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DNA, zirkulierende

Verfasst von: S. Holdenrieder und P. Stieber
DNA, zirkulierende
Synonym(e)
Nukleinsäuren, zirkulierende
Englischer Begriff
circulating DNA
Definition
Zirkulierende DNA ist im Serum und Plasma meist in nukleosomaler Form vorhanden, da sie so besser gegen die intraplasmatischen Endonukleasen konserviert ist.
Struktur
Nukleosomen sind die Elementarbestandteile des Chromatins. Sie sind funktionelle Komplexe, die aus einem zentralen Proteinkern sowie DNA an dessen Außenseite bestehen. Der Nukleosomenkern setzt sich aus der zweifachen Anordnung der Histone H2A, H2B, H3 and H4 zusammen. Um diesen Kern windet sich etwa 1,5-mal die DNA-Doppelhelix mit einer Länge von etwa 146 Basenpaaren. Die Verbindung zum nächsten Nukleosom wird durch Linker-DNA bewerkstelligt, die eine unterschiedliche Länge aufweisen kann. Nackte DNA wird in der Blutbahn sehr rasch abgebaut, deshalb ist dort vor allem die gegen die intraplasmatischen Endonukleasen besser konservierte nukleosomale DNA nachweisbar.
Synthese – Verteilung – Abbau – Elimination
Das Kernchromatin aller eukaryotischer Zellen ist in seiner Primärstruktur aus nukleosomalen Grundeinheiten aufgebaut. Beim apoptotischen Zelltod kommt es zur endonukleatischen Spaltung des Chromatins in mono- und oligonukleosomale Fragmente. Nach Desintegration der Zellmembran werden diese u. a. auch in die Blutbahn freigesetzt und können dort nachgewiesen werden.
Funktion – Pathophysiologie
Bei malignen Erkrankungen findet häufig parallel zur gesteigerten Proliferation ein gegenregulierend erhöhtes Zelltodvorkommen statt, was mit einer erhöhten Konzentration von nukleosomaler DNA in der Blutbahn einhergeht.
Neben der Quantifizierung der zirkulierenden DNA können auch qualitative Merkmale zur Diagnostik mit einbezogen werden. So kann bei EBV-assoziierten Tumoren die Plasmakonzentration von EBV-DNA Rückschlüsse auf das Tumorgeschehen ermöglichen. Außerdem können Mutationen und epigenetische Phänomene die Spezifität der zirkulierenden DNA erhöhen.
Durch hoch sensitive Nachweismethoden ist inzwischen die Detektion von geringen Mengen frei zirkulierender Tumor-DNA (ctDNA) sowie die Charakterisierung deren molekularer Veränderungen möglich. Unter den Begriffen „Liquid Biopsy“ oder „Liquid Profiling“ hat sich in den letzten Jahren der Nachweis von tumorspezifischen Mutationen bzw. DNA-Rearrangements etabliert und wird komplementär zur Gewebediagnostik bei der Stratifizierung von Patienten für sogenannte „Targeted Therapies“ sowie zu deren Verlaufsmonitoring eingesetzt. Durch die ctDNA-Diagnostik kann die Heterogenität des molekularen Musters innerhalb eines Tumors sowie zwischen den verschiedenen Absiedelungen überwunden werden und die Veränderungen während und nach Durchführung von gezielten Therapien zeitnah erfasst werden. Die Sensitivität von ctDNA-Technologien ist jener der heute verfügbaren Methoden zum Nachweis von zirkulierenden Tumorzellen überlegen.
Untersuchungsmaterial – Entnahmebedingungen
Analytik
Digitale PCR (Polymerase-Kettenreaktion) (ddPCR); „next generation sequencing“ (NGS) und viele technologische Variationen.
Referenzbereich – Erwachsene
Median ca. 10 ng/mL (methoden- und materialabhängig).
Indikation
Stratifizierung von Patienten für „Targeted Therapies“, Monitoring des Therapieverlaufs und frühzeitige Detektion eines Tumorrezidivs bei verschiedenen soliden Tumoren, Prognosebeurteilung.
Interpretation
Generell wurden bei Patienten mit verschiedenen malignen Erkrankungen höhere Spiegel von zirkulierender DNA im Serum und Plasma beobachtet als bei gesunden Personen und auch bei Patienten mit benignen Erkrankungen. Insbesondere bei Hinzunahme von spezifischen Merkmalen, wie z. B. EBV-DNA, konnte eine verbesserte Diskriminierung der verschiedenen Patientengruppen erreicht werden. Hinsichtlich der DNA-Quantifizierung wurde bei einigen Tumorarten eine Korrelation zum Tumorstadium beschrieben, ebenso eine Assoziation mit der Prognose. Darüber hinaus wurde bei Patienten unter Chemo- und Radiotherapie eine Korrelation mit dem Therapieansprechen gefunden. Zu Beginn der Therapien wurden jeweils deutliche initiale Konzentrationsspitzen festgestellt, die im weiteren Verlauf schnell wieder abfielen. Für das Bronchialkarzinom konnte kürzlich gezeigt werden, dass diese Kinetik zirkulierender DNA-Fragmente während der ersten Behandlungstage einer Chemotherapie eine frühzeitige Prädiktion des späteren Therapieansprechens erlaubt.
Hinsichtlich der molekularen Veränderungen in zirkulierender Tumor-DNA (ctDNA) werden beim Bronchialkarzinom verschiedene Mutationen von EGFR und ALK, Rearrangements von ROS, ALK-EML etc. zur Stratifikation für Therapien, die diese Veränderungen gezielt durch extrazelluläre Antikörper oder intrazelluläre Tyrosinkinase-Inhibitoren (TKI) addressieren, das Verlaufsmonitoring und die frühzeitige Erkennung und Charakterisierung von Rezidiven nachgewiesen und quantifiziert. Beim kolorektalen Karzinom ist der negative Nachweis von KRAS- und NRAS-Mutationen Voraussetzung für die Gabe von EGFR-Antikörpern, beim Melanom der Nachweis von BRAF- und MEK-Mutationen für entsprechende Inhibitortherapien. Durch das Verlaufsmonitoring können Rezidive mit einer Vorlaufzeit von mehreren Monaten entdeckt und neu aufgetretene Mutationen identifiziert werden.
Literatur
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