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Blutkörperchensenkungsgeschwindigkeit nach Westergren

Verfasst von: H. Fiedler
Blutkörperchensenkungsgeschwindigkeit nach Westergren
Synonym(e)
Erythrozytensenkungsreaktion (ESR); Blutkörperchensenkungsreaktion (BSR); Westergren-Methode
Englischer Begriff
erythrocyte sedimentation rate, ESR
Definition
Messung der Sinkgeschwindigkeit (mm/h) von Erythrozyten in Zitratblut in einer Glas- oder Plastikröhre. Alf Vilheim Albertsson Westergren (1891–1968) hat die Methode 1921 beschrieben. Vorher haben Edmund Biernacki (1866–1912) und Robert Sanno Fährǽus (1888–1968) vergleichbare Tests veröffentlicht.
Physikalisch-chemisches Prinzip
Erythrozyten haben eine höhere Dichte als Plasma. Die Sedimentation der Erythrozyten wird durch das aufsteigende Plasma abgebremst. Durch Dysproteinämien wie bei der Akute-Phase-Reaktion wird die Beladung der Erythrozytenoberfläche verändert, das Zeta-Potenzial (abstoßende Wirkung der negativen Beladung) vermindert und die Aggregation (Rouleau-Bildung) der Zellen (besonders durch Fibrinogen, α2-Makroglobulin, Haptoglobin und Immunglobuline) begünstigt. Sturzsenkung (>90 mm/h) bei monoklonalen Gammopathien.
Einsatzgebiet
Suchtest bei Verdacht auf akute entzündliche Erkrankungen, Verlaufsbeurteilung bei chronischen Infekten (rheumatisch, maligne) und Autoimmunerkrankungen. Ausschluss chronischer immunologischer und maligner Erkrankungen mit systemischer Reaktion.
Untersuchungsmaterial
Blut und 3,8 %iges Natriumzitrat (4 + 1) werden in vorgefertigten Monovetten gemischt.
Instrumentierung
Die Mischung wird spätestens nach 2 Stunden in ein senkrecht stehendes 200 mm langes Röhrchen mit Millimetergraduierung gefüllt. Nach 1 Stunde bei Raumtemperatur (20–22 °C) erfolgt die Ablesung entweder visuell oder kontinuierlich, automatisiert mit Einmalblutentnahmeröhrchen. Die Registrierung nach 2 Stunden erhöht die Aussage nicht. Bei der Wintrobe-Methode der Blutkörperchensenkungsgeschwindigkeit wird eine Röhre geringeren Durchmessers und EDTA-Blut verwendet.
Spezifität
Eine normale BSG schließt entzündliche Organerkrankungen oder Malignome nicht aus. Etwa 5 % aller unerwarteten BSG-Erhöhungen werden nicht geklärt, das Risiko späterer Erkrankungen, wie Myokardinfarkt, scheint jedoch erhöht zu sein. Die Referenzintervalle sind abhängig von Alter und Geschlecht und sollten auf Methodenabhängigkeit validiert werden. Bei Neugeborenen ist die BSG stark erniedrigt und erreicht nach 14 Tagen die Erwachsenenwerte.
 
Unter 50 Jahre
Über 50 Jahre
Frauen
≤20 mm/h
≤30 mm/h
Männer
≤15 mm/h
≤20 mm/h
Sensitivität
Die BSG reagiert träge auf Akute-Phase-Reaktionen, erst nach 24–48 Stunden kommt es zu einer deutlichen Erhöhung (parallel zur Reaktionszeit von Fibrinogen). Die Halbwertszeit beträgt 4–6 Tage. Sehr starke Erhöhungen (>100 mm/h) sind typisch für Malignome, besonders Plasmazytome, schwere Infektionen und Bindegewebserkrankungen, wie Polymyalgia rheumatica oder Arteriitis temporalis.
Fehlermöglichkeit
Antiphlogistika (Phenylbutazon, Indomethazin, Azetylsalizylsäure), Dextrane und Kortikoide sowie eine erhöhte Zahl und Strukturänderungen (Polyglobulie, Sichelzellen, Mikrozytose) der Erythrozyten, Hyperviskosität und schwere Lebererkrankungen verzögern die BSG, während sie durch Kontrazeptiva, Schwangerschaft (bis 5-fach) und in der prämenstruellen Phase sowie durch Anämie und Retikulozytenvermehrung beschleunigt wird. Temperaturerhöhungen und starkes Sonnenlicht verfälschen die Werte.
Praktikabilität – Automatisierung – Kosten
Die BSG hat sich als einfache, billige, unspezifische, aber ausreichend sensitive und integrative Suchmethode behauptet. Sie kann an jeder ärztlichen Untersuchungsstelle durchgeführt werden. Die Qualitätskontrolle ist schwierig. Automatisierte Verfahren sind auf dem Markt.
Bewertung – Methodenhierarchie (allg.)
Schnelle Veränderungen werden nicht erfasst, dafür sind C-reaktives Protein oder Serum-Amyloid A besser geeignet. Bei einigen Autoimmunerkrankungen, wie Lupus erythematodes und Dermatomyositis, ist im nicht entzündlichen Stadium bei annähernd normalem CRP die BSG deutlich erhöht. Eine unauffällige BSG findet sich bei vielen Viruserkrankungen. BSG ist kein Suchtest für Malignome. Neben der BSG ist auch die Plasmaviskosimetrie (Viskosimetrie) zur Erkennung von Dysproteinämien geeignet.
Literatur
International Committee for Standardization in Haematology (1988) Guidelines on selection of laboratory tests for monitoring the acute phase response. J Clin Pathol 41:1203–1212CrossRef
International Council for Standardization in Haematology (1993) ICSH recommendations for measurement of erythrocyte sedimentation rate. J Clin Pathol 46:198–203CrossRef
Westergren A (1921) Studies of the suspension stability of the blood in pulmonary tuberculosis. Acta Med Scand 54:247–282CrossRef