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Cystatin C

Verfasst von: W. G. Guder
Cystatin C
Synonym(e)
Gamma-trace
Definition
Cystatin C ist ein basisches, nicht glykiertes Mikroprotein aus der Cystatinfamilie, das als Cysteinproteinaseninhibitor im Extrazellulärraum fungiert.
Struktur
Ubiquitär exprimiertes, nicht glykiertes Peptid.
Molmasse
13,36 kDa.
Synthese – Verteilung – Abbau – Elimination
Das Gen wird in allen kernhaltigen Zellen exprimiert und das Protein so als Cysteinproteinaseinhibitor in konstanter Rate an die verschiedenen Extrazellulärräume abgegeben (housekeeping gene). Aufgrund seiner niedrigen Molmasse und seiner geringen Bindung an andere Proteine wird es glomerulär frei filtriert. Die Halbwertszeit im Blut beträgt so nur etwa 2–3 Minuten. Nach glomerulärer Filtration werden über 99 % proximal tubulär rückresorbiert und hier lysosomal zu Aminosäuren abgebaut.
Funktion – Pathophysiologie
Cystatin C findet sich in allen extrazellulären Körperflüssigkeiten. Ein angeborener Mangel im Zerebrospinalraum (wenige Fälle in Island beschrieben) führt zu einer schlaganfallartigen Blutung im Gehirn durch blutdruckunabhängige Ruptur arterieller Gefäße im ZNS (Liquor-Cystatin C).
Aufgrund der ubiquitären Synthese von Cystatin C ist die Konzentration im Plasma konstant ab dem 4. Monat nach der Geburt und wird weder durch entzündliche Erkrankungen noch durch Tumor- oder degenerative Erkrankungen verändert. Nach der Geburt liegen höhere Konzentrationen vor, die mit wachsender renaler Funktion bis zum 6. Monat abnehmen. So schien das Protein in idealer Weise als Marker für die glomeruläre Clearance geeignet. Wegen der geringeren extrarenalen Faktoren, die zu einer Veränderung führen, konnte früher und präziser die glomeruläre Clearance aus einer einfachen Serum-/Plasmabestimmung vorausgesagt werden. Lediglich bei hoher Glukokortikoidbehandlung wurde ein Anstieg des Cystatins gefunden. Leichte Anstiege bei malignen Tumoren wurden bei fortgeschrittenen Stadien von Kolonkarzinom ohne Anstieg des Kreatinins beschrieben.
Untersuchungsmaterial – Entnahmebedingungen
Plasma (Heparin-, EDTA-) oder Serum sind in gleicher Weise geeignet. Die Messung im Urin wird derzeit nicht benötigt (Liquor-Cystatin C).
Probenstabilität
Plasma/Serum über 2 Tage bei Raumtemperatur, 1 Woche im Kühlschrank und über 3 Monate gefrorenen. EDTA-Plasma führt zu längerer Stabilität.
Präanalytik
Wegen der geringen intraindividuellen und interindividuellen Variabilität sind weder Zeitpunkt noch Ernährungszustand für die Ergebnisse des Cystatins C von Bedeutung. Lediglich lipämische (nüchtern) oder hämolytische Seren/Plasmen sollten vermieden werden.
Analytik
Particle-enhanced turbidimetric Immunoassay (PETIA; Immunturbidimetrie) oder Particle-enhanced nephelometric Immunoassay (PENIA; Immunnephelometrie), Kalibration mit internationalem Referenzmaterial (Grubb et al. 2010).
Internationale Einheit
mg/L.
Referenzbereich
Unterschiede zwischen den Methodenergebnissen sind nach Einführung eines einheitlichen Referenzstandards weggefallen.
Referenzbereich – Frauen
<50 Jahre 0,4–0,99 mg/L, >50 Jahre 0,4–0,99 mg/L.
Referenzbereich – Männer
<50 Jahre 0,37–0,74 mg/L, >50 Jahre 0,4–0,99 mg/L.
Referenzbereich – Kinder
<1 Jahr: nach Geburt 2- bis 3-mal so hoch wie bei Erwachsenen (1,1–2,2 mg/L) mit raschem Abfall auf <2 mg/L in den ersten 3 Wochen; ab 1. Lebensjahr: 0,5–1,0 mg/L.
Ermittlung der glomerulären Clearance:
In folgender Weise kann die Clearance (Clearance, glomeruläre) bei Erwachsenen aus dem Plasma-/Serum-Cystatin C abgeleitet werden:
Clearance (mL/min) = 84,7/Cystatin C1,68 (mg/L).
Bei Frauen ist das Ergebnis mit dem Faktor 0,85 zu multiplizieren, bei Kindern unter 14 Jahren mit dem Faktor 1,384.
Dabei ist die lineare Beziehung zwischen der reziproken Cystatinkonzentration und der Clearance ab dem 1. Jahr weder vom Alter noch von der Muskelmasse oder anderen extrarenalen Faktoren abhängig.
Indikation
Abschätzung der glomerulären Clearance (Clearance, glomeruläre) ab dem 3. Monat bis Lebensende. Cystatin C wird gegenüber Kreatinin als „idealer“ Marker der glomulären Clearance angesehen. Er bietet folgende Vorteile:
  • Nahezu keine Alters- und Geschlechtsabhängigkeit
  • Keine Abhängigkeit von der Muskelmasse oder anderen extrarenalen Faktoren
  • Plasmaanstiege aufgrund der geringen interindividuellen Streuung bereits im sog. kreatininblinden Bereich, d. h. bei gering gradiger Nierenschädigung
  • Durch die weitgehende Unabhängigkeit der Plasmakonzentration von extrarenalen Faktoren ist die Abschätzung der Clearance direkt aus dem Plasma-Cystatin möglich
Interpretation
Eine erhöhte Konzentration von Cystatin C spricht für eine reduzierte glomeruläre Clearance, wenn seltenere Ursachen für eine Erhöhung ausgeschlossen sind (Glukokortikoidtherapie, Hyperthyreose, fortgeschrittene Kolonkarzinomerkrankung, Melanom im metastasierenden Stadium). Dies gilt auch, wenn Kreatinin noch im Referenzbereich ist.
Diagnostische Wertigkeit
Die diagnostische Wertigkeit und Überlegenheit gegenüber Kreatinin wurde in vielen Krankheitsgruppen belegt: Screening im pädiatrischen und Erwachsenenalter besonders bei Patienten über 60 Jahren, wo häufig nur Cystatin die reduzierte Clearance anzeigt. Bei Tumorpatienten, Patienten mit entzündlichen und fieberhaften Erkrankungen, Diabetikern und unter potenziell nephrotoxischen Medikamenten wurde Cystatin C als empfindlicherer Marker erkannt. Auch bei rasch sich verändernder glomerulärer Clearance stieg Cystatin C einen Tag eher an als Kreatinin.
Literatur
Grubb A (2017) Cystatin C is indispensable for evaluation of kidney disease. J Int Fed Clin Chem 28:268–76
Grubb A, Nymann U, Björk J, Lindström V, Rippe B, Sterner G, Christensson A (2005) Simple cystatin C-based prediction equations for glomerular filtration rate compared with the modification of diet in renal disease prediction equation for adults and the Schwartz and the Counahan-Barratt prediction equations for children. Clin Chem 51(8):1420–1431CrossRefPubMed
Grubb A, Blirup-Jensen S, Lindström V, Schmidt C, Althaus H, Zegers I, On behalf of the IFCC working group on standardisation of cystatin C (WG-SCC) (2010) First certified reference material for cystatin C in human serum ERM-DA471/IFCC. Clin Chem Lab Med 48:1619–1621CrossRefPubMed
Harmoinen A, Lethimäki T, Korpela M, Turjanmaa V, Saha H (2003) Diagnostic accuracies of plasma creatinine, Cystatin C, and glomerular filtration rate calculated by the Cockroft-Gault and Levey (MDRD) formulas. Clin Chem 49:1223–1225CrossRefPubMed
Hofmann W, Ehrich JHH, Guder WG, Keller F, Scherberich J (2011) Diagnostische Pfade bei Nierenerkrankungen. Nieren und Hochdruckkrankheiten 40:47–70CrossRef