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Chlorid

Verfasst von: O. Müller-Plathe
Chlorid
Englischer Begriff
chloride
Definition
Chlorid (chemisches Symbol für Chlor: Cl) ist mengenmäßig das wichtigste Anion des extrazellulären Raumes.
Molmasse
35,453 g.
Synthese – Verteilung – Abbau – Elimination
Aufnahme und Bedarf: Chlorid wird überwiegend als Kochsalz mit der Nahrung aufgenommen und im Dünndarm resorbiert (s. Tagesbedarf Natrium).
Bestand: Bei 70 kg Körpergewicht etwa 2300 mmol, davon rasch austauschbar 1600 mmol.
Verteilung: extrazellulärer Raum (EZR), ohne Knochen 56 %; Knochensubstanz 32 %; intrazellulärer Raum (IZR) 12 %.
Elimination: mit dem Urin >90 %, mit dem Stuhl <10 %. Starke Schweißbildung kann zu erheblichen Cl-Verlusten führen.
Funktion – Pathophysiologie
Nach glomerulärer Filtration folgt Cl in den proximalen Tubuli dem aktiv reabsorbierten Na+. Im dicken aufsteigenden Teil der Henleschen Schleife wird Cl duch eine Cl-Pumpe reabsorbiert. Dieser Vorgang wird durch Schleifendiuretika wie Furosemid und Ethacrynsäure inhibiert.
Untersuchungsmaterial – Entnahmebedingungen
Für herkömmliche Messung als Gesamtchlorid: Heparinplasma oder Serum nach venöser Abnahme. Für Messung in Vollblutproben (als „ionisiertes Chlorid“) wird am besten eine mit lyophilisiertem, elektrolytadaptiertem Heparin (Heparin und Heparinoide) präparierte Plastikspritze verwendet. Urin: Einzelproben oder 24-Stunden-Sammelurin. Schweiß: zur Diagnostik der zystischen Fibrose. Weitere Materialien: Magensaft, Stuhl, Drainageflüssigkeiten zur Erfassung von Elektrolytverlusten.
Probenstabilität
Plasma, Serum: Bei 25 °C 4 Tage, bei 4–8 °C 7 Tage, bei −20 °C 1 Jahr. Bei Aufbewahrung über mehr als 4 Tage Abtrennung von Erythrozyten erforderlich. Schutz vor Verdunstung! Heparinblut: Messung innerhalb von 8 Stunden. Da Chlorid meistens gemeinsam mit Natrium und Kalium gemessen wird, sind ggf. die strengeren Entnahme- und Stabilitätsregularien für Kalium zu beachten (Kalium). Urin: wie Serum. Schutz vor Verdunstung.
Präanalytik
Keine Patientenvorbereitung für Cl-Messung in Vollblut, Plasma, Serum und Urin. Für die Schweißuntersuchung wird auf das NCCLS-Dokument C34-A2 (National Committee for Clinical Laboratory Standards 2000) verwiesen.
Analytik
1.
Coulometrische Titration (Coulometrie): Von der Silberelektrode des Chloridtitrators werden mit konstanter Geschwindigkeit Ag+ freigesetzt. Solange Cl in der Messlösung vorhanden ist, wird unlösliches AgCl gebildet. Sobald durch freies Ag+ ein Stromfluss entsteht, wird sowohl die Ag+-Abgabe als auch ein mit Beginn der Titration gestartetes Zeitmesswerk gestoppt. Einstellung des Zeitmessers mit einer Kalibratorlösung. Bis auf Interferenzen durch Br, F, CN, SCN und SH-Gruppen, die normalerweise nur in geringsten Mengen vorliegen, ist die Methode spezifisch. Wegen des Messbereichs von 0 bis zu mehreren Hundert mmol/L ist das Verfahren für Plasma, Serum, Urin und für die Schweißuntersuchung geeignet. Impräzision bei bester Elektrodenpflege um 1 % VK.
 
2.
Ionenselektive Elektrode (ISE), indirekt nach Verdünnung der Probe: trotz gelegentlicher Instabilität verbreitetes Routineverfahren, mechanisierbar und gut in Analysenautomaten zu integrieren. Begrenzter Linearitätsbereich. Impräzision unter Routinebedingungen um 2 %.
 
3.
Komplexometrisch-photometrische Methoden: Umsetzung von Cl mit einem Quecksilbersalz, z. B. Hg(SCN)2, zu HgCl. Das freigesetzte Thiozyanat wird zur Bildung eines photometrierbaren Farbkomplexes mit Fe3+ genutzt. Diese und ähnliche Methoden sind erfolgreich in Analysenautomaten integriert worden, sind jedoch durch spezielle Entsorgungsregularien wegen des Hg-Anteils belastet.
 
4.
Enzymatisch-photometrische Methode: Sie beruht auf der Aktivierung der α-Amylase durch Chlorid (Ono et al. 1988) und ist ohne weitere Messeinrichtungen in Analysenautomaten zu integrieren.
 
5.
Ionenselektive Elektrode (ISE), direkt im unverdünnten Heparinblut oder Heparinplasma: sehr schnelle Messung im Vollblut (<1 min), ohne den Aufwand der Zentrifugation und der Probendilution. Als Cl-selektive Elektroden werden Membranelektroden mit neutralen Carriern oder mit Ionenaustauschern (z. B. quaternären Ammoniumsalzen) sowie Silberchlorid-Festkörperelektroden verwendet.
 
Die Methoden 1–4 erfassen die molare Chloridkonzentration im Plasma, Methode 5 die Aktivität des ionisierten Chlorids im Plasmawasser, also die molale Aktivität (Elektrolyte). Durch ein entsprechendes Kalibrationsverfahren wird das Messsignal jedoch auf ein Plasma mit normalem Protein- und Lipidgehalt, also auf ein etwa 7,2 % größeres Verteilungsvolumen bezogen, um die Ergebnisse kompatibel mit denen der konventionellen Chloridbestimmung zu machen. Es handelt sich also um eine „justierte Molalitätmessung“. Eine klinische Relevanz des ionisierten Chlorids gegenüber dem Gesamtchlorid hat sich – anders als beim Natrium – bisher nicht ergeben.
Konventionelle Einheit
mval/L oder mEq/L.
Internationale Einheit
mmol/L.
Umrechnungsfaktor zw. konv. u. int. Einheit
1.
Referenzbereich – Erwachsene
Plasma/Serum 98–107 mmol/L; 24-Stunden-Urin 100–250 mmol/Tag; Schweiß 5–35 mmol/L.
Referenzbereich – Kinder
Plasma/Serum 98–107 mmol/L; Schweiß 5–35 mmol/L.
Indikation
Plasma, Serum: intensivmedizinische Überwachung, anhaltende Magensaftverluste durch Erbrechen, Säure-Basen-Störungen (Berechnung der Anionenlücke, Anionenlücke im Plasma), Störungen des Elektrolyt- und Wasserhaushalts bei Erkrankungen der Nieren und der Nebennieren, intensive diuretische Therapie.
Urin: Verdacht auf Bulimie; Kontrolle bei NaCl-armer Diät.
Schweiß: Diagnostik der zystischen Fibrose.
Interpretation
Plasma: Fast immer folgt das Plasmachlorid bei Störungen im Wasser- und Salzhaushalt den Veränderungen der Natriumkonzentration. Chloridabweichungen ohne adäquate Natriumveränderungen weisen auf Säure-Basen-Störungen hin.
Urin: Die Chloridausscheidung im Urin entspricht der NaCl-Aufnahme. Bei chronischem Erbrechen und Bulimie findet man Werte >15 mmol/L.
Schweiß: Cl bei zystischer Fibrose >60 mmol/L.
Vorkommen der Hypochlorämie
  • Hyponatriämie: als begleitendes Symptom
  • Hypochlorämische Alkalose: durch gastrointestinale Verluste (Erbrechen, Magensaftdrainage, konnatale Chloridorrhoe) oder renale Verluste (Hyperaldosteronismus, M. Cushing, Saluretika)
  • Metabolische Azidose: Verdrängung durch andere Anionen (Azetazetat, Hydroxybutyrat, Laktat, Formiat)
  • Respiratorischen Azidose: Verdrängung durch kompensatorischen Bikarbonatanstieg
Vorkommen der Hyperchlorämie
  • Hypernatriämie: als begleitendes Symptom
  • Hyperchlorämische Azidose: durch vermehrte Chloridaufnahme (Lysin- oder Argininhydrochlorid, Ureterosigmoideostomie) oder verminderte Chloridausscheidung (renal-tubuläre Azidose, Karboanhydratasehemmer)
  • Ersatz für vermindertes Plasmabikarbonat: Verluste von Pankreas- oder Dünndarmsekret
Diagnostische Wertigkeit
Die Chloridbestimmung im Plasma hat eine geringere klinische Bedeutung als die der anderen Elektrolyte, da abweichende Cl-Konzentrationen keine eigenständige Gefährdung anzeigen. Cl im Plasma dient der ergänzenden Diagnostik und kann in Einzelfällen wertvolle Hinweise liefern. Sein Wert als Routinebestandteil eines jeden Elektrolytstatus ist umstritten.
Literatur
National Committee for Clinical Laboratory Standards (2000) Sweat testing: sample collection and quantitative analysis. Approved guideline. NCCLS document C34-A2. National Committee for Clinical Laboratory Standards, Wayne
Ono T, Taniguchi J, Mitsumaki H et al (1988) A new enzymatic assay of chloride in serum. Clin Chem 34:552–553PubMed