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Lexikon der Medizinischen Laboratoriumsdiagnostik
Info
Verfasst von:
K. Kleesiek, C. Götting, J. Diekmann, J. Dreier und M. Schmidt
Publiziert am: 07.04.2018

Hh-Blutgruppensystem

Hh-Blutgruppensystem
Synonym(e)
Nullphänotyp-Blutgruppensystem
Englischer Begriff
Hh blood group
Definition
Blutgruppensystem, welches das Vorkommen bzw. das Fehlen des H-Antigens beinhaltet, das die Grundstruktur für die AB0-Blutgruppen darstellt.
Beschreibung
Die Blutgruppe Hh besteht aus einem singulären Antigen, dem H-Antigen, das auf allen Erythrozyten vorkommt und die Grundstruktur für die Bildung der AB0-Blutgruppen (AB0-Blutgruppensystem) darstellt.
Eine H-Antigen-Defizienz, auch als Bombay-Phänotyp (h/h, 0h) bezeichnet, kommt mit einer Frequenz von 1:10.000 bis 1:1 Million vor. Bei Personen mit Bombay-Phänotyp können aufgrund des Fehlens des H-Antigens die Blutgruppen A und B nicht ausgebildet werden (Null-Phänotyp im Blutgruppensystem), weshalb Antikörper der Spezifität Anti-A, Anti-B und Anti-H im Serum dieser Personen zu finden sind. Dies führt bei notwendigen Transfusionen zu Problemen bei der Bereitstellung von Blutkonserven, da einem Empfänger vom Bombay-Phänotyp aufgrund von Antikörpern gegen das H-Antigen lediglich Blutkonserven von H-Antigen-defizienten Spendern transfundiert werden dürfen. Die Bezeichnung Bombay-Phänotyp resultiert aus der Erstbeschreibung des Hh-Blutgruppensystems: Im Jahr 1951 wurde in Bombay (Indien) eine Person beschrieben, deren Serum Antikörper enthielt, die Erythrozyten der Blutgruppen A, B, AB und 0 agglutinierten. Die Erythrozyten dieser Person enthielten augenscheinlich keine AB0-Blutgruppenantigene, zusätzlich fehlte das Vorläuferantigen H, das die Grundstruktur für die AB0-Blutgruppenantigene bildet.
Das H-Antigen ist ein Kohlenhydratantigen mit einer Oligosaccharidstruktur, wobei minimal als terminaler Zucker ein Disaccharid aus α1,2-glykosidisch verknüpfter Fukose und Galaktose vorkommen muss. Die Biosynthese des H-Antigens und der A- und B-Antigene erfolgt durch die sequenzielle Aktivität von unterschiedlichen Glykosyltransferasen (s. Glykosyltransferasen A und B). Glykosyltransferasen sind Enzyme, die Monosaccharide aus aktivierten Nukeotidzuckern (UDP-Zucker) auf Akzeptorstrukturen übertragen und eine sehr hohe Donor- und Akzeptorspezifität aufweisen. Die aus dieser Enzymaktivität resultierenden Antigene stellen an Lipide oder Proteine gebundene Oligosaccharidketten dar, die in der Erythrozytenmembran verankert sind. Aufgrund der ubiquitären Verbreitung dieser Antigenstrukturen bei Bakterien sind im Serum von allen erwachsenen Personen, die das jeweilige Antigen nicht selbst tragen, Isoagglutinine, also Antikörper, gegen die AB0-Antigene nachweisbar.
Das H-Antigen wird durch die spezifische Fukosyltransferase 1 (H-Transferase) synthetisiert, die vom FUT1-Gen kodiert wird. Dieses H-Antigen wird dann durch Addition eines Glukose- oder Galaktosemoleküls in die Blutgruppen A oder B umgewandelt, während es bei Personen mit der Blutgruppe 0 unverändert bleibt. Neben der Fukosyltransferase 1 existiert im humanen Organismus noch eine hoch homologe Fukosyltransferase 2 (Se-Transferase), die vom FUT2-Gen (Se-Locus) kodiert und in sekretorischen Drüsen exprimiert wird. Die Gene FUT1 und FUT2 sind auf Chromosom 19q13.3 lokalisiert und werden aufgrund ihrer geringen Distanz von nur 35 kb als Haplotyp gekoppelt vererbt. Die Fukosyltransferase 2 weist eine ähnliche Substratspezifität wie die Fukosyltransferase 1 auf und ist für den Sekretorstatus einer Person verantwortlich. „Sekretoren“ (Se/Se oder Se/se) weisen mindestens eine funktionsfähige Kopie des FUT2-Gens auf und synthetisieren eine lösliche Form des H-Antigens, das in Saliva und anderen Körperflüssigkeiten gefunden wird. „Non-Sekretoren“ (se/se) hingegen produzieren kein lösliches H-Antigen.
Die vom FUT2-Gen kodierte Glykosyltransferase ist auch in die Biosynthese der Lewis-Antigene involviert (Lewis(Le)-Blutgruppensystem). Wenn weder eine aktive H-Transferase noch eine aktive Se-Transferase vorhanden sind (h/h, se/se), wird kein H-Antigen auf den Erythrozyten und auch kein lösliches H-Antigen in Saliva und Körperflüssigkeiten gebildet. Bei diesen Personen, die den Bombay-Phänotyp aufweisen, kommt es zur Bildung des Anti-H-Isoagglutinins, das mit Erythrozyten der Blutgruppen A, B, AB und 0 reagiert.
Antikörper der Spezifität Anti-H sind komplementaktivierende Antikörper primär vom IgM-Typ, die zur intravasalen Hämolyse (s. Hämolyse, transfusionsbedingt intra- und extravasal) von H-Antigen tragenden Erythrozyten und zu akuten hämolytischen Transfusionsreaktionen führen können. Auch ein Morbus haemolyticus neonatorum (Mhn; s. Morbus haemolyticus fetalis/neonatorum) sollte auftreten können, wenn die Mutter den Bombay-Phänotyp aufweist und die fetalen Erythrozyten H-Antigen tragen. In seltenen Fällen kann ein Bombay-Phänotyp auch durch einen Defekt im GDP-Fukosetransporter 1 hervorgerufen werden, der für den Transport von GDP-Zucker in den Golgi-Apparat und somit für die Bereitstellung des Substrates der Fukosyltransferasen 1 und 2 verantwortlich ist.
Neben dem Bombay-Phänotyp existiert noch ein Para-Bombay-Phänotyp, bei dem nur sehr geringe Mengen von H-Antigen auf den Erythrozyten nachweisbar sind. Hervorgerufen wird der Para-Bombay-Phänotyp entweder durch eine inaktive H-Transferase bei funktionsfähiger Se-Transferase oder durch eine H-Transferase mit minimaler Restenzymaktivität bei inaktiver Se-Transferase. Bei Personen mit Para-Bombay-Phänotyp sind Anti-H-Antikörper häufig nachweisbar, jedoch im Vergleich zum Bombay-Phänotyp nur in geringer Konzentration. Das alleinige Fehlen der Se-Transferase bei aktiver H-Transferase führt jedoch nur zum Fehlen von löslichem H-Antigen im Speichel (Non-Sekretor-Phänotyp) und nicht zur Bildung von Anti-H-Antikörpern. Ungefähr 20 % der europäischen Bevölkerung weisen diesen Phänotyp auf.
Die Funktion des H-Antigens, außer seiner Rolle als Grundstruktur der AB0-Blutgruppenantigene, ist bislang noch nicht bekannt, jedoch wird eine Beteiligung des H-Antigens bei Zelladhäsionsprozessen diskutiert. Die H-Antigendefizienz führt zu keinen klinischen Effekten bei Personen mit Bombay-Phänotyp, jedoch spielt das Fehlen des H-Antigens aufgrund der Präsenz von Anti-H-Antikörpern bei Transfusionen eine große Rolle, da das H-Antigen auf allen Erythrozyten von Personen, die selbst nicht den Bombay-Phänotyp aufweisen, vorhanden ist. Somit können nur H-Antigen negative Erythrozyten von Personen mit Bombay-Phänotyp transfundiert werden.
Literatur
Dean L (2005) Blood groups and red cell antigens. National Library of Medicine, NCBI, Bethesda
Mueller-Eckhardt C, Kiefel V (Hrsg) (2004) Transfusionsmedizin: Grundlagen – Therapie – Methodik, 3. Aufl. Springer, Berlin/Heidelberg/New York