Zellen:
AMA in einer Serumprobe können auf nahezu allen Zellsubstraten eine granuläre Fluoreszenz des Zytoplasmas erzeugen. Man sollte sie nicht mit organspezifischen Autoantikörpern verwechseln!
Mittels monospezifischer Testsysteme (Enzyme-linked Immunosorbent Assay, Chemilumineszenz-Immunoassay, Immunblot, Western blot) können verschiedene definierte AMA-Antigene zuverlässig identifiziert werden.
Die 3 lipoylbindenden Bereiche von BCOADH-E2, PDH-E2 und OGDH-E2 können mittels rekombinanter Techniken verschmolzen werden, um das künstliche BPO-Protein herzustellen, das alle relevanten Epitope enthält. Dieses Fusionsprotein in Kombination mit nativem M2 (aufgereinigtes Protein aus porcinem Pyruvatdehydrogenasekomplex) erhöht in einem monospezifischen Testsystem zur Bestimmung der Antikörper gegen M2 die Sensitivität im Vergleich zu Testsystemen, die nur natives M2 verwenden.
Referenzbereich – Erwachsene
Negativ.
Interpretation
Autoantikörper gegen Mitochondrien können bei verschiedenen Erkrankungen nachgewiesen werden (s. Tabelle). Häufig treten sie zusammen mit anderen Autoantikörpern auf, z. B. mit Autoantikörper gegen Zellkerne.
Vorkommen von Autoantikörpern gegen Mitochondrien bei ausgewählten Krankheitsbildern:
Autoantikörper gegen
Assoziiertes Krankheitsbild
M1
Lues (Hinweis auf Aktivität)
100
50
5–15
M2
Primär biliäre Cholangitis (hohe Titer)
98
Andere chronische Lebererkrankungen
30
Progressive Systemsklerose
7–25
M3
Pseudo-Lupus-Syndrom
100
M4
Primär biliäre Cholangitis
≤55
M5
Unbestimmte Kollagenosen
Selten
M6
Hepatitis (Iproniazid-induziert)
100
M7
60
30
M8
Primär biliäre Cholangitis
≤55
M9
Primär biliäre Cholangitis
37–82
Andere Hepatitisformen
3–10
Von besonderer Bedeutung sind Antikörper gegen Mitochondrien für die Diagnose der PBC. In Seren von PBC-Patienten wurden verschiedene AMA-Typen nachgewiesen: Antikörper gegen die Antigene M2, M4, M8 und M9, wobei Antikörper gegen das M2-Antigen die diagnostischen Marker mit der höchsten Sensitivität und Spezifität sind, sie sind bei über 90 % der Patienten nachweisbar.
Hinweis: Bei einem negativen M2-Befund und weiter bestehendem Verdacht auf eine PBC empfiehlt sich die zusätzliche Bestimmung der Antikörper gegen Kerngranula (Autoantikörper gegen Zellkerne, PBC-assoziierte antinukleäre Autoantikörper) und Kernmembran, denen ebenfalls eine Bedeutung zuerkannt wird.
Literatur
Berg PA, Klein R (1992) Antimitochondrial antibodies in primary biliary cirrhosis and other disorders: definition and clinical relevance. Dig Dis 10:85–101CrossRefPubMed
Dähnrich C, Pares A, Caballeria L, Rosemann A, Schlumberger W, Probst C, Mytilinaiou M, Bogdanos D, Vergani D, Stöcker W, Komorowski L (2009) New ELISA for detecting primary biliary cirrhosis-specific antimitochondrial antibodies. Clin Chem 55:978–985CrossRefPubMed
Jiang XH, Zhong RQ, Yu SQ, Hu Y, Li WW, Kong XT (2003) Construction and expression of a humanized M2 autoantigen trimer and its application in the diagnosis of primary biliary cirrhosis. World J Gastroenterol 9:1352–1355CrossRefPubMedPubMedCentral