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Autoantikörper gegen Phospholipide

Verfasst von: W. Stöcker und W. Schlumberger
Synonym(e)
aPL-Antikörper; Phospholipid-Antikörper
Englischer Begriff
phospholipid autoantibodies
Definition
Antikörper gegen Phospholipide richten sich gegen Komplexe aus Phospholipiden und Plasmaproteinen.
Struktur
Grundbaustein der Phospholipide ist die Phosphatidsäure, bestehend aus einer Phosphorsäure verestert mit Glyzerin und 2 Fettsäuren, die wiederum verestert ist mit einer polaren Gruppe (z. B. Serin, Glyzerin). Handelt es sich bei der polaren Gruppe z. B. um Serin, so ist die Bezeichnung des Phospholipids Phosphatidylserin. Beim Cardiolipin sind 2 Phosphatidsäuren mit einem weiteren Glyzerin verknüpft.
Funktion – Pathophysiologie
Hintergrund: Autoantikörper gegen Phospholipide wurden zunächst als Störfaktoren bei infektionsserologischen Untersuchungen entdeckt (Wassermann-Test, VRDL-Test). Erst in den 1980er-Jahren wurde erkannt, dass Patienten mit Antikörpern gegen Phospholipide häufig an systemischen Lupus erythematodes (SLE) und anderen Autoimmunerkrankungen litten.
Pathogenese: Entsprechend den verschiedenen Angriffspunkten der Autoantikörper gegen Phospholipide ist die Pathogenese vielgestaltig. Neben der Aktivierung von Endothel, möglicherweise einhergehend mit direkter Schädigung, kann es zu einer direkten Aktivierung von Thrombozyten und zu Störungen der humoralen Gerinnungsfaktoren kommen. Gemeinsame Folge all dieser Veränderungen ist eine gesteigerte Gerinnung mit pathologischer Thrombenbildung.
Untersuchungsmaterial
Probenstabilität
Autoantikörper sind bei +4 °C bis zu 2 Wochen lang beständig, bei −20 °C über Monate und Jahre hinweg.
Analytik
Antikörper gegen Phospholipide lassen sich zuverlässig nur mit einem Enzyme-linked Immunosorbent Assay oder Chemilumineszenz-Immunoassays nachweisen, bei denen neben dem jeweiligen Phospholipid auch das Plasmaprotein β2-Glykoprotein I als Antigen eingesetzt wird.
Klinisch relevante Autoantikörper wurden sowohl gegen anionische Phospholipide (Cardiolipin, Phosphatidylserin, Phosphatidylglycerol, Phosphatidylinositol) als auch gegen neutrale Phospholipide (Phosphatidylethanolamin, Phosphatidylcholin) beschrieben.
Das Vorliegen der Autoantikörper gegen Cardiolipin (ACA) gehört zu den Diagnosekriterien des Antiphospholipid-Syndroms (Internationales Konsensus-Statement, Miyakis et al. 2006). Aufgrund ausgeprägter Strukturhomologien zeigen Antikörper gegen Cardiolipin eine Kreuzreaktivität mit anderen anionischen Phospholipiden. Die Bestimmung der entsprechenden Antikörper (gegen Phosphatidylserin, Phosphatidylglycerol, Phosphatidylinositol, Phosphatidylethanolamin, Phosphatidylcholin) ist nur in seltenen Fällen von zusätzlichem diagnostischen Nutzen.
Zur serologischen Diagnostik des Antiphospholipid-Syndroms (APS) empfiehlt sich zunächst der Nachweis der Antikörper gegen Cardiolipin (IgG und IgM; IgA ist weniger aussagekräftig) sowie des Lupus-Antikoagulans (LA). Die Bestimmung dieser Antikörper muss nach 12 Wochen wiederholt werden, da erst ein zweimaliger positiver Befund die serologischen APS-Kriterien erfüllt. Bei negativem ACA-Befund sollten Antikörper der Klassen IgA, IgG und IgM gegen β2-Glykoprotein I (β2GP1; ein Plasmaproteinkofaktor; Autoantikörper gegen β2-Glykoprotein I) untersucht werden. Diese treten bei APS mit hoher Prävalenz (60–90 %) sowie unabhängig von ACA und LA auf. Durch die parallele Untersuchung von ACA und Anti-β2GP1-Antikörpern lässt sich die serologische Trefferquote auf nahezu 100 % steigern.
Die klinisch relevanten Antikörper gegen Cardiolipin sind auf das Plasmaprotein β2GP1 als Kofaktor der Antigenerkennung angewiesen. Durch die Bindung von β2GP1 an Cardiolipin kommt es wahrscheinlich zu Konformationsänderungen innerhalb der Gesamtstruktur und somit zu neuen antigenen Epitopen. Mit einem Anti-Cardiolipin-ELISA scheint man also 3 verschiedene Antikörpertypen zu erfassen:
Anti-Cardiolipin-ELISA eignen sich nicht als Screeningmethode für den parallelen Nachweis der Antikörper gegen Cardiolipin und gegen β2GP1, obwohl β2GP1 als Antigen enthalten ist. Wahrscheinlich führt die strukturelle Modifizierung des β2GP1 durch die Bindung an Cardiolipin zum Verlust von Epitopen, die von einer Subpopulation der Antikörper gegen β2GP1 erkannt werden. Die zuverlässige und sensitive Bestimmung der Antikörper gegen β2GP1 gelingt nur mit einem ELISA, der ausschließlich dieses Protein als Antigen enthält.
Referenzbereich – Erwachsene
Negativ.
Diagnostische Wertigkeit
Die klinischen Komplikationen, die mit dem Vorkommen von Antikörpern gegen Phospholipide assoziiert sind, hat man unter dem Begriff Antiphospholipid-Syndrom (APS) zusammengefasst. ACA-Prävalenz bei 1000 APS-Patienten (nach Cervera et al. 2002):
Ig-Klasse
Prävalenz bei APS (%)
Nur IgG
44
Nur IgM
12
IgG/IgM
88
Das Antiphospholipid-Syndrom wird in 3 verschiedene Subtypen unterteilt:
  • Primäres APS: isoliertes Auftreten, keine weitere erkennbare Autoimmunkrankheit.
  • Sekundäres APS: Kombination mit weiteren Autoimmunerkrankungen, meist bei SLE-Patienten, seltener bei Patienten mit Sklerodermie oder Sjögren-Syndrom.
  • Katastrophales APS: sehr seltene Komplikation, die zu gleichen Anteilen bei primärem und sekundärem APS vorkommt. Diese Manifestation ist mit einer hohen Mortalitätsrate von über 50 % assoziiert und sollte bei allen Patienten mit multiplem Organversagen unbekannten Ursprungs berücksichtigt werden.
Antikörper gegen Cardiolipin treten mit hoher Prävalenz (60–90 %) bei Patienten auf, die an Symptomen des Antiphospholipid-Syndroms leiden. Ihr Nachweis (persistierend über mehr als 12 Wochen) ist ein serologisches Kriterium zur APS-Diagnose gemäß des internationalen Konsensus-Statements (Miyakis et al. 2006). Demnach gilt ein APS als erwiesen, wenn eines von 2 klinischen Kriterien und eines von 3 serologischen Kriterien erfüllt sind, s. dazu folgende Tabelle:
Klinische Kriterien
Serologische Kriterien
Vaskuläre Thrombose
Anwesenheit von Lupus-Antikoagulans
Schwangerschaftskomplikationen (z. B. Früh- oder Totgeburten)
Antikörper gegen Cardiolipin (IgG/IgM)
 
Antikörper gegen β2GP1 (IgG/IgM)
20–40 % der Patienten mit SLE weisen Antikörper gegen Cardiolipin auf, insbesondere wenn bereits typische APS-Symptome vorliegen. Es gibt Hinweise darauf, dass bei Patienten mit SLE IgG-Antikörper gegen Cardiolipin mit Thrombozytopenie korrelieren und IgM-Antikörper mit hämolytischer Anämie.
Auch bei 5–15 % der Patienten mit anderen systemischen Autoimmunerkrankungen (rheumatoide Arthritis, Sklerodermie, Sjögren-Syndrom, Sharp-Syndrom und andere) sind ACA im Serum nachzuweisen. Sie kommen allerdings auch bei Infektionen vor, wie beispielsweise Lues oder Virushepatitis, sowie bei 1–5 % gesund erscheinender Personen. Bei Personen mit einer Thrombose in der Anamnese beträgt die Prävalenz 20–30 %. Wie häufig ACA bei Infektionskrankheiten und Blutspendern gemessen werden, ist sehr stark vom eingesetzten Testsystem abhängig.
Kardiologie: Persistierende hohe Antikörpertiter von Anti-Cardiolipin-Antikörpern werden als Risikofaktor für Thrombosen und vaskuläre Komplikationen bei Herz- oder Hirninfarkten angesehen. Bei hohen Antikörpertitern gegen Cardiolipin treten diese Komplikationen in ca. 80 % der Fälle auf.
Gynäkologie: Bei 64 % der Frauen mit Antikörpern gegen Phospholipide sind habituelle Aborte, Tot- oder Frühgeburten, unabhängig davon, ob Symptome einer Autoimmunerkrankung vorliegen, zu erwarten. Dabei sind Patientinnen mit systemischem Lupus erythematodes besonders von den genannten Schwangerschaftskomplikationen betroffen (bis zu 77 % der Fälle). Als Ursache werden durch Venenthrombosen in der Plazenta ausgelöste Infarkte diskutiert. Man sollte ACA-Konzentrationen bei Personen mit erhöhtem Thromboserisiko, bei Frauen mit einer Fehlgeburt in der Anamnese und bei Infarktpatienten überprüfen.
Literatur
Alarcon-Segovia D, Cabral AR (2000) The anti-phospholipid antibody syndrome: clinical and serological aspects. Baillieres Best Pract Res Clin Rheumatol 14:139–150CrossRefPubMed
Cervera R, Piette JC, Font J et al (2002) Antiphospholipid syndrome: clinical and immunologic manifestations and patterns of disease expression in a cohort of 1000 patients. Arthritis Rheum 46:1019–1027CrossRefPubMed
Levine JS, Branch DW, Rauch J (2002) The antiphospholipid syndrome. N Engl J Med 346:752–763CrossRefPubMed
Miyakis S, Lockshin MD, Atsumi T, Branch DW, Brey RL, Cervera R, Derksen RH, DE Groot PG, Koike T, Meroni PL, Reber G, Shoenfeld Y, Tincani A, Vlachoyiannopoulos PG, Krilis SA (2006) International consensus statement on an update of the classification criteria for definite antiphospholipid syndrome (APS). J Thromb Haemost 4(2):295–306. https://​doi.​org/​10.​1111/​j.​1538-7836.​2006.​01753.​x CrossRefPubMed
Wilson WA, Gharavi AE, Koike T et al (1999) International consensus statement on preliminary classification criteria for definite antiphospholipid syndrome: report of an international workshop. Arthritis Rheum 42:1309–1311CrossRefPubMed